Wenn der Reini im Espresso Florida die Wuchtln aussehaut

Interview | Michael Matzenberger
25. September 2013, 16:04

Tschocherl, das sind diese kleinen, verrauchten Lokale, die scheinbar schon ewig existieren und Namen haben wie Espresso Bambino oder Café Rikki, erklärt der Autor des "Tschocherl Report"

Tschocherl Report
Stammgäste im Espresso Florida in Wien-Hernals (Foto: Peter M. Mayr)

Oft sind sie nicht größer als ein Wohnzimmer, und das dominierende Möbel im Raum ist eine massive Schank, hinter der die Wirtin oder der Wirt thront. Die Budel ist aus ebenso rustikalem Holz gezimmert wie die Sessel, die Tische und die Garderobe. Die Luft ist verraucht und die kurze Speisekarte deftig. Der Wein wird aus dem Doppelliter serviert, und einen Chai Latte mit Zimttopping wird man vergeblich bestellen. An der Wand steht ein Dartautomat oder ein Wurlitzer und daneben oft eine Vitrine mit kitischigem Krimskrams und Pokalen. Es gibt sie nicht nur in Wien, aber dort in besonderer Dichte. Der Volksmund sagt Tschocherl zu ihnen.

Arthur Fürnhammer sitzt im Espresso Florida in der Ottakringer Straße und erzählt von seiner Recherche für den "Tschocherl Report". Herausgekommen ist ein Buch mit Geschichten über erdige Lokale, ihre Besitzer und die Stammkunden, deren Träume auch im gesetzteren Alter zumeist welche bleiben. Bebildert hat den Alltag in zwanzig Wiener Tschocherln der Fotograf Peter M. Mayr. Ein Gespräch mit dem Autor über den Tod, Gesellschaftsvoyeurismus und das Daheimsein im Öffentlichen.

derStandard.at: Krebs, Selbstmord und Herzversagen - der erste Beitrag handelt nicht nur vom Espresso Florida, sondern gleich auch vom Tod und dem bittersüßen Umgang der Wiener mit ihm. Zieht sich das vielzitierte Klischee vom morbiden Charme Wiens auch durch die Tschocherlszene?

Fürnhammer: So deutlich wie im Florida nicht. Hier hat sich das Thema aufgedrängt, weil die Partezettel prominent an der Wand hängen. Worauf man aber schon immer wieder stößt, sind die in Wien gängigen Begriffe rund ums Sterben wie "den Arsch aufstellen" und "den Holzpyjama anhaben". Oder "Pompfineberer" für den Bestatter.

derStandard.at: Wenn Sie Stammbesucherin Monique im Buch vom Krebs ihres Harry erzählen lassen, grenzt das nicht schon an Sozialpornografie?

Fürnhammer: Das ist vielleicht kein unberechtigter Einwand. Wenn man sich aber für diese Lokale und dieses Milieu interessiert, kommt man automatisch in diesen Bereich. Würde man den Vorwurf gelten lassen, könnte man solche Reportagen nie machen. Man dringt in eine eigene Welt ein und, obwohl es ein öffentliches Lokal ist, auch in die Privatsphäre der Menschen. Natürlich will man etwas von ihnen. Manchmal sind wir auch abgewiesen worden. Aber wir haben schon versucht, das nicht aus einem Voyeurismus heraus zu machen und die Leute nicht vorzuführen.

"Es warad interessanter am Freitag", ruft plötzlich Reini, der Chef des Florida, zu uns herüber. Er spielt auf den Interviewtermin an, den er dann für sinnvoller gehalten hätte, weil freitags immer mehr Publikum im Lokal ist. Am Montag aber sitzen nur an einem der sechs Tische ein paar Stammgäste. "Freitag warad günstiger", wiederholt Reini laut, "da könnt ma a paar Sketches aussehaun, a paar Wuchtln. Da geht a bissl was."

Tschocherl Report
"Dekoriert ist fast das ganze Jahr", sagt die Kellnerin im Florida, "weil Geburtstag hat immer wer." (Foto: Peter M. Mayr)

derStandard.at: Sie schreiben über die Atmosphäre in den Tschocherln, von Altwiener Gemütlichkeit und vom familiären Verhältnis zwischen Gästen und Besitzern. Sind das Eigenzuschreibungen der Leute oder haben Sie das persönlich so wahrgenommen?

Fürnhammer: Den Eindruck gewinnt man zwangsläufig, und er ist während der Reportagen immer deutlicher geworden. In jedem zweiten Lokal ist das Wort "Familie" gefallen, der Chef ist oft der "Papa" oder die Chefin die "Mama". Diese Wärme spürt man, und sie hat das Image von Tschocherln für mich schon zum Positiven gedreht.

derStandard.at: Wie sind Sie zur Buchidee gekommen?

Fürnhammer: Nachdem ich vor drei Jahren in die Nähe des Yppenmarkts gezogen bin, ist mir aufgefallen, dass es von diesen Lokalen einige in der Gegend gibt, das Engelmaier und das Messner sind auch in der Nähe. Irgendwann habe ich zum Peter gesagt: Lass uns einmal reinschauen, da stecken sicher viele Geschichten drin. Der Antrieb war die Neugierde über eine Welt, an der wir außen täglich vorbeigehen und die uns innen doch fremd ist. Wir haben dann für die Straßenzeitung "Augustin" eine Reportageserie gestaltet, und der Chef des Löcker-Verlags war sofort angetan, ein Buch daraus zu machen.

derStandard.at: Wonach haben Sie die Tschocherl dann ausgewählt?

Fürnhammer: Im Vorbeigehen oder -fahren merkt man schon, ob ein Lokal ein potenzieller Kandidat ist. Die Kriterien haben sich dann mit der Zeit entwickelt. Wenn auf der Speisekarte nur ein Toast und Würstel stehen oder es gar nichts zu essen gibt, das Lokal schon im Morgengrauen aufsperrt und fast nur Stammgäste drinsitzen, kann man mit ziemlicher Sicherheit von einem Tschocherl sprechen. Die Grenze zu Beisln ist nicht scharf, aber dort gibt es mehr Laufkundschaft und meistens eine eigene Küche.

Tschocherl Report
High-End-Stereotechnologie aus einem anderen Jahrhundert: Die CD-Jukebox im Florida. (Foto: Peter M. Mayr)

derStandard.at: Der "Tschoch" steht auch im Duden, als umgangssprachlicher Austriazismus für "große Mühe". Ein Verweis auf das Tschocherl als Treffpunkt der Hackler?

Fürnhammer: Die soziale Herkunft der Gäste in vielen Lokalen würde dafür sprechen. Es gibt allerdings auch eine Interpretation, die sich von "tschechern", also vom Alkoholkonsum herleiten lässt. Der Begriff "Tschecherl" ist ja auch weit verbreitet.

derStandard.at: Gibt es einen eigenen Tschocherl-Jargon?

Fürnhammer: Wir haben viele neue Vokabeln gelernt wie "Brandineser", eine Verballhornung von "Branntweiner". Tschocherl sind mit Sicherheit eines der letzten Milieus, in denen der derbe, unverfälschte Wiener Schmäh noch daheim ist. Da braucht man nur hier hinhören.

An der Schank wird der Chef wieder lauter, das Thema ist die Revitalisierung der Ottakringer Straße. "Wos i da sogn wü, des müssts schreiben: Jetzt haben s' des Trottoir acht Meter breit gmacht, und de Leut gehn no imma dort, wo s' früher gangen sind. Dort is das Trottoir kohlschwarz, und auf dem Stückl daneben, des' dazubaut ham, damit de Parkplätz im Oasch san, da geht ja kana, des is blütenweiß. Wer braucht bittschön an acht Meter breites Trottoir?", fragt Reini eher rhetorisch in die Runde. "Und alle Telefonhäusln san verschwunden. Des nächste is jetzt beim Berger-Platz, beim Wiaschtltandler. Wenn da was passiert! Des is a Lebensretter!"

Tschocherl Report
Herr Reini, der Chef, schaut, was sich draußen auf der Ottakringer Straße tut. (Foto: Peter M. Mayr)

derStandard.at: Sie stammen aus Oberösterreich. Sind die kleinen Lokale dort vergleichbar oder haben die Wiener Tschocherl etwas Spezifisches?

Fürnhammer: Das Klientel ist sicher ähnlich, und auch die Atmosphäre. Ich würde bei den Tschocherln eher von einem Phänomen sprechen, das in großen Teilen Österreichs und Deutschlands verbreitet ist.

derStandard.at: In anderen Ländern gibt es so etwas gar nicht?

Fürnhammer: Ich kann es nicht ausschließen. Aber ich habe einige Jahre in New York gelebt, und diese Lokale, in denen fast nur Stammkundschaft sitzt, gibt es dort kaum. Da ist alles auf Umsatz ausgerichtet, und niemand könnte Stunden bei einem Bier oder einem Kaffee sitzen. Dieses Wohnzimmerhafte und die Möglichkeit des Daheimseins in einem allgemein zugänglichen Lokal haben bei uns sicher eine eigene Stellung.

derStandard.at: Am Sonntag ist Nationalratswahl. Wie würden Sie das Wahlergebnis beim Publikum eines typischen Tschocherls einschätzen?

Fürnhammer: Das ist schwierig zu beantworten, ohne Vorurteile zu bedienen. Ich habe es bei unseren Besuchen auch nicht auf politische Diskussionen mit den Gästen angelegt. Wenn ich mir aber anschaue, was der Reini von der neuen Ottakringer Straße hält, wird er die Grünen wahrscheinlich nicht wählen. (Michael Matzenberger, derStandard.at, 25.9.2013)


Tschocherl Report

Der "Tschocherl Report. Die unbekannten Wohnzimmer Wiens - zwischen Fluchtachterl und Gesellschaftskritik" ist am 11. September im Löcker Verlag erschienen. Die offizielle Buchpräsentation findet am Donnerstag, 26. September, um 19.30 Uhr im Café Industrie am Margaretengürtel statt.

Tschocherl Report

Arthur Fürnhammer (links), geboren 1972 in Linz, war Rikschafahrer und Musikstudent in New York. Er lebt und arbeitet heute als freier Journalist und Buchautor in Wien.

Peter M. Mayr, geboren 1977 in Kärnten, lichtete nach seiner Ausbildung an der Grafischen in Wien als Porträt- und Pressefotograf unter anderem Pelé, Roman Polanski und Peter Ustinov ab.

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Solche Lokale gibts ja fast nimmer

Gab in meiner Jugendzeit einen Wirtn im 9ten da war ich öfters mal auf ein oder viele Bier. Irgendwann komm ich rein und bestell ein Cola, geliefert wird ein Bier. Darauf frag ich den Wirt ob er mich falsch verstanden hätte. Darauf er:Cola kannst daham trinken! Oder was gibts heut Gutes zum Essen, Antwort nix wie immer..
War sehr lustig vorallem als Heranwachsender hatte ich immer Spaß dort.

ich weiß, es wird rotstricherl hageln

aber wenn im zuge eines generellen rauchverbotes diese grauslichen cafes eingehen würden, und die ganzen versoffenen in der folge weniger trinken und rauchen würden, wär's wirklich kein drama !

für dich wohl nicht... für mich übrigens auch nicht.

ich könnt auch ohne douglas, mango und low-carb-bobo-hütten leben. deswegen freu ich mich trotzdem nicht wenn den entsprechenden leuten sinnlos der lebensmittelpunkt genommen wwerden würde.

im cafe zwutschkerl war eine schlägerei und hier gibts keine eilmeldung. shame on you, derstandard!

Im Zwutschkerl gibts jeden Tag Hieb

is eins der heissen Pflaster in Meidling. Dort wird nicht lang gefackelt :-)

.

Ich betrat einmal ein solches Tschecherl und sah, dass im Fernseher im Lokal ein Fußballmatch lief. Auf meine Frage, wer denn da gerade spiele, antwortete mir der Wirt: "Wien gegen Schweden."

Das Café Bauchstich geht mir hier ab.

Das finden Sie

in der Weintraubengasse. ;o)

warn de herrn im bendl eigentlich eh a?

weil des is eigentlich schon a recht tschocherlesk, wenn ma des so nennen kann... oder findets ned?

Das Bendl würde ich eher als Studentenlokal bezeichnen, aber mir ist schon klar dass die Welt vieler junger Studenten nicht weiter reicht als zum Gürtel…

geh bitte, im 1. gibts keine tschocherl und auch keine tschecherln.
is ja lächerlich, sowas...

Das Cafe Pfiff ist im Buch gut beschrieben. :)

ein tschecherl im 1. bezirk ist mir jetzt doch eingefallen:
die parlamentskantine!

von der optik her gehts schon in die richtung, aber gibts dort eine eingeschworene stammgastklientel? ich bin nicht oft dort, daher kann ichs schwer einschätzen, aber mir kommts für diese klassifizierung zu groß, zu voll und zu anonym vor.

find ich nicht

dieses verfluchte B-Wort meide ich sonst wie eingewachsene Fußnägel. Aber fürs Bendl fällt mir bei besten Willen nichts anderes ein. net bös sein ;)

aus meim tschocherl haums a garage gmocht :-(

Erinnert mich zu sehr an Alltagsgeschichten von der Spira ... deshalb meide ich solche Lokale!

Tschocherl ist nicht gleich Tschocherl, da gibts viele Facetten und Spielarten und auch teils gravierende Niveauunterschiede. Der klassische Brandineser ist jetzt auch nicht unbedingt mein Fall.

Brandineser

Dass man den Begriff Tschocherl als Wiener ohne Migrationshintergrund nicht kennt, ist überraschend. Dass man aber Brandineser als "neuen" Vokabelschatz bezeichnet, lässt an der wirklichen Qualifizierung für einen Tschocherlreport zweifeln.

Bis jetzt war für mich "Tschocherl" auch nur die Bezeichnung eines Kellerbeisls in Fünfhaus. Bin aber auch zuag'rast. In meiner früheren Heimat sagte man "ein armer Tschocha", wenn ihm ein unverschuldetes Unglück zustieß.

Auf der Südost bin ich draufgekommen, dass das in meiner ehemaligen Heimat gar nicht der Tschocha war. Könnte auch "Tschooppal" gewesen sein.
sry

Tschocherl hab ich vor diesem Artikel noch nie gehört, stamme aber auch aus Nordwestuganda.

Hatte den selben Gedanken! Irgendwie hätte ich gute Lust den wahren Tschocherlreport zu veröffentlichen B-)

Darf ich mithelfen?

Nur bei der Recherche, oder auch aktiv Texte verfassen und fotografieren?;-)
Ich glaub hier ist grad etwas ganz Großes im Entstehen.:-)

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