Karrieren: Der Feind in ihm
Wolfgang Schäuble durfte nicht Kanzler werden und nicht Bundespräsident. Jetzt führt der Finanzminister die letzte Schlacht: gegen den eigenen Körper.
Plötzlich kommt er um die Kurve gefahren, greift mit vollen Händen in die Räder des Rollstuhls. Alles kann zum Symbol werden an diesem sonnigen Brüsseler Maitag, dem Tag der Rückkehr des Wolfgang Schäuble.
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Für einen Moment hatte sich der Berliner Erregungsbetrieb schon ganz der Frage gewidmet, wer der neue Finanzminister werden könnte: der treue Merkel-Knappe Thomas de Maizière oder vielleicht doch ihr ewiger Rivale Roland Koch?
Jetzt bekommt Schäuble erst einmal einen Wutanfall. Er sitzt in den Katakomben des EU-Ratsgebäudes und soll etwas zur Finanzmarktkrise sagen, es ist komplizierter Stoff, und sein Sprecher hat ihm vorsichtshalber einen Zettel mit Stichwörtern zugeschoben, dummerweise vor den Augen der versammelten Journalisten. "Soll ich das jetzt etwa vorlesen?", schnaubt Schäuble, sein Oberkörper zuckt. Die Krankheit hat seinem Bild in der Öffentlichkeit schon genug geschadet, er will nicht obendrein wie ein Minister dastehen, der ohne Sprechzettel den Faden verliert.
Schäuble will es noch mal versuchen, so viel ist klar. Seit sieben Monaten ist er Finanzminister, es ist seine letzte große Aufgabe, die Chance, seiner tragischen Karriere doch noch ein gutes Ende zu setzen. Schäuble wollte Bundeskanzler werden, später zog es ihn ins Schloss Bellevue, aber irgendetwas kam immer dazwischen: erst Kohls Rachsucht und die Spendenaffäre, dann Merkels Machtplan, der ein Staatsoberhaupt Schäuble nicht vorsah.
Nun kämpft er seine große Schlacht. Diesmal jedoch stehen ihm nicht die Intrigen seiner Parteifreunde im Weg, sein Feind ist der eigene Körper. Sein Leben ist im Moment ein Experiment, er will prüfen, ob sein wunder Leib die Strapazen des Amts aushält. Er pendelt zwischen Berlin und Brüssel, er leitet eine Konferenz zur Finanzmarktordnung in Berlin. Am Dienstag, nach einem langen Tag in Sitzungen, fährt er auch noch in das Hauptstadtstudio der ARD. "Ich bin froh, dass ich wieder voll einsatzfähig bin", sagt er, aber der letzte Beweis ist bisher nicht erbracht.
Warum tut er sich das alles an? Warum setzt er sich diesem Druck, diesem Stress länger aus? Warum macht er es nicht wie sein Freund Ludolf von Wartenberg?
"Ich habe nicht viel Zeit", sagt Wartenberg, aber es sieht nicht so aus, als drängten Geschäftstermine. Er trägt einen flauschigen Pulli und eine bequeme Hose. Wartenberg war mal Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie, jetzt managt er vor allem seine Freizeit. Er sitzt in einem Café im Grunewald, gleich ums Eck teilt er sich eine hübsche Villa mit Wolfgang Schäuble und dessen Frau Ingeborg.
Am Vormittag ist er zu einem Golfturnier verabredet, danach geht es in den vorgezogenen Pfingsturlaub. Er führt das genussvolle Lebens eines Pensionärs.
Schäuble könne sich das noch nicht vorstellen, sagt Wartenberg. Es sei nicht so, dass sein Freund keine Interessen außerhalb der Politik habe, er gehe ins Theater und verschlinge Bücher wie kein anderer. Aber Beschäftigung brauche bei Schäuble immer ein Ziel, es erfülle ihn nicht, Wissen anzuhäufen, das er anschließend nicht anwenden kann. "Der Wolfgang kann nicht im Rollstuhl sitzen und dabei zusehen, wie andere gestalten", sagt Wartenberg.
Wahrscheinlich ist es gerade die Größe der Aufgabe, die Schäuble anzieht, das Herkuleshafte. Erst musste er Milliardenpakte mitverantworten, um den Absturz der Banken zu verhindern, jetzt muss er sparen wie kein Finanzminister vorher, um den Staat vor dem Schuldenexitus zu bewahren. Eigentlich ist es eine unmögliche Mission, aber gerade das reizt Schäuble. Das Amt gibt ihm die Möglichkeit, seine ewig unvollendete Laufbahn doch noch in Würde zu vollenden.
Nie konnte man einen vergnügteren Schäuble erleben als in den ersten Wochen als Finanzminister. Er saß am Schreibtisch seines Ministeriums in der Wilhelmstraße und machte Späße darüber, dass man nur einen Polit-Opa wie ihn auf so ein Himmelfahrtskommando schicken könne. Er kokettierte mit dem eigenen Scheitern, "das wäre zu verkraften", sagte Schäuble, aber dieser Galgenhumor mehrte nur sein Ansehen. Bald stapelten sich in seinen Pressemappen freundliche Porträts, in denen vom starken Mann des Kabinetts Merkel die Rede war, vom heimlichen Vizekanzler.
Es schmeichelte ihm, dass er plötzlich als der Vertreter einer besseren CDU dastand, als Hoffnung all jener, für die Politik mehr ist als Merkels freudlose Machtverwaltung. Er leistete sich sogar ein paar Unbotmäßigkeiten.
Anfang November vergangenen Jahres saß er in einer Challenger der Bundeswehr und spöttelte, Merkel schätze ja vor allem pflegeleichte Leute in ihrer Nähe. Dann machte er eine Kunstpause und sagte: "Ich bin nicht pflegeleicht."
Dann kam die Krankheit. Es begann Anfang des Jahres mit einem Routine-
eingriff, das Implantat, das Schäubles Blasenfunktion regelt, musste ersetzt werden. Das neue Teil aber wuchs falsch an, wieder musste operiert werden. Schließlich kam auch noch eine Infektion dazu, was einen erneuten Eingriff notwendig machte. Als dann alles überstanden zu sein schien, vertrug er ein neues Antibiotikum nicht, das er wegen einer Infektion nehmen musste.
Jetzt ist die Frage, wie viel Krankheit die Politik verträgt. Ein schwacher Schäuble kann in der Krise leicht zur Metapher für den siechen Staat werden, der den Zerstörungskräften der Finanzmärkte nichts entgegenzusetzen hat. Schäuble spürt, dass er die Debatte nicht in der Hand hat. Er ist wieder anderen ausgeliefert.
Seine Waffe gegen das Gewisper und Geraune ist Offenheit. Wenn Journalisten verdruckst nach seinen Gebrechen fragen, dann ermutigt er sie regelrecht zum Nachhaken, die Bürger hätten ein Recht zu erfahren, ob ein Spitzenpolitiker genügend Kraft aufbringe für das Amt. Es ist aber nicht sicher, ob Schäuble selbst weiß, wann die Politik seine Kräfte endgültig überfordert.
Er zeigte seinen wunden Körper, wie es kaum ein Politiker vor ihm getan hatte. Er lag im Krankenhaus und gab Interviews im Schlafanzug, er gewährte Einblicke, wie man sie sonst nur seinen engsten Freunden offenbart. Seht her, wollte er damit sagen, der Körper mag schwach sein, aber mein Geist ist stark.
Aber so einfach ist es nicht. Die Bürger haben ein Recht auf einen Finanzminister, der präsent ist, auch auf der internationalen Bühne. Politische Weggefährten haben ihn früh gewarnt, die vielen Reisen als Finanzminister könnten ihn am Ende zu sehr belasten. Er hat die Warnungen in den Wind geschlagen.
Außerdem macht ihn die Krankheit abhängig, vor allem von der Kanzlerin. Noch hält Merkel zu ihm, sie hat ihn am Dienstag vergangener Woche angerufen und gesagt, er möge sich ohne Zeitdruck erholen. Er blieb dann eine Woche in einer Klinik im hessischen Bad Wildungen.
Merkel kann Schäuble gut gebrauchen in dem aufziehenden Streit über Sparlisten. Die Ministerpräsidenten der Union haben Respekt vor ihm, über Schäuble werden sie nicht so herfallen wie über einen Finanzminister Thomas de Maizière, den sie als Merkels willigen Helfer betrachten. Doch Merkel weiß auch, dass sich etwas gedreht hat, die Krankheit verleiht ihr Macht. Es braucht nur ein paar diskrete Hinweise, dass der Finanzminister seinem Amt leider nicht gewachsen sei, und der Daumen der öffentlichen Meinung würde sich senken.
Merkel wird das nicht tun, im Kanzleramt ist viel davon die Rede, dass es auch ein Gebot der Menschlichkeit sei, Schäuble zu unterstützen. Aber es ist jetzt wie im Kalten Krieg: Merkel besitzt die ultimative Abschreckungswaffe. "Er wird ihr jetzt nicht mehr gefährlich", sagt einer ihrer Leute. Es klingt zufrieden.
Frieder Schäuble hat die Faszination seines Bruders für die Politik nie ganz verstanden. In den sechziger Jahren war er mal Chef des RCDS in Baden-Württemberg, er stand kurz vor dem Sprung in die Berufspolitik. Dann machte er den Vorschlag, die CDU solle ihre verzopfte Ostpolitik korrigieren. Es waren nicht Argumente, die ihm entgegenschlugen, sondern nackter Hass. Er wollte sein Leben nicht von solchen Gefühlen verdunkeln lassen.
Frieder Schäuble betreibt eine Anwaltskanzlei in Leipzig, er ist ein freundlicher Mann mit dicken Augenbrauen, er lacht viel. Man kann sich mit ihm lange über das perfekte Rezept für Hechtklößchen unterhalten, so was ist mit Wolfgang Schäuble schwer vorstellbar. Gespräche mit dem Minister umweht oft die Strenge eines Staatsexamens. Für seinen Bruder sei ein Leben außerhalb der Politik nicht denkbar gewesen, sagt Frieder Schäuble. "Er hat sich die Frage gar nicht gestellt."
Die beiden telefonieren oft, es hat ihn gefreut, mit welcher Begeisterung der Bruder sich in das neue Amt stürzte, endlich hatte er wieder eine Aufgabe, die ihm gemäß erschien. Als neuer Finanzminister habe er sogar das Treffen abgesagt, dass die drei Brüder Wolfgang, Thomas und Frieder jedes Jahr zusammenführt. "Der Wolfgang musste auf einen IWF-Kongress irgendwo in der Welt", sagt Frieder Schäuble.
Er wünscht sich, dass alles ein gutes Ende nimmt, dass die Karriere des Bruders nach allem Unglück doch noch einen glücklichen Abschluss findet.
Ob es gelingt?
Frieder Schäuble lässt sich in seinen Stuhl zurückfallen, er blickt in den Himmel über Leipzig und schweigt.
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Auf dem Höhepunkt der Finanzkrise im Herbst 2008 hatten mehrere Aufsichtsbehörden weltweit mit befristeten Notverfügungen ungedeckte Leerverkäufe untersagt. In Deutschland sind diese nach einem eineinhalbjährigen Verbot seit Anfang Februar wieder erlaubt.
Mit dem geplanten "Gesetzentwurf zur Stärkung des Anlegerschutzes und Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes" sollen nach Ministeriumsangaben bestehende Vorschriften ergänzt und Risiken aus spekulativen Geschäften verringert werden. Ungedeckte Leerverkäufe will Schäuble dabei wieder verbieten.
Um zu vermeiden, dass im Hintergrund große Stimmrechtspositionen aufgebaut werden können, ohne dass die BaFin und der Markt frühzeitig in Kenntnis gesetzt werden, will Schäuble die Veröffentlichungs- und Meldepflichten erweitern.
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