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Geschichte

Station 14: Siegbert und Lotte Rotholz - Angehörige der Widerstandsgruppe Baum

von Johannes Tuchel
 
Denkmal für die Widerstandsgruppe Herbert Baum im Jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee, 2007
Denkmal für die Widerstandsgruppe Herbert Baum im Jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee, 2007, © Privatarchiv Horst Zeitler, Berlin
Die Widerstandsgruppe um den 1912 geborenen Elektriker Herbert Baum* bestand aus mehreren Freundeskreisen junger Menschen, die dem Kommunismus nahestanden und durch ihre gemeinsamen Verfolgungserfahrungen als Juden geprägt waren. Deshalb werden Herbert Baum und seine Mitkämpfer häufig als jüdische Widerstandsgruppe (jüdischer Widerstand*) bezeichnet oder als Kreis einer gegen das nationalsozialistische Regime gerichteten Jugendopposition gedeutet. Hervorzuheben bleibt aber, dass die Menschen in den Kreisen um Herbert und Marianne Baum* sich selbst stets als Angehörige der kommunistischen Widerstandsbewegung begriffen haben.
 

Die Widerstandsgruppe Baum

Sie kannten sich teilweise seit dem Ende der Weimarer Republik und hatten früh erste Erfahrungen im Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime gesammelt. 1938/39 fanden sich einige der jüdischen Freunde von Herbert Baum erneut zusammen und versuchten, in Gesprächs- und Schulungskreisen eigenständige Formen des Protestes und des Widerstands zu entwickeln. Wegen der rassistischen Verfolgung durch die Nationalsozialisten waren sie besonders bedroht und stellten so in den kommunistischen Widerstandsorganisationen als doppelt Gefährdete ein zusätzliches Risiko dar. Sie waren zunehmend isoliert, aber durch ihre gemeinsamen Erfahrungen als Jugendliche, als Juden und als Kommunisten geeint. Mit ihren Flugschriften, die nur zum Teil überliefert sind, wollten sie die deutsche Öffentlichkeit aufrütteln, zugleich aber auch ein Zeichen ihrer politischen und moralischen Selbstbehauptung setzen.
 
Durch zur Wehrmacht eingezogene Freunde waren sie über die Wirklichkeit des Krieges informiert und wiesen mehrfach in ihren konspirativ verteilten Flugschriften auf die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen hin. Seit dem Überfall deutscher Truppen auf die Sowjetunion im Sommer 1941 verbreiteten sie wiederholt Flugblätter, um so auf das Unrecht und die gefährlichen Folgen des Krieges aufmerksam zu machen.
 

Der Brandanschlag auf die Propagandaausstellung "Das Sowjet-Paradies"

Doch die Aktivitäten der Gruppe Baum beschränkten sich keineswegs nur auf Schulungen und auf das Verteilen von Flugblättern. Die Protestaktion gegen die Propagandaausstellung "Das Sowjet-Paradies"* in Berlin war ein Fanal gegen das wohl ambitionierteste Projekt der nationalsozialistischen Propaganda. Eine riesige Halle mit mehr als 3.000 Quadratmetern Grundfläche wurde im Mai und Juni 1942 im Berliner Lustgarten aufgestellt; allein in Berlin sahen 1,2 Millionen Besucher die angeblichen Lebensverhältnisse in der Sowjetunion. Kein Wunder, dass Herbert Baum und seine Freunde gegen diese Ausstellung protestieren wollten, indem sie kleine Behälter mit entzündbarer Flüssigkeit an verschiedenen Stellen der Ausstellung verteilten. Weil die Feuerwehr unmittelbar nach der Entdeckung des ersten Brandes zur Stelle war, wurden die nur schwachen Flammen rasch gelöscht.
 
Den Mitgliedern der Widerstandsgruppe ging es mit dieser Aktion aber nicht vorrangig darum, die Ausstellung zu zerstören, sondern ein Zeichen des Protestes zu setzen und ihre Gegnerschaft zur NS-Diktatur zu demonstrieren. Die Gruppe wollte mit ihrer Tat vor allem gegen die Behauptung protestieren, die Russen seien "slawische Untermenschen". Zudem richtete sich der Anschlag gegen die Verbindung von antijüdischer und antikommunistischer Propaganda. Trotz des geringen Schadens war diese Aktion ein Fanal, das ähnlich zu werten ist wie die Flugblattaktionen von Hans und Sophie Scholl* in München am 18. Februar 1943. Der Brandanschlag vom 17. Mai 1942 war das sichtbarste Zeichen des jüdischen Protestes gegen die nationalsozialistische Diktatur in Berlin.
 
Nach dem Brandanschlag auf die Propagandaausstellung wurde die Gruppe von der Geheimen Staatspolizei aufgedeckt. Mitte Juli 1942 begannen die ersten Prozesse gegen Mitglieder der Gruppe um Herbert Baum und Werner Steinbrink vor dem Sondergericht Berlin. Insgesamt fanden mindestens sechs Gerichtsverfahren gegen die Gruppe Baum und ihre Helfer statt. Drei der Verhafteten begingen in der Untersuchungshaft Selbstmord, neben Herbert Baum auch Walter Bernecker und Elfriede Schaumann. Immer wieder wurden die Verhafteten "verschärft vernommen", also misshandelt und gefoltert. Am 16. Juni 1942 fand der erste Prozess statt und endete mit Todesurteilen gegen neun Angeklagte. Am 10. Dezember 1942 wurden weitere neun Mitglieder der Gruppe, am 21. Mai 1943 noch einmal drei, zum Tode verurteilt. Insgesamt fielen mehr als 20 Menschen der Gruppe Baum der nationalsozialistischen Verfolgung zum Opfer.
 

Lotte und Siegbert Rotholz

Zu den Mitgliedern der Gruppe Baum gehörten auch Lotte und Siegbert Rotholz. Siegbert Rotholz, am 14. September 1919 in Berlin geboren, besuchte die Jüdische Knabenvolksschule. Er gehörte dem 1933 gegründeten zionistischen Jugendbund "Habonim"* bis zu dessen erzwungener Auflösung im November 1938 an. Da ihm als Jude eine Ausbildung verwehrt wurde, arbeitete er als Hilfsarbeiter in einer Polsterei und als Hausdiener, bevor er eine landwirtschaftliche Ausbildung als Vorbereitung für eine Auswanderung aus Deutschland begann. Er konnte seine Pläne jedoch nicht realisieren und arbeitete zwischen 1938 und 1940 als Arbeiter in Abrissfirmen, seit dem 1. November 1941 in einer Einkaufsgenossenschaft als Kohlenarbeiter zur Zwangsarbeit dienstverpflichtet. Zusammen mit seiner großen Familie wohnte er in einer Kellerwohnung in der Rombergstraße in der Nähe des Alexanderplatzes.
 
Am 10. Dezember 1941 heiratete er Lotte Rotholz, geborene Jastrow. Sie zogen in das Vorderhaus der ehemaligen Synagoge in der Lindenstraße 48/50. Lotte Jastrow war am 25. September 1923 in Bentheim geboren. Ihre Familie zog 1925 nach Forst/Lausitz, wo ihr Vater Willy Jastrow als Prediger und Religionslehrer der Jüdischen Gemeinde arbeitete. 1933 siedelte die Familie nach Berlin über, wo der Vater in derselben Funktion in der Synagoge in der Lindenstraße 48/50 arbeitete und mit seiner Familie im Vorderhaus wohnte. Lotte Jastrow absolvierte bis 1938 die IV. Jüdische Volksschule der Jüdischen Gemeinde Berlin. Nach ihrem "Pflichtjahr" in einem Haushalt, das seit 1938 für alle Mädchen und Frauen unter 25 Jahren obligatorisch war, absolvierte Lotte Jastrow zwei Jahre lang eine Schneiderlehre, bevor sie dann als Arbeiterin zur Großwäscherei Spindler dienstverpflichtet wurde und hier in der Expedition und in der Wäscheannahme arbeitete. Ihr Bruder Manfred war bereits 1936 nach Argentinien emigriert, der Vater im Juni 1941 gestorben. Bis nach der Hochzeit Siegbert Rotholz zu ihr zog, lebte Lotte Jastrow zusammen mit ihrer Mutter Caecilie, geb. Brczezinski, in der Wohnung im Vorderhaus der Lindenstraße 48/50, während die Synagoge selbst von den Nationalsozialisten als Getreidespeicher missbraucht wurde.
 
Lotte Jastrow hatte bis zu dessen Verbot 1937 dem Ring - Bund deutsch-jüdischer Jugend angehört. Er war im Dezember 1933 als Zusammenschluss aus Deutsch-Jüdischer Jugendgemeinschaft (DJJG), liberaler Jugend Ili, jüdischen Jugend- und Kinderscharen und C.V.-Gruppen als Reaktion auf die Situation der Verfolgung der jüdischen Jugendbewegung 1933 gegründet worden. Gleichzeitig gehörte sie den "Werkleuten" an, die ihre Mitglieder intensiv auf eine Auswanderung nach Palästina vorbereiteten. Im Oktober 1940 lernten sich Lotte Jastrow und Siegbert Rotholz kennen.
 

Der Diskussions- und Schulungskreis

Spätestens seit Frühjahr 1941 beteiligte sich Siegbert Rotholz an einem Diskussions- und Schulungskreis um Heinz Joachim. Hier trafen sich junge Jüdinnen und Juden, die tagsüber schwere Zwangsarbeit in Berliner Fabriken leisten mussten, aber nicht gewillt waren, dem Nationalsozialismus den politischen Gestaltungsanspruch zu überlassen. Ihre Diskussionen und Schulungen verstanden sie als Vorbereitung für weitere politische Aktionen gegen den Nationalsozialismus, zu denen das Verbreiten von Flugschriften und das Anbringen von Wandparolen gehörten. In der Wohnung von Heinz und Marianne Joachim, später auch in den Wohnungen von Lothar Salinger und des Ehepaars Rotholz trafen sich u. a. Felix Heymann, Lothar Salinger, Sala Kochmann, Hella und Alice Hirsch, Heinz und Marianne Joachim, Helmut Neumann, Ursula Ehrlich, Siegbert und Lotte Rotholz, Hildegard Loewy. An einigen Abenden kam auch Herbert Baum hinzu. Diskutiert wurde u. a. längere Zeit über Lenins 1917 entstandenes Werk "Staat und Revolution", aber auch über August Bebels 1879 erstmals erschienene Schrift Die Frau und der Sozialismus.
 
Siegbert Rotholz nahm zuerst bei den Joachims an den Diskussionsabenden teil. Später stellte er dafür auch seine Wohnung in der Lindenstraße 48-50 zur Verfügung. Auf einem der Schulungsabende wurde ebenfalls eine Ausgabe der nationalsozialistischen Wochenzeitung Das Reich diskutiert, an einem anderen Abend hielt Siegbert Rotholz einen Vortrag über Jugenderziehung und Pädagogik. Selbst Lotte Rotholz nahm an den Diskussionsabenden teil. Gleichzeitig dienten diese Abende aber immer wieder der Vorbereitung von konkreten Aktionen.
 

Festnahme und Ermordung

,Die ersten Angehörigen der Gruppe Baum wurden am 22. Mai 1942 festgenommen. Am 16. Juli 1942 sprach das Sondergericht Berlin die ersten Todesurteile, die dann am 18. August 1942 in Berlin-Plötzensee vollstreckt wurden. Siegbert Rotholz wurde am 15. Juli 1942 verhaftet, seine Frau Lotte am 10. August 1942. Am 10. Dezember 1942 verurteilte der national-sozialistische "Volksgerichtshof" Heinz Rotholz, Heinz Birnbaum, Hella Hirsch, Hanni Meyer, Marianne Joachim, Lothar Salinger, Helmut Neumann, Hildegard Loewy und Siegbert Rotholz zum Tode. Lotte Rotholz erhielt eine Strafe von acht Jahren Zuchthaus.
 
Siegbert Rotholz wurde am 12. Dezember 1942 aus der Untersuchungshaftanstalt Berlin-Moabit in das Strafgefängnis Berlin-Plötzensee* gebracht und dort am 4. März 1943 durch das Fallbeil hingerichtet. Seine Karteikarte aus Plötzensee nennt noch "Lindenstraße 48/50" als seinen Wohnort. Seine Mutter wurde am 3. Februar 1943, sein Vater am 19. April 1943, seine Schwester Irma Joseph mit ihren vier Kindern am 28. Juni 1943 in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau* deportiert und dort ermordet. Ihre Todesdaten sind unbekannt.
 
Lotte Rotholz wurde vom Frauengefängnis in der Berliner Barnimstraße zur Strafverbüßung in das Zuchthaus Cottbus gebracht, von hier aus am 12. Oktober 1943 zurück nach Berlin in das Deportationssammellager in der Großen Hamburger Straße überführt und schließlich gemeinsam mit zwei anderen Frauen aus der Gruppe um Herbert Baum, Alice Hirsch und Edith Fraenkel, am 14. Oktober 1943 mit dem sogenannten "44. Osttransport" in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Ihr Todesdatum dort ist unbekannt (vgl. zu Lotte Rotholz den Artikel "Legalisierter Raub und Deportation", Station 06).
Redaktionell verantwortlich: Sabine Wähling, LISUM
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