Der Kinder- und Jugendbuchpreis Luchs geht im Juli 2014 an das Buch "Der Schatten meines Bruders" von Tom Avery. Eine zutiefst berührende Geschichte über das Weiterleben, wenn plötzlich nichts mehr ist, wie es war.
Ja, der Schatten ihres Bruders – das ist die Trauer, denn Kaia, so heißt die Hauptfigur, hat vor Kurzem ihren Bruder verloren. Das ganze Buch handelt davon, wie sie zurückfindet ins normale Leben. Zum Thema Tod und Trauer gibt es ja Einiges auf dem Kinderbuchmarkt, manche von diesen Büchern haben auch schon den Luchs bekommen, weil sie herausragen aus dieser ganzen Masse. Und das ist hier auch wieder so, es ist wirklich ein herausragendes Buch.
Das Buch beginnt im tiefsten Winter. Das hat seinen Grund, denn: Kaia ist tiefgefroren, das sagt sie von sich selbst. Seit dem Moment, als sie ihren großen Bruder Moses mit aufgeschnittenen Pulsadern gefunden hat, ist für sie die Welt einfach stehen geblieben, eingefroren. Das hängt damit zusammen, dass sie keine Worte hat für ihre Gefühle, also wird sie ganz still, sie verliert den Kontakt zu ihren Freundinnen, und sie hat das Gefühl, dass alle sie für einen Freak halten und nichts mehr mit ihr zu tun haben wollen. Bis ein wilder Junge auftaucht, ein Junge ohne Namen. Der benimmt sich ganz seltsam: Er knurrt anstatt zu sprechen, er schleicht herum wie ein Wolf, er springt im Unterricht einfach auf den Tisch und so. Und er wird Kaias engster Vertrauter, weil er ihr einfach in die Augen schaut und zuhört. Also erzählt sie ihm nach und nach, wie es wirklich geht. Und ganz langsam taut sie dabei auf.
Das wird nicht gesagt, er ist einfach eines Tages da, ganz zerlumpt, und er kommt in die Schule, aber er verhält sich halt ganz komisch. Und naja, es wird nicht ganz klar, ob es ihn wirklich gibt, oder ob Kaia ihn sich einbildet, aber das ist auch gar nicht so wichtig. Der Trick ist nämlich, dass Tom Avery das ganze Buch aus der Sicht von Kaia schreibt, wir sehen nur, was sie sieht; wir fühlen, was sie fühlt – und so merken wir dann auch erst gemeinsam mit ihr, dass die anderen sich gar nicht von ihr abgewendet haben, sondern dass sie sich selbst abgekapselt hat in ihrer Trauer. Und dass ihre Freundinnen ihr einfach nicht helfen konnten. Also, wir Leser stecken sozusagen mit in ihrer Haut, oder in diesem Eispanzer.
Tom Avery kommt aus einer großen Familie, und er ist Lehrer, und wenn man seinen Blog über seinen Alltag mit Kindern anschaut, sieht man: Er liebt einfach die Arbeit mit Kindern, er kennt sich aus in ihrer Welt, er versteht sie, er nimmt sie ernst – und das merkt man eben auch dem Buch an. Ich denke, das Buch passt für Mädchen ab 11 Jahren.
Das Audio:
Lucia Hodinka im Gespräch mit Esther Willbrandt, [3:58]
Tom Avery wurde in eine große Londoner Familie hineingeboren. Er arbeitet als Lehrer in London und Birmingham und parallel als Autor. 2010 erschien sein erstes Buch, das gleich den "Diverse Voices Children's Book Award" gewann. Mit seiner Familie lebt er in London.
Wieland Freund, geboren 1969 bei Paderborn, ist Autor, Kritiker und Journalist. Für seine ersten beiden Kinderbücher, Lisas Buch (2003) und Gespensterlied (2004), die bei Gulliver erschienen sind, wurde er mit dem Bayerischen Kunstförderpreis ausgezeichnet. Der Autor lebt mit seiner Familie in Berlin.
Titel: Der Schatten meines Bruders
Autorin: Tom Avery
Übersetzer: Wieland Freund
Verlag: Beltz & Gelberg Verlag
ISBN: 978-3-407-82049-5
Preis: 12,95 Euro
Info: Kinder- und Jugendbuchpreis Luchs
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