09/30/14

Zuspitzung der Sicherheitslage für Menschenrechtsverteidiger und Menschenrechtsverteidigerinnen

30.09.2014 | Von Regula Fahrländer

Am 9. September feierte Kolumbien den nationalen Tag der Menschenrechte. Die Ironie des Schicksals wollte es, dass 88 Menschen, die sich für die Menschenrechte einsetzen, am Vortag eine Morddrohung erhielten. Seither spitzt sich die Situation zu. Es kam zur Ermordung dreier Führungspersonen, zu Verfolgungen, Informationsdiebstahl und weiteren Morddrohungen. MenschenrechtsaktivistInnen gehen von einem direkten Zusammenhang mit den Friedensverhandlungen aus. 

Es begann am 8. September. Da traf bei der kolumbianischen Menschenrechtsorganisation Reiniciar eine E-Mail ein, auf der über achtzig AktivistInnen als Militärobjekt bezeichnet wurden. Die E-Mail enthielte einen Anhang mit dem Namen „Schwarze Liste“, eine Liste mit 91 Namen, fünf davon in doppelter Ausführung, von Frieden-, Menschenrechts- und GewerkschaftsaktivistInnen. All diese Personen seien Guerilleras und Guerilleros, die gejagt werden würden damit sie nicht länger ihr „Märchen vom Frieden“ verbreiteten können.
Am Tag darauf, dem 9. September und nationalen Tag der Menschenrechte in Kolumbien, gingen bei diversen Friedens- und Menschenrechtsorganisationen zwei weitere E-Mails mit einem zusätzlichen Namen und dem Titel „Militärobjekt“ ein. Darin erhalten die Betroffenen eine Frist von 15 Tagen, um das Land zu verlassen, ansonsten werde man "jeden einzelnen" von ihnen "fertigmachen", denn man "wisse, wo jeder einzelne und die Familien leben, macht euch bereit zu sterben". In der dritten E-Mail wird zur zukünftigen Beerdigung dreier afrokolumbianischer Menschenrechtsverteidigerinnen eingeladen, die nur nicht auf der Liste stünden, weil sie ohnehin schon tot seien.
Generell betreffen die Drohungen eine grosse Anzahl bekannter MenschenrechtsverteidigerInnen, GewerkschafterInnen und GemeinschaftsführerInnen, welche bei der Staatsanwaltschaft eine Strafanzeige eingereicht haben. Die erste Morddrohung ist anonym, die zweite und dritte mit “Águilas Negras Bloque Capital” unterschrieben[1].

Reaktionen auf allen Ebenen
Das Büro des Hochkommissars für Menschenrechte der Vereinten Nationen in Kolumbien hat die Todesdrohungen umgehend verurteilt und die kolumbianische Regierung dazu aufgerufen, sich öffentlich zu den Vorfällen zu äussern. Die UNO habe mit vielen der erwähnten Menschen schon zusammengearbeitet und wisse, dass es sich dabei um mutige Menschen handle, die eine wertvolle und legitime Arbeit leisten. Die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte schliesst sich diesen Besorgnissen an. Zudem ruft die Kommission den kolumbianischen Staat dazu auf, sofortige, ausführliche und unabhängige Ermittlungen einzuleiten, um die Urheberschaft zu klären. Es sei bekannt, dass in vielen Mordfällen von MenschenrechtsverteidigerInnen solche Drohungen voraus gegangen seien[2]. Ausländische Vertretungen in Kolumbien, wie etwa die Schweizer Botschaft, haben die Todesdrohungen mit Besorgnis zur Kenntnis genommen und verurteilt. Sie rufen den kolumbianischen Staat dazu auf, effektive Schutzmassnahmen zu unternehmen und sichern den MenschenrechtsverteidierInnen ihre Unterstützung zu[3]. Aus Brüssel hat die Menschenrechtsplattform OIDHACO von mehr als 35 europäischen Organisationen Catherine Ashton, Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, dazu aufgerufen, sich für die Situation der MenschenrechtsverteidigerInnen in Kolumbien auszusprechen.

Wird von Frieden gesprochen, steigt die Bedrohungslage
Alberto Yepes ist einer der Personen auf der Todesliste und Mitarbeiter der Koordinationsstelle Kolumbien-USA-Europa. Zusammen mit seiner Arbeitskollegin Adriana Pestana wurden er einige Tage darauf, am 16. September, Opfer eines Raubüberfalls, bei dem ihm der Laptop mit wichtiger Information entwendet wurde.[4] Alberto Yepes hatte sich in den vorangehenden Tagen an mehreren öffentlichen Veranstaltungen über Fälle aussergerichtlicher Hinrichtungen geäussert und eine Rede über den neuen Gesetzesentwurf der Militärjustiz im Kongress gehalten. Der Tathergang und dieser Kontext weisen darauf hin, dass es sich nicht um Kleinkriminalität, sondern ein gezieltes Verbrechen gegen zwei MenschenrechtsaktivistInnen, handelt.
Am Tag darauf, dem 17. September, wurde auch Danilo Rueda, Menschenrechtsverteidiger der Organisation Comision intereclesial de Justicia y Paz von zwei Männern auf einem Motorrad verfolgt, während er in seinem kugelsicheren Fahrzeug zu einer Sitzung über die Opferfrage und den Friedensprozess fuhr.[5]

Zeitgleich Mitte September wurden zudem in ruralen Landesregionen drei Aktivisten ermordet. Zwar geschah dies in unterschiedlichen Regionen, zwei im Chocó und einer in Quindío, gemein aber war ihnen ihre Aktivität als Anführer von Opferbewegungen. Im Chocó wurden die beiden indigenen Ernelio Pacheco Tunay und Miguel Becheche entführt und ermordet, die Guerilla ELN bekannte sich später anscheinend zu den Morden. Im Falle von Ancízar Ruiz Ceballos in Quindió hingegen ist der Tatvorhergang ungeklärt. Er war Präsident des Komitee für die Landrückgabe in seiner Region, die insgesamt 45‘000 Opfer zählt. Zuvor wurde er von der paramilitärischen Gruppierung „Urabeños“ mit dem Tode bedroht. Dies macht ein Total von 33 Ermordeten und 336 Bedrohten im laufenden Jahr[6]. Der Stiftung Somos Defensores zufolge stiegen die Attentate von  21 auf 29 Fälle.  

Und es geht weiter. Mit einem Flugblatt in Montería meldet sich schlussendlich auch noch die paramilitärische Gruppierung Los Rastrojos zu Wort, und bezeichnet den Senator Iván Cepeda, die Ex-Senatorin und Anführerin von  Colombianos y Colombianas por la Paz, Piedad Córdoba, sowie die Senatorin Claudia López, und weitere 20 MenschenrechtsverteidigerInnen als Militärobjekt[7]. Zuletzt wurden auch StudentenführerInnen und Gewerkschafter von der Universidad del Valle via Handy bedroht.
Viele Drohungen verweisen in ihrem Wortlaut direkt auf die Friedensverhandlungen und richten sich generell gegen Menschen, die sich für den Frieden einsetzten. Eine der Personen auf der ersten Schwarzen Liste, Yanette Bautista, war in der ersten Gruppe von 12 Opfern, welche an die Friedensverhandlungen nach Kuba eingeladen worden war, um ihre Geschichte zu erzählen. Zudem ist sie Mitglied derselben Koordinationsstelle wie Alberto Yepes. So ist dann auch für viele MenschenrechtsaktivistInnen klar: Wann immer der Friede zum Thema in der Öffentlichkeit wird, kommt es zu Morddrohungen. Dabei handle es sich um ein systematisches Vorgehen, das die Destabilisierung der Friedensbestrebungen bezwecke. Dies sei schon immer so gewesen.[8]
„Aguilas Negras“, so hat es die Ombudsstelle für Menschenrechte Defensoría del Pueblo, gesagt, hat direkte Verbindungen zum Militärgeheimdienst.[9] Dass dieser alles Mögliche zur Verhinderung eines Friedensabkommens tut, hat bereits der Abhörskandal der ChefunterhändlerInnen auf Kuba im Februar gezeigt. Alfonso Castillo, Sprecher der Bewegung der Opfer von Staatsverbrechen Movice, geht ferner von einem Zusammenhang zur aktuell im Senat geführten Debatte über den Paramilitarismus und die Fortschritte im Friedensprozess aus. Dort geht es auch um die Beziehungen zum Paramilitarismus des früheren Präsidenten und aktuellen Senators Álvaro Uribe[10].

Effiziente, politische Massnahmen
Besorgniserregend sind in diesem Zusammenhang die finanziellen Probleme der nationalen Behörde für Schutzmassnahmen Unidad Nacional de Protección. Diese Einheit war in den letzten Wochen wegen Geldmangel und Korruption in die Schlagzeilen gelangt, die rechtswidrige Entwendung von öffentlichen Geldern könnte eine Budgetkürzung von bis zu 15% zur Folge haben[11]. Dies würde die ohnehin schon mangelhaften Schutzmassnahmen seitens des kolumbianischen Staates noch mehr limitieren. Andrés Villamizar, Direktor dieser Behörde sagte vor den Medien, das Budget seiner Behörde habe sich in den letzten drei Jahren verdreifacht, aber die Anzahl der beantragten Sicherheitsschemen seien explodiert. Der Direktor der Defensoría del Pueblo Jorge Armando Otálora argumentiert darauf, es gelte zu bedenken, dass finanzielle Probleme nicht mit der Notwendigkeit von Schutzmassnahmen für bedrohte Menschen verwechselt werden dürfen[12].

Einmal mehr fordert der gesamte Menschenrechtsbereich effektive Schutzmassnahmen vom kolumbianischen Staat. Doch materielle Massnahmen, seien es noch so viele kugelsichere Autos, vergitterte Fenster, Stahltüren, Bodyguards, schusssichere Westen, Boote und Pferde, werden niemals ausreichend und vor allem effektiv sein. Was die Aktivistinnen in Kolumbien brauchen, sind politische Massnahmen. Diese müssen vor allem struktureller Art sein. Strukturelle Änderungen meint in erster Linie die Entlarvung des Paramilitarismus, ein effizientes Justizsystem ohne Straflosigkeit, einen verhandelten Ausweg aus den Kriegsereignissen, effektive Lösungsansätze für Angelegenheiten wie die Landrückgabe und wirkliche Unterstützung für die Arbeit der MenschenrechtsaktivistInnen, was zu einer Wahrnehmungsänderung in der Öffentlichkeit führen würde. Nur damit, und nicht mit noch so vielen schusssicheren Gegenständen, werden sich AktivistInnen in Sicherheit wähnen können.

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[1] Somos defensores, Más de 80 amenazas en 48 horas, 09.09.2014,  http://www.somosdefensores.org/index.php/en/sala-de-prensa/noticias/128-mas-de-80-amenazados-en-48-horas

[2] Organización de los Estados Americanos, “CIDH expresa profunda preocupación por amenazas en contra de defensoras y defensores de derechos humanos que trabajan por la paz en Colombia”, 16.09.2014, http://www.oas.org/es/cidh/prensa/comunicados/2014/103.asp

[3] Schweizerischen Eidgenossenschaft, La Embajada de Suiza condena amenazas en contra de ciudadanos que trabajan por los derechos humanos y la paz en Colombia, 10.09.2014,  http://www.eda.admin.ch/eda/es/home/reps/sameri/vcol/embbog/colspe.html

[4]Asalto y robo de información a los integrantes del observatorio de derechos humanos de la Coordinación Colombia Estados Unidos Europa – CCEEU, 17. 09. 2014 http://www.ddhhcolombia.org.co/sites/default/files/files/pdf/Asalto%20y%20Robo%20de%20Informaci%C3%B3n%20a%20Integrantes%20de%20la%20CCEEU.pdf

[5] Comisión Intereclesial de Justicia y Paz, Nuevo seguimiento e intimidación al defensor de DH Danilo Rueda, 14.09.2014,  http://justiciaypazcolombia.com/Nuevo-seguimiento-e-intimidacion

[6] Semana, “La mala hora de víctimas”, 19.09.2014. http://www.semana.com/nacion/articulo/aumentan-las-agresiones-contra-lideres-devictimas/403057-3

[7] El Espectador, 25.09.2014, 'Los Rastrojos' declaran "objetivo militar" a Claudia López, Iván Cepeda y Piedad Córdoba  http://www.elespectador.com/noticias/judicial/los-rastrojos-declaran-objetivo-militar-claudia-lopez-i-articulo-518836

[8] Verdad Abierta, 25.09.2014, Agenda de paz genera amenazas contra defensores de derechos humanos, http://www.verdadabierta.com/rearme/5452-agenda-de-paz-generaamenazas-contra-defensores-de-derechos-humanos

[9] HispanTV, Activistas de DDHH amenazados por grupo paramilitar colombiano, 11.09.2014,  http://www.hispantv.com/detail/2014/09/11/288313/activistas-ddhh-amenazados-grupo-paramilitar-colombiano

[10] http://www.nodal.am/2014/09/debate-sobre-vinculos-de-uribe-con-el-paramilitarismo-deja-lluvia-de-denuncias-cruzadas-en-colombia/

[11] Semana, El 15 % de los esquemas de seguridad podrían ser retirados, 14.09.2014, http://www.semana.com/nacion/articulo/unidad-nacional-de-proteccion-el-15-de-los-esquemas-de-seguridad-podrian-ser-retirados/402860-3

[12] Semana, Oleada de amenazas a víctimas del conflicto, 15.09.2014, http://www.semana.com/nacion/articulo/incrementan-las-amenazas-contra-victimas-del-conflicto/402947-3

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