01.06.1995

Hurra, ich lebe noch

Wie DDR-Marken in die neue Zeit gerettet wurden

Von Dietmar Pieper

Es gab eine Zigarette in der DDR, die hieß F6 und wurde in Dresden hergestellt. Die Mischung der F6 war von schwankender Qualität, mal schmeckten mehr die Virginia-Tabake durch, ein andermal mehr die schwarzen Rachenputzer.

Die schlicht gestaltete Packung aus grobem Papier zeigte nicht viel außer dem Preis der Schachtel und dem Namen der Sorte: das F für Filter, die 6 für die sechziger Jahre, in denen die Marke erstmals produziert worden war.

Es gibt auch in den neuen Bundesländern eine Zigarette namens F6 aus Dresden. Nur: Die Mischung der F6 bleibt stets dieselbe, das Verhältnis von Virginia-Tabak und schwarzem Rachenputzer wird konstant überwacht. Die schlicht gestaltete Packung besteht nun aus glattem Papier. Sie zeigt nicht viel außer der Warnung der EG-Gesundheitsminister und dem Namen der Sorte, dessen Bedeutung allmählich in Vergessenheit gerät.

Die Geschichte der F6 ist die Geschichte eines außerordentlich erfolgreichen Ost-Produkts. Es erreicht in der ehemaligen DDR einen Marktanteil von mehr als 30 Prozent. Obwohl die Zigaretten aus Dresden nur im deutschen Osten in die Läden kommen, liegen sie in der gesamtdeutschen Verkaufsrangliste an fünfter Stelle. Der Zigarettenkonzern Philip Morris, der die Produktion 1990 übernommen hat, erwirtschaftete damit im vergangenen Jahr rund eine Milliarde Mark Umsatz. 525 von ursprünglich 950 Arbeitsplätzen blieben erhalten.

Entscheidenden Anteil am F6-Erfolg hat das Design der Packung - einfach dadurch, daß es gleichgeblieben ist. Während ein Staat zerbrach und die Besserwessis auf die Bonzen folgten, können F6-Raucher sich zumindest auf das stabile Image ihrer Marke verlassen: "Der Geschmack bleibt."

Nicht nur der US-Multi Philip Morris macht mit einem Nostalgie-Produkt gute Geschäfte - geschickt geschürtes Heimatgefühl und wiedererwachter Ost-Stolz haben zahlreichen klassischen DDR-Marken den Fortbestand gesichert. "Hurra, ich lebe noch!" jubelte die zeitweilig arg ramponierte Club Cola in einer Werbekampagne. Ehemals pappsüßer Schaumwein Marke "Rotkäppchen" fand als "Sieh-mal-einer-an-Sekt" wieder Absatz. Und wie zur Erinnerung an einstige Soli-Kampagnen für die Genossen in Kuba protzte ein Fernsehgerät Marke RFT: "Ich bin 1000 Arbeitsplätze."

Wieviel vom Erfolg an Design und Image hängt, zeigt der Niedergang der Zigarettenmarke Cabinet. Zu DDR-Zeiten war die Cabinet noch vor der F6 zwischen Ostsee und Erzgebirge die Nummer eins. Heute, unter der Regie des Tabakunternehmens Reemtsma, liegt sie abgeschlagen bei einem Ost-Marktanteil von unter zehn Prozent.

Die Hamburger Manager hatten 1990 bei Übernahme der Cabinet-Produktion einen dicken Fehler gemacht: Sie gaben der Cabinet ein neues, verwestlichtes Outfit. So wurden markentreue Raucher abgeschreckt, und Wechselwillige griffen lieber gleich zu Westkippen.

In Zeiten harter Einschnitte behaupten sich viele Ost-Produkte durch Kontinuität. Der elektrische Rasierer von Bebo Sher aus Berlin wird heute genauso verkauft, wie ihn die Designerin Brigitte Pietsch in den achtziger Jahren zunächst für die Schublade entworfen hat.

Der Apparat mit dem "eigenständigen Erscheinungsbild", sagt Geschäftsführer Frank Weber, habe für "die Rettung einer Ostmarke" gesorgt. Obwohl die Abteilung Elektrorasierer der Mutterfirma Bergmann-Borsig 1991 geschlossen werden sollte, machten ein paar Beschäftigte in eigener Regie weiter. Ihr wichtigstes Kapital war der bereits entwickelte "Bebo Sher V", der heute 20 Arbeitsplätze sichert. Ein erheblicher Anteil der Produktion geht, wie früher, nach Osteuropa.

Geradezu sinnlich erfahrbar wird das Hinübergleiten in die neue Zeit bei den Hautcremes von Florena. Das sächsische Traditionsunternehmen, gegründet 1852 in Waldheim, hält sich bei der Packungsgestaltung ans klassische Weiß-Blau. Die Farben werden allerdings nicht mehr hart voneinander abgesetzt, sondern fließen weich ineinander.

Traditionspflege ist auch beim Waschmittel Spee aus dem sachsen-anhaltinischen Genthin der Grund für ordentliche Verkaufszahlen. Westliche Power allein müßte scheitern bei einem Produkt, das 1968 als erstes DDR-eigenes Vollwaschpulver (Spee steht für "Spezial-Entwicklung") in die Haushalte kam. Da geht es nicht um das weißeste Weiß, sondern um solide ostdeutsche Sauberkeit.

Jürgen Seidler, Manager des Henkel-Konzerns, der das Genthiner Spee-Werk 1990 übernommen hat, erinnert sich: "Wir mußten den Fortschritt herausstellen, ohne das Vergangene mieszumachen. Die Verbraucher in der DDR waren mit ihrem Spee eigentlich sehr zufrieden." Nach einer Schwächephase 1990 ist das Waschmittel wieder Marktführer im Osten, rund 40000 Tonnen werden jährlich produziert.

Bei der Packungsgestaltung haben sich die Designer ans Original-Spee aus den sechziger Jahren gehalten: Grundfarbe Blau, der Schriftzug steigt dynamisch von links unten nach rechts oben auf. Verzichtet haben sie auf die lächelnde Hausfrau mit Dauerwelle. Ebenso behutsam wurde das Spee-Color modernisiert.

Zurück in eine ostalgische Zukunft strebt auch die Club Cola, deren Etikett Anfang 1995 zum drittenmal innerhalb von fünf Jahren umgestaltet wurde. Der schwarz-weiße Schriftzug steht nun auf weinrotem Grund, darunter in gelb der Zusatz "classic". Die Gestaltung nimmt Elemente des ersten Club-Cola-Labels von 1968 wieder auf. Gleichzeitig geht der Geschmack, der 1990 ins etwas Herbere geändert worden war, wieder mehr in die alte süße Richtung. Seitdem zeigt der Verkauf, wie Christine Krasel, die Sprecherin des Club-Cola-Herstellers Spreequell in Berlin sagt, eine "steigende Tendenz".

Ein Nischenprodukt bleibe die Club Cola dennoch: "Wir werden gegen Coca Cola nie ankommen, wir wollen die nur ein bißchen ärgern."

So stärkt Design das Selbstbewußtsein.


SPIEGEL SPECIAL 6/1995
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