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Neurologie
16. Oktober 2009
Opioidinduzierte ObstipationAktuelle Therapiemöglichkeiten in der palliativen SchmerztherapieDer Einsatz von Opioiden ist bei allen Formen akuter wie auch chronischer Schmerzen indiziert; dies betrifft sowohl Tumor-assoziierte wie auch nicht-Tumor-assoziierte, vor allem neuropathische und nozizeptive, Schmerzzustände. Aufgrund ihrer hohen analgetischen Wirksamkeit stellt die Opioidtherapie in der Palliativmedizin die Basis für eine effektive Symptomkontrolle dar. Ungeachtet der analgetischen Effektivität ist ihr Einsatz häufig mit einer Opioid-bedingten Störung der Darmfunktion (OBD) assoziiert, deren primäres Symptom, die Obstipation (Bell et al., 2009), bei bis zu 90 Prozent der Patienten auftritt (Yuan & Pappagallo, 2005) und die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigt (Panchal et al., 2007). Angaben zur Häufigkeit der opioidinduzierten Obstipation variieren aufgrund unterschiedlicher Studiendesigns und aufgrund der Heterogenität der eingeschlossenen Patientenkollektive stark – ihre Prävalenz bewegt sich zwischen 15 Prozent und 66 Prozent (Osterbrink & Haas, 2008). Die opioidinduzierte Obstipation stellt einen der häufigsten Gründe dar, weshalb Patienten einer Therapie mit starken Opioiden ablehnend gegenüberstehen beziehungsweise diese abbrechen und somit keine effiziente Schmerzlinderung erfahren; sie wird in vielen Fällen nicht aktiv angesprochen beziehungsweise ungenügend behandelt (Thorpe, 2001) und birgt unbehandelt neben einer signifikanten Verminderung der Lebensqualität die Gefahr der Entwicklung eines Ileus beziehungsweise eines Kotstaus (Thomas, 2007; Pappagallo, 2001). Um den obstipationsbedingten Beschwerden entgegen zu wirken, verwenden betroffene Patienten ungeachtet des Nebenwirkungsrisikos oftmals kontinuierlich Laxantien beziehungsweise modifizieren / beenden sie trotz der potentiellen Gefahr des Verlusts der analgetischen Wirkung ihre Opioid-Medikation (Choi & Billings, 2002; Thorpe, 2001). Wenngleich ein symptomatisches Management vielen Patienten Linderung verschafft, sind neue therapeutische Strategien, die spezifisch auf die zugrunde liegenden Mechanismen der opioidinduzierten Darmdysfunktion beziehungsweise der Obstipation abzielen, dringend erforderlich. Diagnose der ObstipationDas Ziel der Diagnostik liegt darin, eine zugrunde liegende Erkrankung auszuschließen oder zu bestätigen. Zu Beginn steht eine ausführliche Anamnese mit Schwerpunkt auf Defäkationsfrequenz, Stuhlform, etwaigen Alarmsymptomen und allfälligen verstopfungsfördernden Medikamenten. Als physiologisch kann eine Stuhlfrequenz zwischen dreimal pro Woche und dreimal pro Tag betrachtet werden. Entsprechend den ROM-III-Kriterien (Rome Foundation; Longstreth et al., 2006) liegt eine Obstipation dann vor, wenn innerhalb der vergangenen sechs Monate während zumindest zwölf Wochen (die nicht zusammenhängend sein müssen) zwei oder mehr der folgenden Symptome in über 25 Prozent der Zeit dauernd oder intermittierend auftreten:
PathophysiologieOpioide wie Morphin, Codein und Oxycodon binden an Opioid-Rezeptoren im zentralen Nervensystem und verringern so die Schmerzwahrnehmung. Der pathophysiologische Mechanismus einer opioidinduzierten Obstipation beruht auf der spezifischen Bindung des Arzneistoffs an periphere Opioidrezeptoren im Magen /Darm-Trakt. Die Vermittlung der Opioidwirkung erfolgt über drei im enterischen Nervensystem vertretene Hauptklassen von Rezeptoren: µ, κ und δ, wobei der µ-Rezeptor der wichtigste Mediator der Opioid-agonistischen Effekte im Gastrointestinaltrakt zu sein scheint (De Schepper et al., 2004; Shook et al., 1987). Nach Besetzung des Rezeptors durch exogene Opioide wird die Freisetzung exzitatorischer und inhibitorischer Neurotransmitter unterbunden – die Folge ist neben verminderter Sekretion eine Ausschaltung / Unterbrechung der koordinierten rhythmischen Kontraktionen, welche für die intestinale Motilität verantwortlich sind (De Luca & Coupar, 1996; Wood & Galligan, 2004; Holzer, 2007) sowie eine Erhöhung der Flüssigkeitsresorption aus dem Darm. Dies führt zur Eintrocknung des Darminhalts und zu einer weiter zunehmenden Behinderung seiner Passage durch den Verdauungstrakt, woraus letztlich die opioidinduzierte Obstipation resultiert. Belastung des Patienten – opioidassoziierte NebenwirkungenZu den häufigsten Beschwerden von Palliativpatienten zählen heftige malignom-bedingte Schmerzen, die eine Therapie mit starken Opioiden erforderlich machen. In Europa erhält etwa die Hälfte aller onkologischer Patienten Morphin (EAPC-Survey). Das Ziel der Palliativbehandlung liegt in der Verbesserung der Lebensqualität der Patienten (und ihrer Familien), wobei neben entsprechender psychosozialer und mentaler Unterstützung die effektive Linderung der Schmerzen im Vordergrund steht (WHO, 1996). Die opioidinduzierte Obstipation ist nicht nur eine der häufigsten Begleiterscheinungen einer adäquaten Schmerztherapie, sondern auch eine für die Betroffenen stark belastende Nebenwirkung (Pappagallo, 2001; Walsh, 1990). Weiters ist sie hauptverantwortlich dafür, dass Patienten die Schmerztherapie mit starken Opioiden ablehnen beziehungsweise abbrechen und somit eine effiziente Schmerzlinderung nicht erreicht werden kann (Thorpe, 2001): Neun von zehn unter einer Behandlung mit starken Opioiden stehenden Karzinom-Patienten leiden an Obstipation (Mancini et al., 1998; Yuan & Pappagallo, 2005), 87 Prozent davon benötigen Laxantien (Sykes, 2006), wobei die obstipierende Wirkung im Gegensatz zu anderen Nebenwirkungen keiner Toleranz unterliegt (Pappagallo, 2001; Walsh, 1990). Eine massive Obstipation kann den Benefit der Schmerzbehandlung mit Opioiden für die Patienten um mehr als 30 Prozent verringern (Foss, 2001). Zusätzlich zu den Auswirkungen auf den Gastrointestinaltrakt kann eine prolongierte Opioidtherapie zu (intra-)zellulären Veränderungen führen, die zu pharmakologischer Opioidtoleranz und / oder erhöhter Schmerzsensitivität beitragen, die letztlich eine Dosiseskalation erforderlich machen (Panchal, 2007). Im Vergleich zu Schmerzpatienten ohne Obstipation verzeichnen Patienten mit opioidinduzierter Obstipation häufiger Arztbesuche, benötigen mehr Krankenstände und empfinden eine Beeinträchtigung ihrer Arbeitsleistung und der Aktivitäten des täglichen Lebens in stärkerem Ausmaß (Annunziata & Bell, 2006). Insgesamt ist die opioidinduzierte Obstipation nicht nur eine schwere Belastung für Betroffene, sondern auch ein relevanter Kostenfaktor für das Gesundheitssystem (Thomas, 2007). Pharmakologische KonzepteDie Konsequenz einer arzneimittelinduzierten Obstipation besteht grundsätzlich im Absetzen der verursachenden Medikamente. Im palliativen Setting ist dies im Sinne einer suffizienten Schmerztherapie meist nicht umsetzbar, so dass eine entsprechende Prophylaxe mit Laxantien in stufenweisem Vorgehen zur Anwendung kommt (siehe Tabelle). Die ultima ratio bei Patienten in der palliativen Versorgung stellen Klistiere und manuelle Ausräumung dar, die aufgrund des Verlusts der Würde nur angewendet werden sollten, wenn die Obstipation mit anderen Mitteln nicht beeinflusst werden kann (Thorpe, 2001).Da der Einsatz konventioneller Laxantien oftmals nicht imstande ist die Obstipation zufriedenstellend zu beheben (Cook et al., 2008), sollte bereits die frühzeitige und prophylaktische Anwendung der neueren Substanzklasse der Opioidantagonisten in Erwägung gezogen (Fallon & Hanks, 1999) und im Falle einer langfristigen Behandlung routinemäßig fortgesetzt werden (Patanwala et al., 2006). OpioidantagonistenOpioidantagonisten wie Naloxon oder Methylnaltrexon stehen entweder als Monopräparat oder als Fixkombination mit Opioiden zur Verfügung. Diese zielgerichteten Therapien wirken über den peripheren µ-Rezeptor-Antagonismus, ohne dabei einen Verlust der Analgesie herbeizuführen. Methylnaltrexon (Relistor®)Methylnaltrexon zeigt eine starke Affinität zu peripheren Opioidrezeptoren, die für die Entstehung der Obstipation verantwortlich sind und inhibiert diese selektiv ohne die analgetische Wirkung zu beeinträchtigen oder eine Entzugssymptomatik zu induzieren (Foss, 2001; Tamayo & Diaz-Zuluaga, 2004). Methylnaltrexon zeigte in Studien viel versprechende Ergebnisse mit entsprechenden Ansprechraten (Thomas et al., 2008). Es wird als Injektionslösung subkutan appliziert und ist zur Behandlung von opioidinduzierter Obstipation bei Patienten in palliativer Behandlung in fortgeschrittenen Krankheitsstadien dann indiziert, wenn das Ansprechen auf eine Therapie mit den üblichen Laxantien unzureichend ist. Alvimopan (Entereg®)Alvimopan, der erste nur peripher wirksame µ-Rezeptor-Antagonist, lindert die Symptomatik der opioidinduzierten Obstipation (Moss et al., 2008), ist allerdings aufgrund eines erhöhten Myokardinfarktrisikos bei Patienten kontraindiziert, die für länger als eine Woche Opioide erhalten (prescribing information). Die Substanz ist in Europa nicht zugelassen. Kombination Oxycodon + Naloxon (Targin®)Oxycodon, ein semisynthetisches Derivat des natürlich vorkommenden Thebains, ist ein starkes Opioid. Es ist oral verfügbar und weist eine hohe orale Bioverfügbarkeit (> 60 %) auf (Riley et al., 2008). Die Wirksamkeit von Oxycodon ist jener von Morphin und Hydromorphon vergleichbar (Reid et al., 2006), es findet daher auch breite Anwendung in der Behandlung Tumor-bedingter Schmerzen. Targin® ist der erste Vertreter eines oralen Analgetikums in Form einer Fixkombination aus Oxycodon und Naloxon, einem Opioid-Antagonisten, in Retard-Form. Die Naloxon-Komponente interagiert aufgrund der äußerst geringen systemischen Bioverfügbarkeit (< 3 %; Nadstawek et al., 2008) bei oraler Verabreichung nur mit lokalen peripheren Opioid-Rezeptoren in der Darmwand und verhindert, dass Oxycodon die Funktion des Verdauungssystem negativ beeinflusst. Im Rahmen des klinischen Phase-III-Studienprogrammes wurde gezeigt, dass die analgetische Wirksamkeit der Kombination jener von Oxycodon als Monotherapie äquivalent ist, jedoch das Risiko der opioidinduzierten Obstipation signifikant verringert und die normale Darmfunktion aufrecht erhalten wird ohne die zentrale analgetische Wirkung von Oxycodon zu beeinträchtigen (Vondrackova et al., 2008; Meissner et al., 2008; Simpson et al., 2008). Zusammenfassung
Korrespondenz Prim. Priv.-Doz. Dr. Christian Lampl Vorstand der Abteilung für Allgemeine Neurologie und Schmerzmedizin Konventhospital Barmherzige Brüder Seilerstätte 2, 4020 Linz 1 Vorstand der Abteilung für Allgemeine Neurologie und Schmerzmedizin am Konventhospital Barmherzige Brüder, Linz Annunziata K, Bell T. Impact of opioid-induced constipation on patients and healthcare resource use. Eur J Pain 2006;10 (Suppl.1):S172 Bell TJ, Panchal SJ, Miaskowski C, et al. The prevalence, severity, and impact of opioid-induced bowel dysfunction: results of a US and European Patient Survey (PROBE 1). Pain Med 2009;10(1):35-42 Choi YS, Billings JA. Opioid antagonists: a review of their role in palliative care, focusing on use in opioid-related constipation. J Pain Symptom Manage 2002;24:71-90 Clemens KE, Klaschik E. Managing Nausea, Emesis, and Constipation in Palliative Care. Dtsch Arztebl 2007;104(5):A-269 Cook SF, Lanza L, Zhou X, et al. 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C. Lampl, focus neurogeriatrie 3/2009 © 2009 Springer-Verlag GmbH, Impressum
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