Inhalt

Der Arbeiter- und Soldatenrat 1918

Mitglieder

Funktionäre

Wahlen

Stadtrat

Landtag

Reichstag

Hartmann, MdL 1919 - 1924

Münzer, Bürgermeister 1920 - 1929

Die Vielfalt der Organisationen

Die Streitigkeiten


In der Weimarer Republik 1918-1933
Der Arbeiter- und Soldatenrat 1918

Im November 1918 überstürzten sich die Ereignisse. Am 3. meuterten Matrosen in Kiel, am 8. rief Eisner (USPD) in München die Republik aus, am 9. dankte Kaiser Wilhelm 11. ab, übergab der Reichskanzler Max von Baden sein Amt an Friedrich Ebert (SPD), rief Philipp Scheidemann (SPD) im Reichstag und Karl Liebknecht (USPD) am Berliner Schloß die Republik aus, am 1. 1. schloß die neue Reichsregierung Waffenstillstand1. Die Revolution oder besser wohl Pseudorevolution2 erreichte schnell die Pfalz. In Ludwigshafen bildete sich noch am 9. ein Soldatenrat, am 10. ein Arbeiterrat3, in Neustadt am 1. 1. ein Soldatenrat unter Umbehr und ein Arbeiterrat unter Hartmann (SPD). Wie in Ludwigshafen ließ er die alten Organe (Bezirksamt = Kreisverwaltung, Bürgermeisteramt = Stadtverwaltung, Stadtrat) weiterarbeiten und half ihnen hauptsächlich bei der Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung und bei der Verteilung von Lebensmittel. Der Soldatenrat verließ Neustadt am 26.11.19184. Frankreich besetzte die Pfalz, Neustadt am 3.12.1918, und verbot den Arbeiterrat sofort5.

Die SPD führte im Reich die ersten Regierungen. Sie setzte zusammen mit den andern Demokraten die bürgerlichen Grundrechte durch (Freiheit der Person, Meinung, Presse, Versammlungen usw.), allgemeine, gleiche Verhältniswahlen auch für Frauen in allen Volksvertretungen, den lange umkämpften Achtstundentag, der bei den Arbeitern als die größte Errungenschaft der Revolution galt6, den 1. Mai als allgemeinen Feiertag7. Obwohl die SPD bis 1932 die relativ stärkste Partei blieb, konnte sie die Reichsregierungen nur 1918-20 und 1928-30 führen8. Der Achtstundentag wurde beispielsweise 1923 zurückgenommen9 und erst 1938 durch die heute noch gültige Arbeitszeitordnung wieder eingeführt10.




Maifeier um 1923 in Neustadt am Volksbad (Foto Ebert)


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Mitglieder11

Die Ortsgruppe der SPD blühte auf. 1922 hatte sie 21 weibliche Mitglieder12 . Die gesamte Mitgliederzahl stieg von 203 im Jahre 925 auf 406 im Jahre 192913. Auffallend viele waren von Beruf Gastwirt. Bei ihnen spielte sich das Vereinsleben ab14. Die Mitgliederversammlungen fanden häufiger als heute statt und waren besser besucht. So kamen 1928 zu zwölf Versammlungen zwischen 46 und über hundert Mitglieder, 1929 einmal gar 185 und 1930 einmal 13015!

Die "Karriere" in der Partei begann meistens, aber nicht immer als Funktionär, d.h. Mitglied im örtlichen Vorstand oder Delegierter zu überörtlichen Parteitagen, setzte sich fort als Mandatsträger, d.h. Mitglied im Stadtrat, Kreistag, Bezirkstag oder Landtag, und endete als Amtsträger, also Bürgermeister. Da nur ein einziger Neustadter in den Landtag (Hartmann) und ein anderer (Münzer) zum (zweiten) Bürgermeister gewählt wurde, war die Funktions-, Mandats- und Ämterhäufung seinerzeit noch kein Problem.

Funktionäre

Aus dem Ortsvereinsvorstand seien zwei Personen hervorgehoben, Gustav Weil, der letzte Vorsitzende vor der Nazi-Diktatur, und Selma Mayer, die erste Frau im Vorstand, beides Juden. Weil wurde 1871 in Landau geboren, arbeitete als Vertreter für die Metallfirma Hirsch in Berlin und wohnte als Mieter in der Luisenstraße 3. Er saß jahrelang im Vorstand der israelitischen Kultusgemeinde. Spätestens 1925 wurde er stellvertretender Vorsitzender, 1928 Vorsitzender der SPD-Ortsgruppe. 1930 rückte er in den Stadtrat nach und übernahm die Fraktionsführung. Die Nazis sperrten ihn im März 1933 einige Tage in der Kaserne an der Speyerdorfer Straße ein. Er mußte wie alle Juden sein Stadtratsmandat niederlegen. Der NSDAP-Gauleiter Bürckel verklagte ihn wegen Beleidigung; das Gericht stellte das Strafverfahren mangels Beweises ein. Am 24.6.1933 wurde Weil (SPD) mit Dr. Bayersdörfer (BVP), Matt (Zentrum) und Dr. Pfeiffer (Zentrum) durch die Stadt geführt und zusammen mit Dr. Pfeiffer in eine Zelle des Amtsgerichts an der Lindenstraße (heute ehem. Fa. Fillibeck) gesperrt. Er mußte für die Gestapo kehren. 1938 durfte er kurz vor der Kristallnacht nach Buffalo/USA auswandern17 . Er wurde dort am 6.12.1941 überfahren. Sein einziges Kind, Frau Alice Weinmann, wohnt noch in Buffalo.

Selma Mayer geb. Zimmern, geb. 1881 in Michelfeld, war die erste und bis 1946 einzige Frau, die bei der Neustadter SPD eine Funktion ausübte. Sie war mit dem Metzger Theodor Mayer (geb. 1876 in Spießen/Saarland) in der Hauptstraße 68 (heute Volksbankfiliale) verheiratet und dem Metzger Max Mayer (geb. 1884 in Neustadt) in der Kellereistraße 9 (heute Pelgen) verschwägert. Theodor, Selma und die einzige Tochter Elsa waren Mitglieder der SPD. Sehna war 1929-32 zweite Schriftführerin. Die Familie wanderte 1934 nach Palästina aus, kam 1950 in die alte Heimat zurück und verließ sie entfremdet und enttäuscht wieder nach wenigen Wochen.

Ortsvereinsvorstand16

Wahl

Vorsitzender

Stellvertreter

Kassierer

1.
Schriftführer

2.
Schriftführer

1.
Beisitzer

2.
Beisitzer

1923

?

?

?

?

?

?

?

1924

Sauer

?

Köhler

?

Türck

?

?

1925

Sauer

Weil

Köhler

Kölsch

Türck

Hartmann

?

1926

Sauer

Weil

Köhler

Kölsch

Türck

Hartmann

?

1927

Sauer

Weil

Köhler

?

Halfar

?

?

1928

Weil

Reinwald

Köhler

Schreiber

Manderschied

Halfar

Rauschenbach

1928 N

---

---

---

Kempf

Lützel

---

---

1929

Weil

Reinwald

Köhler

Kempf

S. Mayer

Dierfeld

Rauschenbach

1930

Weil

Schreiber

Wilhelm

Kempf

S. Mayer

Dierfeld

Rauschenbach

1931

Weil

Schreiber

Wilhelm

Gröning

S. Mayer

Dierfeld

Rauschenbach

1931 N

---

---

Dierfeld

---

---

---

---

1931 N

---

Halfar

Münch

---

---

---

---

1932

Weil

Halfar

Münch

Gröning

---

Melbert

Stich


N = Nachwahl

Der Ortsverein wählte folgende Mitglieder zu Delegierten in übergeordneten Gremien:

Jahr

Organisationsebene und Name

1924 und 1925

zum Bezirk Hartmann und Sauer 

1927

 zum Bezirk Sauer und Weil

1928

zum Bezirk Sauer und Weil, zum Unterbezirk zuerst Sauer, Weil, Dierfeld, Voß dann Sauer, Wefl, Geiger, Türck 

1929

zum Bezirk Kempf und Schreiber 

1930

zum Bezirk Weil und Schreiber

1931

 zum Bezirk Weil, Buckeley und Manderschied; das Mandat von Buckeley wurde aberkannt. Der Bezirk wählte Schreiber zum Reichsparteitag19.





Selma Mayer 1962/63 mit Tochter, Enkelin und Urenkel


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Wahlen

Alle Wahlen waren seit 1919 allgemein für Männer und Frauen ab 20 Jahren und Verhältniswahlen in größeren Wahlkreisen nach nicht abänderbaren Parteilisten 20.


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Stadtrat

Der 1914 gewählte Stadtrat amtierte bis 1920. 1920, 1924 und 1929 wurde neu gewählt. 1920 kamen die ersten drei Frauen in den Stadtrat, für die DDP, die DVP (Eugenie Abresch, die Schwester des ausgeschiedenen Landtagsabgeordneten) und das Zentrum21. Wenn ein Stadtrat vorzeitig ausschied, rückte der nächste in der Liste nach. In der ersten Wahlperiode geschah das bei der SPD viermal, in der zweiten zweimal und in der dritten einmal. 1929 ließ man in den eigenen Wahlversammlungen immer noch die politischen Gegner zu Wort kommen, so die NSDAP am 2.12. einen Kommunisten Hartmann, die SPD am 4.12. Kommunisten, der Mieterverein am 5.12. die Sozialdemokraten Dierfeld und Schreiber. Die Presse veröffentlichte, wie oft jeder Stadtrat die Sitzungen besucht oder gefehlt hatte22.

1933 lud der NSDAP-Bürgermeister die SPD-Stadträte ab 24. März nicht mehr ein. Am 22. April wurden 20 neue Stadträte berufen. Die Stadträte der Kampffront traten am 29.4., die der SPD am 12.5. und die des Zentrums/BVP am 22. und 26.6.1933 zurück. Die (Bezirks-) Regierung besetzte die freien Sitze auf Vorschlag der NSDAP neu.

Die Sitze verteilten sich wie folgt23:


Wahltag

SPD

USPD+KPD

NSDAP

Sonstige

Zusammen

29.11.1914

5

-------------

--------

19

30

18.4.1920

8

3

--------

19

30

7.12.1924

7

2

--------

21

30

8.12.1929

6

2

4

18

30

22.4.1933

3

-------------

13

4

20


Es folgte eine alphabetische Liste der insgesamt 16 SPD-Stadträte

von April 1920 bis Mai 1933; N sind Nachrücker

Name

Stadtratsmitgliedschaft

Bittig

April 1933 bis Mai 1933 

Dierfeld

1920 (N) bis 1930 (Rücktritt) 

Dörner 

April 1933 bis Mai 1933

Gröning für KPD

1920 bis 1921 (Rücktritt)

Gröning für SPD

1920 bis 1921 (Rücktritt) 

Hacker

Juli 1929 bis März 1933 

Hartmann

1920 bis März 1933 

Krieger

1924 (N), 1927 (N) bis Juni 1929 

Melbert

1923 (N) bis Mai 1933 

Münzer

 (1920, 1924) 1929 bis März 1933 

Rosenthal

1920 bis 1929 

Sauer

1920 bis 1923 (Tod)

Türck

1920 bis 1929 

Veth

1920 bis 1924

Voß

 1921 (N) bis März 1933

Weigenand

1921 (N) - (1924 N) bis 1929

Weil

 1930 (N) bis März 1933



Listenführer war 1920 Hartmann, 1924 Münzer, 1929 Münzer und 1933 Melbert. Fraktionsführer waren bis April 1923 Rosenthal, ab Februar 1929 Sauer und ab Februar 1930 Weil. Münzer wurde 19 und 1924 zum zweiten Bürgermeister gewählt und schied damit aus dem Stadtrat aus.


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Landtag

Die Landtagswahlen hatten folgendes Ergebnis24:

in Neustadt % in Bayern Sitze

Wahltag

SPD

USPD+KPD

NS

Sonstige

SPD

USPD+KPD

NS

Sonstige

Zusammen

2.2.1919

43

1

--

56

62

3

--

113

178

6.6.1920

25

13

--

62

25

21

--

109

155

4.5.1924

23

14

--

63

23

9

--

97

129

20.5.1928

29

7

11

53

34

5

9

80

128

24.4.1932

18

8

43

31

20

8

43

57

128

15.4.1933

landesweit 
benannt

17

--

48

38

103


Von der Neustadter SPD kam Hermann Hartmann 1919 und 1920 in den Landtag. 16


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Reichstag

Die Pfalz bildete seit 1919 einen einzigen Wahlkreis, der sechs der 423 Abgeordneten in die Nationalversammlung (1919) und den Reichstag schickte. Die Neustadter SPD stellte keinen Abgeordneten. Die Wahlen hatten folgendes Ergebnis25:


in Neustadt % im Reich %

Wahltag

SPD

USPD+KPD

NS

Sonstige

SPD

USPD+KPD

NS

Sonstige

19.1.1919

43

0

--

57

38

8

--

54

6.6.1920

26

13

--

61

22

20

--

58

4.5.1924

23

14

4

59

20

13

7

60

7.12.1924

26

9

1

64

26

9

3

62

20.5.1928

28

7

11

54

30

11

3

56

14.9.1930

24

8

24

44

25

13

18

44

31.7.1932

16

11

51

22

22

14

37

27

6.11.1932

16

12

45

27

20

17

33

30

5.3.1933

14

10

53

23

18

12

44

26


Neustadt war seit 1932 eine Hochburg der NSDAP






Stimmzettel zur Reichstagswahl am 4.5.1924 (Stadtarchiv 4938)


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Hartmann, MdL 1919 - 1924

(Johann Karl) Hermann Hartmann, 10. 10. 1870 Frankfurt 25.04.1926 Neustadt, evangelisch, war das dritte von sieben Kindern des Nachtwächters Peter Karl Hartmann (1841-1884) und seiner Frau Anna Margarete (1845-1882). Er heiratete 1895 in Main Katharina Schneider aus Neustadt (1874-1953). Die Familie muß zwischen 1896, als in Mainz das erste Kind, und 1899, als in Neustadt das zweite von vier Kindern geboren wurde, nach Neustadt gezogen sein. Hartmann arbeitete als Drechsler (Adreßbücher von 1905 und 1908), Parteisekretär und Gewerkschaftssekretär für Metallarbeiter und einen "Medizinalverband" (1905 und 1908), Vertreter (1914) bzw. Händler für Häute und Felle (1919) und Gewerkschaftssekretär für den Landarbeiterverband (1926).

Hartmann trat 1891 in die SPD ein, war 1907/08, (nicht mehr 1909) Vorsitzender der Ortsgruppe Neustadt, kam 1914 auf Platz der SPD-Liste unter nicht ganz einwandfreien Umständen in den Stadtrat, wurde 1918 Vorsitzender des Arbeiterrats, 1919 und 1920 (nicht mehr 1924) Mitglied des bay. Landtags, 1920 (nicht mehr 1924) auf Platz 1 der SPD-Liste wieder Stadtrat, 1924 und 1925 Delegierter für den SPD-Bezirk-Pfalz, 1925 Beisitzer im SPD Vorstand Neustadt und 1925 wohl Mitglied des SPD Bezirksausschusses Pfalz. 1924 stellte sich eine Pressemeldung, er sei wieder in den Landtag gewählt, als falsch heraus. Hartmann wohnte zuletzt als Mieter in der Wallgasse 22 (heut Karl-Helfferich-Str. 20). Ein großer Leichenzug und zahlreich Ansprachen erwiesen ihm die letzte Ehre 26.


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Münzer, Bürgermeister 1920-1929

Josef Münzer, 12.8.1875 Wurmlingen bei Rottenburg - 5.4.1936 Neustadt, katholisch, später konfessionslos, heiratete 1898 die prot. Neustadterin Margaretha Liese (1875-1960). Sie hatten drei Kinder. Münzer arbeitete als Geselle in der Brauerei Geisel und Mohr, bis er sich spätestens 1914 als Wirt selbständig machte. Er hatte damals eines der größten Neustadter Lokale, die Burckhardt'sche Wirtschaft in der Rathausstraße 11 (heute Zum Rathaus) gepachtet. 1922 kaufte er die Wirtschaft Hambacher Höhe in der Hambacher Straße 21. 1929 bis 1933 pachtete er zusätzlich die Wirtschaft zum Pfalzbräu in der Hauptstraße 101 (heute Einrichtungshaus Schneider) und ließ die Hambacher Höhe von seinem Sohn betreiben.

Münzer war schon 1905 und bis in die zwanziger Jahre Vorsitzender des Gewerkschaftskartells. Er kam 1909, 1914 und 1920 jeweils an der zweiten, 1924 und 1929 an der ersten Stelle der SPD-Liste in den Stadtrat. Der Rat wählte ihn am 30.4.1920 mit 15 Stimmen (8 SPD, 5 Zentrum, 2 Gewerbebund) zum zweiten, ehrenamtlichen Bürgermeister, ebenso am 23.12.1924 mit 17 Stimmen. Während der erste Bürgermeister geborenes Mitglied des Stadtrats war, schied der zweite mit der Annahme seines Amtes aus. Am 24.12.1929 unterlag Münzer bei der Bürgermeisterwahl mit 6 Stimmen gegen 10 Stimmen für Esch (Bürgerliste) und 9 für Ernst (Bürgerliche Vereinigung). Im April 1932 trat Münzer aus unbekannten Gründen aus der SPD aus, blieb aber wohl im Stadtrat, bis dieser im April 1933 aufgelöst wurde. Auch Genossen besuchten ihn weiterhin und schossen am 10.7.1932 aus seinem Haus in der Hauptstraße auf vorbeimarschierende Nazis. Münzer zog sich auf die Hambacher Höhe zurück und starb 1936, ohne daß es die Öffentlichkeit zur Kenntnis nahm27. In Neustadt wohnen noch eine Tochter und eine Schwiegertochter.


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Die Vielfalt der Organisationen

Wenn man aus heutiger Sicht die damalige Zeit betrachtet, fällt besonders die mangelnde Einigkeit auf, was sich in einer zunehmenden Organisationsfreude und zunehmenden Streitigkeiten äußerte. Organisiert war die Arbeiterbewegung seit langem in einer Partei, vielen Gewerkschaften und sogenannten Kulturvereinen. Nun spalteten sich von der Sozialdemokratischen Partei Deutschland (SPD) 1917 die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) ab, 1919 die Kommunistische Partei Deutschland (KPD) und 1931 die Sozialistische Arbeiter-Partei (SAP)28. Man muß hier auch die National-Sozialistische-Deutsche-Arbeiter-Partei (NSDAP) nennen, die sich zwar nicht aus der SPD entwickelt aber in ihrem Namen und in einigen Programmpunkten an die Arbeiterbewegung erinnerte.

In der Pfalz gründete die USPD ihre ersten Ortsgruppen 1917 in (Ludwigshafen-) Oggersheim und Ludwigshafen (Innenstadt), die KPD ihre erste 1919 in Ludwigshafen29, die NSDAP 1921 in Odernheim30, die SAP 193131. In Neustadt kandidierte die USP bei allen Wahlen von 1919 und 1920. Ihre Stadträte traten am 15.12.20 zur KPD über32. Eine Ortsgruppe der NSDAP wurde 1925 gegründet33, eine Ortsgruppe der SAP 193134.  Außerhalb der sozialistischen Parteien, aber ideologisch und persönlich mehr oder weniger eng mit ihnen verbunden, bestanden die Arbeitervereine der Kaiserzeit weiter 35 , außerdem36,
 

  • 1924 ein Verband der Arbeiter-Invaliden37

  • 1924 ein Verband der Lebensmittel- und Getränke-Arbeiter 38

  • 1924 ein "Erster freier Fußballverein"39

  • 1924 das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, eine gemeinsame Kampftruppe von SPD, Zentrum und DDP40

  • 1926 die Sozialistische Arbeiter-Jugend (SAJ), eine selbständige Jugendorganisation der SPD für 14-20jährige. Die 18-25jährigen Jungsozialisten hatten sich in der Pfalz noch nicht organisiert. Als Nachfolger der SAJ verstehen sich heute die Falken41

  • 1929 ein Rotfrontkämpferbund unter Heinrich Baader42

  • 1929 eine Rechtsauskunftsstelle des Gewerkschaftskartells43

  • 1929-30 eine Arbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde44

  • 1930 eine Theatergruppe Schöntal45

  • 1931 die Eiserne Front, eine Kampftruppe der SPD, der Gewerkschaften und des Arbeitersports46

  • 1933 die Arbeiter-Sportvereinigung Rotsport. Der Rotsport stand unter kommunistischem Einfluß. Er baute in Eigenarbeit eine Turnhalle in der Turmstraße 19 (unmittelbar nördlich Karstadt), die bis 1984 der Firma Kirner und Steiner als Lager diente und 1985 von der Stadt abgerissen wurde47.

  • 1933 Arbeiter-Bildungs-Verein Schöntal unter Dr. Nutzenberger

  • 1933 Arbeiter-Samariter-Kolonne unter Dörr

  • 1933 Freundschaft unter Christ

  • 1933 Gesangsverein Gutenberg

  • 1933 Jüdischer Jugendbund unter Dr. Farnbacher


Turnhalle des Rotsports (Foto Ebert 1985)
 

  • 1933 Kampfgemeinschaft für prot. Jugend unter Christ Christ

  • 1933 Rote Funker unter Ehresmann

  • 1933 Rote Pioniere unter Christ

  • 1933 Rote Hilfe unter Anna Müller

  • 1933 Freier Schachclub unter Andres

  • 1933 Radfahrerverein Solidarität unter Kindt

  • 1933 Sturmvogel SAJ unter Christ

  • 1933 Sportkartell unter Pelzer

  • 1933 Freier Turn- und Schwimmverein48

Innerhalb der Partei entstanden am 18.6.1928 eine Frauengruppe49 und am 5.11.1928 ein Ortsausschuß der Arbeiter-Wohlfahrt. Die AW war zunächst ein unselbständiger Teil der SPD, obwohl sie eigene Beiträge erhob und eigene Mitglieder hatte. Sie wurde deshalb 1933 auch nicht wie die Arbeiter-Samariter oder die SAJ besonders, sondern zusammen mit der SPD verboten. Seit dem Krieg ist die AW selbständig. In Neustadt wurde sie 1947 wieder gegründet. Viele Mitglieder sind auch Mitglieder der SPD50.



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Die Streitigkeiten

Die politische Atmosphäre innerhalb der Partei selbst und zwischen den genannten Gruppen und zu andern gesellschaftlichen Gruppen und Parteien reichte von einer vollkommenen Harmonie über kleine Spannungen und große Unduldsamkeiten bis hin zu brutalen Schlägereien. Gelegentlich diente eine nahestehende Organisation als Hausmacht in der Partei, so wohl 1920 der Volkschor dem Gewerbelehrer Michael Dörner für die Wahl in den Stadtrat51 und 1929 der Verband der Arbeiter-Invaliden dem Schlosser Johann (Jean) Gröning ebenfalls für die Wahl in den Stadtrat 52. Von Zwistigkeiten unter den Mitgliedern, Flügelkämpfen 53 , Austritten 54 , Ausschlüssen55 und Parteiwechseln56 ist öfter die Rede. Spätestens seit 1928 kritisierte die aktivere Parteibasis immer wieder die vorsichtigere Stadtratsfraktion 57 . Die Realschule und das Gymnasium verboten 1928 rote Badehosen58. Handgreiflichkeiten zwischen den Parteien, insbesondere der KPD und der NSDAP, häuften sich.

Als in Berlin Außenminister Rathenau (DDP) ermordet wurde, beschuldigten die Linksparteien den Neustadter Karl Helfferich MdR, den Führer der Rechten, der geistigen Anstiftung. Neustadter und Lambrechter Jugendliche, wohl hauptsächlich Kommunisten, drangen in der Nacht zum 30.6.1922 in die Trikotfabrik Helfferich ein, zertrümmerten Türen, Fenster, Bilder und Spiegel und bedrohten Karls Bruder, den liberalen Stadtrat Philipp Helfferich, mit Knüppeln59.  Die Kommunisten sprengten am 3.8.25 und 26.10.25 die erste und zweite öffentliche Versammlung der NSDAP60. SPD und KPD kamen sich am 4.12.29 fast in die Haare61. Am 8.12.29 lieferten sich NSDAP und KPD eine blutige Schlacht am NSDAP-Lokal Fröhliche Pfalz in der Friedrichstraßer62.

Am 10.7.32 kam es anläßlich des Gautages (= Bezirksparteitag) d NSDAP in Neustadt zu mehreren Schlägereien, so am Bahnhof auf dem Neptunplatz (heute Strohmarkt) und beim Rosengarten. Als die SS und SA in der Hauptstraße vor der Wirtschaft Münz (heute Einrichtungshaus Schneider) vorbeimarschierten, in der sich das Vereinslokal der Eisernen Front und des Arbeiter-Samariter-Bundes befanden, fielen, wahrscheinlich durch die SS provoziert mehrere Schüsse, die fünf Nazis verletzten. Die Nazis demolierte die Wirtschaft, die Schützen entkamen. Verdächtigt wurden die Sozialdemokraten Karl Adrian aus Neustadt, Ludwig Kärner aus Neustadt (damals Lambrecht), Weinz und Hermann Zahm, Adrian erhielt vier Jahre Gefängnis63. Die wohl letzte Schlägerei lieferten sich am 2.2.33(!) Nazis, Kommunisten und Sozialdemokraten64.



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Anmerkungen

1) Sozialdemokrat 1978 Heft 12 Sit. 23-25; Miller 82-83; Wunder 44.
2) Breunig 554; Miller 86&90.
3) Breunig 534, 556.
4) Protokolle der 1,. 2., 5--10- Sitzung vom 11. bis 30.11.1918 im Stadtarchiv: Nachlaß: Hartmann. Vgl. Breunig 554-558; Blinn 65-84; Wunder 42-44. Irrig Blinn 68 (Bildung am 10.11.).
5) Stadtarchiv 4058 (Bezirksksamt vom 8.2.1919); Breunig 561-562. Allgemein z.B. Vorwärts 6.11.1978.
6) Miller 84.
7) RGBI. 1919, 393; Rheinpfalz vom 29.4.1978; Sozialdemokrat 1978 Heft 4 S. 20.
8) Miller 111, 122-124.
9) Schiffmann 328-329.
10) RGBI. 1938 1 447.
11) Ausführlicher Wunder 44-57; für Landau Blinn 154-174.
12) Blinn 176 nach Bericht des Bezirks Pfalz 1922 S. 8.
13) Wunder 47,55. In der Pfalz 21500 (1921),12286 (1926),16850 (1929),13940 (1932; Pfälzische Post vom Dezember 1984 S. 11.
14) Wunder 47.
15) Wunder 51,56.
17) Stadtarchiv 4031 und 5340; Pfälzische Presse vom 16.3.1933; Adreßbuch 1938, 68; Jüdisches Gemeindeblatt vom 1. 11. 1938 S. 8; Wunder 48, 50, 60, 61, 65; Berzel III 121 (Foto); Auskünfte Pfeiffer 1978, Münch 1984, Scharfenberger 1985, Weinmann 1985; Rheinpfalz vom 14.2.1985.
18) Wunder 52; Auskunft Münch 1984; Rheinpfalz vom 14.2.1985.
19) Wunder 49, 50, 52, 53.
20) Breunig 571-572; Miller 84.
21) Stadt- und Dorf-Anzeiger vorn 19.4.1920.
22) Stadt- und Dorf-Anzeiger vom 2., 5., 6. und 7.12.1929.
23) Stadtarchiv 4938; Stadt- und Dorf-Anzeiger vom 19.4.1920, 6.12.1924 (KPD gegen SPD), 13.12.1924; General-Anzeiger vom 9. und 10. 12.1929; Pfälzische Post vom 13.12.1929; Stadtund Dorf-Anzeiger vom 24.4.1933; Wunder 45, 49, 52, 54, 60-65. Vgl. für Landau Blinn 141-153. Irrig Friedel 88 (1929 sonstige 21, zusammen 33).
24) Stadtarchiv, 4042, 4938; Pfälzischer Kurier vom 4., 5. und 6.2.1919; 7. und 9.6.1920; 21. und 22.5.1928; 25.4.1932; 18.4.1933; Stadt- und Dorf-Anzeiger vom 5., 7., 14. und 16.5.1924; Pfälzische Bürgerzeitung vom 21. und 22.5.1928; 25.4.1932; Pfälzischer Kurier vom 26.4.1932; Bayerische Staatszeitung vom 26.4.1932; 1933 Nr. 81 11, Sonderabdruck Nr. 48; Amtliches Handbuch des Bayerischen Landtags 1920 und 1932; Blinn 11 6-123; Wunder 45. Die Stimmenzahlen oder Prozentzahlen für Bayern konnte ich leider nirgends finden.
25) Stadtarchiv4938;Pfälzischer Kurier vom 21.1.1919; Hartwich679-683; Blinn 92-115,354-355; Miller 90 und 289; Matthias 55. Zu einzelnen Abgeordneten Schwarz.
26) Adreßbuch 1905, 168 und 1908, 179; Stadtarchiv Neustadt: (kleiner) Nachlaß Hartmann; Pfälzischer Kurier vom 6.2.1919; Amtliches Handbuch des Bayerischen Landtags, München 192 53, 157 (Foto); Stadt- und Dorf-Anzeiger vom 7. und 14.5.1924; 26. und 28.4.1926; Pfälzisch Kurier vom 26.4.1926; Wunder 38, 39 (Foto)- 40, 41, 44, 45, 46, 48, 49. Irrig Blinn 119 ( Hartmann 1919 nicht gewählt).
27)Stadtarchiv: Heiratsakt, Sterbeakt; Stadt- und Dorf-Anzeiger vom 23.12.1924 und 24.12.1929; Ratsprotokolle vom 7.4.1936 (keine Erwähnung); NSZ vom 6.4.1936 (Todesanzeige); NAZ vom 6.4.1936 (kurze Notiz); Hänsler in Westrich 714; Wunder 38 (Foto)-39, 41, 44-45, 49, 54, 56-57, 61; Auskünfte Münzer und Stephan 1985. Über die Schießerei hinten 73.
28) Miller 77, 88, 136.
29) Breunig 531-532, 548, 550, 566.
30) Meinzer 53. Odernheim gehört seit 1969 zum Landkreis Bad Kreuznach GVBI. 1968, 231.
31) Pfälzische Post vom Dezember 1984, S. 15-16.
32) Wunder 45,47.
33) NSZ vom 14.7.1932; Festschrift 8; Pfälzer Anzeiger vom 29.1.1938; irrig Meinzer 53 (1922) Für Landau zu KPD und NSDAP ausführlich Blinn 279-296.
34) Wunder 53, 56.
35) Vorn 53 - 54.
36) Ausführlicher für Landau Blinn 178-201; für Sulzbach/Saarland Jüngst 7-45.
37) Stadt- und Dorf-Anzeiger vom 23.12.1924; Wunder 54.
38) Stadt- und Dorf-Anzeiger vom 24.12.1924; Wunder 53.
39) Stadt- und Dorf-Anzeiger vom 6.12.1924; Wunder 58.
40) Miller 137; Wunder 48, 53; Rheinpfalz vom 21.2.1984.
41) Stadt- und Dorf-Anzeiger vom 14.2.1929; Wunder 48; Arbeiterjugendbewegung in Frankfurt 1904-1945, Frankfurt 1978, 24; Vorwärts vom 27.9.1979; Pfälzische Post vom Febr. 1982; Jüngst 34; Sozialdemokrat vom Mai 1984 S. 24-26.
42) Stadtarchiv 4403. Vgl. Rheinpfalz vom 5.3.1984.
43) Wunder 53-54.
44) Die Reichsarbeitsgemeinschaft wurde 1923 von SPD, ADGB und SAJ gegründet. Bayern verbot 1930 die Teilnahme von Schülern. In Neustadt ist daraufhin von den Kinderfreunden nicht mehr die Rede. Sie werden wie die SAJ heute von den Falken fortgeführt; Wunder 54; Vorwärts vom 27.9.1979; Sozialdemokrat vom November 1983 S. 24-27.
45) Wunder 55.
46) Miller 137.
47) Wunder 58; Auskunft Ebert 1985.
48) Wunder 58.
49) Wunder 51, 54.
50) Hundert 48-50; Wunder 51; Rheinpfalz vom 17.11.1983
51) Wunder 40.
52) Wunder 52, 54.
53) Wunder, 48, 51, 52, 53, 55.
54) Vorn 40 (Bohl um 1925); Wunder 56 (Münzer 1923).
55) Wunder 47 (Flor 1924).
56) Wunder 45, 52 (Gröning erst SPD, 1920 USPD, 1924 KPD, 1929 SPD); Wunder 53 (Schreiber 1927 SPD, 1931 SAP, nach 1945 KPD).
57) Wunder 51, 54, 55.
58) Wunder 51.
59) Pfälzischer Kurier vom 26.6., 28.6., 30.6., 1.7. und 3.7.1922; Stadt- und Dorfanzeiger vom 30.6. und 1.7.1922; Schiffmann 257.
60) NSZ vom 14.7.1932; Festschrift 8-9; Pfälzer Anzeiger vom 29.1.1938.
61) Stadt- und Dorf-Anzeiger vom 5.12.1929.
62) Pfälzische Bürger-Zeitung vom 9.12.1929; Pfälzische Post vom 13.12.1929. Foto des heute abgerissenen Gasthauses in Berzel I 55.
63) Neue Pfälzische Landeszeitung, Ludwigshafen, vom 11.7.1932; NSZ vom 11., 12. u 13.7.1932; NSZ vom 15.7.1933; Wunder 57, 61.
64) die tat vom 23.10.1981.