Gazprom

02.02.2015

Gerald Asamoah: Hier gehöre ich hin

Irgendwann musste es mal soweit sein: Asa hört auf. Nach dieser Saison in der Regionalliga endet eine große Karriere, die eine verdickte Herzscheidewand 1998 beinahe frühzeitig verhindert hätte. Doch Gerald Asamoah, damals 20 Jahre alt, spielte weiter, kam nach Schalke und bewies, dass das Herz mehr ist als ein Organ. Der Rest ist Geschichte. Bei einem Erinnerungsspaziergang mit dem Schalker Kreisel sinnierte er über seinen Abschied und seine Liebe zum S04.

Die alte Geschäftsstelle mit dem überdimensionalen gläsernen Ball. Hier unterschrieb Asamoah 1999 seinen ersten Vertrag. Es war der Beginn eines rund 14-jährigen königsblauen Kapitels, in dem der Angreifer mit Kämpfernatur und breitem Lachen die Herzen der Fans im Sturm eroberte. Das Gebäude wird auch heute noch genutzt. Zum Beispiel von Willi Koslowski in der Poststelle, dem Meister von 1958. Koslowski und Asamoah, beide historische Figuren dieses Clubs, umarmen sich herzlich. Damals, als Asa noch neu auf Schalke und wehrpflichtig war, fuhr ihn Koslowski zur Musterung, lieh ihm Geld für den Spind. „Die Bundeswehr hat mich ausgemustert“, erinnert sich Asamoah und lacht. Zwei Schalker Legenden beim Kreiswehrersatzamt. Lang‘ ist’s her.

Der erste Vertrag wurde hier unterschrieben - in der alten Geschäftsstelle. Copyright: Karsten Rabas

Erinnern Sie sich an Ihren ersten Arbeitstag auf Schalke?

Klar, das vergisst du nicht. Ich kam aus Hannover, wusste nicht, was mich erwartet, und muss heute ehrlich sagen: Ich war sehr naiv. Mir war bekannt, dass Schalke ein super Verein ist, aber ansonsten nicht viel mehr. Der Grund für den Wechsel hieß Rudi Assauer. Er hat mir imponiert. Deshalb habe ich allen anderen abgesagt. An meinem ersten Tag in Gelsenkirchen hat es stark geregnet, wir sind ins Hotel gefahren, am nächsten Morgen war Training. Eine neue Welt für mich. Das Schönste war: Du kommst auf den Platz, drum herum stehen plötzlich Tausende Fans, und du denkst: „Das kann doch nicht sein, du hast doch nur Training. Was ist denn hier los?“

Nun naht Ihre letzte Schicht. Haben Sie schon realisiert, was es bedeutet, nicht mehr jeden Tag zum Training zu kommen?

Für keinen Fußballer ist es schön, irgendwann zu sagen: Es ist vorbei, ich widme mich jetzt etwas anderem. Ich werde nicht mehr auf dem Platz stehen, und das wird wehtun. Es hat auch schon geschmerzt, 2013 zurückzukehren und nicht mehr den früheren Weg zu gehen, nach oben zu den Profis. Aber jetzt damit klarzukommen, dass in nicht mal mehr einem halben Jahr alles vorbei sein soll - das ist hart. Mal abwarten, wie ich damit umgehe. Keine Ahnung, was mich erwartet (lacht). Aber wenn du diesen Sport liebst, wenn du wie ich den Verein liebst, immer gerne hierher gefahren bist, dann wird es Zeit brauchen, bis alles verarbeitet ist.

Macht Ihnen das Karriereende Angst, oder spüren Sie eher Vorfreude?

Ich kann das nicht einschätzen. Ich spüre eine Vorfreude darauf, was nach dem Fußball passiert und welchen Spaß ich an neuen Dingen entwickeln kann. Trotzdem ist da auch die Angst loszulassen. Ich habe gerne gespielt, es gibt nichts Schöneres als Profi zu sein und den besten Verein gefunden zu haben. Schalke wird immer mein Verein bleiben! Aber trotzdem nicht mehr aktiv, nicht mehr mittendrin zu sein, bringt Wehmut mit sich.

Ich habe alles gegeben, und die Fans haben vom ersten Tag an gemerkt, dass ich hierher passe.

Gerald Asamoah

Wann haben Sie angefangen, übers Aufhören nachzudenken?

Als ich mich für die U23 entschieden habe, war klar, dass ich höchstens noch zwei Jahre vor mir habe. Ich bin 36 Jahre alt, werde im Oktober 37. Du denkst halt, du bist jung. Aber wenn du täglich auch bei der U23 unter Profi-Bedingungen trainierst, kannst du das nicht halbherzig machen. Doch ich möchte morgens auch mal mit meinen Kindern Fußball spielen, deshalb habe ich für die Zeit nach der U23 gesagt: Es ist vorbei. Das bedeutet aber nicht, dass ich nicht irgendwo als Hobby-Kicker mitmischen werde.

Fühlen Sie sich alt?

Was heißt schon alt? In Fußballermaßstäben? Wenn ich mir die Mannschaft anschaue, spiele ich dort gemeinsam mit 18-, 19-Jährigen. Miles Müller zum Beispiel: Den kannte ich durch Andreas Müller schon, als er noch ein kleiner Junge war, und jetzt spielt Miles mit mir zusammen. So ist das Leben. Wenn du mit den ganzen jungen Leuten zusammen bist, macht dich das jung

Viele Sportler treibt die Sorge um, dass Sie körperlich, sagen wir, etwas außer Form geraten könnten …

Klar, die Angst hat jeder (lacht). Bei uns liegt es in der Familie, schnell zuzunehmen. Deshalb muss ich sehr aufpassen, dass ich nicht irgendwann mit einem Bauch dastehe.

Ein Ort voller Erinnerungen: Asamoah im Parkstadion. Copyright: Karsten Rabas

Nur einen Abschlag von der Geschäftsstelle entfernt liegt das Parkstadion. Zwei Flutlichtmasten, Reste der Gegengerade, der Rasen. Von vorn Nieselregen, von der Seite kalter Wind, Asamoah-Lächeln. „Hier haben wir 2001 gejubelt“, sagt er. Beinahe Meister, auch die verdammten viereinhalb Minuten gehören zu seiner Biografie. Meister der Herzen – auf Asamoah trifft das im Wortsinn zu, auf diesem Rasen wuchs die gegenseitige Zuneigung zwischen ihm und den Fans.

Im Parkstadion fing alles an ...

Ja, hier habe ich mein erstes Bundesligaspiel machen dürfen, und im letzten Spiel habe ich hier ein Tor erzielt. Mit der Hacke gegen Unterhaching, als wir Meister der Herzen wurden. Ich denke jedes Mal an 2001. Wir lagen uns in den Armen, am Ende haben wir es nicht geschafft. So ist das. Das wird mich immer mit diesem Ort verbinden.

Seit damals hat sich viel verändert ...

Wie schnell alles vorbeiging. Damals kam ich aus dem Urlaub zurück, und auf einmal war eine Seite bereits abgerissen. Das Parkstadion war verstorben. Jetzt ist es ein Trainingsplatz, das ist schon schade.

An was erinnern Sie sich?

An den Gang nach dem Spiel. Wir sind immer zur Geschäftsstelle gelaufen, wo wir gegessen haben. Dann gehst du den Weg mit den Fans, und wenn du schlecht gespielt hast, bekommst du die Kritik direkt ab. Das war Schalke. Am Anfang war es komisch, aber letztlich gut und schön, nach dem Spiel direkt den Kontakt zu den Fans zu haben. Du bist mit der Tasche runtergekommen, hast ein bisschen gequatscht und dich dann verabschiedet.

Sie entwickelten sich zum Publikumsliebling. Kann man so etwas eigentlich planen?

Ich habe stets versucht, ich selbst zu sein. Die Schalker Fans und ich - das passte eben. Du kamst zum Training und hattest das Gefühl, du kennst die Leute hier. Alle waren sehr herzlich. Ich bin ja der Kämpfertyp, das ist meine Art zu spielen. Ich habe alles gegeben, und die Fans haben vom ersten Tag an gemerkt, dass ich hierher passe.

Was halten Sie von Ihrem Status als Legende?

Würde ich nach dem Aufstehen denken: „Guten Morgen, du Legende“, würden mich die Menschen nicht mögen. Ich fühle mich als Teil einer Familie, die mich akzeptiert wie ich bin. Und ich versuche, meinen Teil in diese Familie einzubringen.

Den Umzug in die Arena hat Asa als Spieler miterlebt. Und den Aufstieg Schalkes zur internationalen Größe. Copyright: Karsten Rabas

Weiter zur VELTINS-Arena. Auf dem Weg dorthin blickt ein Mann zurück, der den Aufstieg Schalkes zur europäischen Größe miterlebt hat: „Es hat sich alles enorm entwickelt. Da drüben war ein Ascheplatz, dort ein Wald. Wenn man sieht, was der Verein geleistet hat: einmalig“, schwärmt Asamoah. Die Arena gehört dazu. Vergangenes Jahr war er mit dem damals verletzten Dennis Aogo während eines Heimspiels in der Nordkurve. Zum ersten Mal. Ein Genuss. Hier feierten sie ihn einst sogar, als er im Trikot der Spielvereinigung Greuther Fürth auflief.

Wann haben Sie sich endgültig in den Verein verliebt?

Im ersten Jahr war ich nicht in der Startelf, Emile Mpenza wurde verpflichtet. Da hatte ich überlegt zu gehen. Doch der Manager sagte: „Du kommst hier nicht weg!“ Du erkennst, du kommst an einen Ort, alle mögen und akzeptieren dich. Irgendwann habe ich gemerkt: Hier gehöre ich hin. Ein Beispiel: Nach dem Wechsel 2010 zu St. Pauli habe ich gar nicht realisiert, dass ich weg war. Dann habe ich mir aber ein Rückblick-Video eines Schalke-Fans angeschaut, und ich fing an zu weinen. Ich dachte mir: „Jetzt bin ich wirklich weg.“ Meinen Weg zu Schalke nicht mehr zu fahren, über die B224 auf die Kurt-Schumacher-Straße, dann zu meinem Platz, sondern eine andere Route zu nehmen: Das hat geschmerzt. Umso schöner war die Rückkehr. Wann ich mich verliebt habe? Genau kann ich es nicht sagen. Irgendwann war das Gefühl da. Wegen der Art und Weise, wie dieser Verein tickt. Und wegen der Derbys (lächelt).

Sie erwähnen häufig Rudi Assauer, betonen, dass Sie seinetwegen zum S04 gekommen sind. Er ist inzwischen schwer an Demenz erkrankt. Stehen Sie noch in Kontakt?

Der Kontakt ist noch immer da. Beim Heimspiel gegen den HSV im Dezember haben wir uns noch gesehen. Ich bin mit ihm auch öfters Essen gegangen. Die Treffen sind immer herzlich. Das Schönste ist, dass er mich erkennt. Es ist schade, was mit ihm passiert ist. Dass ein starker Mann so erkrankt. Wichtig und gut ist, dass die Menschen aus seiner Umgebung für ihn da sind.

Ist Schalke Heimat?

Natürlich! Am Anfang bin ich noch immer nach Hannover gefahren, weil es meine Heimatstadt war. Aber jetzt? Wann bin ich noch in Hannover? Mein ganzes Leben spielt sich hier im Ruhrgebiet ab. Daran sieht man, dass ich ein Ruhrpottjunge geworden bin.

Legenden unter sich: Willi Koslowski und Gerald Asamoah schwelgen in der Poststelle in Erinnerungen. Copyright: Karsten Rabas

Worauf sind Sie im Rückblick stolz?

Darauf, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe und zu diesem Verein gewechselt bin. Schalke hat mein Leben geprägt, ohne Schalke wäre ich wahrscheinlich nicht der, der ich heute bin. Es macht mich stolz, dass ich an jenem Tag auf meinen Bauch gehört habe.

Würden Sie mit Ihrem heutigen Wissen etwas anders machen?

Ich bin sehr, sehr glücklich darüber, was ich in meiner Karriere alles erleben und erreichen durfte. Ich würde alles so noch mal machen.

Was werden Sie am Fußball vermissen und was nicht?

Die Derbys. Und das tägliche Aufstehen, zum Training fahren, diesen Kick mit den Jungs. Das wird extrem fehlen. Was vermisse ich nicht? – Kann ich eigentlich nicht sagen. Es hat alles gepasst und gehörte dazu. Auch die negativen Sachen haben mich stark gemacht.

Wie die rassistischen Beleidigungen? 1998 schrieb der „Spiegel“ sinngemäß, dass Sie Deutscher Nationalspieler werden wollten, um den Rassismus zu besiegen. Damals waren Sie 20. Sie engagieren sich tatsächlich seit Jahren massiv gegen dieses Problem. War Ihnen das so früh schon bewusst?

Krass, dass ich mit 20 sowas schon gesagt habe. Ich habe früh negative Sachen erfahren. Das Schlimmste war mit 18 Jahren in Cottbus, als ich mit Bananen beworfen wurde. Ich habe gehofft, diesen Weg zu gehen: Nationalspieler zu werden und die Leute wachzurütteln. Damals haben mich viele gefragt, ob ich das wirklich machen wolle. Es war eine Bauchentscheidung. Ich imponiere mir aber gerade selber, dass ich sowas schon mit 20 angedeutet habe. Das war nicht geplant (lacht).

Sind Sie Ihrem Ziel, den Rassismus zu besiegen, näher gekommen?

Wir schreiben 2015 und reden immer noch darüber. Aber umso schöner ist, dass sich junge Leute heute keine Gedanken mehr machen müssen und für Deutschland spielen können, weil sie sich deutsch fühlen. Es freut mich sehr, wenn man sich heute die Nationalmannschaft anschaut und sieht, wie viele Spieler mit Migrationshintergrund dabei sind.

Hier zieht er sich heute um: Asa vor der Kabine der U23. Coypright: Karsten Rabas

Gerald Asamoah ist in der Gegenwart angekommen: an der Kabine der U23. Zur Zweiten wechselte er im Sommer 2013 und fungierte parallel als Vereinsbotschafter. Zwei Jahre hielt er in der Regionalliga die Knochen hin, ackerte und lächelte wie eh und je. „Es hat Spaß gemacht“, sagt er über die Zeit, die ja noch ein paar Monate andauert. Bis zum 23. Mai 2015, dem letzten Spieltag. Dem allerletzten. Dann beginnt die Zukunft.

Bei der U23 stehen Sie mit jungen Talenten auf dem Platz. Was können Sie den Jungs mitgeben?

Ich kann ihnen sagen, wie es im Fußball abläuft. Wenn du jung bist, bist du naiv. Deshalb bin ich da: um mit den Jungs zu reden. Es gibt die, die es hören wollen, und jene, die nichts hören wollen. Ich hätte es damals gern gehabt, wenn erfahrene Spieler an meiner Seite mir Tipps gegeben hätten. Wenn die Jungs clever sind, nutzen sie diese Chance.

Gibt es bereits Pläne für die Zeit nach der Karriere?

Ich kann mir nicht vorstellen, etwas ohne Schalke zu machen. Deshalb gehe ich davon aus, dass ich hier weitermache. Ich werde bald meine A-Lizenz absolvieren. Trainer im Nachwuchsbereich zu sein, reizt mich. Meine Aufgabe als Botschafter hat mir ebenso viel Spaß bereitet, und ich kann mir schon vorstellen, das weiterhin zu machen.

Wenn Sie das letzte Mal die Kabine verlassen, gehen Sie dann zufrieden nach Hause?

Wenn es vorbei ist und wir mit der U23 hoffentlich den Klassenerhalt erreicht haben, genieße ich die Genugtuung, dass ich meine Aufgabe, Profi zu sein, erledigt habe. Ich kann erhobenen Hauptes sagen: Ich habe es geschafft. Und darüber bin ich sehr glücklich.