Schöne gute böse Brust
Kulturgeschichte eines Körperteils

Für die meisten von uns, insbesondere für die Männer, sind Brüste sexueller Schmuck, sozusagen die Kronjuwelen der Weiblichkeit. Wir leben in einer busenfixierten Welt. Aggressiv lockende Brüste sind allgegenwärtig. Sie dienen als Kaufanreize
in unserer Konsumgesellschaft, und die Frauen sind es meist selbst, die diesem Bild vom perfekten Busen erliegen. Wir machen die Moden der BH-Hersteller mit, und nicht wenige von uns lassen gar die Chirurgen dran, wenn wir von der Natur zuviel oder halt eben zuwenig abbekommen haben.

Aber wehe, eine Brust wird in ihrer ureigentlichen biologischen Funktion gezeigt. Erinnern wir uns an die unlängst durch die Medien gegeisterte Meldung, dass in England ein Kino-Werbespot für die Wahlen zum Europäischen Parlament zensiert wurde. Ein Baby hätte sich entscheiden sollen, an welchem Nippel es nun lieber saugen möchte. Das war den britischen Zensoren zuviel Sex. Da half auch nicht der Einwurf der britischen Agentur MNC, die den Spot produziert hatte, dass es in dem Spot um einen natürlichen und nicht um einen sexuellen Akt gehe. Zwar hat der Spot im restlichen alten und neuen Europa ungefiltert laufen dürfen, aber die britische Reaktion zeigt eben auch, wie sehr sexualisiert unsere Sichtweise ist.
Während wir allenthalben von baren Busen regelrecht erschlagen werden, ist für sehr viele Frauen das Stillen in der Öffentlichkeit keinesfalls normal und oft auch immer wieder Gegenstand hitziger Diskussionen. Da werden stillende Mütter schon mal kurzerhand des Restaurants verwiesen, und bei der österreichischen Bundesbahn kann frau sogar seit kurzem den Service eigener Stillabteile nutzen – damit bloß keiner zuschauen muss.

Aber diese sexualisierte Sichtweise war nicht immer so und ist es auch heute nicht in vielen anderen Kulturen, wo sich Frauen seit Urzeiten mit unbedeckten Brüsten bewegen. Nichtwestliche Kulturen haben ganz andere erotische Fetische, wie etwa das Hinterteil oder die Füße.

Seit Beginn der überlieferten Geschichte wurde die Brust als charakteristischster Teil des weiblichen Körpers mit ‚guten’ wie ‚bösen’ Konnotationen belegt. Eva war die hochverehrte Mutter der Menschheit einerseits und gleichermaßen Archetyp der Verführung.

Die amerikanische Professorin Marilyn Yalom hat in ihrem Buch Eine Geschichte der Brust die unterschiedlichen Einstellungen zur weiblichen Brust aus historischer Perspektive betrachtet und die Willkürlichkeit in diesen Einstellungen aufgezeigt. Sie führt uns zurück in Zeiten, in denen die ‚gute’ Brust dominierte, ihre Kraft, dem Säugling Nahrung zu spenden oder – allegorisch – der gesamten religiösen, kulturellen oder politischen Gemeinschaft. Yaloms Kulturreise führt uns von den paläolithischen Göttinnen bis zur Frauenbewegung und sie ist lang und voller Überraschungen. Brüste hatten im Laufe der Zeit nicht nur einfach die Aufgabe zu stillen – manchmal sollten sie erotisch sein, manchmal durften sie es nicht sein, und manchmal mussten sie sich für politische Aufgaben entblößen.

Wir treffen auf prähistorische Statuen, deren Brüste mit magischen Kräften ausgestattet waren, lernen antike Göttinnen kennen und begegnen den Frauen des alten und neuen Testaments und der stillenden Madonna in den Gemälden des 14. Jahrhunderts.

Doch bereits für die Menschen der Antike war nicht mehr die stillende Funktion und die Macht des Busens wichtig, sondern dessen Schönheit. Klein, fest und apfelförmig sollte er sein. Seit 400 vor Christus wurde Sexualität durch die Darstellung der nackten Aphrodite symbolisiert. Aber so schön wie Aphrodite durften nur die Hetären sein. Die Ehefrauen hatten brav zu Hause zu sein und sich nicht in der Öffentlichkeit zu zeigen. Auch gab es zu dieser Zeit bereits die ersten Ammen.

Das christliche Mittelalter drängte die Erotik in den Hintergrund. Stillen war heilig - Maria stillt Gottessohn und damit die gesamte Christenheit. In den Bildern der Frührenaissance taucht maria lactans auf, die Ernährerin und Beschützerin für die Glaubensgemeinschaft. Nur in diesem Zusammenhang ist die weibliche Brust im christlichen Sinne rein und unschuldig. Den Gegensatz dazu bildet Eva, deren Nacktheit für Verführung, Schuld und den Sündenfall steht.

Danach wird die Brust wieder erotisch. Im Europa der Renaissance vollzog sich ein radikaler sozialer und kultureller Wandel. Zum ersten Mal in der christlichen Geschichte wurde der Mensch – nicht Gott – zum Maß aller Dinge erklärt, und mit ihm gerät die Brust restlos in männlichen Besitz. Zahllose Gemälde des fünfzehnten bis siebzehnten Jahrhunderts führt Yalom an, in denen eindeutig der sexuelle Aspekt in den Vordergrund tritt. Aber so wie die Brust sexualisiert wird, so spricht man ihr ihre nährende Funktion ab. Stillen gilt in der Renaissance und der frühen Neuzeit als unerotisch. Wer es sich leisten kann, gibt seine Kinder aufs Land zu den Ammen, damit der Busen keinen Schaden nimmt. Über den Schaden, der den Kindern dabei zugefügt wurde, ist hingegen wenig überliefert.

Auch im 18. Jahrhundert ist das erotische Ideal die kleine und unverbrauchte Brust – und Babys haben an ihr nach wie vor keinen Platz. Das Ammenwesen dehnte sich sogar auf die unteren Schichten aus. Um die Mitte des Jahrhunderts wurden etwa 50% aller Pariser Kleinkinder aufs Land zu Ammen geschickt; eine Quelle aus dem Jahr 1780 besagt, dass von den rund 21.000 in Paris geborenen Kindern gerade mal 10% in ihren Elternhäusern genährt und versorgt wurden. Philosophen, Ärzte und Wissenschaftler beginnen, gegen diesen Trend Sturm zu laufen. Die Brust wird politisch, und das Stillen der eigenen Kinder wird zu einer der wesentlichen Forderungen der Französischen Revolution.
Rousseau folgend ließen sich viele von den Vorzügen des Stillens überzeugen: Was gut ist fürs Baby, ist auch gut für die Gesellschaft. Physische Gesundheit wird zur Metapher für Gesundheit des Staates. Plötzlich gab es nicht nur erotische und moralische Anforderungen an die Frau und ihren Busen, sondern auch politische. Ihre individuelle Verpflichtung, ihr Kind stillen, verschmolz mit der kollektiven Verantwortung der Nation, ihren Bürgern ‚nährende’ Fürsorge zu bieten; diese Vorstellung findet ihren Ausdruck in den zahlreichen Darstellungen der Republik als Frau, die ihre unbedeckten Brüste darbietet.

Seit dem neunzehnten Jahrhundert vervielfachten sich die Ansprüche an die Brust in dem gleichen rasenden Tempo, das auch für viele andere Prozesse in industriellen und post-industriellen Gesellschaften charakteristisch ist. Profitinteressen übernahmen die Führung. Seither gehen Reklame-Bombardements über uns Frauen nieder, die uns ihre Korsetts, BHs, Cremes, Lotionen, Straffungen, operativen Vergrößerungen etc. verkaufen wollen. Zentrale Frage ist dabei unser eigenes Körperbild. Denn es ist zweifellos nicht einfach, sich mit den eigenen Brüsten wohl und in Einklang zu fühlen, wenn sie dem Körperideal der Zeit und der Welt, in der wir leben, nicht entsprechen.
In unglaublichem Ausmaß lassen sich die Frauen von diesen willkürlichen Schönheitsvorstellungen tyrannisieren – ein Milliardenmarkt verkauft uns Produkte und Dienstleistungen, um die untere Hälfte unseres Körpers im Umfang zu reduzieren und die obere Hälfte zu vergrößern. Feministinnen und andere Aktivistinnen haben versucht, die Befreiung der Frauen von irgendwelchen Schönheitsidealen voranzutreiben – schaut man auf die steigenden Umsätze der Schönheitschirurgen, kommen Zweifel am Erfolg.

Tragischerweise kommt uns aber noch eine ganz andere Realität täglich ins Bewusstsein – die nämlich, dass uns unsere Brüste auch umbringen können. Denn die Brust als zeitloses Symbol für Leben, Nahrung und Sexualität steht auch in Opposition zu ihrem anderen, entgegengesetzten Bedeutungsfeld als Trägerin von Krankheit und Tod. Niemand kann genau sagen, weshalb Brustkrebserkrankungen heute in solcher Häufigkeit auftreten und weiterhin zunehmen. Nicht wegzuleugnen ist hingegen der positive Aspekt des Stillens gerade für die Brustgesundheit. Vielleicht sollte ein menschliches Organ einfach auch für das genutzt werden, wofür es gedacht ist. Es wäre an der Zeit, die positiven Aspekte des Stillens und gerade des langen Stillens gesundheitspolitisch klar herauszustellen und den Frauen zu sagen, dass das Stillen quasi die einzige Möglichkeit ist, selbst ihr potentielles Brustkrebsrisiko zu minimieren.


Literatur:

Marilyn Yalom: Eine Geschichte der Brust
Marion von Schröder Verlag
München 1998
ISBN 3547798760

Hans-Peter Duerr: Der erotische Leib
Suhrkamp Verlag
Frankfurt am Main 1999
ISBN 351839536X

Charlotte von Khreninger

aus: Stillzeit. Die Fachzeitschrift der AFS. 3/2004, S. 5-7

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