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Google Street View, was geht?

03.11.2010 | 1 Kommentar

Am 19. März 2009 begann Google mit der Bildbeschaffung für Street View in der Schweiz. Zuvor hat der Suchmaschinenbetreiber dem Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB) gegenüber versichert, sich an das Datenschutzgesetz zu halten und die Bevölkerung ausreichend über ihr Vorgehen zu informieren. Die folgende Zusammenfassung der Medienkonferenz des EDÖB wurde vor einem Jahr von hernani (CCCZH) und mir veröffentlicht. Der aktuelle Status: Eine Einigung zwischen dem EDÖB und Google. Sie ist bis zur rechtskräftigen Beurteilung durch das Bundesverwaltungsgericht gültig. Im Detail (Zitat):

  1. Google erklärt sich bereit, bis zur rechtskräftigen Beurteilung durch das Bundesverwaltungsgericht keine weiteren in der Schweiz für Street View aufgenommene Bilder in ihrem Online-Dienst Street View oder im Rahmen von anderen Produkten im Internet aufzuschalten.
  2. Google verpflichtet sich, ein rechtskräftiges Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in der vorliegenden Sache zu akzeptieren und auf die für Street View getätigten Fotografien der Schweiz anzuwenden, sofern und soweit das Urteil dies verlangen sollte.
  3. Google ist dazu berechtigt, auch weiterhin Kamerafahrten in der Schweiz zu unternehmen. Sie erfolgen im Hinblick auf den späteren Ausgang des Gerichtsverfahrens auf eigenes Risiko. Diese Kamerabilder werden im Sinne von Ziffer 1 nicht im Internet aufgeschaltet und verbleiben bis zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts innerhalb der Google-Gruppe und dürfen nur für nicht personenbezogene Zwecke und Produkte verwendet werden.
  4. Anstelle eines bislang monatlichen Intervalls wird Google bei weiteren Kamerafahrten im öffentlichen Raum mindestens eine Woche im Voraus online darüber informieren, in welchen Bezirken oder im Umkreis von welchen Städten Fotografien geplant sind.
  5. Der EDÖB betrachtet damit die durch die beantragten vorsorglichen Massnahmen verfolgten Zielsetzungen als erfüllt, weshalb die entsprechenden Massnahmebegehren beim Bundesverwaltungsgericht zurück gezogen werden.
  6. Die Rechtspositionen der Parteien im anhängigen Hauptverfahren bleiben durch diese Vereinbarung unberührt.

Zu Deutsch: Google sammelt zwar weiterhin Bildmaterial, es wird aber bis zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts nicht veröffentlicht. Und ganz nobel: Google verspricht, sich an das geltende Recht zu halten.

Es folgt für die Nachwelt die Originalmitteilung, die ich Ende 2009 über die Piratenpartei veröffentlicht habe. OK, ganz dieselbe ist es nicht; Ich konnte nicht widerstehen, sie zu pimpen. Der Titel: «Klage in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten des EDÖB gegen Google.» Es folgt nichts neues, aber die Wichtigkeit besteht weiterhin. Ausserdem dürfte das Urteil vom Bundesverwaltungsgericht bald gefällt werden.

Die Vorgeschichte

In der Nacht vom 17. auf den 18. August 2009 wurde die Schweiz aufgeschaltet – das virtuelle Begehen unseres Bundes war fortan möglich. Doch bereits während der ersten Woche trafen 1’000 Reklamationen bei Google ein. Beim EDÖB waren es über 100 schriftliche und 40-50 elektronische Beschwerden. Der Grund? Die mangelhafte Anonymisierung. Nicht mit eingerechnet sind die Anfragen an die kantonalen Datenschutzämter – der EDÖB verfügt über keine Zahlen derselben.

Unser eidgenössische Datenschutzbeauftragte untersuchte die Situation darauf hin natürlich. Sein Fazit: Die Anonymisierung ist tatsächlich ungenügend. Grund genug, am 11. September 2009 eine Empfehlung an Google zu erlassen, welche am 14. Oktober 2009 aber in weiten Teilen abgelehnt wurde. Der Anbieter mit der weltweit wertvollsten Marke sicherte zu, bis Ende Jahr kein neues Bildmaterial freizuschalten und in Zukunft eine verbesserte Version der Software zur Unkenntlichmachung einzusetzen.

Doch der Schaden, der durch die Veröffentlichung der Bilder entsteht, ist nachträglich durch die Entfernung der Bilder nicht wieder gut zu machen. Es ist also eine zeitliche Dringlichkeit gegeben, dies zu unterbinden. Aus diesen Gründen hat der EDÖB am 11. November 2009 beim Bundesverwaltungsgericht eine Klage gegen den Marktführer unter den Internet-Suchmaschinen eingereicht. Wie bereits erwähnt folgte eine vorübergehende Einigung.

Die Klage

Auf der Webseite des EDÖB ist die Klage in vollem Umfang verfügbar. Die Forderungen reichen von der besseren Anonymisierung, sorgfältigeren Bearbeitung von Bildmaterial bei Institutionen wie Schulen, Rotlichtmilieus, Gefängnissen und Krankenhäusern bis zur besseren und frühzeitigen Informierung, wann wo gefilmt wird. Ausserdem fordert der EDÖB als provisorische Massnahme die Untersagung der Beschaffung und Publikation von neuem Bildmaterial. Er ist auch der Meinung, dass «eine Veröffentlichung von Bildern aus dem Privatbereich die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Personen stärker einschränkt, als das öffentliche Intersse an einer solchen Publikation im Dienst Street View und das private Interesse von Google an der Aufnahme solcher Bilder zum Zwecke der Veröffentlichung und kommerziellen Nutzung dieser Bilder, dies rechtfertigen würde.» Es folgen die Aspekte, welche an der Medienkonferenz vom EDÖB übermittelt wurden.

Statistik

Laut offiziellen Angaben werden 98.4% der Gesichter und 97.5% der Autokennzeichen erfolgreich anonymisiert. Eine interne Studie von Forschern von Google geht bei Gesichtern aber von lediglich 89% und bei KFZ-Kenzeichen von 94 bis 96% aus. Bis heute wurden mehr als 20 Millionen Bilder veröffentlicht. Bei optimistischen Schätzungen sind somit 400’000 Bilder nicht unkenntlich gemacht. Unter Berücksichtigung der internen Angaben wurden sogar auf sage und schreibe 2.2 Millionen Bildern die Gesichter nicht ausreichend anonymisiert. Der EDÖB sieht hier einen nicht hinzunehmenden Mangel – denn selbst bei 99.5% Erfolgsrate würden immer noch 100’000 Bilder ungenügend anonymisiert sein.

Beanstandungen

Die Mängelliste ist lang. Sie beginnt bei der Zoomfunktion, denn durch diese wird die Situation besonders brisant. Die Identifikation von Personen ist durch die Dienstleistung Street View wegen diesem Feature einfacher als vor Ort. Denn dem menschliche Auge fehlt diese Eigenschaft. Ausserdem sieht man mehr, als man als Passant jemals bemerken würde. Zusätzlich sind die Kameras auf den Google-Autos auf 2.75 Metern montiert – Sichtschütze mit 1.80 bis 2.0 Metern Höhe bieten also keinen Schutz mehr. Somit wird auch der private Raum gefilmt, was die Privatsphäre verletzt und sogar strafrechtlich relevant ist. Laut Artikel 13 Absatz 1 der Schweizer Bundesverfassung hat jede Person Anspruch auf die Achtung ihres Privat- und Familienlebens sowie ihrer Wohnung. In Absatz 2 heisst es weiter: “Jede Person hat Anspruch auf Schutz vor Missbrauch ihrer persönlichen Daten.”

Die Rechtssprechung ist sich einig, dass hier potenziell eine Persönlichkeitsverletzung vorhanden sein kann – was Google bewusst riskiert. Durch die Isolation aus dem zeitlichen und geographischen Kontext besteht ausserdem viel Interpretationsraum. Beispiele:

  • In Zürich wurde vom Blick ein Wirt beschuldigt, mit Drogen zu dealen. Es stellte sich danach heraus, dass er lediglich Essensgutscheine verteilte.
  • Ein Nationalrat wurde mit einer schönen Frau auf dem Bundesplatz geknipst – eine Affäre? Falsch. Er war lediglich mit seiner Sekretärin unterwegs.

Als Passant bekommt man unbewusst viel mit, woran man sich danach nicht mehr erinnert, weil es in der Situation gar nicht aufgefallen ist. Mit den Bildern von Street View kann man nun aber analysieren und vergleichen – über Raum und Zeit hinweg.

Dazu kommt, dass der EDÖB zu Beginn nicht mit einem solchen flächendeckenden Material rechnete. Zu erwarten war eine Konzentration auf grosse Städte, wie in anderen Ländern üblich. Es liegt nun eine total andere Situation vor, als wenn in Paris oder London gefilmt würde – die Anforderungen ändern sich also extrem. Ausserdem sieht es so aus, als ob Google dies vollenden will und noch mehr Material online stellt. Es gibt in der Schweiz auch viel mehr Bereiche, wie zum Beispiel Wohnquartiere, die touristisch nicht relevant sind.

Auch aus technischer Sicht bestehen Probleme: Die Anonymisierung von Bildern aus dem eigenen Wohnort bringt nicht viel. Nachbarn erkennen auch mit verschwommenem Gesicht, wer da steht – z.B. anhand der Statur. Ausserdem gehören Vorplätze nach Bundesgerichtentscheid zum Privatraum. Auch hier macht es die Zoomfunktion noch einmal verheerender. Um einen minimalen Schutz zu bieten, sollen laut EDÖBs Willen alle Fahrten mindestens eine Woche im Voraus angekündigt werden. So kann sich jeder erkundigen, wo Aufnahmen gemacht werden und wann welche Region in Street View veröffentlicht wird.

Ein grundsätzliches Verbot von Street View will der EDÖB nicht. In der Nähe sensibler Einrichtungen wie Alterseime, Schulen, Sozialbehörden, Gefängnisse, Vormundschaftsbehörden, Gerichte, Spitäler und Frauenhäuser sollten aber spezielle Vorschriften zu beachten sein – das reine Unkenntlichmachen von Gesichtern reicht da nicht. Ausserdem gibt es Probleme mit zwischenstaatlichen Abkommen. So können zwischen den USA und der Schweiz legal solche Daten ausgetauscht werden.

Weitere Fakten:

  • Es ist bisher ein Anwalt bekannt, der eine Sammelklage angekündigt hat. Jedoch ist der Status unbekannt.
  • Hanspeter Thür war als EDÖB kürzlich in Madrid und hält fest, dass international eine genaue Beobachtung der Entwicklung in der Schweiz stattfindet.
  • Faktisch macht Google mit der Zoomfunktion als privates Unternehmen etwas, was nicht mal Journalisten dürfen. Sie lassen es zu, dass man aus einem generellen Schnappschuss des öffentlichen Raumes eine einzelne Person rauspicken kann – in guter Qualität.

Abschliessend machte uns der EDÖB darauf aufmerksam, dass er als Aufsichtsbehörde nur aufgrund aktueller Rechtsprechung reagieren kann. Es ist ihm nicht möglich, Verletzungen des Datenschutzgesetzes zu verhindern.

Die Meinung der Piratenpartei

Die Piratenpartei stellt sich hinter die Forderungen des EDÖB. Es ist richtig, dass nun ein Gericht über die Legalität entscheiden und (hoffentlich) der Klage stattgeben wird. Auch Marktriesen haben Gesetze zu respektieren!

Kommentare

One Response to “Google Street View, was geht?”

  1. Bundesgericht verlangt zuverlässige Anonymisierung für Street View. : Denis Simonets Blog
    April 4th, 2011 @ 16:20

    [...] lang ersehnte Entscheid ist da: Die Privatsphäre muss auch von Giganten wie Google respektiert werden! In Zukunft müssen [...]

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