DIK - Deutsche Islam Konferenz - Porträt: die Musikerinnen Defne Şahin und Sahira Awad

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"Leben, einzeln und frei..."

Samstag Abend, irgendwo in der Mitte Deutschlands, in einem kleinen Konzertsaal. Defne Şahin und ihre Musikerkollegen machen sich bereit für den Soundcheck und stimmen ihre Instrumente. Die junge Sängerin mit den langen schwarzen Locken steht in der Mitte des Ensembles am Mikrofon. Das Klavier beginnt mit einer leichten Melodie. Schlagzeug und Bass kommen dazu und weben einen schwingenden Teppich. Dann setzt Defnes Stimme ein - hell und geschmeidig - und erfüllt den Raum. Sie singt "Yaşamak", den Titelsong ihres ersten Albums. Melancholisch und hoffnungsvoll zugleich klingen die Zeilen. Es ist ihre Vertonung eines Gedichts des großen türkischen Dichters Nâzim Hikmet. Später übersetzt sie es mit den Worten "Leben, einzeln und frei wie ein Baum, und brüderlich wie ein Wald, das ist unsere Sehnsucht."

Sahira Awad - Berliner Schnauze mit palästinensischem Herz

Sahira Awad lächelt aufgeschlossen. Sie trägt ein schlichtes, elegantes Kopftuch.Sahira Awad Quelle: Philipp Lemmerich

Nach Freiheit und Frieden sehnte sich auch Sahira Awad, als sie 2005 ihr Debütalbum "Frei, Schnauze!" herausbrachte. Für sie war die Musik eine Möglichkeit sich Luft und Gehör zu verschaffen. In den Medien wurde die junge Hiphop-Sängerin gern als Berliner Schnauze mit palästinensischem Herz bezeichnet. In ihren Songs sang sie mit souliger Stimme über Liebe, über Glauben und über das Leben als Muslimin in Deutschland. "Ich bin frei, Schnauze! Kein Zweifel, Berlin mein zu Hause! 'Filistin' ist auch mein zu Hause! Mauer engt ein, Stein für Stein, weißt was ich mein." Mit ihrer direkten Sprache und ihren kritischen Texten ließ sie sich nie in eine Schublade zwängen. Sie rappte mit Kopftuch auf Deutsch - und manchmal auch darüber, "warum die dit bloß mag, dit Tuch in ihrem Haar". Wenn sie heute davon erzählt, strahlt ihr ganzes Gesicht. Aus dem Kopftuch ist ein Hidschab geworden.

Ihr Einstieg in die Musikszene fing damit an, dass Sahira mit zwölf Jahren selbst geschriebene Texte auf Kassette aufnahm. Ihr großer Bruder verteilte die Bänder unter Freunden und verschaffte ihr so die ersten Auftritte. "Ich war schon immer Einzelgängerin und Musik war mein Ventil, meine Familie, einfach alles. Mit 16 stand ich zum ersten Mal im Studio, als Sängerin für eine Hiphop-Band. Und seitdem war ich wie süchtig", erzählt Sahira. Ihre Melodien formte die Autodidaktin nach dem Gehör, die Beats entstanden am Computer. Neben vielen Gastauftritten bei bekannten Rappern bastelte Sahira auch an ihrem eigenen Album. Angebote von Plattenfirmen lehnte sie ab. Stattdessen suchte sie lange nach ihrem eigenen Stil, gründete 2005 ihr eigenes Label "Imanimusic" und finanzierte ihr erstes Album komplett selbst.

Defne Şahin - Über die USA und Barcelona zu Nâzim Hikmet

Wie Sahira ist auch Defne Şahin in einem gutbürgerlichen Stadtteil Berlins aufgewachsen. Ihre Eltern kamen nach dem Studium aus der Türkei nach Deutschland und legten viel Wert auf die musikalische Bildung ihrer Tochter. Mit fünf Jahren begann sie Klavier zu spielen, mit zwölf Jahren kam der Gesangsunterricht dazu. Doch erst während eines Austauschjahrs in den USA entdeckte sie als Sängerin der Schul-Bigband ihre Vorliebe zum Jazz. Danach war klar, dass sie Jazz-Gesang studieren will. Sie ging an die Universität der Künste in Berlin, wollte aber mehr von der Welt sehen.

Während eines Auslandssemesters in Barcelona begann Defne intensiv zu komponieren. Mit Hikmets Gedichten konnte sie sich auf Anhieb identifizieren. Beim Lesen der Texte habe sie gleich gemerkt, dass sie daraus etwas kreieren könne. "Das war mein Kriterium: Ob es irgendetwas in mir auslöst." Hikmets Gedicht "Lasst uns die Erde den Kindern übergeben" sei ihr schon in ihrer Kindheit begegnet und hätte sie nicht mehr losgelassen. "Es verkörpert einerseits den Drang nach Freiheit, andererseits aber auch Ruhe und Hoffnung", erzählt sie mit leuchtenden Augen. 

Hikmet schrieb Liebesgedichte, Briefe aus der Gefangenschaft, aber auch naturbetonte Lyrik. Seine einfache Sprache, die Schilderungen vom Meer und das Gefühl von Freiheit konnte Defne in Barcelona gut nachempfinden. So entschloss sie sich den Hikmet-Vertonungen ein ganzes Album zu widmen. Die Entscheidung auf Türkisch zu singen, war für sie selbstverständlich: "Es geht so viel Zauber verloren, wenn man die Texte auf einmal auf Deutsch oder Englisch singt. Das ist eine ganz andere Stimmung. Solange ich kann, versuche ich es so originalgetreu wie möglich zu halten".

Defne Şahin macht Musik, um der Musik Willen. Eine bestimmte politische Botschaft will sie damit mit nicht verbreiten: "Es gab einige Kritiker, die dachten, sie tun der Band etwas Gutes, wenn sie uns in so eine Multi-Kulti-Ecke stecken. Und dann wäre es doch auch toll, wenn man auf Deutsch und Türkisch singt. Das erinnert mich immer an meine Grundschulzeit. Da haben wir auch immer Lieder in verschiedenen Sprachen gesungen", erzählt sie amüsiert. "Das kann ja auch schön sein. Aber ich sehe meine Musik nicht als Integrationsprojekt."

Sahira Awad - Abkehr vom Musikbusiness hin zum Glauben

Auch Sahira bekam viele Auftritte in Kulturzentren, bei Podiumsdiskussionen und Integrationsfesten, obwohl sie eigentlich nicht als die Vorzeige-Migrantin gehandelt werden wollte. Zu ihrer Zeit hätte es so etwas wie Hiphop-Sängerinnen mit Kopftuch noch nicht gegeben, erzählt Sahira abgeklärt. "Im Rap waren die Frauen immer halb nackt. Ich will aber ein Vorbild für die Jugendlichen sein. Es hat mich berührt, wenn Mädchen zu mir gekommen sind und gesagt haben: Du bist ja cool, obwohl du betest. Das fand ich gut, weil die Jugendlichen gesehen haben, dass es auch mal anders geht."

Sahira AwadGenaue Gebetszeiten, Gebetsrichtung, alle Feiertage, der Koran - Apps sind hilfreiche Begleiter für viele Muslime. Quelle: Philipp Lemmerich

Auch außerhalb Deutschlands wurde man auf sie aufmerksam. Sie gab Konzerte in Ägypten und Interviews bei Al-Jazeera. Doch als gerade ihr zweites Album "Mit Reiner Absicht" veröffentlicht werden sollte, entschloss sich Sahira, der Musik zu entsagen. In einer palästinensischen Familie aufgewachsen, war der Islam zwar immer präsent, doch hatte Sahira ihn in ihrer Jugend nie praktiziert. Auf der Suche nach ihren Wurzeln begann sie, auch den Koran zu lesen. Sie wollte sich ein eigenes Bild machen und fand Gefallen an der Spiritualität und am Friedensgedanken der Weltreligion.

Sie gelangte zu der Überzeugung, dass die Musik sich nicht mit ihrem Glauben vereinbaren lässt: "Es ist ein Egobusiness. Sogar wenn man bescheiden und spirituell ist, irgendwann kriegt einen das. Du bist etwas Besonderes, deine Stimme ist etwas Besonderes. Und du stehst auf der Bühne und alle klatschen. Ich wollte nie ein Star sein. Ich hab dieses Fan-Gen nicht", sagt Sahira mit sichtlicher Aufregung über das Erlebte. Mittlerweile hat sie sogar aufgehört Musik zu hören: "Früher bin ich aufgestanden und habe laut Musik angemacht. Und ich dachte, ich krieg eine Macke ohne Musik. Aber ehrlich gesagt, mir fehlt nichts."

Heute ist Ruhe in Sahiras Leben eingekehrt. Gerade hat sie das Mittagsgebet beendet. Am Nachmittag will sie zur ihren Eltern nach Wilmersdorf fahren. Die Mutter sang früher klassische arabische Musik. Sie ist immer noch Sahiras großes Vorbild, auch wenn die mittlerweile 33jährige heute nicht mehr singt. Stattdessen geht sie wieder zur Schule und macht eine Ausbildung zur interkulturellen Beraterin und Betreuerin. In diesem Bereich sieht sie großen Bedarf, denn es gebe immer noch viel zu viele Vorurteile. Sie will den Jugendlichen durch ihr Beispiel zeigen, dass eine gläubige Muslima genauso emanzipiert und selbstbestimmt sein kann wie andere Frauen.

Defne Şahin - zwischen New York und Istanbul

Stameseder, Quinn, Defne Sahin und Krümmling stehen nach dem Konzert auf der Bühne.Die Defne Şahin Group besteht aus Elias Stemeseder (Piano), Simon Quinn (Kontrabass), Defne Şahin und Martin Krümmling (Schlagzeug) Quelle: Philipp Lemmerich

Die Stimmung beim Soundcheck der Defne Şahin Group ist gelöst. Zwischen zwei Songs  klimpert jeder etwas Anderes auf seinem Instrument. Allen vier sieht man an, dass sie Vollblutmusiker sind. An der Universität haben sie sich kennengelernt, mittlerweile touren sie regelmäßig durch deutsche Jazzclubs. Mit ihren 28 Jahren ist Defne die älteste von ihnen. Nach dem ersten Studium ging sie erst einmal nach Istanbul. Mit dem Hikmet-Album tourte sie durch die ganze Türkei. Mittlerweile wohnt sie in New York, wo sie auch wieder studiert. Doch sie kommt regelmäßig nach Berlin, schon allein um mit ihrer Band zu spielen. Dann muss sie über einen Witz des Schlagzeugers schmunzeln. Doch sogleich wird sie wieder ernst, zählt kurz den Takt vor und stimmt den nächsten Song an.

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Musikausschnitte von Defne Şahin findet man hier.

Einige Songs von Sahira Awad kann man hier anhören.

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Stefanie Otto, 18.01.2013

Stefanie Otto ist freie Journalistin und lebt in Berlin. Sie arbeitet hauptsächlich für öffentlich-rechtliche Radiosender und schreibt für diverse Onlinemedien.

Zusatzinformationen

Defne Şahin, im Hintergrund der Pianist Elias Stemeseder und rechts neben ihr steht Simon Quinn mit dem Kontrabass.

Die Bilderstrecke zum Porträt von Sahira Awad und Defne Şahin

Defne Şahin und Sahira Awad wuchsen in einem gutbürgerlichen Teil von Berlin auf. Beide haben großes Talent und Gespür für Musik - aber sehr unterschiedliche Biographien und Vorstellungen.

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Cover von Broschüren

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Cover des Magazins SPIEGEL Special, Quelle: SPIEGEL Special Nr. 1/1998

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