Brasilien"Dass ich misshandelt wurde, hat mit dem WM-Finale zu tun"

Der Filmemacher Jason O'Hara wurde am Tag des WM-Finals auf einer Demo von der Polizei verprügelt. Das passiere in Brasilien täglich, sagt er. Wer hat Schuld? Wir alle. Interview: Stefanie Dodt

ZEIT ONLINE: Herr O'Hara, Sie haben eine Demonstration gegen die Fußball-WM am Tag des Finals mit der Kamera begleitet. Am Ende wurden Sie ins Krankenhaus eingeliefert. Was ist passiert?

O’Hara: Es war eine Gruppe von 500 Demonstranten. Schon bald gab es Zusammenstöße mit der Polizei und chaotische Szenen. Die Polizei feuerte Tränengas und Gummigeschosse. Das war ungefähr eine Stunde vor Anpfiff. Ein Großteil der Demonstration löste sich zu dieser Zeit auf. Ich lehnte mich in dem Tumult gegen eine Wand, um mich zu schützen und meine Speicherkarte in der Kamera zu wechseln. In dem Moment rannte eine Gruppe Militärpolizisten an mir vorbei. Einer der Polizisten hob plötzlich seinen Schlagstock und schlug auf mich ein, ich glaube auf meinen Arm. Nach diesem ersten Schlag machten auf einmal alle vorbeikommenden Polizisten mit. Vier oder fünf rannten an mir vorbei und versetzten mir einen Hieb mit dem Schlagstock. Überall am Körper, völlig schonungslos. Ich ging zu Boden. Dann fingen sie an, mich zu treten.

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ZEIT ONLINE: Diese Szenen sind nicht in dem Video zu sehen, das auf YouTube kursiert.

Jason O'Hara
Jason O'Hara

Jason O'Hara ist ein kanadischer Dokumentarfilmer. Er drehte während der Fußball-WM in Rio de Janeiro und wurde am Tag des Finals bei einer Demo von der Polizei zusammengetreten.

O’Hara: Das ging alles sehr schnell und ist leider nicht im Video zu sehen. Man sieht nur den letzten Schlag. Am Ende dieser Gruppenaggression kam einer der Militärpolizisten und zog mir die Kamera vom Helm. Dann kam der letzte Polizist und trat mir ins Gesicht – ohne jegliche Provokation. Das ist die Szene aus dem Video. Danach musste ein Notarzt mein Bein behandeln. Der Arzt sagte, dass der Knochen stark traktiert war. Ich musste ins Krankenhaus, um zu klären, ob etwas gebrochen war. Aber zum Glück ist nichts Schlimmeres passiert.

ZEIT ONLINE: Denken sie, dass das ein gezielter Angriff gegen Sie als Journalist war?

O’Hara: Nein, das war Zufall. Ich glaube, ich war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort. Ich habe schon oft ähnliche solcher Fälle erlebt.

ZEIT ONLINE: Sie waren schon mit Helm und Gasmaske gewappnet. Ist das die normale Vorbereitung für eine Demonstration in Brasilien?

O’Hara: Ganz genau. An diesem Fall ist nichts besonders, außer dass es der Tag des WM-Finals war und ich dort als Ausländer zum Opfer wurde. Das ist ironisch, eigentlich ist es nämlich genau diese Ungleichheit, gegen die die Menschen auf der Straße protestieren. Ich als ausländischer und damit privilegierter Filmemacher habe offensichtlich mehr Rechte als die Brasilianer. Dieser ganze Medienzirkus ist irgendwie ironisch. Er verstärkt die Ungleichheit, gegen die protestiert wird. In so vielen anderen Fällen haben die Medien nichts getan. Es ist absurd, als Ausländer mehr Recht auf Gerechtigkeit zu haben als die Brasilianer.

ZEIT ONLINE: Der Polizist, der auf sie eingetreten hat, wurde nun für tatverdächtig befunden und intern angeklagt. Ein weiteres Disziplinarverfahren soll klären, ob er vom Dienst suspendiert wird. Ein gutes Zeichen?

Jason O’Hara: Das ist für mich sehr widersprüchlich. Klar, es ist erst mal ein gutes Zeichen. Aber das ist eben nur ein Fall. Was ist mit allen anderen? Was wäre ohne die mediale Aufmerksamkeit? Es gibt so viele Fälle wie diesen, ohne Namen und ohne Strafverfolgung. Dass es hier anders lief ist reines Make-up, das ist PR. Schadensbegrenzung. Sie mussten etwas tun.

ZEIT ONLINE: Im Video sehen Sie nicht sonderlich schockiert aus. War die ganze Situation wenig überraschend für Sie?

O’Hara: Ich war kein bisschen überrascht. Ich habe schon so viele ähnliche Vorfälle mitbekommen, auch viel schlimmere. Die Brasilianer leiden täglich unter dieser Art von Misshandlungen.

ZEIT ONLINE: Welche Reaktionen haben Sie nach dem Vorfall erreicht?

O’Hara: Es war überwältigend. Ich habe unglaublich viel Unterstützung und Zuspruch bekommen. Ich bin persönlich berührt von dieser wundervollen Unterstützung.

ZEIT ONLINE: Und die mediale Aufmerksamkeit? Hätten Sie die lieber nicht bekommen?

O’Hara: Das würde ich so nicht sagen. Ich sehe es als wichtige Möglichkeit, eine größere Diskussion zu beginnen. Wir müssen viel mehr über den sozialen Kontext reden, der zu diesen Vorfällen in Brasilien führt.

Leserkommentare
  1. "Government prepar for war against the poor" #becausefootball

    2 Leserempfehlungen
  2. Es ist natürlich immer bequem, aber höchstgradig ungerecht, den Opfern von Gewalt zu unterstellen, sie seien an ihren Misshandlungen ja selbst Schuld gewesen. Vielleicht bemerken Sie bei genauerem Abwägen den krassen Widerspruch zwischen "vermutlich linksgerichteter" oder "linksextremer" provokativer Personen und der "wahrscheinlich (...) provozierten" Polizei. Das haben Sie allerdings alles nur vermutet. Fakten sind immer noch: Es waren FÜNF POLIZISTEN, die auf EINEN MANN eingeprügelt haben.

    Ich kann Ihnen jetzt keine bösen Absichten unterstellen, aber ich kann Sie auf jeden Fall auf die poröse Argumentationsweise und fehlende Logik Ihres Kommentars hinweisen.

    7 Leserempfehlungen
    Antwort auf
  3. "Es ist absurd, als Ausländer mehr Recht auf Gerechtigkeit zu haben als die Brasilianer."

    Tatsächlich hat der Vorfall ja gezeigt, dass dem nicht so ist. Wer sich an gewalttätigen Demos beteiligt, muss mit Gegengewalt rechnen - egal welche Nationalität er/sie hat. Absurd wird es erst wenn man den Vorfall so ausschlachtet, dass man selbst, als Demoteilnehmer, diese Ungleichheit bestärkt. Dies geschieht durch dieses Interview!

    Eine Leserempfehlung
    Reaktionen auf diesen Kommentar anzeigen

    Der Artikel zeigt erst einmal, dass wenn ein ausländischer Journalist/Filmemacher zusammengeschlagen wird, dies zur Folge hat, dass eine juristische Reaktion erfolgt. Dieses Glück haben die meisten Brasilianer vermutlich nicht.

    Absurd ist hier nur ihr Kommentar. Und zynisch obendrein. Das Interview wurde von der ZEIT durchgeführt und O'Hara verweist darin darauf, dass er kein besonderer Fall ist. Er macht auf die Polizeigewalt stellvertretend aufmerksam, weil die brasilianischen Opfer dazu meist nicht die Möglichkeit bekommen. Dass er dies machen kann, ist auch Ausdruck einer Ungleichheit, nicht eines Fehlverhaltens von O'Hara. Lesen Sie doch mal den Artikel genauer, bevor Sie ihre unreflektierte Meinung von sich geben.

  4. Ihnen ist aber hoffentlich klar, dass das nur die Seitenüberschrift der ZEIT ist und nicht Aussage von O'Hara oder haben Sie nur die Überschriften gelesen?
    Oder wollen Sie eine Mitschuld der FernsehzuschauerInnen bestreiten?

    4 Leserempfehlungen
    Antwort auf
  5. Also entweder haben Sie keine Ahnung von der Situation in Brasilien oder Sie benutzen dieses Forum um ihre menschenverachtenden Ansichten zu verbreiten.
    Die Polizei dort ist durch und durch korrupt und teilweise Teil einer Polizei-Mafia.

    Mal ganz abgesehen davon, dass es um die Schuld an den Auswirkungen der WM geht und nicht um diesen Einzelfall.
    Aber wahrscheinlich ist es zu viel von ihnen verlangt, den Artikel zu lesen, bevor Sie ihn kommentieren.

    4 Leserempfehlungen
    Antwort auf
    • John_D
    • 02. September 2014 12:21 Uhr
    7. [...]

    Entfernt. Bitte äußern Sie sich differenziert und verzichten sie auf rein polemische Beiträge. Die Redaktion/lh

  6. 8. [...]

    Vielen Dank für Ihren Beitrag. Bitte Nutzen Sie das nächste Mal die Funktion "Kommentar melden", wenn Sie uns auf Kommentare aufmerksam machen möchten. Der Kommentarbereich ist der Diskussion des Artikels vorbehalten. Die Redaktion/lh

    Eine Leserempfehlung

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  • Schlagworte Ausländer | Fifa | IOC | Brasilien | Demonstration | Fußball-WM
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