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Hintergrundpapier

zur aktuellen Diskussion über eine Reform der Besteuerung von Ehe und Familie

Stellungnahme vom 27.06.2006

(dazu auch die Pressemitteilung 06-10 vom 27.6.2006)

I.     Diskussionsvorschläge

Die in der aktuellen Diskussion über eine Reform der Besteuerung von Ehegatten und Familien vorgeschlagenen alternativen Regelungsmöglichkeiten weichen im Wesentlichen nicht von schon seit langem angedachten Alternativen ab[1]. So beschränkt sich die Diskussion hauptsächlich darauf, ob das bestehende Ehegattensplitting durch eine konsequente Individualbesteuerung ersetzt oder im Gegenteil eine gemeinsame Veranlagung nicht nur der Ehegatten, sondern aller Familienmitglieder erfolgen soll. Bezüglich letzterem werden zwei Methoden, das Familientarif- und das Familienrealsplitting, in Betracht gezogen. Eine Reform der Ehe- und Familienbesteuerung soll dabei auch zu einer Abstimmung der unterschiedlichen Förderungs- und Entlastungsinstrumente für Familien führen, so z.B. auch des Elterngelds, des Betreuungs- und Erziehungsfreibetrags etc.

Im Folgenden werden zunächst die bestehende Regelungen kurz umrissen und daran anschließend die hierzu diskutierten Alternativvorschläge dargestellt.

1.    Bestehende Regelungen

a.     Ehegattensplitting

aa.  Bei der Besteuerung nach dem Familienstand wird im geltenden Einkommensteuerrecht der Grundsatz der Individualbesteuerung (Einzelveranlagung gemäß § 25 Abs. 1 Einkommen­steuer­gesetz) durchbrochen: Gemäß den §§ 26 bis 28 Einkommensteuergesetz erfolgt auf Antrag eine Zusammenveranlagung mit Splittingtarif. Die Ehegatten können aber auch eine getrennte Veranla­gung wählen und werden dann wie Ledige besteuert. Die Zusammenveranlagung führt zur Anwendung des Splittingtarifs gemäß § 32a Abs. 5 Einkommensteuergesetz. Die Einkommen der Ehegatten werden zusammengerechnet und das Gesamteinkommen je zur Hälfte auf beide Eheleute aufgeteilt. Die beiden Einkommenshälften werden sodann jeweils nach dem Grundtarif besteuert und die beiden daraus sich ergebenden Steuerbeträge zur Gesamtsteuerschuld addiert.

bb.  Durch diese Besteuerung wird die Progression für Eheleute gestreckt. Dadurch fällt die Steuerschuld der Ehegatten insbesondere dann geringer aus, wenn nur ein Ehegatte berufstätig ist[2]. Ohne Auswirkung wäre diese gemeinsame Veranlagung, wenn das deutsche Steuersystem auf einem reinen Proportionaltarif beruhen würde. Aufgrund des geltenden progressiven Tarifs entscheiden sich 99 % der verheirateten Paare für die Zusammenveranlagung[3]. Insgesamt verzichtet der Fiskus aufgrund des Ehegattensplittings jährlich auf Steuereinnahmen in Höhe von ca. €20 Milliarden[4], wobei diese Zahl extrem variiert je nachdem, was unter Abschaffung des Ehegattensplittings verstanden oder zugrunde gelegt und ob die Abschaffung für vertretbar oder wünschenswert gehalten wird. So wurden die Einsparungen des Staates im Falle einer Abschaffung auch schon auf lediglich eine halbe Milliarde € beziffert[5].

cc.   Auf einzelne beispielhafte Fallkonstellationen angewandt, hat das Ehegattensplitting die unter Nr. I. der Anlage zu entnehmenden Auswirkungen. Im Ergebnis entlastet das Ehegattensplitting das besserverdienende Paar stärker als das geringerverdienende. Es führt zudem dazu, dass die Ehefrau im Fall einer Wiederaufnahme ihrer Erwerbsarbeit zunächst den dann entfallenden Steuervorteil durch das Splitting ausgleichen muss, wobei zu berücksichtigen ist, dass in der Regel zudem Kosten für die Kinderbetreuung anfallen werden, die dann außerdem noch von dem Familieneinkommen abgezogen werden müssen.

b.     Berücksichtigung von Kindern im Einkommensteuerrecht

aa.  Gemäß § 31 Einkommensteuergesetz wird die steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrags in Höhe des Existenzminimums eines Kindes alternativ durch den Kinderfreibetrag gemäß § 32 Einkommensteuergesetz oder durch die Zahlung von Kindergeld gemäß den §§ 62 ff. Einkommensteuergesetz bewirkt. Der Kinderfreibetrag beträgt pro Kind für jeden Elternteil €1.824,00; steht das Kind zu beiden Ehegatten in einem Kindschaftsverhältnis und werden diese gemäß §§ 26 ff. Einkommensteuergesetz gemeinsam veranlagt, wird der doppelte Betrag von €3.684,00 angesetzt. Das Kindergeld beträgt für erste, zweite und dritte Kinder jeweils €154,00 pro Monat und für das vierte und jedes weitere Kind jeweils €179,00 monatlich.

bb.  Seit dem Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Familienförderung vom 16.08.2001 wird gemäß § 32 Abs. 6 Einkommensteuergesetz zudem pro Kind und Elternteil ein Freibetrag von €1.080,00 für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf des Kindes vom Einkommen abgezogen. Bei Ehegatten, die zusammen veranlagt werden, beträgt dieser Betrag folglich €2.160,00.

cc.   Insgesamt wird damit bei jedem Elternteil der Bedarf eines Kindes mit einem Freibetrag von €2.904,00 berücksichtigt, bei verheirateten Eltern, die zusammen veranlagt werden, mit einem Freibetrag von €5.808,00.

dd.  Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung können Aufwendungen für Dienstleistungen zur Betreuung eines zum Haushalt des Steuerpflichtigen gehörenden Kindes in Höhe von zwei Dritteln der Aufwendungen, höchstens €4.000,00 je Kind, bei der Ermittlung der Einkünfte wie Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten abgezogen werden.

ee.  Auf einzelne beispielhafte Fallkonstellationen angewandt, hat die gegebene Regelung zur Berücksichtigung von Kindern im Einkommensteuerrecht die unter Nr. II. der Anlage zu entnehmenden Auswirkungen.

2.    Individualbesteuerung

a.    Schon seit Jahrzehnten wird gefordert, das Ehegattensplitting zugunsten einer obligatorischen Individualbesteuerung abzuschaffen[6]. Zum Teil wird die gleichzeitige Einführung eines Ehegattenfreibetrags[7] bzw. die Übertragbarkeit des jeweiligen persönlichen Grundfreibetrages gefordert[8]. Ob eine Person verheiratet ist oder nicht, ist dann für die Besteuerung ihrer Einkünfte jedenfalls im Grundsatz unerheblich. Die Individualbesteuerung führt vielmehr dazu, dass alle Steuerpflichtigen individuell nach der Grundtabelle veranlagt werden.

b.    Der Fiskus könnte durch die vollständige Abschaffung des Ehegattensplittings jährlich Steuermehreinnahmen in Höhe von ca. €20 Milliarden erzielen, bei einer Individualbesteuerung mit übertragbarem zweiten Grundfreibetrag jedoch wesentlich weniger (vgl. oben I.1.a.bb.).

c.    Auf einzelne beispielhafte Fallkonstellationen angewandt, hätte die Individualbesteuerung mit übertragbarem zweiten Grundfreibetrag die unter Nr. III. der Anlage zu entnehmenden Auswirkungen.

3.    Familientarifsplitting

a.    Bei einem tariflichen Familiensplitting werden die Familienmitglieder in der Weise zusammenveranlagt, dass entsprechend der Technik des Ehegattensplittings das Gesamteinkommen der Familie auf die einzelnen Familienmitglieder aufgeteilt wird[9]. Nach dieser Aufteilung wird das Einkommen dem Tarif unterworfen, was zur Folge hat, dass mit der Anzahl der Familienmitglieder eine steigende Abmilderung der Progression stattfindet.

b.    Die Auswirkungen einer Eheschließung durch ein solches Familientarifsplittings sind bei kinderlosen Paaren die gleichen, wie bei Geltung des Ehegattensplittings, vgl. Nr. I der Anlage. Unterschiede ergeben sich erst dann, wenn das Paar Kinder bekommt. Diese Auswirkungen sind Nr. IV. der Anlage zu entnehmen. Im Vergleich zu den jetzigen Regelungen (Ehegattensplitting + Kinderfreibeträge) hätte eine besserverdienende Familie ein nicht unwesentlich höheres Nettoeinkommen, eine nur durchschnittlich bis wenig verdienende Familie hätte dagegen sogar ein niedrigeres Nettoeinkommen als bisher. Bei Beibehaltung des mit den steuerlichen Wirkungen zu verrechnenden Kindergeldes änderte sich für die Familie durch Einführung eines Familientarifsplittings nichts.

4.    Familienrealsplitting

a.    Im Rahmen eines Familienrealsplittings werden die Unterhaltslasten aller Familienmitglieder in der zivilrechtlich geschuldeten und damit zwangsläufigen Höhe als Minderung des Einkommens berücksichtigt[10]. Auf der anderen Seite werden dann dem Unterhaltsempfänger die Unterhaltsbezüge in der zivilrechtlich vorgeschriebenen Höhe als Einkünfte zugerechnet. Teilweise werden auch die zum Abzug berechtigenden Unterhaltsverpflichtungen auf das sozialhilferechtliche Existenzminimum reduziert[11]. Zur Vermeidung von zusätzlichem Veranlagungsaufwand wird der Vorschlag gemacht, dass die Steuer der Unterhaltsberechtigten von den Unterhaltsverpflichteten zu zahlen und dies auch in den Lohnsteuertabellen zu berücksichtigen ist[12]. Für die Höhe der entsprechenden Leistungen wird unter anderem die Anlehnung an die unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Oberlandesgerichte und deren Unterhaltstabellen vorgeschlagen[13].

b.    Die Auswirkungen eines solchen Familienrealsplittings sind im Grunde beispielhaft nicht darstellbar, da sich die Steuerschuld nur noch individuell berechnen lassen würde, je nachdem, welche zivilrechtlichen Unterhaltspflichten entweder gesetzlich oder vertraglich bestehen. Unter Nr. V der Anlage wird gleichwohl der Versuch unternommen, diese Regelung auf zwei verheiratete Paare mit zwei Kindern (0 bis 5 Jahre) und unter Berücksichtigung der sog. Düsseldorfer Tabelle anzuwenden. Im Vergleich zu den jetzigen Regelungen (Ehegattensplitting + Kinderfreibeträge) hätte eine besserverdienende Familie demnach im Ergebnis ein unwesentlich niedrigeres Nettoeinkommen als bisher. Eine Familie mit nur durchschnittlichem Einkommen hätte dagegen bei einer rein steuerlichen Betrachtung ein nicht unwesentlich niedrigeres Einkommen als bisher. Die Fortgeltung des Kindergeldes vorausgesetzt, ergeben sich für diese Familien keine Änderungen des Nettoeinkommens.

II.   Diskussion der Vorschläge/Stellungnahme

1.    Positionierung für die Einführung einer obligatorischen Individualbesteuerung mit übertragbarem zweitem Grundfreibetrag

Der Deutsche Juristinnenbund fordert schon seit Jahrzehnten die Abschaffung des Ehegattensplittings und die Einführung einer obligatorischen Individualbesteuerung mit übertragbarem zweiten Grundfreibetrag.

a.    Die derzeitige Ehebesteuerung verursacht Entlastungen, von denen Frauen weniger profitieren als Männer, sie stellt daher einen Verstoß gegen das Förderungsgebot des Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG dar[14]. Zu der objektiven Verpflichtung des Staates, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung zu fördern, gehört auch der Abbau negativer Anreize für die Erwerbstätigkeit der verheirateten Frau[15]. Aufgrund des Verlustes des höheren Splitting-Vorteils durch eine zusätzliche Berufstätigkeit und der Benachteiligung des Zusatzverdienstes durch die Wahl der Lohnsteuerklasse V kommt es zu einer Beeinträchtigung der freien Wahl einer finanziell effektiven Berufstätigkeit auch des zuvor die Hausarbeit verrichtenden Ehegatten. Letztlich ist damit der sogenannte – vom Bundesverfassungsgericht bereits in seiner Entscheidung zur Ehebesteuerung aus dem Jahre 1957 verpönte – Edukationseffekt erhalten geblieben[16]. Das Ehegattensplitting verfestigt die überkommene Rollenverteilung und trägt dazu bei, die berufstätige Ehefrau ins Haus zurückzuführen. Regelungen, die das Ehegattensplitting nur modifizieren oder auf die ganze Familie ausweiten, wie z. B. das Familientarifsplitting, sind daher ebenso abzulehnen.

b.    Aus dem Sozialstaatsprinzip folgt, dass die Familienförderung gegenüber der Eheförderung Vorrang hat. Eine undifferenzierende Anknüpfung von Fördermaßnahmen allein an der Ehe führt zu einem dem widersprechenden Ergebnis[17]. In Anbetracht der nicht unbegrenzt zur Verfügung stehenden staatlichen Mittel sind diese dort hinzuleiten, wo die wirklichen Bedürfnisse ungedeckt bleiben[18].

c.    Die Individualbesteuerung stellt zudem die unkomplizierteste Form der Besteuerung dar.      Sie vermeidet vor allem Schwierigkeiten bei der Feststellung der Höhe der Unterhaltsleistungen, wie sie vor allem bei der Einführung eines Familienrealsplittings gegeben sein würden. Knüpft man bei einem Familienrealsplitting bei der Bestimmung der Höhe der Unterhaltsleistungen an die sog. Düsseldorfer Tabelle an, stellt sich die Frage, ob diese für eine gerade nicht mehr intakte Familiengemeinschaft auch auf eine Familie anwendbar sind, die zusammen lebt. Es fragt sich zudem, wie im Rahmen eines sog. Familienrealsplittings die als Familienunterhalt geleistete Hausarbeit zu bewerten ist. Knüpft man dagegen an tatsächlich geleistete Unterhaltszahlungen an, wird dies sicherlich bald zu einer Überforderung der Finanzverwaltung führen. Die Einführung der Individualbesteuerung würde dagegen einen erheblichen Betrag zur Steuergerechtigkeit leisten.

2.   Ablehnung des Ehegattensplitting und aller diese Besteuerungsform beibehaltenden Regelungen

Die für das Ehegattensplitting oder ein Familiensplitting vorgebrachten Argumente können dagegen nicht überzeugen:

a.    Die Befürworter des Ehegattensplittings beziehen sich in erster Linie auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1982, gemäß welcher das Ehegattensplitting „keine beliebig veränderbare Steuer-Vergünstigung sei[19].“ Sie folgern daraus, dass das Ehegattensplitting aus verfassungsrechtlichen Gründen beibehalten werden müsse. Mit dieser apodiktisch vorgebrachten These ist eine verfassungsrechtliche tragfähige Begründung für das Ehegattensplitting aber noch nicht erbracht. Im Gegenteil kann gerade der Verweis auf ein über zwanzig Jahre altes Urteil eine überzeugende Rechtfertigung des Ehegattensplittings nicht liefern. Denn das Bundesverfassungsgericht begründete die Verfassungsmäßigkeit des Ehegattensplitting in dem zitierten Urteil in erster Linie damit, dass damit auch eine „besondere Anerkennung der Aufgabe der Ehefrau als Hausfrau und Mutter (!)“ verbunden sei. Das Ehegattensplitting kommt aber gerade auch den Ehepaaren zugute, die gar keine Kinder haben.

b.    Weiter wird als angeblich verfassungsrechtlich tragendes Argument für das Ehegattensplitting und auch für die Einführung eines Familiensplittings die These verfochten, dass derartige Regelungen deswegen dem Leistungsfähigkeitsprinzip entsprechen würden, weil die in einer Ehe bzw. Familie lebenden Steuerpflichtigen dadurch als einheitliche Erwerbs- und Wirtschaftsgemeinschaft besteuert würden[20]. Zunächst stellt sich hierzu die Frage, warum Steuerpflichtige, die in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft und insbesondere in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft leben, keine solche Erwerbs- und Wirtschaftsgemeinschaft bilden. Der Gesetzgeber behandelt diese Gemeinschaften jedenfalls im Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (II), genauso wie die eheliche Gemeinschaft und bezeichnet sie als sog. Bedarfsgemeinschaften (vgl. § 7 Abs. 3 Nr. 3 SGB II). Diese Gemeinschaften werden daher der Ehe gerade in den Rechtsgebieten gleichgestellt, in denen die Ehe als Sozialverbund[21] angeblich eine besondere Entlastungsfunktion[22] erfüllen soll. Unabhängig von diesem unerträglichen Wertungswiderspruch zwischen Steuer- und Sozialrecht ist die Leistungsfähigkeit von Ehegatten durch die Inanspruchnahme von Synergieeffekten nicht gemindert, sondern im Gegenteil sogar höher als bei solchen Steuerpflichtigen, die ohne Partner leben[23]. Zudem wird ein gemeinsames Wirtschaften bzw. Erwerben allenfalls bei einer geringen Zahl von Ehegatten gegeben sein, die in einem gemeinsamen Unternehmen zusammen arbeiten. In diesen Fällen dürfte aber in der Regel ein gesellschaftsrechtliches Verhältnis zwischen den Ehegatten bestehen, das unabhängig von der Ehe der Personen steuerrechtlich zu berücksichtigen ist. In der Mehrzahl der Fälle findet ein Erwerb völlig unabhängig von dem Ehepartner in einem arbeitsrechtlichen Verhältnis zu Dritten statt. Die daneben zwischen den Ehegatten stattfindende Aufteilung der Hausarbeit hat in gleicher Weise unabhängig davon zu erfolgen, ob erstens das Paar verheiratet ist, gleichgeschlechtlich ist und zweitens auch dann, wenn beide arbeiten. Deswegen kann alleine wegen der Aufteilung der Hausarbeit eine Rechtfertigung des Ehegattensplittings nicht erfolgen. Auch die bürgerlich-rechtlichen Institute des Versorgungsausgleichs und der Zugewinngemeinschaft können die Annahme einer fiktiven Erwerbs- und Wirtschaftsgemeinschaft nicht rechtfertigen, da sie nur bei Auflösung der Ehe eingreifen[24]. Völlig abwegig ist es zudem auch noch zwischen Eltern und Kindern eine Erwerbs- und Wirtschaftsgemeinschaft zu konstruieren, vielmehr besteht zwischen diesen lediglich eine Konsum- bzw. Unterhaltsgemeinschaft.

c.    Das Ehegattensplitting oder ein gefordertes Familiensplitting wird weiter damit gerechtfertigt, dass die Familie als Verantwortungsgemeinschaft zu verstehen sei, die ihr einen über die Summe des Individuellen hinausreichenden normativen Eigenwert verleihe[25]. An dieser Argumentation stört zunächst, dass eine solche Wertbegründung letztlich nur durch die Verfügung der wertsetzenden Mehrheit hergestellt werden kann[26]. Die unter Bezugnahme auf Art. 6 Abs. 1 GG aufgestellte Rechtfertigungsthese kann daher auch letztlich nicht überzeugen, denn gemäß diesem Grundrecht sind alle Familien in gleicher Weise zu fördern. Regelungen, die aber einseitig die Einverdienst-Ehe bzw. Familie fördern und darüber hinaus zudem Familien mit höherem Einkommen mehr entlasten als Familien mit niedrigerem Einkommen, können mit dieser Norm nicht gerechtfertigt werden. Die Einverdienst-Ehe bzw. Familie ist nicht „wertvoller“ als andere Familien.

d.    Gemäß Art. 6 Abs. 1 GG sind die Ehegatten in der freien Wahl der Aufgabenverteilung innerhalb der Ehe geschützt. Zum Schutz dieser Freiheit – so argumentieren die Befürworter des Ehegattensplittings (und deren unterschiedliche Ausformungen) – sei das Ehegattensplitting erforderlich, um die Entscheidung zur Einverdienst-Ehe/Familie überhaupt erst zu ermöglichen. Dem ist zunächst die tatsächliche Lage von jungen Eltern in der Gegenwart entgegenzuhalten: Die Wahl zwischen Eigenbetreuung der Kinder und beiderseitiger Berufstätigkeit stellt sich in den meisten Fällen deswegen nicht, weil entweder kein Geld für eine Fremdbetreuung da ist oder aufgrund von zu wenigen Kinderbetreuungsmöglichkeiten eine Alternative zur Eigenbetreuung überhaupt nicht gegeben ist. Um eine Wahlfreiheit zu gewährleisten, wäre daher vielmehr zunächst der Ausbau von Kinderbetreuungsangeboten erforderlich. Abgesehen von diesen tatsächlichen Schwierigkeiten würde mit einer Abschaffung des Ehegattensplittings nicht in die durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Freiheit der eheinternen Aufgabenverteilung eingegriffen. Denn diese Entscheidungsfreiheit ist auch ohne Ehegattensplitting gegeben. Das Ehegattensplitting führt nur dazu, die Entscheidung für die Einverdienst-Ehe zu erleichtern, indem es eine Besteuerung entgegen der tatsächlichen Leistungsfähigkeit darstellt. Gleichzeitig erschwert das Ehegattensplitting die Entscheidung zur Zweiverdienst-Ehe, stellt insoweit also gar keinen Schutz der Freiheit zur Entscheidung über die Aufgabenverteilung innerhalb der Ehe dar. Das Ehegattensplitting kann damit nicht gemäß Art. 6 Abs. 1 GG mit dem Schutz der Freiheit zur eheinternen Aufgabenverteilung gerechtfertigt werden.

III.  Fazit

1.    Die durch das Ehegattensplitting eintretenden Ungleichbehandlungen können nach gegenwärtiger Lage der Dinge nicht länger gerechtfertigt werden. Der Familienförderung kommt der Vorrang gegenüber der Eheförderung zu. Zudem ist aufgrund des Förderungsgebotes der Gleichstellung von Mann und Frau eine Abschaffung des Ehegattensplittings geboten.

2.     Regelungen, die das Ehegattensplittings lediglich modifizieren oder auf die gesamte Familie ausweiten, sind abzulehnen. Auch wenn das sog. Familienrealsplitting durchaus eine verfassungsgemäße Alternative darstellt, ist die Individualbesteuerung dieser Alternative vorzuziehen. Denn die Individualbesteuerung entspricht am besten dem Gebot der Förderung der Gleichstellung von Mann und Frau. Zudem stellt die Individualbesteuerung die einfachste Form der Besteuerung dar. Ihre Einführung würde damit auch aus diesem Grunde zur Steuergerechtigkeit beitragen. Es entstünden Handlungsspielräume zugunsten einer Politik für alle Familien und damit für alle Kinder.

3.    Mit einer Einführung der Individualbesteuerung hat zwingend ein Ausbau der Kinderbetreuungsmöglichkeiten einherzugehen. Zudem müssen sämtliche Betreuungskosten nicht nur begrenzt auf ein Drittel und max. €4.000,00, sondern in voller Höhe als Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben absetzbar sein. Aufgrund der mit der Einführung der Individualbesteuerung einhergehenden Mehrbelastung von Familien sollten unter anderem eine Anhebung des Kindergeldes erwogen werden, um Nachteile jedenfalls für Familien mit kleinen Einkommen zu verhindern. Im Ergebnis darf eine Abschaffung des Ehegattensplittings nicht nur eine Mehrbelastung der Mehrheit der SteuerzahlerInnen bewirken; vielmehr sind die eingesparten Mittel den Familien vorzubehalten.

Jutta Wagner
Präsidentin

Christel Riedel
Vorsitzende der Kommission Recht der sozialen Sicherung,
Familienlastenausgleich

Beispielrechnungen
Literaturverzeichnis

 


Anmerkungen

[1] Vgl. SZ v. 14.06.06, S. 6; FAZ v. 14.06.06, S. 1; FAZ v. 17.06.06, S. 1 und 2; Seiler, Beilage zur NJW Heft 22/2006, 25.
[2] Birk, Steuerrecht, Rdnr. 566 f.; Deusch, Die Besteuerung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft, S.18; Hinneburg, Die Entwicklung der Familienbesteuerung, S. 18 (anschaulich auch Abbildung 4 mit einem Vergleich der absoluten Einkommensteuerschuld 1958-1999 bei durchschnittlichem Arbeitnehmereinkommen von Ehepaar mit Splittingtarif und Einzelperson mit Individualtarif); Sacksofsky, NJW 2000, 1896 (1897); Seikel, Die Nichteheliche Lebensgemeinschaft, S. 100; Vollmer, Das Ehegattensplitting, S. 34, Tabelle 2.
[3] Vollmer, Das Ehegattensplitting, S. 34 Fn. 82.
[4] SZ v. 19.06.06, S. 2; DIW-Wochenbericht 22/03, S. 1.
[5] FAZ v. 11.01.2002, S. 11.
[6] Donath, Lebensgemeinschaften im Steuerrecht, S. 54 (nur für Lebensgemeinschaften ohne Kinder, für Lebensgemeinschaften mit Kindern wird ein Familientarifsplitting favorisiert); Matthäus-Meier, ZRP 1988, 252; BT-Drs. 12/320; Sacksofsky, NJW 2000, 1896 (1903); Scheffler, Ehe und Familie, S. 315.
[7] Gotthard, Ehegattenbesteuerung, S. 145 ff.; Seikel, Die nichteheliche Lebensgemeinschaft im Steuerrecht, S. 117. Dieser Ehegattenfreibetrag könnte den Unterhaltsanspruch des Ehegatten abbilden abzüglich der bei zusammenlebenden Personen gegebenen Haushaltsersparnis in Höhe von z.B. 1/3.
[8] Vollmer, Ehegattensplitting, S. 238.
[9] Für ein Familiensplitting mit Mindestentlastung und Sicherstellung einer Standardversorgung für Einkommensschwache Haller, Besteuerung der Familieneinkommen und Familienlastenausgleich, S. 34; Klein, Ehe und Familie im Steuerrecht, S. 796 ff.; ebenfalls für eine Erweiterung des Ehegattensplittings zum Familiensplitting ist Di Fabio, NJW 2003, 993 (998 Fn. 41).
[10] Arndt/Schumacher, AöR 118 (1993), 513 (581); 3 f.); Köppe, KJ 2002, 312 (318) plädiert gleichzeitig für die Einführung eines Sozialfaktors für die Bezieher niedriger Einkommen; Lang, Die Bemessungsgrundlage, S. 650 ff.; ders., StuW 1983, 103 (123 f.); v. Münch, Ehe und Familie, Rdnr. 36; Pezzer, Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Familienbesteuerung, S. 60; Tipke/Lang, Steuerrecht, § 9 Rdnr. 103; Wosnitza, StuW 1996, 123 (131).
[11] Moderegger, Der verfassungsrechtliche Familienschutz, S. 176.
[12] Lang, Die Bemessungsgrundlage, S. 657.
[13] Pechstein, Familiengerechtigkeit, S. 315;
[14] Donath, Lebensgemeinschaften im Steuerrecht, S. 52 f..; Maurer, Besteuerung von Ehegatten und Familien, S. 131 f.; Sacksofsky, NJW 2000, 1896 (1900); Vollmer, Das Ehegattensplitting, S. 119 ff.
[15] Sacksofsky, NJW 2000, 1896 (1900).
[16] Bareis, StuW 2000, 81 (85); Vollmer, Das Ehegattensplitting, S. 130.
[17] Vorwold, FR 1992, 789 (790).
[18] Zeidler, Ehe und Familie, S. 596 f.
[19] BVerfG, Urt. v. 03.11.1982, BVerfGE 61, 319 (346 f.) = BStBl 1982 II, S. 717 (726).
[20] Kirchhof, StuW 2002, 3 (9); ders. ZRP 2003, 73; Seiler, Stimme der Familie, 52. Jhrg. Heft 9-10/2005, S. 6.
[21] So Burgi, in: Berliner Kommentar, GG, Art. 6 Rdnr. 38.
[22] Vgl. die Feststellung bei Kirchhof, Stimmen der Zeit 1999, 509 (514): „Familiärer Unterhalt erspart öffentliche Sozialhilfe.“
[23] Buob, DStZ 1992, 422 (423); bereits 1922 stellte Hensel, in: Reimer/Waldhoff (Hrsg.), System des Familiensteuerrechts, S. 159, fest: „Ein Ehepaar braucht weniger zum notwendigen Lebensunterhalt als zwei unverheiratete selbständig lebende Personen.“
[24] Kanzler, FR 2001, 806 (807); Vorwold, FR 1992, 789.
[25] So Seiler, Beilage zu NJW Heft 22/2006, S. 25.
[26] Vgl. Pieroth/Kingreen, KritV 2002, 219 (239).

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