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Rundbriefe
geschrieben von Otmar Eitner, 06.11.2003

Nach Kriegsende, nach Flucht, Vertreibung und Gefangenschaft wurden in Halle/Saale schon Ende 1945 die ersten "Rundschreiben für ehemalige Breslauer Magdalenäer" zusammengestellt und verschickt. Initiatorin war die Mutter eines Schülers, der 1944 Abitur gemacht hatte (Götz Kroneberg). Zuerst war es nur ein kleiner Kreis, der über bekannte Adressen erreicht werden konnte. Aber zunehmend wurden neue Anschriften ehemaliger Lehrer und Schüler des Magdalenen-Gymnasiums bekannt. Auch der geachtete und respektierte Oberstudiendirektor Konrad Linder, der die Geschicke der Schule von 1926 bis 1945 geleitet hatte, meldete sich im Januar 1947. 

Hier der eindrucksvolle Text seines Briefes:

Brief von Oberstudiendirektor Konrad Linder 1947 an seine Magdalenäer


Es ist mir in allem Unglück ein rechter Trost, daß das Magdalenäum lebt? ohne mich. Das ist der beste Beweis, daß es echt war. Sonst wäre es schon längst erloschen. So viele frühere Schüler haben mir bereits geschrieben, vielen habe ich geantwortet, vielen ihre Zeugnisse geschickt, aber allen noch nicht. Denn Fräulein Groh*) hilft mir nicht mehr. Mit der Hand geht es doch langsam. 

Unsere Jugend hat es ja so schwer, doppelt schwer, weil ihr so viel versprochen wurde, ihr Vertrauen so mißbraucht wurde. Und nun steht sie vor solchen Trümmern wie wir sie in der deutschen Geschichte noch nicht hatten. Daß sie da nicht verzagt, überall Hand anlegt ohne Verbitterung, ist uns Alten ein Trost. Von vielen habe ich die Mitteilung , daß sie die Reifeprüfung an anderen Schulen abgelegt haben, meistens mit gut. Wie mich so etwas freut. Das sind doch Leistungen, auf die im MMG immer Wert gelegt wurde. 

Von vielen weiß ich aber auch, daß sie nicht mehr wiederkehren. Im Januar '45, als wir noch in Breslau waren, zählten wir schon über 200. Die Totenliste wuchs unheimlich. Sie ist seitdem noch mehr gewachsen, ich fürchte, es sind gegen 400. In Breslau verfolgten wir ja sorgsam das Wachsen und Werden jedes Jungen, besonders im Kriege. Jetzt müssen die Rundbriefe alles übernehmen. Aber all diese Toten, die im besten Glauben sich opferten, sie sollen doch eine Heimat haben, sie gehören doch alle irgendwie zum Magdalenäum, das ihnen kein prächtiges Denkmal mehr setzen kann, aber das sie lieb hatte und noch liebt, getreu der Maria Magdalena, deren innerster Wesenszug ja doch Hingabe und Schenken war. 

Darum hat ja das Schlesische Volk dieser Heiligen die schöne Kirche gebaut, weil es fühlte, daß ohne Liebe und Hingabe das Leben ganz arm ist und inhaltsleer. Daß diese Heilige die Patronin unserer Schule wurde, war für sie verpflichtend. Liebevolles Eingehen auf den Einzelnen war Eigentümlichkeit unserer Schule, nie wollte sie bloße Bildungsfabrik sein. Nun steht die Schule zwar noch, aber fremde Laute erklingen in ihr. 

Schmerzlich war mir, daß das Arbeitszimmer verwüstet ist, vor allem die Wandschränke. In ihnen waren sorgfältig alle Reifeprüfungen aufbewahrt, seit der Zeit, seitdem es Reifeprüfungen gab. Welche Schule hatte das noch! Im Keller liegt die Geschichte der Schule (8 dicke Faszikel), Prof. Dr. Ruffler hat mehr als ein Jahrzehnt daran gearbeitet. Nach dem Krieg sollte dieses Lied von einer fast 700 Jahre alten Schule gedruckt werden. 

Auch in unserem Landheim erklingen fremde Laute. Es war wohl das schönste, was eine Schule besaß, schuldenfrei und gepflegt. Nach dem Kriege sollten die einzelnen Jahrgänge dort sich treffen. Heute sieht es so aus, als ob alle Arbeit für die Polen aufgewendet sei. Es gibt Stunden, wo mich das sehr bedrückt. Aber ich weiß auch, daß alles einen Sinn hat, auch wenn es noch so schmerzlich ist. Es sieht oft so aus, als ob der blinde Zufall regiert. Und doch sitzt der eine im Regiment, der immer drin war. Er hat auch heute noch nicht abgedankt. 

Wenn er will, dann werden einmal wieder deutsche Buben das Gymnasium zu ST. MARIA - MAGDALENA in Breslau besuchen und ihr Schuljahr eröffnen mit dem Liede, mit dem wir es so oft begonnen: "In Gottes Namen fang ich an!" Ob wir das noch erleben, ist eine andere Frage. Ich grüße meine Magdalenäer. 

Linder 

*)Schulsekretärin 

Quelle "Rundschreiben für ehemalige Breslauer Magdalenäer" 
im Nordostdeutschen Archiv beim Institut Nordostdeutsches Kulturwerk, 
Lüneburg Inventar Nr. As 96/1, 
Signatur P0/988

 
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