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Antike und Abendland

Cicero, Robert Harris und die Abgründe der Politik (I)

02. November 2009, 09:50 Uhr

Cicero ist der Titel des Magazin für eine hauptstadtzentrierte, kultivierte neue Bürgerlichkeit. Den Namenspatron kann man, wenn man will, so lesen: ein gebildeter, zur Selbstreflexion fähiger, von Standesdünkeln freier, dabei höchst ehrgeiziger Politiker, der sich rückhaltlos mit der res publica identifiziert, dem gemeinsamen Besitz und Wohl aller Gutgesinnten, ein Mann zugleich, der als Guts- und Villenbesitzer wie als Literat die beiden anderen anerkannten Felder eines gelingenden Lebens zu bewässern wußte, während der Krieg nicht sein Metier war.

Gleichwohl war das jeweils gängige Politikverständnis hierzulande Cicero nicht günstig. Mommsen verhöhnte ihn als Schwächling: „Als Staatsmann ohne Einsicht, Ansicht und Absicht, hat er nacheinander als Demokrat, als Aristokrat und als Werkzeug der Monarchen figuriert und ist nie mehr gewesen als ein kurzsichtiger Egoist. Wo er zu handeln schien, waren die Fragen, auf die es ankam, regelmäßig eben abgetan. (...) Gegen Scheinangriffe war er gewaltig und Mauern von Pappe hat er viele mit Geprassel eingerannt; eine ernstliche Sache ist nie, weder im guten noch im bösen, durch ihn entschieden worden. (...) Als Schriftsteller ... steht er vollkommen ebensotief wie als Staatsmann. (...) Er war in der Tat so durchaus Pfuscher, daß es ziemlich einerlei war, welchen Acker er pflügte. Eine Journalistennatur im schlechtesten Sinne des Wortes, an Worten, wie er selber sagt, überreich, an Gedanken über alle Begriffe arm (...)." Philologen suchten ihn zu retten, gaben aber das politische Terrain gleich preis, die angebliche historische Größe von „Staatsmännern" anbetend. So beginnt ein Lexikonartikel (K. Büchner, Der kleine Pauly Bd. 1, 1174) mit einem lexikonartikeluntypischen Satz: „Cicero ist der unbestrittene Meister der lateinischen Rede von säkularer stilprägender Kraft, als Politiker (aber als Antipode eines Caesar!) gescheitert, als Philosoph zu gering eingeschätzt von den Systematikern, in Wirklichkeit philosophischer als die Systematiker, weil er gegen das Dogma das Rechts des Denkers behauptet hat." Dann gab es von althistorischer Seite zarte Versuche, Ciceros Werben für einen Konsens und für die Einbindung von systemsprengenden Gestalten wie Pompeius als durchaus erfolgversprechend, als „möglichen Ausweg aus der Krise der späten Republik" und somit als die Alternative zu sehen, die es angeblich nicht gab (J. Spielvogel). Und ihm wurde zugleich bescheinigt, daß er zwar weniger erfolgreich als Caesar war, aber eben anders als dieser nicht bereit gewesen sei, jeden Preis zu zahlen, um erfolgreicher zu sein (Chr. Habicht). Doch solchen Sondierungen wurde sogleich Saures beschieden (U. Gotter): Sie seien „mit platten humanistischen Aktualisierungen dekoriert" und zelebrierten lediglich den „diskreten Charme" des Kompromisses, und dies „aus der Perspektive bundesrepublikanischer Politikübung"; in Rom aber habe der Kompromiß nicht sehr hoch im Kurs gestanden.

Kein Wunder also, daß hierzulande meines Wissens in jüngerer Zeit noch niemand auf die Idee gekommen ist, diesen Marcus Tullius Cicero zum Hauptakteur eines historischen Romans zu machen. In der englischsprachigen Welt ist das anders. Da gab es schon in den 1990er Jahren die historischen Kriminalromane des Amerikaner Steven Saylor um den „römischen Detektiv" Gordianus. In „Das Lächeln des Cicero" geht es um den Prozeß gegen Sextus Roscius, in dem der damals 26 Jahre alte Anwalt es wagte, gegen einen einflußreichen Günstling des Dictators Sullas aufzutreten; „Römischer Lorbeer" behandelt den Caelius-Prozeß i.J. 56; zwei weitere Bände kreisen um den Spartacus-Aufstand und die Catilinarische Verschwörung. Und nun hat sich Robert Harris des homo novus aus Arpinum angenommen. „Titan" ist nach „Imperium" der zweite Band der Cicero-Trilogie eines Autors, der bereits Adolf Hitler seinen 75. Geburtstag feiern („Vaterland") und den Vesuv höchst effektvoll ausbrechen ließ („Pompeji").

Für Harris ist das antike Rom nicht bloß ein exotischer Schauplatz für eine Kriminalgeschichte über Philip Marlowe in einer Toga. In einem Interview mit der WELT brachte der Autor kürzlich auf den Punkt, wie sein historischer Roman zur ausgehenden römischen Republik zu lesen ist: In dieser Epoche habe sich niemand für den eigenen Ehrgeiz schämen müssen. Politiker von heute müßten immer das öffentliche Wohl vorschützen (was Cicero allerdings auch ausgiebig tat); in Rom habe man sich nicht derart verstellen müssen. „Männer suchten die Macht, weil es schön war, mächtig zu sein. Ich schreibe gern über Rom, weil es dort keine Heuchelei gab." Außerdem - und das trifft sicher zu - war das Politische in der Späten Republik viel ungedämpfter, brachte der Aufstieg unvergleichlichen Zugewinn an allem Erstrebenswerten, kostete der Absturz aber nicht selten das Leben. „Politik war ein Spiel auf Leben und Tod. Im antiken Rom lässt sich die moderne Politik in ihrer Urform betrachten. Der Schock des Erkennens macht das Schreiben interessant." Man möchte hoffen, diese krypto-Schmittianische Reformulierung des Politischen möge den Schreibtisch des Autors und den Nachttisch der Leser nicht verlassen und allenfalls für wohlige Schauer sorgen, nicht aber Gefühle des Ungenügens am aktuellen, so weitgehend unheldischen Politikbetrieb verstärken.

Harris läßt Cicero während der angeblichen Verschwörung Catilinas sogar daran denken, Caesar ermorden zu lassen, was historisch nun völlig abwegig ist. Der Autor kann es mit Recht spannend finden, daß man moralisch richtige Entscheidungen treffen könne, die sich als politisch katastrophal erwiesen. Aber „die Entscheidung, Caesar am Leben zu lassen", gab es für Cicero nie, jedenfalls nicht vor den Tagen des Feldlagers bei Pharsalos im Jahr 48 v.Chr., als die Caesargegner schon vorab die Beute verteilten, um die Posten zankten und die große Abrechnung ankündigten. Der Preis von Harris' Politikbegriff erscheint mir generell zu hoch, weil er keine klare Grenze zwischen Illusionslosigkeit und Nihilismus zieht: „In der Politik wird man moralisch kompromittiert, wie gut man es auch meint. Deshalb endet beinahe jede politische Karriere mit einem Versagen." Gerade das „deshalb" trägt nicht: Natürlich enden politische Karrieren häufig, wenn die betriebene Politik erfolglos ist. Aber mit einer moralischen Kompromittierung hat das keineswegs immer zu tun. Das eingangs (selektiv) skizzierte Cicerobild in Deutschland mag einem hier lange verbreiteten unpolitischen Bild von Politik geschuldet sein, aus dem sich letztlich auch das lange vorherrschende Leitbild des ‘Staatsmannes' speist, des großen Mannes und historischen Täters, der über der konventionellen Moral steht und alles tun darf, um die Dinge voranzubringen. Und Harris weiß sicher auch, wovon er spricht, hat er doch über seinen Freund Peter Mandelson („wie Cicero ein begnadeter Strippenzieher") Zugang in den engeren Kreis von ‘New Labour' erhalten. Nach dem Vorbild Mandelsons läßt das Buch auch Cicero ein Haus kaufen, das er sich nicht leisten kann, und so einen Skandal verursachen - eine ironische Anspielung, aber zugleich „reine Politik".

Auch das restliche Interview lohnt die Lektüre. Harris zählt die Warnungen aus dem alten Rom an das Jahr 2009 auf: zu viel Geld in der Politik, die Selbstsucht der Oligarchen, die militärischen Abenteuer im Ausland, die Zersetzung demokratischer Prinzipien durch die Intrige. Doch wichtiger als solche kritischen Petitessen ist eine Einsicht, die (den kritisierten Zynismus abgezogen) nicht von der Hand zu weisen ist. Mit ihr setzt sich Harris von all dem publizistischen Gerede um „Lösungen", „Visionen" und „Strategien" ab, mit ihr ist er ganz nahe bei Angela Merkel und ihrer - leider noch kaum kommunizierbaren - Überzeugung, daß sie allenfalls auf Sicht fahren kann: „Unsere Sicht auf die Politik", so Harris, „ist doch närrisch. Unser Paradigma ist: Eine Partei kommt an die Macht und löst alle Probleme; jede Partei behauptet von sich, im Besitz aller Weisheit zu sein. Die Wahrheit jedoch sieht anders aus: Die Politik gehorcht dem erbarmungslosen Mahlstrom der Ereignisse."

In diesem Sinne hat er auch für die SPD Trost parat. Die Linke werde zurückkommen. Sie müsse nur neue Talente finden, Charismatiker am besten, und darauf warten, daß ihre Gegner scheitern. Daß diese scheitern, sei gewiß: „Scheitern ist das Wesen aller Politik."

 

Robert Harris, Titan. Aus d. Englischen von Wolfgang Müller. Heyne, München 2009, 541 S., € 21,95.

Im Original trägt das Buch übrigens einen passenderen Titel: „Lustrum", die symbolische Reinigung des römischen Volkes, die von den Censores nach dem Census in Rom durchgeführt wurde, sowie der fünfjährige Zeitabstand zwischen zwei Census. Ob das deutsche Lesepublikum gebildeter als das britische ist, wie Harris vermutet, sei dahingestellt. Der Verlag jedenfalls scheint es für erheblich ungebildeter zu halten.

Veröffentlicht 02. November 2009, 09:50 von Uwe Walter
Kommentare

BlackJack66

02. November 2009, 12:33

http://mauerfall.blog.de/

Interessante Einsichten und unreflektiert zumindest wahr. Deshalb Danke für das Hinterfragen und Beleuchten der Aussagen von Harris. Viel Wahrheit steckt allerdings in dem Statement, dass die Politk dem Mahlstrom der Ereignisse gehorcht. Das hat man ja vor 20 Jahren perfekt gesehen. Doch haben ein paar Politiker in der Sekunde dann den Mut gefunden den Mahlstrom ihren Visionen nach zu lenken und das macht dann große Politik aus: mauerfall.blog.de/.../kohl-gorbatschow-bush-sen-berlin-7291015

ruediger_kalupner

02. November 2009, 13:51

http://www.die-kreativen-partei.de

Wenn sich eine gesellschaftliche Systemkrise nur noch mit einem Systemübergang beenden läßt, dann ist dies die Zeit der großen Politik, der mutigen Visions- und Systemübergangs-Politiker.

Kommt k e i n solcher ins Spiel, dann muß der Mahlstrom-der-Ereignisse im ungesteuerten Systemabsturz enden, dann ist das Scheitern der Klasse der Ancien-Politiker sicher,  und dann kann man sagen, das Scheitern ist das innere Gesetz aller Politiker. Sie sind ohne eine hinreichende und wahre Evolutionsprozess-Theorie einfach überfordert, wie Erich Honecker.

In der aktuellen Lage in Deutschland, in der 6%-Wachstumsabsturzkrise, hat einzig Angela Merkel die Herausforderung begriffen und sich mit dem Evolutinsprojekt-Wissen ausgestattet. In ihrer CHARTA-für-nachhaltiges-Wirtschaften verbirgt sich eine Weltrevolution. Wer die Wiederholung des Fast-Systemcrashs verhindern will, der kommt um diese nicht herum. Die CHARTA-für-nachhaltiges-Wirtschaften wird uns unter die Herrschaft der KREATIVEN Akzelerationsordnung im Evolutionsprozess führen. Unsere Bundeskanzlerin kann diese Wahrheit aber erst öffentlich machen, wenn alle anderen Reparaturoptionen wie Wachstum-durch-Verschulden, versagt haben, wenn die LAGE  da ist.

Robert Harris wird von den weltkulturrevolutionären Ereignissen in naher Zukunft wohl sehr überrascht werden. Mit den 'KREATIVE für ANGELA' habe ich einen Versuch gestartet, um für Angela Merkel das Startszenario für den Exodus aus der herrschenden 2%-Wachstumszwang-Tyrannei herzustellen. Es wird eine typisch deutsche Revolution werden, da sie mit dem hinreichenden Evolutionprojektwissen ausgestattet ist und nach der chaosphysikalischen Logik aller evolutionärer Metamorphosen (= Genialität-im-Evolutionsprozess) ablaufen wird. Die Parole dazu lautet: 'Gegen Gott und Goethe kann man keine Weltrevolution machen wollen - aber mit!'

dunnhaupt

02. November 2009, 13:56

Für das unbedarfte deutsche Lesepublikum ist der Titel Lustrum eher noch  nichtssagender als der Originaltitel Titan.  Unsere Ferne zu den Machtkämpfen im römischen Senat (und die amerikanische Nähe) erklärt sich aus den unterschiedlichen heutigen politischen Regierungsformen.  Washington hat kein Ober- und Unterhaus, sondern nur ein einziges "House" als Volksvertretung, doch die tatsächlichen Machtkämpfe spielen sich nach römischem Vorbild im Senat ab, der alle endgültigen Entscheidungen trifft.  Im House wird nur palavert -- im Senat aber werden die großen Orationen gehalten, die nicht selten in die Geschichte eingehen.   Präsident und House PROponieren lediglich, doch ausschließlich der Senat DISponiert.

dunnhaupt

02. November 2009, 14:07

Der Kommentar von Ruediger Kalupner bestätigt meinen eigenen Kommentar über das fehlende Verständnis der Machtkämpfe im Senat.  Es geht um Change durch Evolution -- eben gerade NICHT durch Revolution.

ruediger_kalupner

02. November 2009, 20:06

@dunnhaupt

Ordnungsübergänge in hochkomplexen, machtpolitisch erfolgreichen Systemen verlaufen nach evolutionsprozess- und chaosphysikalischen Mustern. Aber immer muß die Macht-Nr.1-Spitze dran glauben. Ihr Sturz und den Ersatz durch eine neue Ordnungsspitze nennt man Revolution. Über welche gesellschaftliche, staatliche Gremien und Personen der Exodus führt, hängt von Personen und dem Übergangswissenstand ab. Die Finanzmarktspekulanten nehmen ja den sicheren Sturz schnell vorweg. Deshalb ist Wissen das Wichtigste für den anstehenden Ordnungsübergang.

Wir stehen vor einem solchen Ordnungsübergang, und zwar deshalb, weil die Erkenntnisgrundlagen für den Exodusanstoß und für den gesteuerten Übergang in die folgende weltordnung des KREATIVEN projektfähig und hinreichend vorhanden ist. Wir wissen also, was 'hinten rauskommt'.

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