InfrastrukturDeutschland geht kaputt

7,2 Milliarden Euro fehlen jedes Jahr für Schienen, Straßen und Schleusen. Das Fundament des Wohlstands bröckelt von  und

Kapitän Albert wartet auf die Bundesregierung, doch sie hat ihn vergessen, seit Jahren schon. Manfred Albert, ein alter Mann mit ledriger Haut, grauem Vollbart und roter Latzhose, sitzt barfuß im Steuerhaus seines Binnenschiffs und stellt den Motor ab. Er macht das Radio an, NDR2, verschränkt seine Finger und dreht die Daumen umeinander. Er will in die Schleuse fahren, aber sie ist besetzt. Jede Stunde, die Albert wartet, kostet 62,50 Euro. Jeder Tag, den er wartet, kostet 1.500 Euro.

Schaut er aus dem Steuerhaus, blickt er auf die Scharnebeck-Schleuse: Eine gigantische Festung aus Beton, sie sieht aus wie eine Hochhaussiedlung, die im Wasser steht. Die Scharnebeck-Schleuse hebt die Boote auf dem Elbe-Seitenkanal 38 Meter nach oben. An der Schleusenwand hängt eine Uhr mit stillen Zeigern. Stehen geblieben in der Vergangenheit, wie die Schleuse selbst.

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Es ist halb zwei am Mittag, als Albert den Motor wieder anstellt, einen Hörer in die Hand nimmt und sagt: "Schubverband 24-13 hier. 147 Meter lang und 9,50 breit." – "Na, dann teilt euch mal auf", antwortet die Stimme am anderen Ende. Die Schleuse ist 100 Meter lang, 47 zu kurz für Alberts Schiff. Man kann sich sein Schiff vorstellen wie zwei große Schubladen, die miteinander verbunden sind. Die Schubladen heißen Leichter, in jedem Leichter sind 24 Container verstaut. Hinter den beiden Leichtern ist ein Schiff mit Motor, es schiebt sie von hinten an. Damit dieser Schubverband in die Schleuse passt, muss Albert ihn in der Mitte teilen. Er fährt in die linke Kammer der Schleuse, bindet die Leichter auseinander, parkt dort die vordere Hälfte, fährt dann in die rechte Kammer. Fünfzig Minuten braucht er dafür. Die Schleusentore schließen sich.

Infografik

Die Reise eines Containers durch Deutschland: Klicken Sie auf die Karte, um die vollständige Route zu sehen.

Drei Minuten dauert es, bis die Kammern oben ankommen. Bis Albert sein Schiff wieder zusammengesetzt hat, ist es 15 Uhr. Für drei Minuten Schleusenfahrt hat er mehr als anderthalb Stunden gebraucht. Manchmal ist eine Kammer kaputt, oder die Schleuse fällt ganz aus. Dann wartet Albert mehrere Tage – und die Reederei, bei der er angestellt ist, verliert pro Tag 1.500 Euro: Kosten für die Besatzung, den Verschleiß, den Kraftstoff. Rechnet Albert die Stunden zusammen, die er an dieser Schleuse gewartet hat, kommt er auf mehrere Wochen.

1974 wurde die Scharnebeck-Schleuse gebaut, seit Jahren müsste sie vergrößert werden. Und grundsaniert. Albert wartet auf den Tag, an dem die Bundesregierung das endlich tun wird. "Aber sie behandelt uns Binnenschiffer stiefmütterlich", sagt er.

Um sechs Uhr früh sind Kapitän Albert und seine Mannschaft heute losgefahren im Hamburger Hafen. Steuermann Weisheit hat türkischen Kaffee gekocht und sich zu seinem Kapitän ins Steuerhaus gesetzt. Sie haben Container geladen, 48 Stück, gefüllt mit Stühlen und T-Shirts, mit indischen Pflastersteinen und Kaffee. Ein Container, Hamburg Süd steht darauf, ist leer. Die Container sind aus Übersee in Hamburg angekommen, nun werden sie in ganz Deutschland verteilt: Mit dem Binnenschiff werden sie nach Braunschweig gebracht, von dort mit dem Lkw zum Kunden.

Die Schleuse in Scharnebeck ist das erste Hindernis auf ihrem Weg durch Deutschland – ein Land, das langsam kaputtgeht. Das jetzt davon eingeholt wird, in der Vergangenheit zu wenig vorgesorgt zu haben. Wie ein Mensch, der nicht zum Arzt gegangen ist, weil er das Geld für Medikamente sparen wollte – und nun feststellt, dass er krank ist. Deutschlands Symptome: Schleusen verrotten, Straßen zerbröckeln, Brücken verfallen.

Das Land altert schleichend, auf den ersten Blick merkt man es nicht. Deutschlands Verkehrsnetz ist das größte und dichteste Europas, das Land lebt von seiner Lage im Herzen des Kontinents und davon, dass Waren schnell herankommen oder weggebracht werden. Infrastruktur ist ein anderes Wort für Unterbau, sie ist die Wohlstandsbasis dieses Landes. Aber der Unterbau zerbricht. In der kommenden Woche wird das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung eine neue Studie vorstellen. Darin steht, dass Deutschland im internationalen Vergleich zu viel spart und zu wenig investiert. Das betrifft die Energieversorgung, das Bildungssystem – und die Verkehrswege.

Leserkommentare
  1. Sobald einer was haben will, wollen alle was haben.

    Ich sehe auch, dass die Infrastruktur hierzulande noch eine der Stärken dieses Landes ist.

    Hinzu kommt noch, wenn man sieht, wo sonst überall für Geld ausgegeben wird. Es mag zwar so ein bisschen aus der FDP-Trickkiste klingen, aber bei den Steuereinnahmen, die wir haben, bleibt festzuhalten, dass wir auch ein Ausgabeproblem haben.

    Hinzu kommt noch, dass hinter dem Rücken der Bürger Ausbau- und Unterhaltungsprogramme privatisiert werden, bei denen der Bund der Steuerzahler schon angemahnt hat, dass man nur erkenne, dass die Ausgaben für den Bürger teurer werden, wenn man diesen Weg geht.

    Das lächerlichste, was dann passiert, ist, wenn dann solche Verträge gemacht werden, sie geheim bleiben, während der Staat die Kosten eines jeden Meter Banketträumung offen legen muss.

    Solange derartiges Strippenziehen läuft, wird es auch kein vernünftiges Infrastrukturprogramm geben.

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    Nun, da liegt mit Sicherheit verschiedenes im Argen.

    Wenn ich jedoch Sätze lese wie "Sie könnte sich günstig Geld leihen, um die Straßen, Schienen und Schleusen wieder in Ordnung zu bringen.", stellt sich mir als erstes die Frage weshalb die Bürger zig Milliarden aufbringen sollen (wie im vorliegenden Fall z.Bsp. durch den Verfall der Infrastruktur), um damit das Eingeben verschiedener Zahlen am Rechner zu "vergüten". Stellen Sie sich doch einmal vor, jeder welcher halbwegs auf seiner Tastatur rumeiern kann würde so entlohnt wie die Banken bzw. deren Nutznießer.

    Zumindest wurde im Artikel ein Stück weit erkannt wie völlig hirnfrei eine Schuldenbremse innerhalb eines Schuldgeldsystems funktioniert. Außer natürlich man steht auf kalte Enteignung.

    Ich glaube daher ehrlich gesagt nicht, das die vorliegenden Probleme sinnbehaftet innerhalb des Systems angegangen werden können. Ein grundlegendes Umdenken wäre hier nötig.

    • ibsche
    • 27. Juni 2013 17:44 Uhr

    Tja, Frau Merkel hat heute verkündet, dass man unsere 'Leistungsträger' nicht mit noch mehr Steuern belasten dürfe! Da sie aber mit Sicherheit von unserem intelligenten Wahlvolk wiedergewählt wird, sieht düster aus für die Zukunft unserer Verkehrsinfrastruktur. Da unseren elitären Leistungsträger sowieso lieber den Flugweg wählen, müssen diese auch nicht mit dem maroden Anblick irritiert werden.

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    [...]

    also sofern man die Beamtenpensionen kürzt bzw. deren Privilegien einfach mal streichen würde, wäre sicher Geld für die ach so kaputte Infrastruktur da.

    Steuererhöhungen für den ineffizienten Staatsmoloch. Nein danke

    Gekürzt. Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen. Danke, die Redaktion/sam

    • KHans
    • 27. Juni 2013 17:46 Uhr

    Deutschlands Substanz wurde durch die gute Infrastruktur aufgebaut. Das läßt diese Regierung systematisch verkommen.

    Was für Prioritäten der saubere Herr Ramsauer hat, sieht man an Stuttgart 21.
    Das heißt dann Leuchtturm-Projekt - weil es dem BER so ähnelt, nur eben unterirdisch noch weit weniger Korrekturmöglichkeiten bietet.

    Da wird ein funktionierender Bahnhof mit 16 Gleisen für knappe 6-7 Milliarden zurückgebaut auf 8 Gleise. Wo vorher bis zu 50 Züge pro Stunde abgefertigt werden konnten, können zukünftig mit viel Stress und Risiko maximal 32 Züge fahren.

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  2. lieber unfähigen Bankern sinnlos hinterherschmeißt, sie in unnötigen Hubschraubergeschäften verbrennt und das gesamtes Tafelsilber der Privatwirtschaft billigst zum Fraß vorwirft, um ein paar gierige Aktionäre zu befriedigen. Es ist zum K....

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    daran sind GrünINNEN und andere Weltverbesserer, die jede neue Straße/Schiene/Hafen/Stromleitung/Brücke und jede Instandsetzung einer Straße/Schiene/Hafen/Stromleitung/Brücke blockieren und bis zum letzmöglichen Gericht treiben. Ergebnis: die Kosten steigen, der
    Realisierungszeitraum wird länger etc.

    dass gegen eine Instandsetzung geklagt worden ist. Wann? Wo?
    Ihre übrige Argumentation ist zumindest auf der tagespolitischen Höhe der Zeit - ähnelt sie doch in ihrer erbarmungswürdigen Schwäche dem verzweifelten Versuch von Hartmut Mehdorn, den Bürgern die Schuld an den explodierenden Kosten und der Bauverzögerung des BER zuzuschieben.

  3. Für unsere Steuern werden eben Parkhäuser in Reggio di Calabria gebaut.

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  4. daran sind GrünINNEN und andere Weltverbesserer, die jede neue Straße/Schiene/Hafen/Stromleitung/Brücke und jede Instandsetzung einer Straße/Schiene/Hafen/Stromleitung/Brücke blockieren und bis zum letzmöglichen Gericht treiben. Ergebnis: die Kosten steigen, der
    Realisierungszeitraum wird länger etc.

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    • Suryo
    • 27. Juni 2013 18:52 Uhr

    Leider falsch. Sowohl Grüne als auch SPD haben schon vor Jahren im Bundestag darauf gedrängt, endlich mehr in die Instandsetzung der Infrastruktur zu investieren - anstatt ständig neue Projekte zu starten (insofern haben Sie recht, aber Ihr Beitrag ist natürlich nicht sachlich, sondern reines Grünenbashing). Die Infrastruktur in Deutschland ist prinzipiell ausreichend - nur muss eben auch mal etwas repariert oder ganz erneuert werden. Niemand braucht neue Autobahnen - aber die bestehenden müssen endlich schlaglochfrei sein.

    „Nein, Schuld daran sind GrünINNEN und andere Weltverbesserer, die jede neue Straße/Schiene/Hafen/Stromleitung/Brücke und jede Instandsetzung einer Straße/Schiene/Hafen/Stromleitung/Brücke blockieren...“

    So was, ich dachte der Staat hätte kein Geld mehr für die Erhaltung der Infrastruktur. Und jetzt noch ein paar Belege für die steile Behauptung, das wäre schön. Ansonsten wäre es dummes Wahlkampfgequatsche.

    • deDude
    • 27. Juni 2013 17:59 Uhr

    Es handelt sich hier um das klassische Wasser predigen und Wein saufen. Einerseits will man z.B. den Güterverkehr von der Straße auf die Schiene verlagern, andererseits kürzt man rigoros den Etat für ebendiese Verkehrsträger zusammen und bewilligt im Gegenzug eine zusätzliche Milliarde für den Autobahnbau. Der neue Jade Weser Port hat ein3n Bahnanschluss der (der JDW-Port soll DERneue

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  5. dass gegen eine Instandsetzung geklagt worden ist. Wann? Wo?
    Ihre übrige Argumentation ist zumindest auf der tagespolitischen Höhe der Zeit - ähnelt sie doch in ihrer erbarmungswürdigen Schwäche dem verzweifelten Versuch von Hartmut Mehdorn, den Bürgern die Schuld an den explodierenden Kosten und der Bauverzögerung des BER zuzuschieben.

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    können mehrere diesbezügliche Beispiele bewundert werden.

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