Rumänien vor der EuropawahlEuropafrust im Armenhaus der EU

Die Rumänen fühlen sich bis heute in der EU nicht angenommen. Und die Politiker kümmern sich statt um die Massenauswanderung und die Wirtschaftsprobleme um Machtspiele. von Annett Müller

Niedrigster Lebensstandard in der EU: eine alte Frau in einem kleinen Dorf östlich von Bukarest

Niedrigster Lebensstandard in der EU: eine alte Frau in einem kleinen Dorf östlich von Bukarest  |  © REUTERS/Radu Sigheti

Der rumänische EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos ließ sich vor Kurzem in Bukarest von einem Radiomoderator zur Entwicklung Europas und den Perspektiven seines Landes in der Union befragen. Zu der Veranstaltung in der Millionenstadt kamen gerade einmal 150 Leute, die Mehrzahl von ihnen Experten staatlicher Institutionen. Normale Rumänen kümmert der EU-Arbeitsalltag nur wenig.

Als der Moderator fragte, wer zur Europawahl gehen werde, klickten alle Anwenden in einem Wahl-O-Mat auf Ja. Schmunzeln im Saal über das Traumergebnis, das fernab der Realität im Land liegt: Am 25. Mai wird Rumänien voraussichtlich wieder zu den Ländern mit der geringsten Wahlbeteiligung gehören. Schon bei der vergangenen Wahl 2009 war es so, als die Rumänen zum ersten Mal teilnehmen durften. Damals kamen rund 28 Prozent zur Abstimmung, europaweit waren es immerhin 43 Prozent.

Anzeige

Dass sich in dem osteuropäischen Armenhaus der EU kaum jemand für die Brüsseler Politik interessiert, verwundert den Soziologen Mircea Kivu wenig: "Europäische Themen fehlen in der rumänischen Öffentlichkeit fast völlig." Nicht nur, weil das Land frühestens 2015 der Eurozone beitreten will, diskutiert die einheimische Politikgarde nur dürftig über eine europäische Fiskalpolitik oder den Euro-Rettungsschirm. Auch für Debatten, wie viel Macht die Nationalstaaten an Brüssel abtreten sollten, herrscht nur mäßiges Interesse. "Rumänien nimmt die EU als etwas Unumstößliches hin, während die westeuropäischen Länder, die die EU mit aufgebaut haben, auch deren Wandel mitbestimmen wollen", meint Kivu.  

Die EU-Euphorie ist verflogen

Auch wenn man sich das Land in Brüssel wenig einbringt – dass man stolz sei, ein "Europäer" zu sein und zum "selektiven Klub der EU" zu gehören, hört man in Rumänien häufig. Die Beitrittseuphorie von 2007, als fast jeder sein Auto mit einem EU-Wimpel schmückte, ist allerdings verflogen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil Rumänien zusammen mit dem  Nachbarland Bulgarien weiterhin den niedrigsten Lebensstandard in der EU aufweist und nicht, wie erhofft, den Abstand zur übrigen Gemeinschaft durch die Mitgliedschaft verkleinern konnte.

Dabei fing alles so hoffnungsvoll an. Ein Jahr nach dem Beitritt galt Rumänien mit einem Wirtschaftswachstum von 7,3 Prozent noch als neuer osteuropäischer Tigerstaat, auch dank der großen Exportnachfrage aus der Eurozone, die die einheimische Wirtschaft in hohem Maße am Laufen hält. Doch mit der globalen Finanzkrise folgte wenig später der Absturz. Die Regierung musste mehrere IWF-Kredite aufnehmen, bis heute stimmt sie die Haushaltsausgaben mit den Währungshütern ab, um die Investoren in Sicherheit zu wiegen.

Dass Rumänien seit dem vorigen Jahr wieder auf Wachstumskurs liegt, werten Wirtschaftsexperten nicht als Verdienst der sozialdemokratischen Regierung unter Victor Ponta. Vielmehr sorgte sonniges Wetter für eine reichliche Ernte und damit für eine Zunahme des Bruttoinlandsprodukts von 3,5 Prozent. Dabei könnte die Regierung die Wirtschaft mithilfe von EU-Mitteln eigentlich kräftig ankurbeln. 20 Milliarden Euro standen dem Land in den vergangenen sieben Jahren seit dem Beitritt aus dem EU-Strukturfonds zur Verfügung. Abgerufen wurde aber lediglich ein Drittel des Geldes. Ein klarer Beleg für die Unfähigkeit und den Reformunwillen der Politiker.

Weil die Entwicklung lahmt, haben bereits mehr als zehn Prozent der Bevölkerung ihrem Land den Rücken gekehrt. Zwei Millionen Rumänen arbeiten inzwischen in Westeuropa auf Feldern, Baustellen oder in Krankenhäusern und zahlen kräftig in die dortigen Sozialsysteme ein. Zurück lassen sie oft ihre Kinder, die jahrelang ohne Vater oder Mutter oder beide bleiben, versorgt von Großeltern oder anderen Verwandten oder ganz auf sich gestellt.

Als die Rumänen zu Jahresbeginn wie die Bulgaren den freien Zugang zum Arbeitsmarkt in allen EU-Staaten erhielten, fachten deutsche und britische Politiker eine Diskussion über "Armutszuwanderer" aus den beiden Balkanstaaten an. In Rumänien verstärkten solche Kampagnen des Gefühl, EU-Bürger zweiter Klasse sein.

Leserkommentare
  1. Zwei Studienabschlüsse für Lau mit BAföG und DAAD und Stiftungsstipenium. Die Briefe von der Darlehenskasse fliegen jetzt in den Müll. Tschüss Deutschland - Gazprom ruft.

    Anmerkung: Bitte beteiligen Sie sich mit konstruktiven Beiträgen, die sich sachlich auf das konkrete Artikelthema beziehen. Danke, die Redaktion/sam

    Reaktionen auf diesen Kommentar anzeigen

    Entfernt. Bitte beteiligen Sie sich mit konstruktiven Beiträgen. Danke, die Redaktion/dd

  2. ...ist nach Rumänien gekommen und Millionen Menschen haben das Land verlassen müssen?

    Eine Erfolgsgeschichte hört sich anders an.

    8 Leserempfehlungen
    Reaktionen auf diesen Kommentar anzeigen

    Das hat mit Kapitalismus überhaupt nichts zu tun. Das hat etwas damit zu tun, dass sie, wenn sie nicht entsprechend Geld dabei haben, in einem Krankenhaus einfach sterben gelassen werden, weil das Gesundheitssystem bis auf die Knochen korrupt ist, und auch damit, dass sie für alles ständig irgendwelche Anträge und Nachweise einreichen müssen, worüber sie nicht informiert werden und dann nachzahlen dürfen, weil die Verwaltung hochkorrupt ist.
    Außerdem hat es damit zu tun, dass die Familien um die Spitzenpolitiker - im Gegensatz zu hier in Deutschland, wo wir dagegen paradiesische Verhältnisse haben - für irgendwelche Bestechungen die Rohstoffe des Landes an irgendwelche Industriekonsortien verscherbeln, die dann das Land ausplündern und damit, dass es einfach absolut keine Perspektive gibt, egal wie gut ausgebildet sie sind, sondern dass die einzige Perspektive, die sie haben, ihre Beziehungen und ihre Bereitschaft zur Korruption sind, wenn sie wirklich nach oben kommen wollen.

    Es ist Korruption und Vetternwirtschaft, die das Land lähmt.

    Ich hab nix gegen Kapitalismuskritik, aber man sollte den Artikel schon lesen, bevor man irgendwas kommentiert.

    "die Marktwirtschaft...
    ...ist nach Rumänien gekommen
    und Millionen Menschen haben das Land verlassen müssen?"

    Naja, ganz so ist es nicht.

    Es verliessen auch schon vor dem EU Beitritt
    die Menschen in Massen das Land.
    Der einzige Unterschied ist,
    dass sie das jetzt völlig legal tun können ...

    Das Traurige (aber Vorhersehbare) ist,
    dass die Bevölkerung nicht erwartet,
    dass sich an der Situation im Lande Grundsätzliches ändern wird-
    egal, ob EU Mitglied oder nicht.

  3. 3. [...]

    Entfernt. Bitte beteiligen Sie sich mit konstruktiven Beiträgen. Danke, die Redaktion/dd

    2 Leserempfehlungen
  4. Das hat mit Kapitalismus überhaupt nichts zu tun. Das hat etwas damit zu tun, dass sie, wenn sie nicht entsprechend Geld dabei haben, in einem Krankenhaus einfach sterben gelassen werden, weil das Gesundheitssystem bis auf die Knochen korrupt ist, und auch damit, dass sie für alles ständig irgendwelche Anträge und Nachweise einreichen müssen, worüber sie nicht informiert werden und dann nachzahlen dürfen, weil die Verwaltung hochkorrupt ist.
    Außerdem hat es damit zu tun, dass die Familien um die Spitzenpolitiker - im Gegensatz zu hier in Deutschland, wo wir dagegen paradiesische Verhältnisse haben - für irgendwelche Bestechungen die Rohstoffe des Landes an irgendwelche Industriekonsortien verscherbeln, die dann das Land ausplündern und damit, dass es einfach absolut keine Perspektive gibt, egal wie gut ausgebildet sie sind, sondern dass die einzige Perspektive, die sie haben, ihre Beziehungen und ihre Bereitschaft zur Korruption sind, wenn sie wirklich nach oben kommen wollen.

    Es ist Korruption und Vetternwirtschaft, die das Land lähmt.

    Ich hab nix gegen Kapitalismuskritik, aber man sollte den Artikel schon lesen, bevor man irgendwas kommentiert.

    4 Leserempfehlungen
    Reaktionen auf diesen Kommentar anzeigen

    Kapitalismus ist schuld. Insbesodere der amerikanische Ausbeuter-Kapitalismus.

    • siar
    • gestern 0:46 Uhr

    dass es im Kapitalismus keine Korruption gibt.
    Mein ältester Freund ist in den USA auch im Krankenhaus mit Herzproblemen, nach 5 Stunden in der Notaufnahme gestorben, ohne dass ein Arzt sich um ihn gekümmert hätte. Die Kostenübernahme war nicht geklärt.

    hat sich die politische Kultur des Landes nicht unbedingt zum Guten verändert.
    Nach der gestrigen Lektüre des Beitrags über die aktuelle Situation in Polen kam sofort der Gedanke an die Situation in Rumänien auf - als Gegenbeispiel. Für den hiesigen Beobachter bleibt letztlich schwer nachvollziehbar, warum es Polen gelungen ist die politische Kultur in etwas "sauberes" umzuwandeln und den Rumänen eben nicht.
    Dieses lediglich am Wirtschaftssystem festmachen zu wollen, greift irgendwo viel zu kurz, wie die Verhältnisse in der VR China recht deutlich belegen.

  5. Kapitalismus ist schuld. Insbesodere der amerikanische Ausbeuter-Kapitalismus.

    Eine Leserempfehlung
  6. <<< Damals kamen rund 28 Prozent zur Abstimmung, europaweit waren es immerhin 43 Prozent. <<<

    M.E: noch 28 bzw. 43% zuviel, für ein "Parlament" mit rein dekorativen Charakter, deren meiste Mitglieder an einem Tag mehr verdienen, als die meisten Rumänen in einem Monat.

    3 Leserempfehlungen
    Reaktionen auf diesen Kommentar anzeigen

    Entfernt. Bitte verzichten Sie auf Beleidigungen. Danke, die Redaktion/dd

    • siar
    • gestern 0:46 Uhr

    dass es im Kapitalismus keine Korruption gibt.
    Mein ältester Freund ist in den USA auch im Krankenhaus mit Herzproblemen, nach 5 Stunden in der Notaufnahme gestorben, ohne dass ein Arzt sich um ihn gekümmert hätte. Die Kostenübernahme war nicht geklärt.

    7 Leserempfehlungen
  7. 8. [...]

    Entfernt. Bitte verzichten Sie auf Beleidigungen. Danke, die Redaktion/dd

    2 Leserempfehlungen
    Antwort auf "EU-Parlamentswahl 2009"

Bitte melden Sie sich an, um zu kommentieren

  • Artikel Auf einer Seite lesen
  • Quelle ZEIT ONLINE
  • Schlagworte Rumänien | Europäische Union | Europawahl | EU-Bürger | Euro-Zone | Korruption
Service