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Urteil zu Kriegsverbrechen Rechtsfrieden geht vor Menschenrecht

Deutsche Soldaten in Italien 1944: Vergeltung für Partisanenattentat Zur Großansicht
Bundesarchiv

Deutsche Soldaten in Italien 1944: Vergeltung für Partisanenattentat

Staaten müssen für ihre Kriegsverbrechen nicht haften, wenn Privatpersonen im Ausland klagen. Der Internationale Gerichtshof in Den Haag hat ihnen jetzt "Immunität" in solchen Fällen zugesichert. Erstritten wurde das Urteil von Deutschland - Regierungen weltweit nehmen es mit Erleichterung auf.

Den Haag - Prozess paradox: Deutschland verklagt Italien, gewinnt - und Verlierer Italien freut sich heimlich mit. Und viele weitere Regierungen in aller Welt atmen auf. Denn wenn dieses Verfahren, aus ihrer Sicht, schiefgegangen wäre, hätten Menschen in Afghanistan oder in Äthiopien, auf dem Balkan oder in Libyen die Staaten verklagen können, deren Soldaten oder Polizisten dort vergewaltigt oder gefoltert, Menschen zu Krüppeln geschlagen oder abgeschlachtet haben. Das wollte keiner der möglicherweise betroffenen Regenten. Und es bleibt nun auch weiterhin ausgeschlossen.

Der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag sicherte Deutschland - und damit auch jedem anderen Land - jetzt zu, es sei nicht zur Zahlungen von Wiedergutmachungen an Angehörige der Opfer von Kriegsverbrechen verpflichtet. Anders lautende Urteile der italienischen Justiz, so das den Vereinten Nationen unterstellte Welt-Gericht, verstoßen gegen das Völkerrecht.

Menschenrechtsorganisation, etwa Amnesty International, beklagen einen "großen Rückschritt für den internationalen Menschenrechtsschutz". Der IGH habe die Interessen der Staaten über den Schutz der Menschenrechte gestellt.

Der konkrete Fall

Am 29. Juni 1944 erschossen deutsche Soldaten der "Division Hermann Göring" in der toskanischen Stadt Civitella und deren Umgebung 250 Zivilisten. Es war ein Racheakt. Einige Tage zuvor waren vier Wehrmachtssoldaten von Partisanen attackiert worden. Drei Deutsche starben, einer wurde schwer verletzt. Büßen mussten dafür wahllos zusammengetriebene, wehrlose Zivilisten. Mehr als vierzig Jahre später verklagten Angehörige der Opfer vor einem italienischen Gericht Deutschland auf Schadensersatz .

Mitkläger war Luigi Ferrini, auch er aus der Toskana. Ihn hatten deutsche Soldaten verschleppt und ins KZ transportiert. Dort musste er Zwangsarbeit leisten und wurde gefoltert.

Im Jahre 2008 obsiegten die Kläger vor dem höchsten italienischen Gericht. Deutschland habe Völker- und Menschenrecht verletzt, so der Entscheid, deshalb dürften Geschädigte einen individuellen Schadensersatz geltend machen. In Berlin waren sie empört - Sozialdemokraten wie Christdemokraten.

Die Opfer von Distomo

Damit nicht genug. Auch in Griechenland hatten Hinterbliebene der Opfer eines deutschen Racheaktes auf Schadensersatz geklagt. Einheiten der Waffen-SS hatten am 10. Juni 1944 im Ort Distomo, nicht weit von Delphi, 218 Kinder, Frauen und Greise zusammengetrieben und getötet. Vergebens klagten sich die Griechen erst durch die Instanzen der deutschen Justiz und scheiterten letztlich am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Begründung: Die Staaten sind "immun" gegen Klagen "natürlicher Personen". Das ist ein alter Grundsatz des Völkerrechts.

In Griechenland dagegen waren die Distomo-Kläger juristisch erfolgreich. Aber das brachte sie auch nicht weiter. Zwar sprach der oberste Gerichtshof des Landes, der Areopag, ihnen 28 Millionen Euro Entschädigung zu. Aber die Deutschen zahlten einfach nicht, und der Versuch, Immobilien des deutschen Staates in Griechenland dafür zwangsversteigern zu lassen scheiterte am Einspruch der Athener Regierung. Die hatte sich der entsprechenden Bitte aus Berlin schnell gebeugt.

Zugriff auf deutsches Staatseigentum

Als die griechischen Kläger von der Rechtsprechung in Italien hörten, zogen sie auch dort vor den Kadi. Und das oberste Gericht in Rom entschied, dass Hinterbliebene der Waffen-SS-Gräuel von Distomo mit Anspruch auf Schadensersatz durchaus deutsches Staatseigentum in Italien als Pfand nehmen dürften, wenn Berlin nicht zahle.

Doch wie zuvor die griechische griff auch die italienische Regierung sofort ein, als die Kläger sich anschickten, die deutsche bundeseigene Villa Vigoni, malerisch am Comer See gelegen, zwangsversteigern zu lassen. Da musste Kanzlerin Angela Merkel ihren damaligen römischen Amtskollegen Silvio Berlusconi nicht lange bitten. Denn nicht anders als die Deutschen sorgen sich auch Italiener und Griechen, Überlebende von Menschenrechtsverletzungen aus ihrer Vergangenheit könnten Ansprüche stellen.

Da könnte ja jeder klagen

Deshalb nahmen die meisten Regierungen, nicht nur in Europa, es mit stillem Wohlwollen zur Kenntnis, als die Deutschen - mit Billigung der italienischen Regierung - gegen das höchstrichterliche Urteil aus Italien Klage vor dem Internationalen Gerichtshof einreichten. Denn die Zwangsversteigerungen waren zwar abgewehrt worden, aber der Anspruch auf Schadensersatz blieb ja bestehen.

Zum einen habe man schon im Jahre 1961 Reparationszahlungen an Italien geleistet, nämlich pauschal 40 Millionen Mark, so die deutsche Position. Zum andern habe man im Jahr 2000 die "Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" gegründet, um Zwangsarbeiter aus Osteuropa zu entschädigen. Weitere Leistungen habe Deutschland auf Friedenskonferenzen oder in Verträgen mit anderen Ländern vereinbart. Mehr sei nicht drin. Und kein Gericht dürfe einen ausländischen Staat zur Rechenschaft ziehen, was immer es auch getan habe. Denn das sei eine "Verletzung des völkerrechtlichen Immunitätsprinzips".

Ein großer Teil der Rechtswissenschaft sieht das ebenso. "Würde man die Staatenimmunität in diesen und ähnlichen Fällen verneinen", schrieb beispielsweise der Völkerrechts-Professor Andreas Zimmermann in der "taz", könnten am Ende "etwa georgische Gerichte über das russische Verhalten während des Konflikts aus dem Jahre 2008" urteilen, "und umgekehrt".

Für Zimmermann und viele seiner Kollegen eine absurde Vorstellung: "Die Ergebnisse sind vorhersehbar."

Der internationale Rechtsfrieden ist gesichert

Entsprechend fiel das letztinstanzliche Urteil des IGH heute aus. Die in Italien gefällten Urteile gegen Deutschland auf Schadensersatz an Opfer der NS-Verbrechen sind rechtswidrig. Auch die Pfändung staatlicher deutscher Besitztümer ist nicht legal. Italien hätte die Klagen von Privatpersonen gegen Deutschland vor italienischen Gerichten gar nicht zulassen dürfen. Verhandlungen über Entschädigungen führen oder entsprechende Klage vor internationalen Gerichten einreichen, können nur Staaten; Privatpersonen haben kein Klagerecht.

Der internationale Rechtsfrieden ist gesichert. Auch künftig dürfen Hinterbliebene afghanischer, irakischer, oder äthiopischer Opfer von Menschenrechtsverletzungen anderer Staaten genauso wenig den Rechtsweg suchen wie griechische oder italienische.

Die Justiz, so lautet sinngemäß ein alter Spruch unter Juristen, ist nun einmal für das Recht zuständig, nicht für Gerechtigkeit.

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insgesamt 205 Beiträge
Ion 03.02.2012
Recht und Gerechtigkeit sind eben zwei völlig verschiedene Sachen. Verbrecher auf der ganzen Welt werden sich freuen................
Zitat von sysopStaaten müssen für ihre Kriegsverbrechen nicht haften, wenn Privatpersonen im Ausland*klagen. Der Internationale Gerichtshof in Den Haag hat ihnen jetzt "Immunität" in solchen Fällen zugesichert. Erstritten*wurde das Urteil von Deutschland - Regierungen weltweit nehmen es mit Erleichterung auf. Urteil zu Kriegsverbrechen: Rechtsfrieden*geht vor Menschenrecht - SPIEGEL ONLINE - Nachrichten - Politik (http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,813186,00.html)
Recht und Gerechtigkeit sind eben zwei völlig verschiedene Sachen. Verbrecher auf der ganzen Welt werden sich freuen................
tilloquinn 03.02.2012
Auch Staaten wie Tschechien, Polen, die baltischen Nationen, Russland, Rumänien und Ungarn werden für millionenfachen Totschlag und millionenfache Enteignung (Deutscher bzw. Österreicher) in den Kriegs- und Nachkriegsjahren [...]
Zitat von IonRecht und Gerechtigkeit sind eben zwei völlig verschiedene Sachen. Verbrecher auf der ganzen Welt werden sich freuen................
Auch Staaten wie Tschechien, Polen, die baltischen Nationen, Russland, Rumänien und Ungarn werden für millionenfachen Totschlag und millionenfache Enteignung (Deutscher bzw. Österreicher) in den Kriegs- und Nachkriegsjahren nicht zur Rechenschaft gezogen. Das ist Teil von dieser "Gerechtigkeit", und in meinen Augen ist das heutige tatsächlich ein gutes Urteil. Nicht unbedingt, wie man aus dem ersten Satz meines Beitrages entnehmen kann, für Deutschland und die Deutschen, die sonst womöglich wenig zu verlieren und sehr viel zu gewinnen hätten, sondern für das Völkerrecht im Allgemeinen.
eigene_meinung 03.02.2012
Die Justiz ist weder für Recht noch für Gerechtigkeit zuständig, sondern ausschließlich zur Durchsetzung des Willens der Mächtigen. Der Staat ist nicht für den Menschen da, sondern der Mensch für den Staat. Menschenrecht ist [...]
Die Justiz ist weder für Recht noch für Gerechtigkeit zuständig, sondern ausschließlich zur Durchsetzung des Willens der Mächtigen. Der Staat ist nicht für den Menschen da, sondern der Mensch für den Staat. Menschenrecht ist nur eine schöne Formel für Politiker, um die Untertanen einzulullen.
gankuhr 03.02.2012
Ich finde das Resultat gut, die Begründung aber totalen Mist. Gut finde ich, dass ich mit meinen Steuergeldern nicht mehr für Sachen bezahlen muss, die Menschen verbockt haben, die heute größtenteils tot sind. Wo sollte [...]
Zitat von sysopStaaten müssen für ihre Kriegsverbrechen nicht haften, wenn Privatpersonen im Ausland*klagen. Der Internationale Gerichtshof in Den Haag hat ihnen jetzt "Immunität" in solchen Fällen zugesichert. Erstritten*wurde das Urteil von Deutschland - Regierungen weltweit nehmen es mit Erleichterung auf. Urteil zu Kriegsverbrechen: Rechtsfrieden*geht vor Menschenrecht - SPIEGEL ONLINE - Nachrichten - Politik (http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,813186,00.html)
Ich finde das Resultat gut, die Begründung aber totalen Mist. Gut finde ich, dass ich mit meinen Steuergeldern nicht mehr für Sachen bezahlen muss, die Menschen verbockt haben, die heute größtenteils tot sind. Wo sollte das auch hinführen? Kann ich dann Italien verklagen, weil die Römer damals einem französischen Vorfahren von mir den Bauernhof gebrandschatzt haben? Das Regime, was das damals verbockt hat, gibts nunmal nicht mehr, und bei Sippenhaft sträuben sich mir alle Nackenhaar. Würde man die Schuld persönlich an ehemaligen Mitarbeitern des Regimes festmachen, hätte ich verständnis, aber schon bei deren Nachkommen hörts schon bei mir auf. Erst recht, wenn dann ein ganzes Volk oder der Nachfolgestaat verklagt wird. Schlecht finde ich, dass das zustande kommt, weil Staaten scheinbar immun sind. Ich halte grundsätzlich nichts von Immunitäten jeglicher Art, und in diesem Fall kommts mir wieder sehr willkührlich vor.
pteranodon 03.02.2012
Was waere, wenn das Urteil durchgekommen waere? Sollte Deutschland dann nicht umgehend Italien verklagen, wegen Menschenrechtsverletzungen begangen durch das roemische Reich in Germanien? Sollten Lateinamerikanische Laender [...]
Was waere, wenn das Urteil durchgekommen waere? Sollte Deutschland dann nicht umgehend Italien verklagen, wegen Menschenrechtsverletzungen begangen durch das roemische Reich in Germanien? Sollten Lateinamerikanische Laender nicht umgehend Spanien verklagen? Afrika die Briten? Nordamerikanische Indianerstaemme die USA? Die Liste liesse sich unendlich fortfuehren.
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