Über Wut und Gift

Wie können, wollen, sollen wir miteinander diskutieren?

Wann ist wütende Kritik noch Kritik, wann wird sie giftige Kritik und beginnt, persönliche Beziehungen und Gemeinschaften zu zerstören? Zum Anfang diesen Jahres stand diese Frage bei einer Reihe von Autor_innen aus der trans- und queer-feministischen Gaming-Community auf der Agenda. Sie beleuchten verschiedene Facetten in der Meta-Diskussion über Diskussionen, da diese im vergangenen Jahr zunehmend destruktiv geworden seien und sich immer mehr auf Kritik beschränkten. Wie konnte es dazu kommen und was macht es mit uns? Eines ist klar: So bleiben soll es nicht.

Mattie Brice erzählte von den Debatten der letzten Jahre über Diskriminierung in der Games-Branche, die erstmals 2012 eine kritische Masse erreichten. 2013 begannen viele Menschen damit, erstmals „ihren Hut für soziale Gerechtigkeit auszuprobieren“ und setzten sich – auch öffentlich – mit diesem Thema auseinander. Brice berührt dabei einen unglaublich wichtigen Punkt, der häufig übersehen wird: wieviele Leute erst anfangen, sich mit Diskriminierung zu beschäftigen. Und dass wir, als noch-nicht-so-alte feministische Netzgemeinde in Internet-Zusammenhängen lernen müssen, mit diesem ungewohnten Prozess umzugehen.

Brice beschreibt außerdem ein weiteres Phänomen: Zuviel „Negativität in den sozialen Medien“. Diese beeinträchtige auch ihre eigene Absicht, einen sicheren und empowernden Ort zu schaffen. Den Unterschied zwischen Wut und Giftigkeit beschreibt der Tweet von @wrengr sehr schön:

Angst ist eine Emotion/Reaktion. Giftigkeit bedeutet, einen Ort für Menschen zu unsicher zu machen, um nachzudenken, zu fühlen, sich auszudrücken, zu antworten.

Auch Kat Haché geht auf den Unterschied zwischen Wut und Grausamkeit ein. Während ersteres als Katalysator für notwendige Veränderungen diene, bediene letzteres ein Machtgefühl auf der persönlichen Ebene: die Möglichkeit, Macht über einander auszuüben.

Aevee Bee dröselt Wut in Abgrenzung zu Gewalt noch weiter auf. Wut erwachse aus Verletzungen, das gilt besonders für das Aufzeigen von strukturellen Problemen und Diskriminierung. Diese Verletzungen aufzuzeigen und sichtbar zu machen bedeute, die Wahrheit auszusprechen. Wer von Diskriminierung profitiere, empfinde diese Wut als Gewalt. Diese lauert laut Bee aber vor allem dort, wo marginalisierte Gruppen einander angehen, sich gegenseitig Privilegien vorwerfen und zwischen­menschliche Konflikte mit der Sprache und den Konzepten sozialer Gerechtigkeit austragen.

Wie die Eskalation von persönlicher zu gesellschaftlicher Ebene geschieht, beschreibt Zoya Street. Sie warnt davor, die Konsequenzen zu unterschätzen und Einzelne für Schmerzen, verursacht von systemischen Problemen verantwortlich zu machen. Weiter ordnet sie die Probleme in eine Geschichte von (medialen) Debatten ein, die möglichst einfach gehalten werden, während die Realität doch multi-dimensional ist.

Nachdem Street bereits davor warnt, eine „hyper-konkurrierende“ Atmosphäre zu schaffen, identifiziert Quinnae Moongazer diese Mechanismen als Artefakte patriarchaler Kontrolle, als gewaltvolle Wettstreite, als Futter für linkbait. Dass wir das Internet seit Jahren Jahrzehnten nicht als realen Raum anerkennen und bezeichnen, verstärke die negative Atmosphäre noch. Und bei all den Verletzungen würden wir voneinander erwarten, perfekte Träger_innen des Wandels zu sein und keinerlei Male und Narben davon zu tragen.

Insgesamt plädieren alle für mehr Mitgefühl untereinander, für das Anerkennen der eigenen Verletzungen und Verletzlichkeit und für mehr Verständnis.

Eine ähnliche Debatte wird auch in deutschen Blogosphäre periodisch geführt, aber ohne Anerkennung der unterschiedlichen gesellschaftlichen Positionen der Beteiligten. Bei den Bedenken über „Konformitäts­druck“ und „Sprachverbote“ aufgrund von „Mobs in sozialen Medien“ bei „Ausrutschern“ ist dies aber besonders wichtig. Sorgenvolle trend pieces betrachten meist sehr privilegierte Menschen in Positionen mit Macht und Einfluss, etwa als Professor über Studierende oder als Kapitalgeber über Gründer_innen. Oft weisen sie eine lange Geschichte von diskriminierenden „Ausrutschern“ in Aussagen und Arbeit auf, die jahrelang hingenommen wurden. Je privilegierter und je höher die Position, umso später die Konsequenzen und umso weniger drastisch. Insgesamt erfahren sie auf einmal die Probleme, die viele andere von vornherein davon abhalten, sich an gesellschaftlichen Diskursen zu beteiligen.

Politiker_innen und Journalist_innen sind dagegen seit Jahrzehnten in der breiten Öffentlichkeit und lange vor sozialen Medien für „Ausrutscher“ gefeuert worden. Alle anderen betreffen die angebrachten Probleme (Nachteile auf dem Arbeitsmarkt, Anfeindungen, gar Drohungen) strukturell statt punktuell. Jedes Aussprechen setzt potentiell, wie beschrieben, eine neue Runde Anfeindungen in Gang. Die Debatte um Angst, Wut und Gift im Netz kann daher nur auf verschiedenen Ebenen stattfinden. Mir/hier geht es um den Umgang untereinander und die Räume, die als explizit feministische Communities geschaffen wurden. Wie kann die Atmosphäre wieder konstruktiver werden?

Bereits im Dezember hatte Ngọc Loan Trần “Calling IN” als Methode vorgeschlagen, um den Umgang untereinander neu zu gestalten. Statt einfach nur auf pro­ble­matische Äußerungen oder Verhalten hinzuweisen, steht vorher eine Reflektion über die Beziehung zur anderen Person. Ist sie wichtig? Wie stabil ist die gemeinsame Basis für weitere Zusammenarbeit? Diese Punkte sollten ebenfalls in einer Aussprache mitgeteilt werden.

Das Internet ist 2014 nicht mehr neu. Im Vergleich zum Fernsehen und der Zeitung ist es aber jung und wir lernen noch, wie hier Diskussionen funktionieren (können). Mit jedem neuen sozialen Netzwerk ergeben sich neue Möglichkeiten und neue Herausforderungen. Konstruktiv mit einander umzugehen und zu reden ist keine Fähigkeit, die vom Himmel fällt, sondern etwas, das wir täglich üben müssen. Diese Debatte ist ein Anfang.

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