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Volkskammer der DDR stimmt für Beitritt

Am Morgen des 23. August 1990 stimmt die Volkskammer nach einer hektischen Sitzung für den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland. Bis zuletzt wurde um den konkreten Termin gerungen. Aber auch die Frage nach einer gemeinsamen deutschen Verfassung hatte für Diskussionen gesorgt.

Die Sondersitzung der DDR-Volkskammer verlief von Anfang an "äußert hektisch", erinnert sich deren damalige Präsidentin Sabine Bergmann-Pohl. Immer wieder musste die am 22. August um 21 Uhr abends begonnene Sitzung unterbrochen werden, um Gespräche zwischen den Fraktionen zu ermöglichen. Bis zuletzt wurde um das Beitrittsdatum der DDR zur Bundesrepublik Deutschland gerungen. Schließlich konnten sich die Fraktionsspitzen von CDU/DA, DSU, FDP und SPD auf einen gemeinsamen Antrag einigen, der den 3. Oktober als Termin vorsah. Kurz vor drei Uhr am Morgen des 23. August 1990 stimmte eine Mehrheit der Abgeordneten (294 zu 62 Stimmen) für einen Beitritt der DDR gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes. Am selben Tag eröffnete in Bonn der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl die Sitzung des Deutschen Bundestages mit einer Regierungserklärung. Die Volkskammer habe "uns alle in die Pflicht genommen", so Kohl. Und: "Der heutige Tag ist ein Tag der Freude für alle Deutschen."

Noch im Januar 1989 hatte die "Washington Post" kommentiert, das Wiedervereinigungsgebot in der Präambel des Grundgesetzes sei ein längst überkommenes Wunschbild. Doch die friedliche Revolution und der Fall der Berliner Mauer im November 1989 änderten alles. Auch wenn die Idee des Fortbestands der DDR als eigenständiger Staat durchaus Befürworter fand, nahm doch der Plan zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten im Laufe des Jahres 1990 immer konkretere Gestalt an. Auf Demonstrationen riefen die Menschen nun nicht mehr "Wir sind das Volk" - die Parole vom Herbst 1989 - sondern skandierten "Wir sind ein Volk". Auch die "Allianz für Deutschland", mit 48 Prozent Wahlsieger der ersten freien Volkskammerwahlen im März 1990, setzte sich für einen Beitritt der DDR zur Bundesrepublik ein. Angesichts dieser Mehrheitsverhältnisse im ostdeutschen Parlament, der desolaten wirtschaftlichen Lage in der DDR und den weit fortgeschrittenen Verhandlungen mit der Bundesrepublik und den Siegermächten war der Beitritt bald nur noch eine Frage der Zeit.

Bei der Debatte um den besten Weg der Vereinigung spielte vor allem die Frage nach der künftigen deutschen Verfassung eine entscheidende Rolle. Rechtlich betrachtet gab das Grundgesetz der Bundesrepublik (GG) zwei Wege vor, auf denen sich die Wiedervereinigung vollziehen konnte: Nach Artikel 23 GG konnten "andere Teile Deutschlands" dem Geltungsbereich des Grundgesetzes beitreten. Dies ermöglichte einen raschen Beitritt der DDR. Eine andere Variante eröffnete der Artikel 146 GG. Demnach verliert das Grundgesetz an dem Tage seine Gültigkeit, "an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist". Eine neue, gesamtdeutsche Verfassung hätte also das Grundgesetz ablösen können.

Eine überwiegende Mehrheit der Ost- und Westdeutschen sprach sich für das Grundgesetz als gesamtdeutsche Verfassung aus, da sie sich hierdurch eine rasche und unkomplizierte Lösung versprachen. Laut einer Umfrage des Wickert-Instituts vom 26. Februar 1990 bevorzugten fast 90 Prozent der Westdeutschen und gut 84 Prozent der Ostdeutschen diese Lösung. Dafür trat auch der Wahlsieger der Volkskammerwahlen, die "Allianz für Deutschland" ein. Dem Wahlbündnis gehörten neben der CDU noch der Demokratischer Aufbruch (DA) und die Deutscher Soziale Union (DSU) an. Eine Minderheit, darunter vor allem DDR-Bürgerrechtler und viele Sozialdemokraten, plädierten hingegen für eine neue Verfassung gemäß Artikel 146 GG. Sie waren der Meinung, dass Bonn die DDR nicht einfach "annektieren" solle. Doch die Lösung gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes wurde immer wahrscheinlicher durch den Wahlsieg der "Allianz für Deutschland" und den Staatsvertrag über die Schaffung einer Wirtschafts-, Währungs-, und Sozialunion vom 18. Mai 1990. Damit übernahm die DDR zum 1. Juli 1990 große Teile der Wirtschafts- und Rechtsordnung der Bundesrepublik und führte die D-Mark ein.

Am 6. Juli 1990 begannen schließlich die Verhandlungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR über den Einigungsvertrag (2. Staatsvertrag) nach Artikel 23 GG, die mit dem Volkskammer-Entscheid am 23. August ihren Abschluss fanden. Bereits eine Woche später unterzeichneten die beiden Verhandlungsführer Wolfgang Schäuble und Günther Krause im Ost-Berliner Kronprinzenpalais den rund 1.000 Seiten schweren Einigungsvertrag, der den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik regelte: Mit dem Vertrag wurde die Verfassungs- und Rechtsordnung der DDR außer Kraft gesetzt und das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland auf das bisherige Gebiet der DDR ausgedehnt.

Am 12. September erfolgte schließlich die Unterzeichnung des Zwei-plus-Vier-Vertrages, mit dem Deutschland von den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges seine volle Souveränität zurückerhielt. Der Weg zur Vereinigung war endgültig frei: Am 3. Oktober 1990 trat die DDR der Bundesrepublik Deutschland bei. Das Grundgesetz wurde damit zur gesamtdeutschen Verfassung, wie es auch der geänderte Artikel 146 zum Ausdruck bringt: "Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist."

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