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ESCHICHTSWERKSTATT BAYREUTH  e.V.


Zu unseren Themen gehört auch die Lebenswelt von Frauen. Dass bis in die 1980er Jahre ein ganzes Geschlecht in der Geschichtsschreibung praktisch übergangen worden war (abgesehen von ganz wenigen Ausnahmen), war doch wahrlich ein Unding. Die Lage hat sich seit dem gebessert, ist aber noch immer nicht zufriedenstellend. Deshalb soll die Aufmerksamkeit auf einige Frauen gelenkt werden, deren Leistungen nahezu gänzlich unbeachtet blieben.

Hilde Marx (siehe unten)

Lisette Steinhäuser geb. Münch

Hermanna Lienhardt (1856-1927) (siehe unten)

Malwida von Meysenbug (siehe unten)

Die Ärztin Jula Dittmar (1887–1976) (siehe unten)

Friedelind Wagner (1918–1991)

Die Frauen der Erste Stunde im Bayreuther Stadtrat nach 1945

Auszüge aus unserer Veröffentlichung »Bayreuth – Umgeguckt und hinterfragt«:

Hermanna Lienhardt


Foto: Stadtarchiv Bayreuth
Noch vor wenigen Jahren war das Hermanna-Lienhardt- Heim in der Richard-Wagner-Strasse, Ecke Siegfried- Strasse ein Altenheim.
Hermanna Lienhardt, geb. Kolb (1856-1927) gründete auf Anregung des ersten bayerischen Frauentages in München (1889) hier in Bayreuth den „Verein Frauen- arbeit”. Bis zu ihrem Tod war sie dessen Vorsitzende. Ein Blick auf ihre Arbeit läßt auf kontinuierliches karitatives wie auch frauenpolitisches Engagement schließen, wenn- gleich sie sich stets dagegen verschloß, eventuell als extreme Frauen- rechtlerin ‚abgestempelt’ zu werden.
Ziel ihres Vereines war, wie es damals hieß, „die Hebung des weiblichen Geschlechts in geistiger, sittlicher und  wirtschaftlicher Beziehung“ (Bayreuther Jahrbuch
1923:125). Die Arbeit des Frauenvereins begann mit
der Gründung von Abendarbeitskursen für Frauen und Mädchen des Arbeiterstandes, um sie in der Verbesserung ihrer Lebenslage zu unterstützen. Bis 1918 nahmen daran ca. 10.000 Frauen teil. Zu den vielfältigen Aktivitäten, die die Bayreuther Frauen initiierten, gehörte z.B. die Einrichtung einer Bibliothek im Zentralschulhaus (heute Iwalewa-Haus, Münzgasse 9).
Auf die Eintragung des Vereins in das Vereinsregister am 27.3.1900 folgte im Jahr 1902 die Eröffnung einer Kochschule sowie die Einrichtung einer Wöchnerinnenfürsorge (1906), die es ermöglichte, hilfsbedürftige Frauen mit Wäsche und Nahrungsmitteln zu versorgen. Um dem Ziel des Vereins auch unter dem Aspekt der geistigen Weiterbildung gerecht zu werden, wurden u.a. im Jahr 1907 Sprachkurse angeboten, die über mehrere Jahre bestanden.
Das Adreßbuch der Stadt Bayreuth 1913/14 benennt Frau Rockstroh und Frau Betz als Vorsitzende der Wöchnerinnenfürsorge, sowie Frau Kommerzienrat M. Müller als Vorsitzende der auch in der Münzgasse 9 ansässigen Kochschule. Da diese gut besucht wurde, hoffte der Verein, daraus eine Haushaltungsschule machen zu können, für die schon ein Bauplatz in der heutigen Schulstraße erworben worden war. Der Krieg verhinderte die Verwirklichung dieser Pläne.
Im Jahre 1910 errichtete der Verein ein "Brockenhaus". Dort wurde der bedürftigen Bevölkerung mit Kleidungsstücken und Haushaltsgegenständen geholfen. das zunächst in der ehemaligen Infanteriekaserne untergebracht war. Auf diesem Platz steht heute u.a. das Kolpinghaus.
In einer 'schlichten Feier' am 11.12.1918 zum zwanzigjährigen Jubiläum benannte Frau Lienhardt noch einmal die Schwerpunkte ihrer Arbeit, verwies auf die vom Verein gegründeten Einrichtungen sowie auf die Bedeutung der Frauenbewegung für die gemeinsame Arbeit:
Die soziale Arbeitsleistung des Einzelnen für die Gesamtheit, das gilt heute für etwas ganz Selbstverständliches. Wir verdanken diese Förderung der Frauenbewegung, der wir überhaupt die soziale Arbeit und die vielen Anregungen auf den verschiedensten Gebieten des sozialen Lebens, wie sie in allen Frauenvereinen gepflegt werden, verdanken. Was wir, die ältere Generation, uns mühsam aneignen und zusammentragen mußten, das wird jetzt in den sozialen Frauenschulen gelehrt, deren erste in Berlin ins Leben trat und die jetzt über ganz Deutschland verbreitet sind. (51)
Auch die folgende Formulierung (52) lag ihr, der Majorsgattin, wohl am Herzen:
So freudig der Verein Frauenarbeit Bayreuth ins Leben gerufen wurde und so sehr er bei vielen Anklang fand, nicht Wenige, darunter Männer und Frauen, glaubten in dieser Neugründung, von Frauen geleitet, ein Produkt extremster Frauenrechtlerinnen vor Augen zu haben. Ich darf wohl annehmen, daß sich in den zwanzig Jahren des Bestehens die Stimmung vollständig umgewandelt hat."
Dennoch zog der Verein Frauenarbeit im Jahre 1921 fast spektakulär die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich. Am 14.5.1921 wird in der Tagespresse darauf aufmerksam gemacht, daß in Bayreuth vom 21. bis zum 23. Mai der Hauptvorstand Bayerischer Frauenvereine den 9. Bayerischen Frauentag in Bayreuth begehen werde. Das Thema der Tagung lautete: "Die Frau im Berufsleben".
Am 23. und 24. Mai berichtete die Tagespresse ausführlich über die Tagung. Daß Forderungen, die heute von Frauen bezüglich der Anerkennung von Hausarbeit als Berufsarbeit, gleiche Ausbildungschancen, sowie das Bestreben, gleichen Lohn für gleiche Arbeit zu erhalten schon in den zwanziger Jahren in gleicher Vehemenz wie heute vorgetragen wurden, sollen folgende Auszüge (53) illustrieren:
Fräulein Dr. Wolf begann hierauf ihren interessanten, reich mit Zahlen belegten Vortrag und sagte unter anderem, es sei ein Irrtum, wenn man glaube, daß den Frauen jetzt alle Wege offenstehen, nachdem ihnen die politische Gleichberechtigung zuerkannt wurde; grundsätzlich erkennt man die Rechte wohl an, wirklich aber nicht, d.h. die Rechte stehen nur auf dem Papier und sie müssen erst erkämpft werden...
Rednerin verlangt ein neues Arbeitsgesetz, weiteren Ausbau des Arbeitsnachweiswesens, wozu Frauen heranzuziehen sind, ja gar einen internationalen Arbeitsnachweis und internationale Arbeiterschutzgesetze. Für die Gewerbeaufsicht mehr Beamte und mehr Frauen und in der Hauptsache gleichen Lohn für gleiche Leistungen. Zusammenschluß aller arbeitenden Frauen in Berufsorganisationen. Der weibliche Einfluß muß in allen Ämtern des Reiches wie der Länder möglichst groß werden, insbesondere sollten alle Frauenangelegenheiten von Frauen bearbeitet werden. Gründliche Vorbildung ist anzustreben...
Rednerin kam auch auf den Hausfrauenberuf zu sprechen und hielt es als Haupterfordernis, daß die Frauen gut wirtschaften lernen. (Hier wird Beifall laut) Die Arbeit der Hausfrau sei als Berufsarbeit zu werten, auch der Dienstbotenberuf soll als gelernter Beruf angesehen werden.
Zurück zum Bayreuther Frauenverein, über dessen Aktivitäten in der Bayreuther Jahresschau 1923/24 zu lesen ist (54):
Auf geistigem Gebiet bot der Verein in zahlreichen Vorträgen seinen Mitgliedern Anregung, Förderung und Belehrung... Erst jüngst wurde beschlossen, einen Fonds zur Errichtung eines Heimes mit zentraler Küche für alleinstehende Frauen und Mädchen des Mittelstandes anzusammeln, eine Einrichtung, die einem dringendem Bedürfnis und mancher Not ein Ende bereiten würde.
Im Jahr 1923 wurde Frau H. Lienhardt die Silberne Bürger-Münze der Stadt Bayreuth überreicht; sie verstarb im Jahr 1927.

Malwida von Meysenbug in Bayreuth

EMANZIPATION DER FRAU IM 19. JAHRHUNDERT

Nur eine unscheinbare Tafel am Haus Dammallee Nr.2 erinnert heute noch an Malwida von Meysenbug, die nicht nur eine lange Freundschaft mit Richard Wagner verband, sondern die auch engagierte Demokratin und Verfechterin der Frauenemanzipation im 19. Jahrhundert war.
Malwida von Meysenbug bezog dieses Haus in der Dammallee 2 wegen ihrer Bekanntschaft mit Richard Wagner. Insgesamt nur fünf Monate lebte sie in direkter Nachbarschaft mit dessen Familie, deren häufiger Gast sie zuvor und in der Folgezeit war. Im Jahr 1855 traf sie Richard Wagner zum ersten Mal. Im Anschluß an dieses Treffen besuchte sie alle Uraufführungen seiner Opern und war Trauzeugin bei seiner Heirat mit Cosima von Bülow am 25. August 1870. 1872 wohnte sie der Grundsteinlegung des Festspielhauses bei und lernte dabei Nietzsche kennen. Aus gesundheitlichen Gründen mußte sie schon im Januar 1874 ihr Bayreuther Domizil, das sie erst im Sommer 1873 bezogen hatte, wieder aufgeben, um sich im mediterranen Klima zu erholen.
Die Kurzbiographie der Malwida von Meysenbug zeigt, weshalb sie ihren Platz in dieser Broschüre fand:
1816 in Kassel als neuntes von zehn Kindern geboren, lernte Malwida von Meysenbug, Tochter eines Ministers am kurfürstlichen Hof in Kassel, die Vorzüge, aber auch die Nachteile des höfischen Lebens kennen. Also eine Aristokratin von Geburt und Erziehung, die Mitte des 19. Jahrhunderts dann den Versuch wagte, für das Recht der Frau auf gleiche Bildung und Ebenbürtigkeit mit dem Mann zu kämpfen. Wie kam es dazu?
Noch die Siebzigjährige schrieb an den befreundeten österreichischen Diplomaten Alexander von Warsberg, anknüpfend an die Darstellung ihrer Kindheit, folgendes über ihre Jugend (77):
Dazu kam, daß man damals einem Mädchen gar nicht das Recht einräumte und die Mittel bot, sich eine andere Bildung anzueignen, als was man damals in ästhetisch wohlerzogenen Kreisen für ausreichend hielt. Wenn Sie wüßten, welche Stunden tieferen inneren Leidens ich dadurch in der blühendsten Jugendzeit verbracht habe, wie ich arbeitete, um mir in etwa die Lücken zu füllen, die ich auf allen Gebieten fühlte, um den tausend Fragen, die in mir tönten, eine Antwort zu suchen, um aus der engen Alltäglichkeit hinaus zu weiteren Gesichtspunkten, zu größeren Lebensanschauungen zu gelangen.
Ihr frühes Interesse für die Emanzipation der Frau erwuchs aus dem Engagement für die Durchsetzung der revolutionären Ziele von 1848. Schon zur Zeit ihres Konfirmationsunterrichtes begann sie, Bücher der Bettina von Arnim und Rachel Varnhagen zu lesen. Nachdem sie 1843 eine Predigt des undogmatischen Theodor Althaus hörte und mit diesem Freundschaft schloß, erkannte sie das Ausmaß an Repression, Engstirnigkeit, Unfreiheit und Ungleichheit in den sozialen Verhältnissen der damaligen Zeit. Allmählich löste sie sich aus den beengenden rechtskonservativen Familienbanden.
Dabei hatte sie nicht nur gegen die erbosten Reaktionen ihrer Familie zu kämpfen, sondern sie machte auch die schmerzliche Erfahrung, daß sie aufgrund ihres Geschlechts lange nicht so aktiv werden konnte, wie sie wollte.
Malwida von Meysenbug verließ im Jahr 1850 34-jährig im Streit ihr durch und durch bürgerliches Elternhaus. Nachdem sie Aufnahme an der Frauenhochschule in Hamburg gefunden hatte, wurde sie stark von den Prinzipien dieser Schule beeinflußt. Emilie Wüstenfeld und Bertha Traun, die Begründerinnen der Hochschule, meinten, es genüge nicht, Frauen nach und nach die gleichen Recht zu geben, sondern sie müßten auch in die Lage versetzt werden, von diesen Rechten Gebrauch zu machen.
Die ökonomische Unabhängigkeit der Frau möglich zu machen durch ihre Entwicklung zu einem Wesen, das zunächst sich selbst Zweck ist und sich frei nach den Bedürfnissen und Fähigkeiten seiner Natur entwickeln kann - das war das Prinzip, auf das die Anstalt gegründet war... Nun gab es eben für die Frauen, wie für das Volk, nur ein Mittel, die Freiheit zum Segen zu gestalten: Bildung. (78)
Dementsprechend machte sich Malwida von Meysenbug das Prinzip zu eigen, die ökonomische Unabhängigkeit der Frau zu ermöglichen. Schon 1852 zwangen drohende Verhaftungen die engagierte Demokratin, nach England zu gehen. Der Schule drohte das Verbot aus politischen Gründen. Da ihr Leiter Karl Fröbel mit seinem Onkel, dem Pädagogen und Begründer des Kindergartens, Friedrich Fröbel verwechselt wurde, löste man 1851 sogar viele Kindergärten auf. Sie begann in England Sprachunterricht zu geben, da ihr Vermögen für den Lebensunterhalt nicht ausreichte.
Malwida von Meysenbug erhoffte sich, "daß Frauen aufhörten, länger 'Götzenbild', 'Puppe'  oder 'Sklavin' zu sein, daß sie vielmehr nicht anders als die Männer als 'bewußte, freie Wesen' an der 'Vervollkommnung des Lebens in der Familie, der Gesellschaft, dem Staat, in Wissenschaft und Künsten' teilnähmen" (79).
Auf ihr interessantes, engagiertes und selbstbestimmtes Leben fiel jedoch immer der gleiche Wehmutstropfen. Die Lieben ihres Herzens blieben unerfüllt. Die Verbindung zu Theodor Althaus ebenso wie ihre Gefühle zu Alexander Herzen, in dessen Familie sie lange Zeit die Aufgabe der Kindererziehung übernahm. Bis 1856 übersetzte sie die Schriften dieses Exilrussen, der zusammen mit Bakunin und Proudhon zum linksextremen Flügel des revolutionären Sozialismus in Paris gezählt hatte, und der 1851 nach London übergesiedelt war. Diese Schriften trugen im wesentlichen dazu bei, daß im Jahr 1861 in Rußland die Leibeigenschaft abgeschafft wurde. 1856 verließ sie Alexander Herzen, da dieser der Freundin seiner verstorbenen Frau den Vorzug gab.
Tief verletzt schrieb Malwida von Meisenbug an Alexander Herzen, daß sie seine Familie, die ihr 'eine Heimat' geworden sei, verlassen müsse, weil Mißverständnisse und Meinungsverschiedenheiten, insbesondere in Bezug auf die Erziehung der Kinder ins Unerträgliche wüchsen. (80)
Zwischen 1856 und 1859 veröffentlichte sie Novellen und schrieb für verschiedene Zeitschriften, bis sie London verließ und in Europa umherreiste. Sie schloß Bekanntschaft mit dem Komponisten Hector Berlioz, dem Dichter Charles Baudelaire, dem Maler Gustave Doré sowie mit Richard Wagner.
Zusammen mit dem jungen Romain Rolland, als dessen Fördererin sie sich betrachtete, kam sie 1876 zur Festspielpremiere. Rolland äußerte sich verwundert darüber, daß sie sich nur selten über Nietzsche geäußert hatte, mit dem sie eine fünfzehnjährige Freundschaft verbunden hatte. Als dieser sich 1888 klar von Wagner distanzierte, war es zum Bruch zwischen Malwida von Meysenbug und Nietzsche gekommen. Erst nach Wagners Tod gestand sie Rolland, der Wagners 'unerträglichen, germanischen Übernationalismus sowie dessen selbstverständlichen Antisemitismus' kritisiert hatte, daß ihr an Wagner auch längst nicht alles behagt habe (81).
Bis zu ihrem Tod am 26.4.1904 lebte und arbeitete sie in Rom. Sie übersetzte weiterhin die Arbeiten des Romain Rolland und verhalf diesem zu einer gewissen Bekanntheit. Auch wenn Malwida von Meysenbug im Alter nicht länger ihren Adelstitel leugnete, wie sie es in jungen Jahren getan hatte, verdient sie Respekt für ihr autonomes und zuweilen kämpferisches Leben.

Die Ärztin Jula Dittmar (1887–1976)

Statt auf Cosima Wagner und die Markgräfin Wilhelmine, die beiden weiblichen Hauptfiguren der offiziellen Bayreuther Geschichtsschreibung, soll auf Jula Dittmar hingewiesen werden (82). Sie ist vielen Bayreutherinnen und Bayreuthern noch bekannt als das "Fräulein Doktor" oder, wie sie auch respekt- und liebevoll genannt wurde, als "die Jula". Sie hat durch die Ausübung ihres Berufes sicherlich zu einer Veränderung des Frauenbildes der 20er Jahre beigetragen.
Sie war die erste Bayreuther Ärztin (83) und übte ihre ärztliche Praxis mehr als 40 Jahre lang in der Sophienstraße 29/II aus. Das "Fräulein Doktor" war schon in den 20er Jahren bei Wind und Wetter mit Motorrad und Arzttasche unterwegs, behandelte die vielen ärmeren Patienten auch ohne nach Geld zu fragen, sodaß sie am Ende selbst zu wenig davon hatte, und ihre letzten Jahre in sehr bescheidenen Verhältnissen verbringen mußte (84).
Am 5. Juli 1922 war sie wohl mehr oder weniger unfreiwillig Thema der Stadtratssitzung. In den ersten Monaten ihres Schaffens fiel der niedrige Lohn auf, den sie als Schulärztin im Vergleich zu ihren Berufskollegen erhielt. Seitens des ärztlichen Bezirksvereins wurde ihr Lohn, der sich auf M 600.- belief, als "statusunwürdig" bezeichnet. Deshalb drohte man damit, dem "Fräulein Doktor" die Ausübung ihrer Tätigkeit zu untersagen (85). Der Stadtrat einigte sich dann vorerst darauf, Erkundigungen bei anderen Städten einzuholen, um zu erfahren, wie diese mit einer Problematik solcher Art umgingen.
Vergegenwärtig mann/frau sich die Zahl der Ärztinnen in Deutschland von 1925, es waren insgesamt 2720, so erleichtert dies die Vorstellung des damals Ungewöhnlichen. Furore machte sie nicht nur damit, daß sie ihre Hausbesuche auf dem Motorrad machte, sondern auch damit, daß sie zu einer Zeit Bergtouren unternahm, als das für Frauen noch völlig ungewöhnlich war.
Auch ihr politisches Engagement sprengte die traditionellen Rollenvorstellungen: Jula Dittmar war eine engagierte und überzeugte Liberale. Schon am 19. Februar 1923 wurde sie zu einer von zwei stellvertretenden Vorsitzenden der Deutschen Demokratischen Partei gewählt. Sie kandidierte am 7. Dezember 1924 auf der Liste ihrer Partei erstmals für den Bayreuther Stadtrat (Platz 3 auf der Liste der Deutschen Demokratischen Partei). Sie war für die FDP Mitglied des ersten Nachkriegsstadtrats. Am 30. Mai 1948 wurde sie erneut in den Stadtrat gewählt. Sie trat im März 1949 aus gesundheitlichen Gründen als Stadträtin zurück und kandidierte noch einmal bei der Wahl am 30. März 1952 auf Platz 2 der FDP-Liste.

Ende der Auszüge aus »Bayreuth – Umgeguckt und hinterfragt«

Die jüdische Lyrikerin und Journalistin Hilde Marx

von Hilke Meierjohann

Hilde Marx wurde am 1. November 1911 in Bayreuth geboren. Ihr Vater, Adolf Marx, war der Inhaber des Textilgeschäfts „Kaufhaus Schriefer“ in der Richard-Wagner-Straße 4, einer Filiale des Marx'schen Stammhauses in Bamberg. Darüber, im zweiten Stock, wohnte die Familie.

Hilde Marx besuchte zunächst die Graserschule. Zum Schuljahr 1925/26 wechselte sie auf das Humanistische Gymnasium, also auf das heutige GCE, welches seinen Standort aber damals noch in der Friedrich-Straße hatte. Diese Zeit war für sie bereits mit negativen Erinnerungen verbunden: Sie wurde angespuckt aufgrund ihrer jüdischen Herkunft. Ferner konnte sie als junges Mädchen in keine Tanzstunde gehen, und auch das Tennisspielen war ihr nicht gestattet.
Ein Lichtblick: 1929 erhielt sie den Jean-Paul-Preis der Stadt Bayreuth, der an Schülerin- nen und Schüler für besondere Leistungen in der deutschen Sprache und Literatur verliehen wurde. Einige Gedichte veröffentlichte sie in „Bayreuther Land“, der Heimatbeilage zum Bayreuther Tagblatt.

1931 machte Hilde Marx Abitur und begann im Wintersemester 1931/32 in Berlin ein Studium der Fächer Zeitungswissenschaften, Theater- und Kunstgeschichte. Zum Winter- semester 1933/34 wurde sie jedoch zwangsexmatrikuliert. Sie kam dann bei einer jüdischen Zeitung unter.
1935 erschien ihr erster Gedichtband „Dreiklang. Worte vor Gott, von Liebe, vom Tag“, mit dem sie in der jüdischen literarischen Öffentlichkeit bekannt wurde. Neben ihrer journalistischen Arbeit wirkte sie auch als Texterin eines jüdischen Kabaretts und reiste in ganz Deutschland zu Aufführungsabenden für ein jüdisches Publikum. Diese Veranstaltungen wurden von der Gestapo überwacht, der auch der gesamte Vortragstext vorgelegt werden musste.

Im Winter 1937/38 setzte die Gestapo Hilde Marx unter Androhung von KZ-Haft unter Druck und nötigte sie zur Ausreise in die Tschechoslowakei. Einige Monate verbrachte sie in Prag, bis sie Ende 1938 in die USA, nach New York übersiedelte. Dort verdiente sie ihren Lebensunterhalt zunächst mit Gelegenheitsjobs wie Kindermädchen, Altenbetreuerin und Verkäuferin. Nebenbei erwarb sie ein Diplom als Masseurin. In jener Zeit erschienen ihre ersten Gedichte in der deutsch-jüdischen Zeitschrift „Aufbau“.
Ihre Einbürgerung erfolgte 1943. Sie heiratete ihren Jugendfreund, den Arzt Dr. Erwin Feigenheimer, mit dem sie drei Töchter hatte. In den USA wurde Hilde Marx vor allem durch ihre „One Woman Show“ bekannt. Hier mischte sie Ernstes mit Heiterem und dramatisierte Szenen aus der jüdischen und christlichen Tradition. Ferner rezitierte sie klassische deutsche Autoren sowie ihre eigene Lyrik.
Seit den 1960er Jahren war sie zudem in der Redaktion beim „Aufbau“ tätig, wo sie u. a. Kurzporträts jüdischer Emigranten sowie Theater- und Kinokritiken verfasste. (Es existiert im Übrigen ein umfangreicher Nachlass ihres Schaffens in der State University of New York at Albany.)

1967 besuchte Hilde Marx erstmalig für eine kurze Zeit wieder Deutschland, um Verwandte zu treffen. Auf Initiative von Josef Gothart, dem damaligen Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde Bayreuths, und unter Beteiligung der Stadtverwaltung, der Universitäts- bibliothek sowie des Lehrers und Lyrikers Jochen Lobe kam im Sommer 1986 ein Aufenthalt in Bayreuth zustande. Am 16. Juni hielt sie einen Vortrag vor Schülern ihres ehemaligen Gymnasiums. Am 18. Juni fand eine Lesung statt. Hilde Marx fiel die mangelnde Präsenz vor allem der Bayreuther ihrer eigenen Generation bei den Veranstaltungen auf.

Nachdem sie wieder abgereist war, kam es zwischen Jochen Lobe und dem damaligen Oberbürgermeister, Hans Walter Wild, zu einer Leserbriefkontroverse. Lobe kritisierte die Abwesenheit offizieller Vertreter der Stadt bei den Lesungen und die allzu routinemäßige ‚Gangart’ bezüglich der Behandlung des Gastes.
Hilde Marx selbst bezeichnete den Besuch ihrer Heimatstadt im Nachhinein in einem Dankschreiben an den OB als „den schwersten Job, den ich je gemacht habe“.

Sie starb wenig später, am 4. Oktober 1986, im Alter von 74 Jahren in New York.

Quelle:
Bald, Albrecht: Hilde Marx (1911-1986) – eine deutsch-jüdische Lyrikerin und Journalistin zwischen Bayreuth, Berlin, Prag und New York. Versuch einer biographisch-literarischen Skizze. In: Archiv für Geschichte von Oberfranken 79 (1999):417–441.