Beitrag vom 29.09.2013

«Ich bitte Sie, das ist doch Zürcher Theater auf winziger Bühne»

Ringiers Doyen Frank A. Meyer über die Turbulenzen beim «Blick», seine Rolle als Strippenzieher, die Zukunft des Journalismus, das Internet als Schrotthalde und seinen grössten Irrtum

von Reza Rafi und Balz Spörri

Für den «Tages-Anzeiger» ist er das «Schlossgespenst» des Ringier-Verlags, für die «NZZ am Sonntag» der «Einflüsterer». Frank A. Meyer steht nach den jüngsten personellen Turbulenzen in der Redaktion des «Blicks», dem Stammblatt des Zürcher Medienkonzerns, im Fokus der Öffentlichkeit. Der Abgang der interimistischen Chefredaktorin Andrea Bleicher wird als Coup des 69-Jährigen gewertet, der sich selber als «Journalist im Hause Ringier» bezeichnet.

Als Meyer uns am vergangenen Mittwoch die Türe zu seinem Heim öffnet, riecht es nach frischer Farbe. Er und seine Gattin Lilith Frey sind vor drei Monaten in die Attikawohnung im Westen Berlins gezogen, «160 Schritte vom Kurfürstendamm». Die Villa in Dahlem wurde ihnen zu gross. Als Erstes fällt ein Ölgemälde auf, das den Gastgeber zeigt. Das dreistündige Gespräch wird nur einmal unterbrochen, als ein Kurier Blumen bringt. «Lilith hat heute Geburtstag.» Was seine Herzensdame zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiss: Er schenkt ihr ein Porträt von ihr, gemalt von derselben Künstlerin wie das seine, Tania Jacobi. Es ist etwas kleiner als jenes von Meyer.

Herr Meyer, was glauben Sie eigentlich, wer Sie sind?

(überlegt) Das kann ich nicht beantworten. Dem forsche ich nach. Und ich hoffe, dass Sie das auch tun. Eigentlich ist das der Sinn unseres Lebens. Jedenfalls gehört es zum Sinn unseres Lebens, dass wir der Frage nachgehen: Wer bin ich? Das ist die wunderbarste Frage, die es gibt. Aber ich kann sie nicht beantworten.

Auch nicht annäherungsweise?

Nein. Ich kann es banal beantworten: Ich bin Journalist, ich bin ein Mensch - ein Mensch, der liebt. Doch dann frage ich mich: Kann ich lieben? Sie stossen mich jetzt auf etwas ganz Wichtiges: Wenn man wissen will, wer man ist, kommt man immer auf die Frage: Kann ich lieben? Und auch da gibt es eigentlich keine Antwort.

Wer die Schweizer Zeitungen der letzten Tage las, hat das Gefühl, dass manche genau wissen, wer Sie sind: die graue Eminenz des Ringier-Verlags, der Strippenzieher im Hintergrund. Wer über Sie schreibt, schreibt nicht von Liebe, sondern von Macht.

Was Journalisten da geschrieben haben. Darf ich was Böses sagen?

Bitte.

«Journalist» ist ein grosses Wort für manche Leute. Wenn ich mitbekomme, welche Vorstellung Kollegen von mir haben, denke ich manchmal, Sigmund Freud könnte helfen. Ein Journalist der «NZZ am Sonntag», den ich noch nie getroffen habe, schreibt immer derart böse und obsessiv über mich, dass ich denke, der liebt mich eigentlich.

Jetzt sind wir wieder bei der Liebe.

Auch das ist eine Seite der Liebe: Sie kann ins Gegenteil umschlagen. Dieser Journalist ist für mich ein Stalker.

Ein Journalist, der Sie kritisch begleitet, ist ein Stalker?

Stalker können sehr aggressiv werden. Aber wenn jemand immer nur negativ über mich schreibt, ist das sein Problem, nicht meines. Darum kann ich mir die Berichterstattung über mich nicht erklären. Es kommt immer drauf an, wer über mich schreibt: Kennt er mich? Hat er negative Erfahrungen mit mir gemacht?

Das trifft bei einigen Journalisten zu, mit denen Sie einst zusammengearbeitet haben.

Das ist durchaus möglich. Ich hatte verantwortungsvolle Positionen inne, unter anderem als Publizistischer Leiter von Ringier. Es kann nicht allen gefallen, was man in einer solchen Funktion tut. Wenn man nur tut, was allen gefällt, tut man nichts.

Nichts existiert ohne Grund. Woher kommt die Obsession? Weshalb wird so über Sie geschrieben?

Vielleicht hängt es damit zusammen, dass man mich nicht kennt. Weil ich nie zur Medienszene gehörte, schon in jungen Jahren als Bundeshausjournalist in Bern nicht. Das bedeutete allerdings nie Ablehnung meiner Kollegen. Ich habe mich einfach um anderes gekümmert: um Politiker, um die, die die Dinge bewegen. Es ist allerdings nicht das erste Mal, dass eine Welle der bösartigen Bewunderung für meine Person durch die Journalistenszene schwappt. Es ist etwa das vierte, fünfte Mal. Und es war auch schon heftiger.

Nach der Entlassung eines Ihnen nahestehenden «Blick»-Journalisten titelte die «NZZ am Sonntag» jüngst «Abstieg des Einflüsterers», die «Basler Zeitung» schrieb «Meyer steht vor der Entmachtung».

Man muss mir schon einen unglaublichen Einfluss unterstellen, damit man schreiben kann: Jetzt verliert er ihn. Was soll ich damit anfangen? Ich lebe hier in Berlin und mache meine Arbeit.

Also interessiert Sie die Personalpolitik bei Ringier gar nicht?

Wer Einfluss hat, redet nicht darüber. Sonst verflüchtigt sich der Einfluss. Ich war jahrelang Publizistischer Leiter von Ringier. Da sollte ich doch einen gewissen Einfluss haben. Meine Gesprächspartner im Haus Ringier sind Marc Walder und Michael Ringier.

Und worüber reden Sie?

Wir reden über Journalismus, wir diskutieren! Und zwar intensiv. Beide sind ganz tolle Gesprächspartner. Es ist doch wunderbar, dass der Verleger, der operative Chef des Verlags und, sagen wir, der Doyen der Journalisten intensiv über Journalismus diskutieren. Anfang Woche fand eine Sitzung des Publizistischen Ausschusses statt. Thema waren der «Blick», der «SonntagsBlick» und «LIllustré». Und es wurde nicht über Zahlen, sondern ausschliesslich über journalistische Fragen nachgedacht und debattiert. Selbstverständlich kommen im Publizistischen Ausschuss auch Personalprobleme zur Sprache. Wo gibt es das schon: ein solches Gremium, in dem der Verleger und der Verlagschef sitzen sowie Jacques Pilet, ein grosser Journalist, der die Sache anführt. In anderen Verlagen müssten Journalisten eigentlich fragen: Warum haben wir das nicht?

Und alles ohne externe Berater im Raum, Ihre verhassten «Rollkoffer-Kommandos»?

Ich bin der Schrecken der Rollkoffer-Kommandos. Wenn ich für jemanden Verachtung habe, dann für Bürschchen, die an der Uni St. Gallen ausgebrütet und in Beraterfirmen scharfgemacht werden, die nie in ihrem Leben etwas Konkretes geleistet haben und die meinen, sie müssten ein Unternehmen umstellen. Das ist doch grotesk. Ich stehe dafür, dass Manager, wenn sie nachdenken, die Probleme selber lösen können. Dazu sind sie hoch bezahlt. Und Journalisten sollen über ihr Metier selber nachdenken. Mit einer Redaktion können Sie sogar übers Sparen reden. Da sitzen in der Regel intelligente Menschen.

Wird heute in den Verlagen zu wenig journalistisch gedacht?

Ich kenne die anderen Verlage nicht. Aber: Generell müssen wir davon wegkommen, ständig zu fragen, ob wir Zukunft haben, ob es weiterhin gedruckte Zeitungen und Zeitschriften geben wird.

Sondern?

Wir müssen über unser Handwerk nachdenken. Es ist ein Denkhandwerk. Gegenwärtig beobachte ich, dass junge Journalisten googeln statt denken. Das ist ein Problem. Einen Artikel über die deutschen Wahlen beispielsweise kann man ergooglen. Aber besser wäre, man würde ihn aus Erleben und eigener Analyse heraus schreiben. Ich begreife Journalismus als hoch bezahlten Bildungsprozess. Dem Leser schulden wir, dass er etwas von diesem Bildungsprozess mitbekommt. Er hat das Anrecht, durch einen Artikel ein Stück weiterzukommen. Das ist unsere Aufgabe. Dagegen ist es nicht unsere Aufgabe, Schaumkrönchen zu beschreiben.

Schaumkrönchen?

Die Schaumkrönchen auf dem Bielersee setzen im Sommer immer etwa um fünf Uhr ein, wenn am Nordufer die Sonne untergeht und die ersten Schatten kommen. Dann machen die Segler Regattenim Abendwind - einem Fallwind vom Berg. Da entsteht dann der Eindruck: Der See bewegt sich von Norden nach Süden. Doch es sind nur die Schaumkrönchen, die sich bewegen. Wir Journalisten sind aber für die Strömungen zuständig, nicht für die Schaumkrönchen.

Kümmerte sich der «Blick» unter der inzwischen ausgeschiedenen Chefin Andrea Bleicher zu wenig um die Strömung?

Sie reden vom Theater, das um einen Führungswechsel beim «Blick» gemacht wurde. Es könnte ja sein, dass hinter diesem Entscheid die Absicht stand, die unglaubliche Kraft des «Blicks» weniger oberflächlich umzusetzen. Wobei ich damit nichts gegen Unterhaltung sagen will. Ich will auch unterhalten werden. Sie können sich gar nicht vorstellen, was ich alles an Unterhaltendem lese.

Nämlich?

Ich könnte zum Beispiel mit meinem Wissen über Hyänen in einer Talkshow auftreten.

Über Hyänen?

Ja, weil ich in der «Süddeutschen Zeitung» kürzlich einen wunderschönen Artikel über das Sozialverhalten dieser oft so verachteten Tiere gelesen habe. Ich liebe Unterhaltung, ich liebe People. Wobei ich darauf bestehe: Es darf keinen Unterschied in der journalistischen Qualität geben. Jeder Text muss mit dem gleichen qualitativen Ehrgeiz geschrieben sein.

Nach Ihrem Votum kann man davon ausgehen, dass Sie daran beteiligt waren, dass Bleicher nicht Chefredaktorin des «Blicks» geworden ist.

Über den «Blick» redet man bei uns eigentlich immer. Er ist ein tägliches Thema. Natürlich redet man auch darüber, wer ihn wie macht. Bei Ihnen gibt es ja auch gerade einen neuen Chefredaktor. Jetzt könnten Sie Unterschriften sammeln: Der alte Chefredaktor soll bleiben! Ich bitte Sie, das ist doch Zürcher Theater auf winziger Bühne. Dazu passt die Frage: Warum hat Schawinski einen Bart? Das sind Zürcher Geschichten. Daran möchte ich mich nicht beteiligen. Wir sind doch erwachsene Menschen.

Journalistische Qualität kostet.

Seit Marc Walder Chef von Ringier ist, gibt es keine Sparmassnahmen im Bereich der Redaktionen. Bei der «Blick»-Gruppe wird sogar in die Redaktionen investiert, also mehr Geld statt weniger. Bei uns wird auch nicht untersucht, bei welcher Quadratmeterzahl ein Arbeitsplatz optimal profitabel ist, oder wo man noch an den Spesen sparen könnte. Marc Walder hat das Unternehmen in den vergangenen fünf Jahren völlig neu aufgestellt: Wir sind heute in 15 Ländern tätig. Wir sind im Entertainment-Bereich stark, wir sind im digitalen Bereich stark, die beiden Bereiche steuern bald 40 Prozent des Erlöses bei. Der Sinn dieser neuen Erlösströme ist es, Ringier als publizistisches Unternehmen stark und unabhängig zu machen. Bei uns redet man auch nicht von «Content for People».

Sondern?

Wir reden von Inhalten. Man übernimmt ja heute gedankenlos die Sprache der antijournalistischen Kamarilla, die sich an der Spitze der Verlage ausbreitet. «Content for People» ist nur ein Beispiel für diesen Unsinn. Man entleert die Zeitungen und ist dann erstaunt, wenn die Leute sagen, dafür bezahle ich nichts. Aber es gibt auch Gegenbeispiele, etwa die «Zeit» oder Frank Schirrmachers Feuilleton in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung», oder die grossen investigativen Leistungen der «Süddeutschen Zeitung».

Sie nennen Printbeispiele. Qualität ist auch online möglich.

Im Prinzip schon, aber etwas Grundlegendes ist anders: In der Zeitung finden Sie, was Sie nicht suchen. Die Zeitung ist Ihr Club. Mit Ihren Kollegen bilden Sie den Club «SonntagsZeitung». Und ich als Leser will wissen, was haben diese Kerle für mich wieder angerichtet. Das ist das Faszinierende an der Zeitung und der Zeitschrift. Online dagegen finde ich nur, was ich suche. Deshalb ist online schmal, wie grossspurig dieses Medium auch immer daherkommt.

Der Zürcher Soziologe Kurt Imhof beklagt in seinem Jahrbuch, das er letzte Woche veröffentlicht hat, die sinkende Qualität der Medien.

Ach, Pessimismus ist immer gut. Wer irgendeinen Untergang beschwört, erregt die Aufmerksamkeit der Journalisten. Bei solchen Befunden schwingt stets mit: Ich, der Professor, wüsste die Lösung für die Probleme. Diese wissenschaftliche Pose ist nett, aber wir Journalisten brauchen die Medienwissenschaft nicht.

Eine Aussenbetrachtung bereichert doch. Teilen Sie die Auffassung, dass die Zeitungen früher besser waren?

Wir sind heute weiter als in der Zeit der Parteizeitungen. Aber ich würde doch sagen, dass der Google-Journalismus ein Problem ist.

Was haben Sie eigentlich gegen das Internet?

Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, eine Schrotthalde vor mir zu haben. Im Internet steht alles, milliardenfach, sicher auch Gutes. Aber wo alles steht, wird das Gute zugemüllt.

Sie reden sich ins Feuer. Mit Ihrer Begeisterungsfähigkeit, Ihrer Überzeugung können Sie Menschen gewinnen.

Das macht man mir auch zum Vorwurf. In Artikeln über mich spüre ich oft viel Neid. Ich habe einen Weg gemacht, den kein anderer gemacht hat.

Ist es das, was Michael Ringier an Ihnen schätzt?

Wir haben eine intellektuelle Kongenialität. Aber dieses Wort dürfen Sie nicht schreiben, sonst heisst es gleich: Jetzt sagt er noch, er sei ein Genie. Darum sage ich es deutsch: Geistesverwandtschaft.

Sind Sie seelenverwandt?

In gewisser Weise. Doch Michael ist ein ganz anderer Typ, aus einer ganz anderen Welt. Ein Grossbürger aus einer Familie, die bescheiden auftritt, weil sie immer schon Geld hatte. Altes Schweizer Bürgertum, das noch Mass und Werte kennt. Ich stamme aus einer Arbeiterfamilie, die ebenfalls Mass und Werte kennt. Das hat mich geprägt. Und dann ist da noch das grosse Vertrauen zwischen Michael Ringier und mir - ein Grundvertrauen.

An der Dufourstrasse erzählt man, dass Sie Michael Ringier zur Macht verholfen haben.

Das ist so was von blöd. Dazu fällt mir nichts ein.

Ihr Vater war Uhrmacher bei Rolex. Ist das eine Rolex an Ihrem Handgelenk?

Nein, eine Omega. Aber ich habe noch eine Rolex, die mir mein Vater geschenkt hat. Und ich habe eine goldene Uhr, die mein Vater selber hergestellt hat. Diese Uhr ist für mich von allergrösstem Wert, ich wage kaum, sie zu tragen. Sehen Sie das Tischchen dort? An diesem Tischchen hat mein Vater zu Hause gearbeitet, jeden Abend, weil er in der Fabrik zu wenig verdiente. Manchmal arbeitete er sogar über Mittag. Er kam nach Hause, ass etwas und begann zu arbeiten. Auch meine Mutter war Heimarbeiterin. Sie klebte Uhrenarmbänder. Ich habe als Kind Schnalle und Schlaufe angebracht. Dazu hat mein Vater politisiert oder aus der Geschichte erzählt. Wir haben Hörspiele gehört am Radio, den ganzen Gotthelf damals oder «Polizischt Wäckerli». Es war eine Zeit grosser Geborgenheit. Ich stehe seither auf der Seite jener, die es nötiger haben, auch wenn ich selber es nicht nötig habe.

Sind Sie für die 1:12-Initiative?

Warum haben die Initianten nicht 1:20 gewählt? Damit hätten sie eine Chance gehabt.

Würde die 1:12-Initiative, auf Ringier angewandt, Ihren Lohn beeinträchtigen?

Das habe ich mir auch überlegt. Ich weiss aber nicht, was der niedrigste Lohn bei Ringier ist. Ich hoffe, dass er nicht niedrig ist.

Sie haben selber politische Erfahrung gesammelt ...

Ich habe mit Mario Cortesi zusammen in den Siebzigerjahren eine Partei gegründet, die Freien Bieler Bürger. Ich habe sie acht Jahre geführt. Sie war die zweitgrösste Partei in Biel. Ich wurde ins Parlament gewählt. Diese politische Erfahrung möchte ich nicht missen - sie gehört zu meiner Lebenssubstanz. Dafür bin ich dankbar. Ich hatte so viel Glück in meinem Leben.

Apropos Biel: Ihre Heimatstadt hat die höchste Sozialhilfequote der Schweiz, sie ist zudem das Zentrum der Islamisten.

Biel ist für mich eine wunderschöne Erinnerung. Die Offenheit dieser zweisprachigen Gesellschaft, das Unkomplizierte, die Bereitschaft, alles aufzunehmen, sogar das Schlimmste: die Islamisten! Ich sage manchmal: Wenn linkshändige Frauen aus Kuba in der Schweiz ein Filmfestival veranstalten möchten, dann wird es bestimmt von der Stadt Biel subventioniert.

Der Islam ist in Ihren Kolumnen ein grosses Thema. Zufall?

Mein grosses Thema sind Freiheit und Demokratie. Darum wird der Islam zum Thema. Mir ist es einerlei, welche Religion die Frauen und die Freiheit unterdrückt - ich bin gegen jede Religion, die sich als totalitäre Ideologie in die Gesellschaft einmischt.

Sind Sie für das Burkaverbot?

Absolut.

Die NZZ unterstellt Ihnen eine «arg grobkörnige» Meinung zum Islam.

Ich setze mich seit Jahren sehr intensiv mit dem Islam auseinander. Ich bin mit der Islamspezialistin Necla Kelek und dem ägyptisch-deutschen Politologen Hamed Abdel-Samad befreundet. Ich treffe Muslime, auch Islamisten. Meine Meinung ist überhaupt nicht grobkörnig. Aber entschieden antitotalitär bin ich schon, sogar militant, wenn es um die Unterdrückung der Frau geht.

Können Sie verstehen, dass Sie mit Ihrer Polemik Muslime auch verletzen?

Das glaube ich nicht. Ich kriege viele positive Zuschriften, auch von säkularen Muslimen, die sich allein gelassen fühlen. Ich habe nichts gegen Muslime, jeder soll zu seinem Gott beten. Doch der Islam ist eine Ideologie der Männermacht, die den Menschen wie die ganze Gesellschaft zu bestimmen sucht.

In der Schweiz leben Hunderttausende säkulare Muslime, die meisten aus Südosteuropa und der Türkei, die hier arbeiten und Steuern zahlen. Denen werfen Sie kollektiv vor, einer politischen, antidemokratischen Ideologie anzugehören.

Im Gegenteil! Wir müssen die säkularen Muslime unterstützen, die ihre Religion spirituell und nicht politisch leben.

Ist der Islam für Sie eine Bedrohung des Abendlandes?

Wir werden sicher nicht Opfer des Islam. Leider reden wir unsere westliche Kultur allzu oft klein. Dabei verfügt sie über eine ungeheure Kraft. Europa ist der wirtschaftlich und kulturell potenteste Raum der Welt. Wo wäre solch ein freimütiges Interview, wie wir es hier zusammen führen, noch möglich? In Saudiarabien? In Russland? In China? Wir leben in der grossartigsten Kulturwelt, die es je gab - in Europa.

Und die Schweiz macht nicht mit.

Sie ist Passivmitglied. Das ist ja auch schon etwas.

Soll sie Aktivmitglied werden?

Langfristig kann sich die Schweiz schon aus Eigeninteresse der EU nicht entziehen. Gegenwärtig wird die Schweiz eingeholt von vielen Schlaumeiereien, die sie sich im Schatten des Kalten Krieges leisten konnte. Heute wird das Schwarzgeldgeschäft international geächtet. Und auch unsere Steueroasenpolitik muss unter Druck von G-20, OECD und EU revidiert werden. Ich war lange allein mit meiner Kritik in diesen Fragen.

Durch die Finanzkrise wurden Sie in Ihrer Kritik am Neoliberalismus und am Bankgeheimnis bestätigt. Wo haben Sie sich geirrt?

(denkt nach) Ich habe mich sicher geirrt, und nicht nur einmal, auch politisch. Zum Beispiel personell: als ich dagegen ankämpfte, dass Willi Ritschard Bundesrat wird. Es war mein peinlichster Irrtum! Er wurde dann mein bester Freund.

Sie schreiben noch immer sonntags und montags über Schweizer Politik - warum von Berlin aus?

Lilith und ich haben das vor sieben Jahren in gemeinsamer Euphorie beschlossen. Sehen Sie, der einzige wirkliche Luxus sind Raum und Zeit. Ich lebe im europäischen Raum. Und Berlin bedeutet eine neue Zeit. In dieser vielfach gebrochenen Stadt flaniere ich täglich durch die Geschichte. Und nicht nur die Geschichte ist präsent, Berlin ist voller Kultur und Politik. Es ist also alles da, was ich brauche. Sogar eine neue publizistische Heimat habe ich gefunden: im Ringier-Magazin für politische Kultur, «Cicero» - einer Publikation, die grösstes Prestige geniesst. Ich will nicht landen, ich will starten.

Publiziert am 29.09.2013
von: sonntagszeitung.ch





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