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Oliver Kahn gibt in JVA Iserlohn den Anstoß für neues Leben
 
[13.04.11] Sein Kämpferherz ist Legende. Seine Leidenschaft und Willenskraft haben den FC Bayern München zu acht Deutschen Meisterschaften, einem UEFA-Cup-Sieg, sechs DFB-Pokalen und im Jahr 2001 zum Sieg in der Champions League getragen. Im Anstoß-Projekt engagiert sich der Stiftungsbotschafter und Kurator für Jugendstrafgefangene. DFB-Redakteur Thomas Hackbarth war beim Projekt-Auftakt in Iserlohn dabei.
 
 Kahn lehrt Taktik der Zielsetzungskette
Kahn lehrt Taktik der Zielsetzungskette
Bei der Weltmeisterschaft 2002 zeigte er die beste Turnierleistung eines Torwartes, wenn wir diesen einen blöden Ball von Rivaldo endlich mal vergessen. Drei Mal wurde er zum weltbesten Schlussmann gewählt und auch diese Titel hat er sich mit stählernem Willen erkämpft.

Kahn: "Ich glaube an Euch"

Am Dienstagvormittag in der Sporthalle der Justizvollzugsanstalt Iserlohn kämpft Oliver Kahn wieder. Er ringt um 66 jugendliche Strafgefangene, ihr Bewusstsein, um ihre „gute Zukunft“. Fast vierzig Minuten redet er auf sie ein. Kahn will die jungen Delinquenten stark machen für die Zeit nach der Entlassung. „DU PACKST ES!“ lautet die Überschrift seines Vortrages, sein Thema „Wie erreiche ich ein Ziel?“

Mit schüchternen "Oli-Rufen" begrüßen sie ihn, als er kurz nach zehn Uhr die Halle betritt. Der Respekt ist riesig. Als er dann, das Eis ist längst geschmolzen, ziemlich am Ende sagt: „Ich glaube an Euch“ wachsen alle im Raum um ein paar Zentimeter. Oliver Kahn ist als Botschafter der DFB-Stiftung Sepp Herberger nach Iserlohn gekommen. „Als ich 2008 meine aktive Karriere beendet habe, ist der Wunsch entstanden, etwas weiter zu geben. Die vielen positiven Dinge, die ich in meiner Karriere gelernt habe“. Die JVA in Iserlohn ist ein guter Ort zum „Weitergeben“. Die jungen Gefangenen brauchen Kahns Hilfe.

Die Halle ist eng. Auch Oliver Kahn und der Justizminister des Bundeslandes sitzen auf gefalteten Pappkartons. Das Mittagessen später wird als Gulasch mit Nudeln angekündigt, doch es fehlt die Fleischeinlage. Strafanstalten sind keine 5-Sterne-Hotels, wenn man ehrlich ist, sind sie nicht mal 2-Sterne-Hotels. Sollen sie auch nicht sein. Draußen liegt ein passabler Rasenplatz, dahinter zieht sich endlos die Gefängnismauer in trostlosem, ununterbrochenem Grau. „Ausgebrochen“, sagt Olaf Fiedler, Sportleiter in Iserlohn, „ist in meinen 18 Jahren noch keiner.“

"Anstoß für ein neues Leben"

Hier in der JVA Iserlohn soll heute der „Anstoß für ein neues Leben“ gelingen. Die Werte des Fußballs und berufliche Qualifizierungsangebote sollen junge Straftäter fit machen für eine erfolgreiche Wiedereingliederung in die Gesellschaft. In den nächsten Monaten können sie sich zum Schiedsrichter oder Trainerassistenten ausbilden lassen. Sie werden an Bewerbungsschulungen und Anti-Aggressions-Workshops teilnehmen.

Verschenkt wurde nichts. Die 66 Ausgewählten, darunter auch elf junge Frauen, haben sich die Teilnahme über eine positive Sozialprognose und gute Führung verdient. Sie kommen aus sechs Vollzugsanstalten: Iserlohn, Siegburg, Herford, Heinsberg, Hövelhof und Köln-Ossendorf. Alleine in Iserlohn sitzen 208 Jugendliche ein, im Bundesland Nordrhein-Westfalen sind es 1500. Kein Richter schickt einen Jugendlichen für ein Bagatelldelikt ins Gefängnis. Das höchste Strafmaß in Iserlohn sind zehn Jahre, das schwerste Delikt Mord.

Auf einer Leinwand laufen Karrierehöhepunkte Kahns, und natürlich kennen sie jede Szene: der Abpraller gegen Dortmund, der letzte gehaltene Elfmeter im CL-Finale gegen Valencia, der Sprung mit dem ausgestreckten Bein, der Übergriff bei so vielen unvorstellbaren Paraden, die Jubelbilder und auch den Moment, als Oliver Kahn alleine an dem Torpfosten in Yokohama sitzt. Wir alle waren damals bei ihm.

Kahn lehrt Taktik der "Zielsetzungsketten"

Er sagt „Vision“ und fragt sie, was das für sie bedeutet. „Rauskommen“ ist die mehrheitsfähige Antwort, dann „ein normales Leben führen“, „einen Job finden“. Kahn erzählt ihnen, wie er sich selbst als junger Torwart von Ziel zu Ziel gehangelt hat: das Profiaufgebot des Karlsruher SC knacken, dort die Nummer eins werden, der Wechsel zu den Bayern, die Nationalmannschaft: „Irgendwann war ich soweit, da wollte ich der beste Torwart der Welt werden.“

Die Taktik der „Zielsetzungsketten“ lehrt er sie und sagt: „Das Ziel, gute Freunde im Leben zu finden, ist auch völlig okay.“ Ziele muss jeder alleine finden, aber dann hat er doch eine goldene Regel für sie: „Entscheidend ist, dass man nicht nur die Klappe aufreißt, sondern etwas für das Erreichen des gesteckten Zieles tut.“

Für Oliver Kahn war die linke Ecke unten das Manko, da war er verwundbar, dort fielen Tore. Also hat er bei gefrorenem Boden die Hürde aufgestellt und ist gefühlte eine Million Mal über die Hürde ins linke Eck getaucht. Die versammelten Jugendlichen haben sich keine kleinere Aufgabe vorgenommen. Die Rückfallquote ist astronomisch hoch, die Chance als vorbestrafter Jugendlicher einen Ausbildungsplatz zu bekommen, tendiert gegen Null. Von 100 Entlassenen, die keinen Job finden, werden 80 wieder straffällig.

"Resozialisierung als das herausragende Ziel"

„Die es schaffen, sind eindeutig die Minderheit“, sagt Olaf Fiedler, „aber die Ex-Gefangenen, die wieder einen Job gefunden, eine Familie gegründet haben, rufen regelmäßig bei mir an. Das sind Beziehungen fürs Leben.“

Resozialisierung ist keine freiwillige Leistung des Staates. Artikel 2, Absatz 1 des Grundgesetzes garantiert verurteilten Tätern das Recht auf Wiedereingliederung. Im Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 1977 wird „Resozialisierung als das herausragende Ziel des Vollzugs von Freiheitsstrafen“ bestimmt. Spätestens seit der Aufklärung ist aus der Menschenrechtsidee auch ein humanes Verständnis des Strafvollzugs entstanden.

Andererseits befürworten sicher weite Teile der Bevölkerung, den Strafaspekt zu stärken. Gegen Resozialisierungsmaßnahmen spricht auch, dass vieles versucht wird, das meiste aber wirkungslos bleibt. „Nothing works“, lautet der Standpunkt der Kritiker, während gerade die Haftbedingungen fast zwangsweise zu einer Entmündigung des Gefangenen führen. Die Beschränkung aller Lebensbereiche während der Haftzeit macht den Weg zurück noch länger, noch unwahrscheinlicher. „Prisonisierung“ nennt sich dieses Phänomen. Und auch Brigitte Vieten-Banken, Lehrerin in der JVA Iserlohn, ärgert sich besonders über die späten Rückfälligen. „Auf die lange Strecke fehlt vielen das innere Rüstzeug, ein Regulativ, sozusagen ein Korsett, das sie aufrecht hält.“

"Niederlagen sind okay"

 Im Anschluss an die Theorie stand die Praxis im Vordergrund
Im Anschluss an die Theorie stand die Praxis im Vordergrund
Oliver Kahn will den Jugendlichen heute in Iserlohn ein Stück Rüstzeug mitgeben. Kahn sagt: „Niederlagen sind okay, denn sie stellen euch eine Frage: Warum? Wenn ihr erstmal in der Lage seid, nach einer Niederlage euch kritisch zu hinterfragen, werdet ihr danach stärker sein.“ Und weiter: „Schaut euch euer Umfeld an. Wollen euch diese Leute helfen oder wollen sie euch in den Abgrund ziehen.“ Und weiter: „Ihr müsst euch fragen, wozu ihr diesen großen Einsatz zeigt, was euch antreibt. Das Geld kann nie der erste Grund sein. Die Wertschätzung anderer Menschen dagegen ist ein großartige Sache.“ Und natürlich lehrt er sie die Botschaft des „Immer weiter“.

Oliver Kahn tritt in große Fußstapfen, das Engagement, den Fußball als Instrument der Resozialisierung zu nutzen, begann einst Sepp Herberger. Ihm folgten Fritz Walter, Horst Eckel, Uwe Seeler, Tina Theune, jetzt Kahn. Seit 1977 wird die Arbeit in den Gefängnissen von der DFB-Stiftung Sepp Herberger vorangetrieben.

In Iserlohn fiel der Startschuss für die Neuausrichtung des Projekts. Ziel des Projekts „Anstoß für ein neues Leben“ ist es, jungen Gefangenen und Haftentlassenen systematische Unterstützung bei der sozialen und beruflichen Wiedereingliederung zu geben. Dabei wurde die Bundesagentur für Arbeit als neuer Projektpartner gewonnen.

Volkan B.: "Das Programm ist super"


Bis zum Finalturnier am 3. September soll die erweiterte Projektkonzeption in den sechs Jugendstrafanstalten Nordrhein-Westfalens erprobt und danach auf andere Bundesländer erweitert werden. Alles was vor der Entlassung geregelt werden kann - der Job, die Wohnung - soll geregelt sein.

Der 22-jährige Volkan B. ist überzeugt. Noch bis Januar muss der ehemalige A-Junior des VfL Bochum in Iserlohn einsitzen, wo er eine Lehre als Rohrverrichter absolviert. „Das Programm ist super, wir bekommen jetzt viel mehr Unterstützung“, sagt er. „Oliver Kahn hat sich echt Zeit für uns genommen.“

Und vielleicht ist dies das stärkste Signal des DFB-Projekts. Denn wer zurück kommen will, dem muss auch das Gefühl vermittelt werden, willkommen zu sein.

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DU PACKST ES! - Oliver Kahn motiviert die Jugendstrafgefangenen in Iserlohn
DU PACKST ES! - Oliver Kahn motiviert die Jugendstrafgefangenen in Iserlohn


 
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