chinesiches Zeichen

Religionspolitik

Fremdkörper oder Partner?

Zum Verhältnis von Christentum und Staat in der Volksrepublik China nach 1949

 

Über zwei Stunden lauschten die 2217 Delegierten des 17. Kommunistischen Parteikongresses im Oktober dieses Jahres in Beijing der Rede ihres Staats- und Parteichefs HU Jintao. Die Rede gab, wie erwartet, die Ideologie der Partei wieder. Erneut wurde die Machterhaltung der Kommunistischen Partei betont als Garant für eine gesicherte Zukunft. Den wachen Hörern konnte jedoch nicht entgehen, dass sich zwischen den Parteiparolen auch Worte fanden, die auf mehr Freiheit und eine größere Flexibilität im Umgang mit der konkreten Wirklichkeit deuteten. Präsident HU sprach von einer demokratischen Beteiligung der Bevölkerung an der Verantwortung für den Wohlstand der Nation. Es war die Rede von einem Sozialismus mit chinesischen Eigenschaften. Hier finden sogar gewisse Zugeständnisse an kapitalistisches Denken ihre Rechtfertigung. An den Grundfesten des Sozialismus wird jedoch nicht gerüttelt, unter seiner Führung sollen alle Kräfte vereint werden, um gemeinsam an der Errichtung einer „harmonischen Gesellschaft“ mitzuarbeiten, in der alle in Frieden und Wohlstand leben können. Man fragt sich, ist eine solche Sprache nur Ausdruck reinen Wunschdenkens, oder bietet sich hier eine realistische politische Option für einen Weg in die Zukunft an. 

Der Standort der Religion im heutigen China

Religiös orientierte Menschen werden in diesem Zusammenhang gewiss sogleich die Gretchenfrage stellen: „Und wie haben wir es mit der Religion?“ Wo hat sie ihren Standort? Tatsächlich fand in der großen Rede HU Jintaos auch die Religion unter dem 6. Thema, wo es um die Entfaltung und Festigung des Sozialismus geht, kurz Erwähnung. Die Religion konnte wohl auch nicht unerwähnt bleiben, wo doch für viele Menschen in China der Blick nach der Religion ständig an Bedeutung gewinnt. Aus der Parteiperspektive aber, das war aus den Worten des Parteisekretärs deutlich genug zu hören, hat die Religion lediglich insoweit Bedeutung, als sie einen Beitrag zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung des Landes leisten kann, und dies unter den von der Partei vorgegebenen Direktiven.

Hiermit sind auch die Grundzüge der heutigen chinesischen Religionspolitik vorgegeben. Unter Artikel 36 - „Freiheit des religiösen Glaubens“ - wurde im Jahre 1982 die Religionsfreiheit in die Verfassung aufgenommen. Es heißt dort, es stehe dem Bürger frei zu glauben oder nicht zu glauben. Unter den fünf vom Staat offiziell als Religionen anerkannten Glaubensgemeinschaften befinden sich neben dem Buddhismus, dem Daoismus, und dem Islam auch der Katholizismus und der Protestantismus. Das Christentum wird also im heutigen China religionspolitisch nicht als eine Religion verstanden, sondern in seiner zweifachen Erscheinungsform, der katholischen und der protestantischen, als jeweils eigene Religion eingeordnet.

Der Staat beschränkt den Aktionsradius der Religionsgemeinschaften weitgehend auf den innerkirchlichen Raum und fordert von ihnen ideologische Unterordnung, insbesondere eine „Anpassung an den Sozialismus“ und „Patriotismus“. Er behält sich eine strenge Kontrolle über die Verwaltung und die Aktivitäten der einzelnen Religionen vor. Alle Kultstätten und alles „religiöse Personal“ müssen amtlich registriert sein. Der Staat mischt sich über von ihm errichtete Organisationen massiv in die Verwaltung der Gemeinden und Bistümer, die Besetzung von Ämtern, die theologische Ausbildung des kirchlichen Personals und viele andere Bereiche ein. Die verantwortlichen Leiter und das auszubildende Führungspersonal müssen an ideologischen Schulungen teilnehmen. Auslandkontakte werden strikt überwacht. Jedoch haben sich bei allen fünf Religionen Gruppen gebildet, die diese strenge Kontrolle und Bevormundung durch staatliche Organe nicht akzeptieren. Sie lassen sich nicht registrieren und weigern sich, mit dem Staat zusammenzuarbeiten. Sie gelten deshalb als „illegal“ und setzen sich damit der Verfolgung aus. In manchen Gebieten sind diese „inoffiziellen Gruppierungen“ einer anerkannten Religion sogar zahlenmäßig stärker als die registrierten Gemeinden. Die Behörden stellen sich zu diesen „illegalen“ Gruppierungen teilweise tolerant und lassen sie gewähren, vielerorts aber werden sie mit unterschiedlicher Härte verfolgt und unterdrückt. Ihre Versammlungsorte werden als „illegale Bauten“ zerstört, die Organisatoren mit Geldstrafen belegt oder sie werden unter Einsatz von Gewalt von den Sicherheitsbehörden festgenommen und zu Gefängnisstrafen verurteilt. Die christlichen Kirchen bilden dabei keine Ausnahme. Bei den Katholiken spricht man dabei meist von den so genannten „Untergrundkirchen“, bei den Protestanten von den  „Hauskirchen.“

Die Entwicklung der Religionspolitik nach der Machtübernahme der Kommunisten 1949

Die eben geschilderte Situation des Christentums als Religion im heutigen China ist das Ergebnis einer längeren geschichtlichen Entwicklung, die mit der Machtergreifung des Kommunismus im Jahre 1949 ihren Anfang genommen hat. Nach der Gründung der VR China war es die erklärte Politik des kommunistischen Regimes, mit den Religionen aufzuräumen. Vor allem das Christentum mit seinen Institutionen und seinem zahlreichen ausländischen Personal, wurde als „Instrument des Imperialismus“ der Westmächte zum Objekt der Verfolgung und Vernichtung. Die ausländischen Missionare wurden ausgewiesen, die Apostolische Nuntiatur (offizielle Vertretung des Hl. Stuhles) in Beijing wurde 1951 geschlossen, der Nuntius, Erzbischof  Riberi, wurde ausgewiesen. Die einheimischen Priester und Pastoren in Gefängnisse und Arbeitslager gesteckt und teilweise maßlosen Misshandlungen unterworfen oder umgebracht. Das Kircheneigentum wurde vernichtet, konfisziert oder anderen Zwecken zugeführt. Die Gläubigen waren gänzlich auf sich selbst gestellt. Und es geschah, was niemand zu erwarten wagte, der Glaube der Christen lebte entgegen aller geplanten Vernichtungspolitik eines atheistischen Regimes in diesen Christen und durch sie weiter dank der diesem Glauben eigenen Dynamik und Vitalität.

Dass der christliche Glaube sich in den Herzen der Menschen gehalten hatte, konnte den Sicherheitsbehörden nicht verborgen bleiben. Es dämmerte die Erkenntnis: Das Christentum und seine Kirchen zu vernichten, ist nicht möglich. Die Religionspolitik trat damit in eine neue Phase ein. Christentum und Kirche können weiter bestehen, aber nur als Werkzeug des Staates und der kommunistischen Partei und unter deren Kontrolle. Die christlichen Kirchen werden als selbständige, nationale Kirchen, unabhängig von jedem äußeren Einfluss, anerkannt. Auf Regierungsebene wird die Verantwortung für alle die Religion betreffenden Belange dem „Büro für Religiöse Angelegenheiten“ übertragen. Unter dessen Leitung aber erhalten die einzelnen Religionen nun eine interne Organisation als Verwaltungsinstitution. Sie war zwar als Brücke zwischen der religiöser Gemeinschaft und der Regierung deklariert, fungierte aber mehr und mehr als eine Organisation, die sich eine Machtposition aneignete, die ihr nicht zukam. Bei der kath. Kirche hat diese „Brückenfunktion“ die Patriotische Vereinigung (1957 errichtet) inne, bei den Protestanten die „Patriotische Drei-Selbst-Bewegung“ (1951 errichtet).

Für die kath. Kirche war damit die totale Trennung vom Papst als Oberhaupt der Universalkirche gefordert, und damit verbunden die von Rom unabhängige Wahl und Weihe der Bischöfe. Eine innere Spaltung war damit kaum mehr zu vermeiden, die Spaltung in das Lager derer, die dem Papst die Treue halten wollten, um katholisch zu bleiben, und das Lager derer, die glaubten, aus pastoraler Sorge für die Gläubigen sich auf Kompromisse mit den staatlichen Anordnungen einlassen zu können. Bei den Katholiken war damit die Scheidung in „offizielle Kirche“ und „Untergrundkirche“ nicht mehr zu vermeiden. Bei den Protestanten kam es neben der Kirche unter der „Patriotischen Drei-Selbst-Bewegung“ zu den so genannten Hauskirchen, die unabhängig von staatlicher Bevormundung und Kontrolle ihren Glauben leben wollten. Die katholischen Untergrundkirchen als auch die protestantischen Hauskirchen sind dem Staat ein Dorn im Auge, und bis heute bleibt nichts unversucht, sie zu vernichten oder unter Kontrolle zu bringen. Die schwerste Prüfung kam auf die christlichen Kirchen während der Großen Proletarischen Kulturrevolution (1966-1976) zu. Als in dieser Zeit Gewalt und Vandalismus ihren Höhepunkt erreichten, wurden auch die offiziellen Kirchen von Verfolgung nicht verschont. Der christliche Glaube überlebte aber auch diese schwere Zeit, vor allem durch den Zusammenhalt in den Familien. Er ging gestärkt aus der Verfolgung hervor.

Die größere Öffnung und Liberalisierung Chinas in den 1980er Jahren brachte auch für die Religionen eine politische Lockerung und mehr Freiheitsraum in der religiösen Betätigung. Christliches Gemeindeleben wurde sichtbarer, kirchliches Eigentum wurde nach und nach teilweise zurückerstattet. Der Wiederaufbau konnte beginnen. Die christlichen Kirchen versuchten den erweiterten Freiheitsraum für das Wachstum nach innen und außen voll auszunützen. Die Zahl der Gläubigen vermehrte sich beträchtlich. Das Glaubenszeugnis überzeugter Christen weckte bei vielen Menschen, die Halt und Orientierung suchten, großes Interesse. Der kommunistischen Regierung konnte dieser wachsende Drang der Menschen zur Religion und zum Christentum, vor allem wenn er gar die Parteimitglieder erfasste, nicht entgehen. Das Phänomen Religion wurde plötzlich erneut als große Herausforderung wahrgenommen. Als Mittel, der Gefahr eines zu großen Einflusses der Religion auf Kosten der Machtposition der Partei vorzubeugen, lag es nahe, Bestimmungen zu erlassen, welche die Kontrolle verstärkten. Dazu kam die Tendenz, die Kräfte der Religion noch konsequenter unter der Fahne des Patriotismus für die Zwecke des neuen Sozialismus chinesischer Prägung einzusetzen.

Auf einer im Jahre 2001 vom Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas und dem Staatsrat in Beijing veranstalteten Konferenz zur Religionsarbeit wurde denn auch erneut auf einen Text in der Verfassung hingewiesen, der als Orientierung und Warnung zugleich dienen sollte: „Normale religiöse Aktivitäten und die legalen Rechte und Interessen religiöser Gruppierungen genießen Schutz. Der administrative Umgang des Staates mit religiösen Angelegenheiten bewegt sich auf eine Festigung im Rechtsbereich zu. Wer allerdings unter dem Banner der Religion spaltend und illegal aktiv wird, erfährt harte Bestrafung.“ Es wird hier aber nicht erklärt, was mit ‚normalen Aktivitäten’ nun wirklich gemeint ist. Im weiteren Text der Konferenz wird dann betont, dass die Anpassung der Religion an die sozialistische Gesellschaft weiter verstärkt werden soll. Persönlichkeiten religiöser Kreise und die Mehrheit der Gläubigen sind aufgerufen, sich im Modernisierungsprozess zu engagieren.

So kam es schließlich zu den neuen „Vorschriften für religiöse Angelegenheiten“, die als Verordnung Nr. 426 des Staatsrates der Volksrepublik China ab 1. März 2005 allgemeine Geltung für alle Religionen fanden. Es handelt sich hier um eine Verordnung in sieben Kapiteln und 48 Artikeln, aber nicht um ein Gesetz im strengen Sinn. Es würde im Rahmen dieses Artikels zu weit führen, im Einzelnen darauf einzugehen. Vieles bleibt unklar. Für Missverständnisse und Missbrauch bei der Umsetzung stehen Tür und Tor offen. Ein doppelter Zweck aber war erreicht. Einerseits ist die Ausübung religiöser Betätigungen vor Übergriffen geschützt, anderseits haben die Behörden nun aber auch eine offizielle Handhabe, um gegen „nicht registrierte“ Gruppen und Individuen, aber auch gegen von diesen vollzogene religiöse Aktivitäten legal vorzugehen. Die Intensität, mit der die Umsetzung durch die Behörden gehandhabt wird, ist jedoch örtlich verschieden. So kommt es weiter zu Verhaftungen von sowohl protestantischem als auch katholischem Führungspersonal, wo dieses sich weigert, sich der Kontrolle der staatlichen Organe unterzuordnen. Jedoch zeigt die Tatsache, dass es z.B. neuerdings auch häufig vorkommt, dass Bischofsernennungen sowohl mit Zustimmung des Staates als auch des Vatikans geschehen, dass die Behörden in der Behandlung dieser Frage eine mehr pragmatische Haltung einnehmen.

Die Religionspolitik der VR China, die im Verlaufe der vergangenen Jahrzehnte der freien Religionsausübung durchaus einen weiteren Rahmen gesteckt hat, bleibt aber dennoch hinter einer Religionsfreiheit, wie sie international als Teil der Menschenrechte vertreten wird, immer noch weit zurück. Aber dass der Staat versucht, sich ein objektiveres Bild vom Wesen des Christentums und seiner Geschichte zu machen, muss durchaus anerkannte werden. In der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften und an einer Reihe von Universitäten gibt es Zentren für Christentumsforschung, wo sich schon seit Jahren ernst zu nehmende Wissenschaftler intensiv mit dem Phänomen des Christentums beschäftigen und ihre Erkenntnisse auch veröffentlichen. Es bleibt zu hoffen, dass diese Erkenntnisse und die konkrete Arbeit der christlichen Kirchen vor allem im sozialen Bereich zur Förderung eines offenen Dialogs zwischen Vertretern der Regierung und der christlichen Kirchen führen wird, der für alle Christen die Ausübung ihrer Religion auf der Grundlage von Gerechtigkeit und Freiheit möglich macht. Dennoch sieht es im Augenblick noch nicht so aus, als ob aus dem Fremdkörper und Störenfried bereits ein ernstzunehmender Partner beim Aufbau einer „harmonischen Gesellschaft“ geworden wäre.

Derweilen nimmt das Wort Gottes in Form von über 50 Millionen Bibeln, die inzwischen gedruckt und verteilt wurden und durch das Zeugnis von über 60 Millionen gläubiger Christen beider Konfessionen (annähernde Schätzung) trotz aller Hindernisse weiter seinen Weg in die Herzen der Menschen bis in die fernsten Gebiete des Riesenreiches. Es ist wie mit dem Wasser, von dem das chinesische Sprichwort sagt: es findet an allen Hindernissen vorbei seinen Weg zum Meer.

P. Anton Weber SVD, Direktor des China-Zentrums

Aus: Zeitzeichen - evangelische Kommentare zu Religion und Gesellschaft, März 2008, S. 30-32.

        
 

 



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