Letzte
Gedichte.
Gedichte von Michael
Hamburger (2009,
Folio
Verlag, Nachwort von Iain
Galbraith - Übertragung Klaus Anders,
Uwe Kolbe,
Jan Wagner,
Franz
Wurm).
Besprechung von Carl Wilhelm Macke aus dem titel-magazin,
15.06.2009:
Die Wahrheit der Dichtung
Carl Wilhelm Macke über Die letzten Gedichte von
Michael Hamburger
Soll man an erster Stelle den kleinen österreichisch-südtiroler Folio Verlag
rühmen für seine Treue gegenüber einem stillen, nur in Kennerkreisen hoch
angesehenen Schriftsteller? Oder gilt es, die Übersetzer besonders
hervorzuheben, die die gewiss nicht immer leicht eingängigen Gedichte so gut
aus dem Englischen in die deutsche Sprache übertragen haben? Oder sollte man
zuerst Iain Galbraith nennen, der
seit Jahren schon mit großer Sorgfalt das Werk des Dichters pflegt und
herausgibt? Nachdem es jahrelang besonders vom Münchner Hanser Verlag (von
Michael Krüger persönlich) betreut
worden ist, hat das Werk jetzt eine Heimat im Folio Verlag gefunden – und es
ist eine gute Heimat. In der Folio-Edition des Werkes von Michael Hamburger
stimmt einfach alles und niemanden darf man vergessen, wenn man für die
Lektüre der Gedichtbände dieses Dichters werben will, der seine Obstbäume so
liebte wie die Gedichte von Hölderlin
und mit seinen eigenen Gedichten so sorgsam umging wie mit seinen unendlich
vielen Apfelbäumen in Suffolk.
Neben Erich Fried war Michael Hamburger der wohl bedeutendste, fleißigste
und in seinem Sprachempfinden sensibelste Übersetzer zwischen der
deutschsprachigen und der englischen Literatur in der zweiten Hälfte des 20.
Jahrhunderts. 1924 in einem jüdischen Elternhaus in Berlin geboren,
flüchtete er bereits 1933 nach London, bekämpfte während des Krieges in den
Reihen der British Army den Nationalsozialismus und war anschließend
jahrzehntelang ein „Got Between“ zwischen deutscher und englischer
Literatur. Dass bedeutende Teile der Lyrik von
Hölderlin,
Rilke,
Celan, Huchel,
Enzensberger in guten englischen
Übersetzungen vorliegen, ist Hamburger zu verdanken. Ein guter Freund der
späten Jahre war ihm der ebenfalls in England lebende
W. G. Sebald, der dem bescheidenen, auch
kauzigen Hamburger in seinen Ringen des Saturn ein wunderbares
kleines literarisches Denkmal erschrieben hat.
Umgekehrt wurde Michael Hamburger nicht müde, dem deutschen Publikum
T. S. Eliot,
Dylan Thomas,
Wendell Berry,
W. B. Yeats, kurz die modernen
englischsprachigen Klassiker, nahezubringen. Und dann verdanken ihm seine
englischen wie deutschen Leser auch wichtige theoretische Arbeiten zur
Modernen Dichtung, allen voran The Truth of Poetry. Nur wenige gab es
zu seinen Lebzeiten, die beides miteinander verbinden konnten: das
Nachdenken über die Poesie und das eigene Schreiben von Gedichten. Wer das
Glück hatte, ihn einmal persönlich erlebt zu haben, wird dieses
Understatement, diese Bescheidenheit bei gleichzeitigem großen Wissen über
klassische und moderne Lyrik nie vergessen.
Sebald ist ihm in seinem Porträt sehr nahegekommen.
Gärtnern und Schreiben
Bis in seine letzten Lebensjahre hinein schrieb Hamburger Gedichte, wenn er
sich gerade einmal nicht in seinem fantastischen großen Obstgarten aufhielt.
Und genau zwischen diesen beiden Welten, der aufblühenden und verwelkenden
Natur da draußen im Garten und dem genauen Wahrnehmen des eigenen Alterns,
ist ein großer Teil der Letzten Gedichte von Michael Hamburger
angesiedelt: „Hellster Juli zwischen Dunkelheiten, / doch kalt, als warte
alles auf den Herbst, / den Winter oder einen weiteren Frühling / mit
durchnäßten Jonquillen, vergehenden Pflaumenblüten, / die kriegerische Winde
zerfetzen“ (in der Übersetzung von
Jan Wagner). Wer sich auf
seine Lyrik einlässt, muss etwas wissen von Obstsorten und Pflanzennamen.
Oder seine Gedichte lesend wird man langsam selbst zu einem Kenner der
verschiedensten Apfel- und Pflaumensorten. „Seit fast vierzig Jahren ist das
Gärtnern neben dem Schreiben meine Hauptbeschäftigung … Darum wurde auch das
Gärtnern für mich schon früh zu einer Analogie zum Politischen und
Gesellschaftlichen.“ Und deshalb folgen einem „Gartengedicht“ oft
unmittelbar Gedichte über das eigene Altern oder die Wahrnehmung des Alterns
in einer Gesellschaft, die Hamburger zuletzt immer unheimlicher, immer
unmenschlicher geworden ist. „Wieder Nirgendwo. Die Leere, / von Werbung
erhelltes Zwielicht, / während über der unsichtbaren, erahnten, / der
unerreichbaren Stadt dort draußen / die noch nicht gänzlich vereinheitlichte
/ wirkliche Sonne scheint“ (in der Übersetzung von
Jan Wagner).
Vielleicht stimmt es ja, was Iain Galbraith in seinem Nachwort zu den
Letzten Gedichten schreibt. Viele „dunkle oder schwierige Stellen in
diesen Gedichten wollen oder müssen dunkel und schwierig bleiben“.
Vielleicht aber müssen wir uns nur immer wieder seinen Gedichten mit der
gleichen Sorgfalt nähern, wie sich Michael Hamburger um seine geliebten
Obstbäume gekümmert hat. Um so, wie er es einmal in einem seiner
theoretischen Texte geschrieben hat, „immer wieder den Zugang von der
Vernunft zur Unvernunft, und umgekehrt zu finden, damit die Vernunft nicht
noch zerstörerischer wird als die losgelassene Unvernunft“.
[...diese
und weitere Besprechungen finden Sie unter ]
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