Eine Woche nach der Kapitalspritze des Staatsfonds aus Singapur und einem anonymen Investor aus dem Nahen Osten drohen der krisengeschüttelten Bank bereits wieder neue Milliardenabschreiber. Jetzt kann der UBS-Verwaltungsratspräsident Marcel Ospel nur noch hoffen und beten; aus eigener Kraft vermag sich der gescheiterte Finanzspekulant nicht mehr aus dem Schlamassel zu ziehen. Das Huhn, das goldene Eier für Manager und Aktionäre legte und dem Staat die Steuerkasse füllte, ist zur Bedrohung für die Schweizer Volkswirtschaft geworden.

BANKENKOMMISSION ÜBERFORDERT In der Schweiz sind die Gesetze, die das Geschäft der Banken und Versicherungen regeln, dem neoliberalen Grundsatz der Branchen-Selbstregulation verpflichtet. Auch die neue Schweizer Finanzmarktüberwachungsbehörde (Finma), die ab Januar 2009 neben der Bankenkommission und der Versicherungsaufsicht zusätzlich die Geldwäschereibekämpfung betreiben wird, wird auf diesem Grundsatz basieren. Selbstregulation heisst, dass die Branchenprofis die Risiken und Gefahren der Finanzmärkte am besten kennen und sich deshalb unter der (passiven) Oberaufsicht des Bundesrates selber regulieren. Mit anderen Worten: Bei der Kontrolle bleibt man unter seinesgleichen. Als Chefs der gesetzlichen Kontrollgremien von Banken und Versicherungen wirken ehemalige Topmanagerinnen und -manager aus der Branche. Präsident der Eidgenössischen Bankenkommission (EBK) ist Ex-UBS-Geschäftsleitungsmitglied Eugen Haltiner. Präsidentin der Eidgenössischen Versicherungsaufsicht ist Monica Mächler, die früher in der Konzernleitung von Zurich Financial sass. Kommt dazu, dass Bankenkommission und Versicherungsaufsicht mit ihren gesamthaft nur etwa 300 Arbeitskräften personell viel zu schwach dotiert sind, um die Aktivitäten der weltweit über 200000 Beschäftigten von Schweizer Banken und Versicherungen wirksam zu überwachen.
Doch nicht nur das: Nicht gesichert ist auch, ob die selbstregulierenden Überwacher die globalen Spekulationsstrategien der Herren Ospel & Co. überhaupt verstehen. Bankenkommissionspräsident Haltiner jedenfalls scheint von der Krise seiner einstigen Brötchengeberin echt überfordert zu sein. Und das ist nicht überheblich gemeint. Wie könnte er sonst die Absurdität zulassen, dass die Schweiz dem Staat Singapur und damit auch der dort tonangebenden Familie Yew eine Gratisversicherung auf ihre 10-Prozent-Beteiligung an der UBS schenkt? Genau darauf läuft der Deal nämlich hinaus, weil die UBS von einer Art impliziter Staatsgarantie profitiert.

NATIONALBANK SPENDABEL Die UBS braucht eine Sonderprüfung. Im Gegensatz zu EBK-Chef Haltiner haben das viele Aktionärinnen und Aktionäre realisiert. An der ausserordentlichen UBS-Generalversammlung sind sie dem Antrag der Anlagestiftung Ethos mit 45 Prozent gefolgt. Das ist eine grosse Minderheit, aber eben doch nur eine Minderheit. Wenn die Aktionärsaktivisten der Pensionskassen zu schwach sind und die Bankenkommission nichts tut, bleibt noch die Nationalbank. Ihre gesetzliche Aufgabe ist es, in der Schweiz für ein stabiles Finanzsystem mit stabilem Geldwert zu sorgen. Die Nationalbank könnte ja den privatkapitalistischen Abzockern von der Zürcher Bahnhofstrasse mal die Knöpfe eintun.
Doch Fehlanzeige: Die Nationalbank widmet sich seit vergangenem Sommer nicht etwa den Stabilitätsproblemen der Schweizer Volkswirtschaft – so wie dies für ihre Länder etwa die Nationalbanken von Singapur und der USA tun. Die Nationalbank in der Schweiz beschäftigt sich voll und ganz mit der internationalen Finanzkrise. Dabei beteiligte sie sich mit vielen Milliarden am Stützungsprogramm der Nationalbanken der USA, der EU und Grossbritanniens. Ein Stützungsprogramm notabene für die abgestürzten internationalen Finanzdienstleister. Will heissen: Die Nationalbank stützte damit auch die hiesigen vier grossen Banken und Versicherungen UBS, Credit Suisse, Zurich Financial und Swiss Re. Dies nicht, weil die grossen vier schweizerisch sind. Sondern, weil es zu riskant wäre, wenn sie als grosse Player auf den globalisierten Finanzmärkten bankrottgingen. Man höre und staune: Für Nationalbankpräsident Jean- Pierre Roth hat der Schweizerfranken trotz seiner zentralen Rolle für die Arbeitsplätze in der Exportindustrie nur noch «symbolische Bedeutung»! Für den obersten Währungshüter der Schweiz ist die Stabilität der globalisierten Finanzmärkte also alles. Die Arbeitsplätze in der Schweiz hingegen gelten wenig. Es ist pervers: Während neoliberale Banker wie Roth und Ospel die Schaffung neuer Arbeitsplätze mit einer neuen Industriepolitik verteufeln – und das volle Krisenrisiko auf die Arbeitnehmenden überwälzen –, profitieren UBS, Credit Suisse, Zurich Financial und Swiss Re von einer versteckten staatlichen Gratis-Rückversicherung. Diese sogenannte implizite Staatsgarantie besteht, weil ein Bankrott eines dieser Grossinstitute das ganze System in den Abgrund reissen könnte.

ANLAUF NEHMEN ZUM SPRUNG NACH VORN Implizite Staatsgarantie, kombiniert mit Selbstregulation: Das ist ein Rezept zur Privatisierung der Gewinne und zur Sozialisierung der Verluste auf dem Finanzplatz. Damit muss nun Schluss sein. Statt der herkömmlichen Selbstregulation braucht der Finanzplatz ein volkswirtschaftlich fundiertes neues Überwachungskonzept. Dieses muss auch den Geltungsbereich dieser impliziten Staatsgarantie einschränken. Denn der Freipass, den die Banken und Versicherungen heute haben, destabilisiert die Schweizer Volkswirtschaft. Die Gewerkschaftsbewegung hätte es in der Hand, die nötige nationale Diskussion zu diesem Thema mit einem Paukenschlag anzustossen. Der Gewerkschaftsbund könnte seine Vertreterinnen und Vertreter aus dem Nationalbankrat und aus der Pensionskassenstiftung Ethos zurückziehen, wo deren Stimmen heute weitgehend wirkungslos verpuffen. Ein solcher Rückzug wäre kein Schritt in die Isolation, sondern ein erster Schritt auf dem Wege zum dringend angesagten neuen Regulationskonzept für den Finanzplatz. «Reculer pour mieux sauter», sagt der Franzose: Anlauf nehmen zum Sprung nach vorne.

work, 6.03.2008