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US-Häftling

Besuch für einen, der seit 26 Jahren Jahren im Gefängnis sitzt

10.06.2012 | 19:12 Uhr
Besuch für einen, der seit 26 Jahren Jahren im Gefängnis sitzt
Jens Söring - seit 26 Jahren in Haft für einen Doppelmord, den er nie begangen hat?Foto: dapd

Washington.  Seit 26 Jahren sitzt Jens Söring in England und den USA im Gefängnis. Er soll einen Doppelmord begangen haben, doch er bestreitet das. Der Bundestagsabgeordnete Peter Bayer hat Söring, den Häftling mit der Nummer 179212, im Gefängnis besucht. Ein Besuch, der ihn überraschte.

Nach dem stärksten Eindruck, den Peter Beyer von seinem Besuch bei Häftling 179212 im „Buckingham Correctional Center“ in Dillwyn/Bundesstaat Virginia mitgenommen hat, muss man den CDU-Bundestagsabgeordneten aus dem südlichen Ruhrgebiet nicht lange fragen. „Da war Hoffnung, seine Augen haben gestrahlt“, erzählt der 41-jährige Familienvater aus Heiligenhaus in einem Café in der Nähe des Weißen Hauses in Washington, „man kann sagen: Jens Söring war guter Dinge.“ Guter Dinge? Nach 26 Jahren Gefängnis in England und Amerika für einen Doppelmord, den er felsenfest nicht begangenen haben will? Nach einem von Verfahrensfehlern übervollen Prozess? Nach neuen Indizien und Zeugenaussagen, die im amerikanischen Rechtsystem einfach ignoriert werden? Nach  sieben gescheiterten Ersuchen auf Begnadigung? Peter Beyer schildert Söring so, wie man ihn aus Fernseh-Reportagen von ZDF und ARD kennt: „Ganz auf seine Sache konzentriert, hellwach, verbindlich, alles andere als geknickt.“ Söring, so scheint es, trägt die Narben der Haft nach innen.

Rückblende: 30. März 1985. An diesem Frühlingstag werden der südafrikanische Stahl-Baron Derek Haysom (72) und seine Frau Nancy (55) in ihrem Wochenendhaus in Lynchburg im US-Bundesstaat Virginia brutal ermordet aufgefunden. Die Tatwaffe, ein Messer, wird nie gefunden. Auch keine Fingerabdrücke. Zeugen? Nirgends. Nach Wochen geraten Jens Söring, 19 Jahre alt, Begabten-Stipendiat an der Universität von Charlottesville, Sohn des deutschen Konsuls in Detroit, und seine Freundin Elizabeth Haysom (21), heroinabhängig, in die Mühlen der Justiz. Der Verdacht: Sie sollen für das Blutbad an Elizabeths Eltern verantwortlich sein. Motiv: Die Beziehung habe den alten Herrschaften nicht gepasst. Söring gesteht die Tat, obwohl der Vernehmungsbeamte massive Zweifel zu Protokoll gibt. Unmittelbar danach flieht das junge Paar nach England, lebt dort unter falschen Namen. Bis ein Scheckbetrug sie 1986 festsetzt. 1990, der Fall beschäftigt inzwischen ganze Regierungen, werden Söring und Haysom in die USA ausgeliefert.

Söring zieht sein Geständnis zurück. Er habe die Täterin, seine Freundin, vor der Todesstrafe bewahren wollen und darum die Schuld auf sich genommen. In der Annahme, auch ein deutscher Diplomatensohn genieße so etwas wie Immunität. Ganz falsch. 1990 kommt es in der Kleinstadt Bedford/Virginia zum Prozess. Söring geht als „german monster“ durch die Lokalpresse. Haysom sagt aus, sie habe ihren Freund angestiftet. Die Staatsanwaltschaft rechnet dem jungen Mann mit der großen Hornbrille einen „blutigen Sockenabdruck“ zu. Trotz schwerer Verfahrensfehler – Richter William Sweeney erklärt den Angeklagten vor Prozessbeginn in einem Zeitungsinterview für schuldig – wird Söring zu zweimal lebenslänglich verurteilt. Sein letzter Satz in Freiheit: „Ich bin unschuldig.“

In Haft bildet sich Söring wie besessen fort

Elizabeth Haysom bekommt in einem separaten Verfahren wegen Beihilfe 90 Jahre Gefängnis. In der Haft bildet sich Söring wie besessen fort. Mit Liegestützen und Klimmzügen trainiert er seinen schmächtigen Körper. Per Hand schreibt er, Computer sind verboten, bis heute acht Bücher. Zuletzt das lesenwerte „Nicht Schuldig! Wie ich zum Opfer der US-Justiz wurde“ und bemüht sich mit allen Mitteln um Begnadigung. Oder wenigstens die Abschiebung noch Deutschland. Kanzlerin Merkel kennt seinen Fall genauso wie Präsident Obama. Fortschritte in der Kriminalistik befeuern seine Bestrebungen. 2009 legt die Gerichtsmedizin Virginias ein Gutachten über 42 am Tatort gefundene DNA-Spuren vor. Nicht eine kann Söring zugeordnet werden. Ein neuer Zeuge taucht auf, der Elisabeth Haysom mit einem anderen Mann kurz nach der Tat gesehen haben will. Alle Versuche Sörings, vor dem „Bewährungs-Ausschuss“ Virginias neues Gehör zu erfahren, bleiben trotzdem erfolglos. Ausgelöst durch Medienberichte in Deutschland bildet sich ein Freundeskreis (www.jenssoering.de).

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Christoph Strässer verschafft den Unterstützern ein Forum im Parlament. Aus Berlin reist Markus Löning, der Menschenrechtsbeauftragte der Bundsregierung, zum Gefängnis-Besuch an. 2010 scheint der Durchbruch nahe. Vor Ende seiner Amtszeit lässt sich der demokratische Gouverneur von Virginia, Timothy M. Kaine, auf ein hinter den Kulissen mit viel diplomatischem Aufwand ausverhandeltes Geschäft ein: Söring wird nach Deutschland überstellt, muss dort noch mindestens zwei Jahren einsitzen, bis die deutsche Justiz neu über ihn befinden kann; sprich: Entlassung. Ein Politikwechsel in Virginia spült kurz darauf Bob McDonnell ins Amt. Der neue republikanische Gouverneur verkündet am ersten Amtstag in der Hauptstadt Richmond zwei Entscheidungen: Die öffentliche Toiletten an den Highways werden wieder geöffnet. Und Söring bleibt hinter Gittern. In zwei Wochen steht McDonnell deshalb vor Gericht.

Eine Begnadigung vor der Präsidentschaftswahl ist unwahrscheinlich

Sörings Anwälte in den USA haben den Prozess durchgesetzt. Sie wollen deutlich machen, dass ihr Mandant zum Spielball der Politik geworden ist; hier die „weichen“ Demokraten, dort die „law and order“-Fraktion der Republikaner. Peter Beyer, der CDU-Bundestagsabgeordnete aus dem Ruhrgebiet, der vor über zehn Jahren an der gleichen US-Universität wie Söring studierte, hat die Sorge, dass der Prozess „das Klima beeinträchtigen könnte“. Vielleicht ist darum der Brief der 53 Abgeordneten des Bundestags an den Gouverneur so übervorsichtig geraten. Erst loben sie seine Führungsrolle bei der Anwerbung und Pflege deutscher Unternehmen in Virginia. Dann sprechen sie im „spirit of friendship“, im Geist der Freundschaft, die Causa Söring an und „bitten höflich um einen Gefallen“. Ob er gewährt wird? Weil der Fall in Virginia noch immer ein die Bevölkerung polarisierendes Politikum ist, wird nicht damit gerechnet, dass vor der Wahl zum Weißen Haus und zum Kongress am 6. November ein republikanischer Gouverneur einknickt und einen verurteilten Doppelmörder begnadigt.

Allerdings, so wissen Eingeweihte, könnte McDonnell dem von ihm handverlesenen „Parole Board“, dem Bewährungs- und Begnadigungsausschuss, der im Juli erneut die Personalie S. vorgelegt bekommt, informell einen Wink geben, dass man Söring doch zurück nach Deutschland überstellen möge. Vielleicht schon im nächsten Jahr. Für McDonnell wäre das „Gesichtswahrung“, heißt es. Für Jens Söring nach über 26 Jahren die Aussicht auf ein neues Leben. Peter Beyer ist der erste Bundestagsabgeordnete, der den Weg zu Söring gesucht hat. Er will wiederkommen. „Wir wollen uns nicht über die amerikanische Justiz erheben“, sagt er, "aber wir haben eine Verantwortung. Jens Söring soll nicht im Gefängnis sterben.“

Dirk Hautkapp

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Kommentare
12.06.2012
17:28
Besuch für einen, der seit 26 Jahren Jahren im Gefängnis sitzt
von jmeller | #8

fatih | #4 Da irren sie sich ganz gewaltig. Die Höchststrafe für Mord ist in England genauso wie in Deutschland "lebenslänglich".
Und lebenslänglich heißt in Deutschland nicht das man automatisch nach 15 Jahren wieder frei ist. Das ist das frühstmögliche Datum wann man entlassen werden kann. Durchschnittlich sitzen "Lebenslängliche" in Deutschland fast 18 Jahre ein.
Herr Klar von der RAF 27 Jahre, und in der JVA Rheinbach saß ein "Lebenslänglicher" 43 Jahre ein bis er an einem Herzinfakt gestorben ist.

http://www.focus.de/politik/deutschland/haftstudie-lebenslaenglich-heisst-knapp-18-jahre_aid_353882.html

http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,62503,00.html
England 15-mal lebenslänglich für Mörder-Arzt

11.06.2012
16:23
In Deutschland würde er auch nicht begnadigt?
von fatih | #7

Wenn er in Deutschland verurteilt worden wäre, durch alle Instanzen erfolglos geklagt hat, käme er auch nicht auf dem Gnadewege frei. Voraussetzung hierfür ist nämlich, in Deutschland und Amerika, das der Verurteilte Reue über seine Tat zeigt. Der Begnadigungsausschuss darf das Urteil nicht anzweifeln, sondern die Freilassung wäre ein reiner Gnadenakt. Und da Herr Söring ja die Tat leugnet, zeigt er eben keine Reue über die Tat. Schon daran scheitert eine Begnadung.

Ich glaube, in den USA wird jemand begnadigt, wer schon sehr alt ist und krank. Vorher nicht. Es gibt dort Senioren-Gefängnisse, wo Häftlinge mit 80 Jahren noch ihre Strafe verbüßen. Von daher hat er wohl keine Chance vor 2040 entlassen zu werden. Seine damlaige Freundin kann wohl 2030 einen Gnadenantrag stellen. Vorher wir er wohl auch nicht rauskommen.

11.06.2012
15:13
Besuch für einen, der seit 26 Jahren Jahren im Gefängnis sitzt
von gudelia | #6

hat die Sorge, dass der Prozess „das Klima beeinträchtigen könnte“
Die Sorgen hat man aber bei der Ukraine nicht. Sind unsere Politiker feige?

11.06.2012
14:16
26 Jahre Knast sind genug!
von fatih | #5

Ich bin für eine Freilassung, aus humanitären Gründen.

Trotzdem bin ich von seiner Unschuld nicht überzeugt. Bis heute, auch nicht in seinen Büchern, hat Herr Söring eine Alibi für die Tatzeit erbracht. Keine Zeugen, keine Hinweise. Er gab an, er hätte sich drei Filme hinter einander angeschaut in einem Kino. Ab 14 Uhr, obwohl der Film erst um 17 Uhr begann. Er war an dem Tag in Virginia und Washington und niemand hat ihn gesehen. Er hat niemanden besucht und nur im Kino gesessen... Na ja, die Verhandlung ist vorbei...

Trotzdem, 26 Jahre sind genug, zumal er damals knapp 18 Jahre alt war und eigentlich Jugendstrafrecht Anwendung finden sollte, das waären dann 10 Jahre.

11.06.2012
14:03
Syndikus | #3
von fatih | #4

Herr Söring ist in England verhaftet worden und die US-Justiz hat die Auslieferung in die USA beantragt. In dem Auslieferungsverfahren in England hätte Herr Söring "von seinem Recht zu Schweigen" Gebruach machen können, wie Sie zur Recht schreiben. Dann wäre er mit Sicherheit in die USA ausgeliefert worden. Hätte man ihm in einem Gerichtsverfahren in den USA seine Schuld nachgewiesen, dann hätte man ihn zum Tode verurteilt.

Herr Söring hat in England den Mord gestanden. Nach dem Geständnis eines Mordes in Europa, welches der Täter in den USA begangen hat, konnte eigentlich nicht mehr ausgeliefert werden. Das verbot und verbietet EU-Recht, weil in den USA die Todesstrafe gilt und in der EU nicht. Söring hatte gehoft, in England bleiben zu können. Die Höchststrafe hätte hier ca. 15 Jahre betragen.

Die US-Justiz hat aber England zugesichert, auf die Verhängung der Todesstrafe zu verzichten. Jetzt konnte er ausgeliefert werden.

Söring hat aus prozeß-taktischen Gründen gestanden.

11.06.2012
11:05
Besuch für einen, der seit 26 Jahren Jahren im Gefängnis sitzt
von Syndikus | #3

Wenn Jens Söring von seinem Recht zu Schweigen Gebrauch gemacht hätte, anstatt durch sein - möglicherweise falsches - Geständnis die Schuld auf sich zu nehmen, hätte ein guter Verteidiger ihn möglicherweise da herausgepauckt. Dass die Indizienkette nicht ganz so schlecht gewesen sein kann, ist dadurch indirekt belegt, dass die Verurteilung auch in den oberen Instanzen bestätigt worden ist. Auch wenn hier ein sehr positives Bild von Jens Söring gezeichnet wird und er mein Mitgefühl hat, mag man kritisch anmerken, dass er durch seine jugendliche Schwärmerei für seine verrückte und drogensüchtige Freundin und seine überlieferte notorische Besserwisserei seine gesamte Familie ins Unglück gestürzt hat. Eine Familie, die sich jahrelang für ihn eingesetzt hat und dafür im Ergebnis eine Menge Undank kassiert hat.

10.06.2012
21:33
Besuch für einen, der seit 26 Jahren Jahren im Gefängnis sitzt
von jmeller | #2

Ja die größte Ungereimtheit ist, das der Mann den Mord gestanden hat, weil er dachte das er als Diplomatensohn straffrei bleibt.
Gibt es denn in den USA keine Rechtsanwälte?
Und hat er nie mit seinem Vater darüber geredet?
Wurde er nicht über seine Rechte aufgeklärt?

Auch in Deutschland kommt man in den Knast wenn man eine Mord gesteht.

10.06.2012
20:51
Besuch für einen, der seit 26 Jahren Jahren im Gefängnis sitzt
von fummel | #1

Ich finde, eine Menge von Ungereimtheiten.

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