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Misstrauen gegen politische Klasse

Die wochenlangen Proteste gegen die rumänische Regierung haben nun Folgen: Regierungschef Emil Boc gab am Montag seinen Rücktritt bekannt. Als Nachfolger bestimmte der rumänische Staatschef Traian Basescu den bisherigen Chef des rumänischen außenpolitischen Geheimdiensts (SIE), Mihai Razvan Ungureanu.

In einer im Fernsehen übertragenen Kabinettssitzung erklärte der bürgerliche Bloc seinen Rücktritt, um „die politische und soziale Situation im Land zu entschärfen und die mit so großen Entbehrungen erzielte wirtschaftliche Stabilität nicht zu gefährden“.

Neuwahlen abgesagt

Montagabend erklärte dann Basescu den parteilosen Ungureanu zum neuen Premier. Er habe bereits seit Dezember mit dem bisherigen Regierungschef Gespräche zu einer möglichen Regierungsumbildung geführt, hieß es in der offiziellen Aussendung. Die von der Opposition geforderten vorgezogenen Wahlen sowie seinen eigenen Rücktritt lehnte der Staatschef mit dem Argument ab, dass eine Übergangsregierung nicht eher als binnen fünf Monaten Wahlen organisieren könnte.

Ungureanu nannte in seiner kurzen Ansprache politische und wirtschaftliche Stabilität als wichtigstes Ziel. Der 43-Jährige versprach, die Reformen weiterzuführen und empfahl sich als unabhängiger Spezialist, der das öffentliche nationale Interesse verfolge. Hinsichtlich der politischen Vision bekannte sich Ungureanu zu einer Mitte-Rechts-Orientierung, für die er nun eine solide parlamentarische Unterstützung sowie das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen wolle.

Demonstration in BukarestAP/Vadim Ghirda Bevölkerung hat kein Vertrauen mehr in Politik

„Korrupteste und inkompetenteste Regierung“

Der Chef der Nationalliberalen Partei (PNL), der wichtigsten Oppositionspartei, Crin Antonescu begrüßte den Rücktritt von Boc. Er beschrieb die Regierung Boc als „korrupteste, inkompetenteste und lügnerischste“ in der Geschichte Rumäniens nach der Wende 1989. Oppositionsführer Victor Ponta, der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei (PSD), betonte, dass das Oppositionsbündnis Sozialliberale Union (USL), zu dem neben PNL und PSD auch die Konservative Partei (PC) gehört, nun die Verantwortung trage, „verantwortliche Lösungen zu bieten und (...) nach der vorgezogenen Wahl eine andere Regierung als die der letzten Jahre zu stellen“.

Drakonisches Sparpaket

Die Regierung Boc hatte Mitte 2010 ein drakonisches Sparpaket durchgesetzt, in dessen Rahmen unter anderem die Gehälter im gesamten öffentlichen Sektor um ein Viertel gekürzt und die Mehrwertsteuer von 19 auf 24 Prozent erhöht wurde. Rumänien war 2009 von EU und Internationalem Währungsfonds (IWF) zu einem harten Sparkurs gezwungen worden, um ein Notkreditpaket von 20 Milliarden Euro zur Rettung der Staatsfinanzen zu bekommen.

Demonstration in BukarestReuters/Radu Sigheti Aufgebrachte Demonstranten

Die Straßenproteste hatten im Jänner als Solidaritätskundgebungen für den Notarzt Raed Arafat begonnen. Der in Syrien geborene Arafat, der sich in Rumänien als Gründer des Rettungsdiensts SMURD einen Namen gemacht hatte, war von seinem Amt als Unterstaatssekretär im Gesundheitsministerium zurückgetreten, nachdem ihn Präsident Basescu wegen seiner Opposition gegen das neue Gesundheitsgesetz mehrmals scharf angegriffen hatte.

Rumänischer Ministerpräsident Emil BocReuters/Bogdan CristelBoc zog spät die Konsequenzen aus den Protesten

Rettungsversuche halfen nicht

Dass die Gesundheitsreform gestoppt und Arafat ins Amt zurückgeholt wurde, konnte die Demonstrationen aber nicht stoppen. Auch die Rückendeckung durch die Europäische Volkspartei (EVP) und die Entlassung von Außenminister Teodor Baconschim, der die Demonstranten als „gewalttätigen und plumpen Pöbel“ beschimpft hatte, besänftigten den Volkszorn nicht. Die mit täglich ein paar tausend Demonstranten gar nicht so großen Proteste sorgten vor allem dafür, dass die Umfragewerte der Regierungspartei PDL einbrachen und zahlreiche Parteimitglieder die mangelnde Führungsstärke von Boc kritisierten.

Rettung für Sparkurs?

Mit seinem Rücktritt versucht Boc offenbar, den umstrittenen Sparkurs seiner Regierung zu retten. Die so schwer erreichte wirtschaftliche Stabilität „muss um jeden Preis erhalten werden“, sagte er in seiner Rücktrittsrede. Er verwies darauf, dass Rumänien im Vorjahr nach zwei Jahren Rezession wieder ein Wirtschaftswachstum verbuchen konnte.

Zu den unerfüllt gebliebenen Zielen der Regierung Boc gehören die äußerst geringe Nutzungsrate der EU-Finanzierungen, die bei nur 3,7 Prozent liegt, und der außenpolitische Misserfolg bei der Aufnahme Rumäniens in den Schengen-Raum. Er scheiterte am Widerstand der Niederlande, die Rumäniens Fortschritte bei der Korruptionsbekämpfung und der Justizreform für nicht ausreichend befinden.

Auch Opposition keine Alternative?

Genau dagegen richteten sich auch die Proteste - dass politische Klientelwirtschaft auf der Tagesordnung steht. Und auch die Opposition blieb von diesen Vorwürfen nicht verschont: So blieb sie zunächst den Demonstrationen auch fern. Beteiligte sie sich, wurde sie ausgebuht. Erst spät sprangen Oppositionelle dann noch auf den fahrenden Protestzug auf und traten in eine Art Parlamentsstreik.

Demonstration in BukarestAP/Vadim GhirdaProteste gegen „das System“

Die Demonstrationen verwandelten sich in Proteste gegen die gesamte politische Klasse, „gegen das System“, wie Boc selbst es beschrieb. Davon ist auch der seit 2004 amtierende Präsident Basescu nicht ausgenommen. Ohne Befugnisse mischt er sich immer wieder in autoritärer Weise in die Tagespolitik ein.

Kein Ausweg aus Vertrauenskrise?

In das Bild passt auch, dass der rumänischer Ex-Premier Adrian Nastase inmitten der Proteste Ende Jänner wegen Korruption zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt wurde. Demnach hatte Nastase im Jahr 2004 seine Wahlkampagne illegal finanzieren lassen, wie die Höchstrichter feststellten. Es handelt sich um die erste Verurteilung mit Haftstrafe in einem Korruptionsprozess in Rumänien auf allerhöchster politischer Ebene.

Wie tief die politische Vertrauenskrise geht, zeigen auch Umfragen, denen zufolge sämtliche Popularitätswerte von Politikern dramatisch abgestürzt sind. Kein einziger kam auf mehr als 25 Prozent. Wie sich die rumänische Politik davon erholen kann, ist auch für Experten rätselhaft.

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Publiziert am 06.02.2012