11.12.2003, 12:00

Reinhard Silberberg: Graue Eminenz der deutschen EU-Politik

Bei den entscheidenden Verhandlungen zur EU-Verfassung, die am Freitag in Brüssel beginnen, verlässt sich Kanzler Gerhard Schröder auf den Rat eines Mannes: Sein Europa-Berater Reinhard Silberberg hat die Erfahrung von rund 70 Gipfeln.
von Wolfgang Proissl

Man kann ihm nicht vorwerfen, er habe nicht alles für den Erfolg des EU-Verfassungsgipfels am Wochenende getan. "Jedes Mal, wenn ich vor einem Gipfel zum Frisör gehe, scheitert der Gipfel", sagt Reinhard Silberberg. Dieses Mal, vor dem Brüsseler Treffen der 25 Staats- und Regierungschefs, hat der Kanzlerberater lieber darauf verzichtet, seine Haare schneiden zu lassen.

So wird auf dem Verfassungsgipfel neben Gerhard Schröder ein groß gewachsener Mann mit Brille sitzen, der sein Harr länger trägt als die anderen EU-Diplomaten. Auch sein trauriger Gesichtsausdruck unterscheidet Silberberg von vielen seiner Kollegen - was die Staatschefs aber nicht abschreckt, mit ihm zusammenzuarbeiten. Der gelernte Diplomat wird regelmäßig an der Seite von Frankreichs Präsident Jacques Chirac gesehen. Zuletzt hat Silberberg den Präsidenten beim vergangenen EU-Gipfel beraten. Der hatte dort auf Schröders Bitte hin auch Deutschlands Interessen vertreten.

Verhandlungsprofi

In den vergangenen Jahren ist Silberberg zur grauen Eminenz der deutschen Europapolitik avanciert. Sollten die Regierungschefs den Konventsentwurf zur Verfassung ohne allzu große Änderungen verabschieden, wäre das auch ein Erfolg für den Schröder-Berater. Der Verhandlungsprofi hatte dem Kanzler schon lange vor dem absehbaren Scheitern des Nizza-Gipfels im Dezember 2000 vorgeschlagen, eine weitere große Konferenz zur Zukunft Europas anzustreben.

Doch der EU-Insider, der neben Nizza die Vertragskonferenzen von Maastricht und Amsterdam sowie fast 70 weitere Gipfel mitgestaltet hat, behält auch Deutschlands wirtschafts- und industriepolitischen Interessen im Auge. Silberberg beriet den Kanzler bei der Chemikalienpolitik und der Übernahmerichtlinie, wo Schröder eine für Deutschland beispiellose Konfrontation mit der EU-Kommission riskierte.

Kompetent und geräuschlos

Der Kanzler schätzt die kompetente, geräuschlose Arbeit des Diplomaten, der auch auf Englisch, Französisch und Spanisch sicher verhandelt. Kürzlich schlug er Silberberg in einer öffentlichen Sitzung des Bundestags-Europa-Ausschusses lachend auf die Schulter und sagte, sein Berater gehöre zu den wenigen Menschen, die den ganzen Verfassungsentwurf auswendig kennen.

Auch im Kanzleramt gewann der Europa-Kenner an Gewicht. Nach der Bundestagswahl 2002 schuf Schröder erstmals eine eigene Europa-Abteilung, deren Chef Silberberg wurde. Noch vor einiger Zeit kokettierte der Berater damit, bald werde er aufhören und in einem sonnigen Land einen Botschafterposten antreten. Diesen Scherz macht er jetzt nicht mehr, aus gutem Grund. Der Bundeskanzler will in absehbarer Zeit nicht auf seinen Rat verzichten.

  • FTD, 11.12.2003
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