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Freitag, 24 August 2012 22:30

Derby ohne Derby

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arminia-bielefeldDerby im DFB-Pokal! Ostwestfalenderby im DFB-Pokal!! Arminia Bielefeld gegen den SC Paderborn 07 im DFB-Pokal!!! Ja, auch in der Provinz gibt es Derbys. Sollte man zumindest meinen. Denn so lecker war das Derby-Festessen nicht. Im Gegenteil, es hat eher fade geschmeckt. Für ein leckeres Derby braucht man Rivalität, „geliebte Feinde“, die sich auf dem Grün und auf den Tribünen edle Schlachten liefern – so oder so ähnlich soll es sich zumindest anfühlen. Und genau das war die Würze, die zu einem leckeren Derby fehlte.

Die beiden von Fläche und Einwohnerzahl größten Städte des Regierungsbezirks Detmold – gemeinhin als „Ostwestfalen“ bekannt – kochen ihr jeweils eigenes Essen. Schon historisch haben beide Städte kaum miteinander zu tun. Paderborn wurde als „christlicher Stützpunkt“ gegen die Sachsen um 770 gegründet. Im Schutze des Paderborner Doms wuchs die Stadt. Bielefeld verdankt seine Existenz einem Paß durch den Teutoburger Wald und der dort liegenden Kreuzung zweier Handelswege. Zur Zeit der ersten urkundlichen Erwähnung Bielefelds (1214) war Paderborn bereits Hauptstadt eines unabhängigen Bistums mit eigenem Siegelrecht. Das Stadtrecht bekam Bielefeld übrigens nicht von Paderborn, sondern vom damals zuständigen Münster verliehen, doch Münster ist eine andere Geschichte. Bielefeld stieg, vor allem über Herstellung und Handel mit Leinentuch, zu einer beachtlichen Wirtschaftsstadt auf. Seine „ganz große Zeit“ begann im Zuge der Industrialisierung, heute ist Bielefeld die größte und wirtschaftsstärkste Stadt der Region. Paderborn ist Bistumshauptstadt und ein kultureller „HotSpot“. Die Claims der jeweiligen Wirtschaftsbranchen sind abgesteckt, die der jeweiligen Universitäten auch. Eine historisch gewachsene Städtekonkurrenz, die sich so herrlich auf den Fußball übertragen läßt, wie etwa zwischen Köln und Düsseldorf oder zwischen Hamburg und Bremen, gibt es nicht. Die Paderborner könnten in unsere Richtung „Hey, hey, Erzbischof, Erzbischof“ brüllen, wir Bielefelder würden kontern mit „Hey, hey, Leineweber, Leineweber“. Rivalität geht anders.

Bielefeld und Paderborn stellen die beiden höchstklassigen Fußballvereine der Region. Der DSC Arminia Bielefeld ist ein „Traditionsclub“, der zwei westdeutsche Meisterschaften, zwei Pokal-Halbfinals, 22 Bundesligasaisons und einen Bundesligaskandal in der 107-jährigen Vereinsgeschichte stehen hat. Er hat den regional höchsten Fanzuspruch und nennt sich daher selbst gern „Sportclub der Ostwestfalen“. Er spielt nach ein paar schiefgegangen, finanziellen Husarenritten in der Dritten Liga. Der SC Paderborn 07 ist ein aufstrebender Club. Die „07“ bezieht sich auf das Gründungsjahr des SV 07 Neuhaus, der im Jahre 1973 mit dem TuS Sennelager zum TuS Schloß-Neuhaus fusionierte. 1985 fusionierte der TuS mit dem 1.FC Paderborn zum TuS Paderborn-Neuhaus. Vom 1.FC Paderborn wurden die Vereinsfarben übernommen. Der TuS Paderborn-Neuhaus war kontinuierliches Mitglied der Oberliga Westfalen und deren letzter Meister, bevor 1994 die Regionalligen als dritthöchste Spielklasse eingeführt wurden. Vor etwa zehn Jahren stieg ein Möbelunternehmer ein und sorgte nicht nur für sportlichen Aufschwung, sondern auch für den heutigen Vereinsnamen. Der Verein steht finanziell gesund da, spielt in der Zweiten Liga und nennt sich daher selbst gern „Die Nummer Eins in OWL“. Meist war Arminia höherklassig, nun ist es der SC Paderborn. Selbst, als beide zusammen längere Zeit in der Oberliga Westfalen (1988 bis 1994) und der Zweiten Liga (2009 bis 2011) spielten, entwickelte sich keine wirkliche sportliche Rivalität. In der Oberliga Westfalen war es immer Arminias Ambition, in die Zweite Liga zurückzukehren. Der damalige TuS Paderborn-Neuhaus war ein Gegner unter vielen anderen, den es zu schlagen galt, was meistens auch funktionierte. Auch die regionale Nachbarschaft von Bielefeld und Paderborn war kein Thema. In der Oberliga Westfalen lag alles in der Nachbarschaft, und Verl und Gütersloh waren sogar noch näher an Bielefeld als Paderborn. Eine Ausnahme gab es allerdings. In der Saison 1989/1990 galt Arminia als heißester Meisterschaftskandidat und führte auch schnell die Tabelle an. Der TuS Paderborn-Neuhaus blieb uns aber hartnäckig auf den Fersen. Im Herbst 1989 kam es dann auf der ausverkauften Alm zum Showdown, Arminia lederte den TuS mit 6:1 ab. In der Rückrunde brachen die Domstädter dann ein, Arminia wurde mit sechs Punkten Vorsprung Oberligameister. In der Oberligasaison 1993/1994, als der TuS Meister wurde, war wiederum Arminia keine ernsthafte Konkurrenz. Die Bilanz der beiden jüngeren Zweitligasaison: 2 Siege – 1 Unentschieden – 1 Niederlage aus Sicht von Arminia. Da waren wir vor allem mit uns selbst beschäftigt, denn die Misswirtschaft, die uns noch so derbe in den Schlamm reiten sollte, kam allmählich ans Licht. Das Spiel gegen Paderborn auf der Alm stand im Zeichen eines Fanboykotts gegen den Vorstand – die ersten 15 Minuten standen wir zur Freude der Brezelverkäufer vor der Südtribüne – der 3:0-Sieg interessierte kaum. Der ständige sportliche „Gleichschritt“, wie etwa bei BVB und Schalke, der für eine Rivalität so wichtig ist, existiert nicht. Die Paderborner singen – im Moment mit Recht – „Die Nummer 1 in OWL sind wir“. Wir Arminen singen für uns. Rivalität geht anders.

Aus dem selben Grund – dem „Gleichschritt“ – gibt es auch keine echte Fanrivalität. Mit Arminia und Fanrivalitäten ist das generell so eine Sache. Bis in die 1960er Jahre hinein gab es mit dem VfB 03 Bielefeld einen echten Lokalrivalen. Trafen die beiden Vereine aufeinander, hieß es Arbeiter (VfB) gegen Bürgertum (Arminia), „Mitte“ (VfB) gegen „West“ (Arminia) die „Roten“ gegen die „Blauen“, oder „Hüpker“ gegen „Arminen“. In den Bielefelder Lokalderbys steckt ordentlich Brisanz, Arminias Chronik weiß von Platzstürmen, Massenschlägereien und Trennung der Zuschauer durch massig Polizei zu berichten. Als Arminia sich dann in Richtung höhere Ligen verabschiedete, endete der „Gleichschritt“ und damit auch die Rivalität. Der „Sportclub der Ostwestfalen“ stand dann mit seiner regionalen Alleinstellung und seiner sportlichen Berg-und Talfahrt lange Zeit ohne Rivalen da bis in die eben angesprochenen Oberligazeiten, doch Münster ist eine andere Geschichte. Die Fanszene von Arminia Bielefeld hat die Berg-und Talfahrt der Vereinsgeschichte miterlebt und ist an ihr gewachsen. In den diversen Foren zeigt sich ein einheitlicher Tenor: Das außer Frage stehende Bekenntnis zum Club. Auf dieser Basis wird die sportliche Situation diskutiert ebenso wie die Vereinsführung. Der Vergleich „früher“ und „heute“ wird dabei gern gezogen. Auch „fankulturelle Themen“ werden debattiert, wie die Stimmung im Stadion oder die Choreos. Die ultraorientierten Fanclubs sind in den bekannten Initiativen aktiv.

Die Paderborner Fanszene steht noch am Anfang ihrer Entwicklung. Die aktuellen Vereinsstrukturen bestehen seit 27 Jahren, der aktuelle Vereinsname ein gutes Jahrzehnt, vom Image des „Möbelhausretortenclubs“ einmal ganz abgesehen. Schaut man in die Internetauftritte und Foren der Fanclubs, wird deutlich, daß die Szene noch im Entstehen begriffen ist und zunächst selber für sich definieren muss, wer zu ihr gehört und welche Ausrichtung man sich geben will. So räumen die Fans des SC Paderborn selbst ein, dass die Heimspielbesucher vor allem aus „Eventguckern“ bestehen. Hier seien auch Jugendliche zu finden, die gelegentlich auch mal den BVB anfeuern. Es wird der Hoffnung Ausdruck verliehen, dass diese sich vielleicht einmal „bewusst“ für den SC Paderborn „als Herzensverein“ entscheiden. Die Pro/Contra-Ultra- bzw. Pro/Contra Pyro-Debatten werden mehrheitlich misstrauisch bis ablehnend verfolgt. So stehen die Paderborner Fans völlig ohne Rivalen da. Es wird deutlich, dass die Paderborner uns Arminen gerne als Rivalen hätten. Bielefeld ist „Bitterfeld“ oder die „verbotene Stadt“, Arminia ist „Arminia Bielesau“ oder „Arminia Bieleschiss“ – die übliche Rhetorik einem Rivalen gegenüber, wenn man ihn den hätte. Denn die Fanszenen sind keine Rivalen, dafür sind die Rahmenbedingungen und „Entwicklungsstadien“ zu unterschiedlich.

Es verwundert kaum, daß die Bielefelder die Paderborner als Emporkömmlinge und Opportunisten darstellen und daß die Paderborner die Bielefelder als arrogante Großmäuler beschimpfen. „Tradition“ gegen „sportliche Realität“ bietet kaum Reibungspunkte für eine Rivalität. Es sind schlicht zwei verschiedene Paar Schuhe. Das zeigen zum Beispiel die Leserkommentare zu den Berichterstattungen über beide Vereine im Internetauftritt einer in beiden Städten erscheinenden Tageszeitung. Wie in so vielen Internetforen ist es auch hier Gang und Gebe, im Revier des jeweils anderen zu wildern. Natürlich gibt es in beiden Lagern Zeitgenossen, die auf Provokationen anspringen und die „Nummer 1 in OWL“ für ihre Farben reklamieren. Dabei wird herrlich aneinander vorbei gepöbelt. „Argumente“ müssen an den Haaren herbeigezogen werden. Die Bielefelder führen die „Tradition“ und die gewachsene, große Fanszene ins Feld – zu Recht, die Paderborner ihre sportliche Höherklassigkeit – ebenso zu Recht. Die jeweiligen „Argumente“ zünden auf der Gegenseite nicht wirklich, weil sie aus deren „Vorbildung“ heraus auch gar nicht kapiert werden. Daran änderte auch der Hype der regionalen Postillen im Vorfeld des Pokalspiels nichts, die in kurzen Abständen den Stand des Kartenvorverkaufs kundtaten, beiden Seiten ein „Entgegenfiebern“ einredeten, die alten Oberligastatistiken hervorkramten, beide Trainer vor dem „heißen Derby“ zum Doppelinterview baten und ein Spiel zu einer „Pestigesache“ machten, in dem kaum „Prestige“ zu vergeben war . Folge war lediglich eine fast ins Groteske gehende Steigerung des Aneinander-Vorbei-Pöbelns der Fangruppen. Die Paderborner kündigten eine „Invasion“ in fünfstelliger Mannesstärke an, die Bieleferlder erklärten den Drittligisten zum „klaren Favoriten“. Rivalität geht anders.

Arminia gewann das Pokalspiel. Für die Medien endete das Derby mit einem Spielbericht und einem Foto vom herzlichen Händedruck der beiden Oberbürgermeister. In beiden Vereinsgeschichten wird das Spiel bald nur noch eine Fußnote sein. Ob die Tradition oder die höhere Spielklasse jetzt „die Nr.1 in OWL“ ausmacht, hat auch das Pokalspiel erwartungsgemäß nicht gezeigt. Reibungspunkte zwischen Bielefeld und Paderborn wird man weiterhin an den Haaren herbeiziehen müssen. Ob es irgendwann eine echte Rivalität zwischen Arminia Bielefeld und dem SC Paderborn geben wird, wird die Zeit zeigen.

Hätte aber schon was, oder?

Jan-H. Grotevent

Jahrgang 1975.

Gefühlte Zuständigkeiten:

Arminia Bielefeld, Theorie und Satire der Fankultur und allgemeine Großmaulerei

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