DANN ISS HALT WAS! Christian Frommert spricht im zweiten Teil unseres Interviews über Reaktionen auf sein Buch
BÜRSTADT/BENSHEIM - Seit Montag ist das Buch „Dann iss halt was!“ von Christian Frommert auf dem Markt. Wir sprachen mit dem Bürstädter.
Wollen Sie mit Ihrem Buch die Krankheit für Außenstehende besser verständlich machen?
Ich will Einblicke geben, es ist kein Ratgeber.
- ISBN
Christian Frommerts Buch „Dann iss halt was! – Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe“ ist ab sofort im Handel erhältlich.
Originalausgabe: gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 320 Seiten, ISBN: 978-3-442-39246-9; Preis 19,99 Euro.
Das Vorwort hat der Manager der deutschen Fußballnationalmannschaft, Oliver Bierhoff, geschrieben.
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Aber man soll sich besser hineinversetzen können.
Ich will dieses Thema enttabuisieren und den Leuten sagen: Man kann es ansprechen, es tut nicht weh. Das sind meine Erfahrungen. Habt Ihr ähnliche? Gut. Habt Ihr andere? Auch gut. Mehr will ich eigentlich nicht. Ich erzähle meine Geschichte. Darin werden sich womöglich einige wiederfinden. Einige gar nicht. Manche sagen vielleicht, es sei maßlos, was ich über diese Klinik schreibe. Die ist toll. Die ist prima. Ich bin schon zum fünften Mal dort. Und dann komme ich und sage: Genau das ist das Problem. Wie kann ich eine Therapie angehen, die angeblich toll ist – aber dann fünfmal hingehen, weil ich fünfmal rückfällig werde? Ich möchte einfach die Möglichkeit geben, diese Krankheit kennenzulernen und die Momente, die sie auslösen könnten. Das Buch wendet sich vor allem auch an das Umfeld von Essgestörten, für das es oft viel schwerer ist, damit umzugehen, denn Verwandte, Freunde und Bekannte wissen oft nicht, wie man mit der Krankheit umgeht. Entweder man reagiert gar nicht, oder falsch. Oder was passiert nach der Klinik? Wo ist das Auffangbecken? Da sehe ich momentan gar nichts. Man geht in eine Klinik, irgendwann spuckt die Klinik einen aus, und man ist völlig ratlos. Ich kam nach Hause und stand in meiner Küche. Zuvor wollte ich nichts lieber, als aus der Klinik rauszukommen. Und dann war ich zu Hause und wollte nichts lieber als zurück in die Klinik. Ich wusste überhaupt nicht mehr, wer mir mein Essen macht, wer mir sagt, wann ich wo zu sein habe.
Wie gehen Sie mittlerweile mit der Krankheit um?
Die Krankheit geht mit mir um. Es ist nach wie vor so, dass ich meine ganz festen Rituale habe. Ich lebe nach wie vor in einer Welt des Verzichts und der Zwänge. Morgens früh raus und aufs Rad. Selbst wenn ich mir sage: Morgen geht’s mal nicht aufs Fahrrad... es geht einfach nicht. Mir geht es besser, denn ich sehe mehr und mehr ein, dass die Krankheit mir nicht gut tut. Immer wenn die Anorexia mir gut getan hat, bezieht man sich darauf. Das ist so nicht mehr. Aber: Wenn, wie in der letzten Zeit, viel auf einen einströmt, gibt sie dir einen Rückzugsraum. Sie legt nicht mehr den Arm um mich, aber sie bietet mir immer wieder eine Schulter.
Ist Heilung möglich?
Das sicher nicht. Essgestört bleibt man ein Leben lang. Wenn man mal geraucht hat, kann man zwar aufhören, aber man wird nie zum Nichtraucher. Es passiert immer etwas im Kopf. Selbst wenn ich 40 Kilogramm zunehme, erinnere ich mich noch an die Magersucht. Das kriegt man nicht weg. Mann muss versuchen, damit zu leben oder wie meine Therapeutin sagt: Man darf nicht auf die Stimmen der Magersucht hören, die werden immer da sein. Man muss einfach lernen, wegzuhören.
Wie hat Ihr Umfeld auf das Buch reagiert?
Es kannte ja keiner den Inhalt, nur das Thema. Eine Mischung aus gespannter Erwartung. Keiner aus meinem Umfeld hat es vorher gelesen. Alle freuen sich für mich und wissen natürlich, dass ich sehr offen und transparent bin. Dass persönliche Erlebnisse ebenso beschrieben sind wie berufliche Stationen. Anekdoten werden mal etwas leichter beschrieben, mal etwas schwerer. Geschichten von der Tour de France schildern, was man bisher so noch nicht gelesen hat. Aber es sind jetzt keine Enthüllungen, und ich pinkle niemandem ans Bein. Ich bin gespannt. Es braucht aber keiner Angst zu haben, sehr viele Namen sind geändert. Einige Klarnamen gibt es. Es wäre absurd gewesen, beispielsweise den Namen meiner früheren Freundin zu ändern, weil ich nun einmal nur eine 17 Jahre währende Freundschaft hatte. Jeder, der mich kennt, weiß, dass das Gabi war. Es wäre albern gewesen, sie Michaela zu nennen. Natürlich werde ich einigen Leuten auf den Schlips treten. Am meisten trete ich mir aber selbst in den Hintern – da bin ich schonungslos mit mir. Ich spreche darüber hinaus Entwicklungen an, die zunächst hart formuliert zu sein scheinen. Wer sich wirklich damit beschäftigt, merkt schnell, dass es im Gegenteil liebevoll gemeint ist. Das Einzige, was ich entblöße, ist: mich.
Haben Sie Angst vor den Reaktionen?
Angst nicht, nein. Ich war auch sehr überrascht, wie meine ehemalige Freundin reagiert hat. Wir haben schon länger wieder ein sehr gutes Verhältnis. Aber dass sie derart reflektiert und fair reagiert, hätte ich nicht erwartet. Die Reaktionen seit der Veröffentlichung sind immens. Gerade die selbst Betroffenen schreiben in Massen E-Mails und via Facebook, sie bedanken sich, sie finden sich wieder, und sie erzählen mir ihre Geschichte. Es gab auch Reaktionen von Leuten, die mir rieten, dass ich doch bitte schnell „verrecken“ möge und „hier nicht rumnerve“.
Warum sollte man das Buch lesen?
Das ist eine Frage, die ich mir nicht stelle, das muss jeder für sich selbst beantworten. Es ist ein Erlebnisbericht. Bisher gab es fast immer die gleichen Reaktionen: Viele hatten es an zwei Tagen durchgelesen, konnten überhaupt nicht mehr aufhören, weil es offenbar in bunten Bildern eine triste Krankheit beschreibt. Es ist schön zu hören, dass es packend sei, ich selbst will das nicht beurteilen. Jeder Schreiber hat seinen eigenen Stil – den kann man mögen oder nicht. Es gibt mit Sicherheit auch Leute, die das Buch nach zehn Seiten weglegen und sagen: „Was ist das denn für ein Scheiß?“ Ich würde mir nie anmaßen zu sagen, man muss dieses Buch lesen. Es würde mich freuen, wenn man das Buch – am besten im örtlichen Einzelhandel – kauft und es am Ende sogar gefällt. Man kann viel über die Krankheit erfahren und über ganz normale Lebensverhältnisse. Meine Lebensgeschichte besitzt nur für mich Exklusivität, ansonsten ist es ein ganz normales Leben, das Millionen andere auch leben. Mit Erfolgen und Brüchen. Der eine bekommt irgendwann Probleme, andere Menschen erleiden mehr als ich jemals erleiden werde, und sie gehen fröhlich und unbeschwert durchs Leben. Das ist mir nicht gelungen. Aber ich will auch scheitern dürfen, zweifeln, nicht immer der Starke sein. Und dennoch respektiert werden. Es war mir wichtig, das aufzuschreiben. Christian, Bürstadt, dieses und jenes – all das sind nur Synonyme für Schicksale und Gemeinschaften, die es überall gibt.
Das Gespräch führte Matthias Rebsch
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