Deutscher Girlpop: Tanz den Rumpelstilz!

Von David Kleingers

Deutsche Girlbands wie Debbie rockt! und LaFee sollen den Erfolg von Tokio Hotel wiederholen. Doch ihr Pop kommt über Poesiealbums-Prosa kaum hinaus. Dabei macht Avril Lavigne doch vor, wie's gehen kann.

An der Spitze ist es einsam, davon wussten schon etliche erfolgsgeplagte Popinterpreten ein weinerliches Lied zu singen. Auch die 16-jährige Sängerin LaFee, just mit ihrem aktuellen Album "Jetzt erst recht" an der Spitze der Charts gelandet, hadert in dem Song "Der Regen fällt" mit den Schattenseiten des Ruhms. Das klingt dann so: "Der Regen fällt sie ist die Nummer eins / Der Regen fällt, sie will nur glücklich sein / Der Regen fällt, sie ist allein in der Nacht / Es ist kalt, wenn die Einsamkeit erwacht."



Wo es dermaßen viel Poesiealbumsprosa regnet, ist schnell Land unter. Doch so allein steht LaFee, mit bürgerlichem Namen Christina Klein, längst nicht mehr im heimatlichen Popmärchenwald. So wurde mit der fünfköpfigen All-Girl-Band Debbie rockt! unlängst ein weiterer Teenager-Act lanciert, der ebenfalls jenes Marktsegment erobern soll, das gerne mit Labels wie "Mädchenpower" oder "Girlpop" belegt wird.

Globale Leitfigur in diesem Segment ist allerdings immer noch Avril Lavigne, die trotz der bei ihrer neuen Hitsingle "Girlfriend" aufgekommenen Plagiatsvorwürfe seit mehreren Jahren erfolgreich den Spagat zwischen Rotzgörenrock und Kuschelballaden vollführt.


Das durchformatierte Repertoire der Kanadierin, die mit ihren Bühnenoutfits auch gleich das modische Erscheinungsbild ihrer Hörerschaft diktiert – als Schlagworte genügen Kajalaugen und die mittlerweile in jeder Ramschboutique vertretenen Krawatten – wird dabei gerne als seichter H&M-Punk diskreditiert. Selbigen wünscht man sich aber händeringend herbei, wenn man sich durch die deutschen Konkurrenzangebote gehört hat.

Das Rammsteinchen ins Rollen bringen

Da wäre zunächst das rheinländische Rock-Rumpelstilzchen LaFee, deren Texte jedem Nachhilfelehrer die Schamesröte ins Gesicht treiben. Auch eingedenk aller Pisa-Katastrophenszenarien – derart ungelenk und pseudo-provokant artikulieren sich Heranwachsende in der Realität nur selten.

Vielmehr wird in Songs wie "Heul Doch" oder der momentanen Single "Beweg Dein Arsch" ein lebensfremdes Klischee von Jugendsprache verkauft, wie wir es auch aus der anbiedernden "Bravo"-Texttradition kennen: "Ja Liebe macht doof und blind / Dann hab ich's kapiert, hab dich endlich rasiert" - so geht es in zwölf überlangen Kompositionen über alle Befindlichkeits-Baustellen hinweg, von der ersten Liebe ("Küss mich"), über Familienfrust ("Stör ich") bis zum Eifersuchtsdrama ("Für Dich").


Egal ob nun ich, mich oder dich, im Hintergrund rumpeln dazu die immergleichen Gitarrenriffs. Das Ergebnis ist zäher Gummibärchen-Gothic, der keine Omi mehr erschreckt. Umso markiger posieren LaFee und Band auf den Fotos im Booklet, inklusive New Metal-Ledermäntelchen und schwarzem Puma. Ein bisschen Industrial-Gepose, ein bisschen Fantasygeschwurbel und schon rollt das Rammsteinchen.

Pubertätsprosa mit Fee und Fie

Zumindest in Sachen Image sind Debbie Rockt! weitaus verträglicher; ihre nett zusammengeschusterten Publicity-Shots orientieren sich eher am Auftreten US-amerikanischer Girlbands von den Runaways über die Go-Gos bis zu den Donnas. Schön wär's, wenn auch die Musik ein wenig von der Respektlosigkeit der optischen Vorbilder transportieren würde. Aber schon die erste Single "Ich rocke" hält keineswegs das im Titel gegebene Versprechen, sondern schleicht mit über vier Minuten Laufzeit auf der Mittelspur in Richtung Radiogedudel: "Ihr wisst was ich fühle, jetzt steh ich hier meine Band im Rücken und fühl' das Adrenalin in mir."

Was Sängerin Sofia "Fie" Stark in insgesamt 12 Songs verlautbart, ist zwar bei weitem nicht so hochnotpeinlich wie bei Kollegin LaFee, aber auch alles andere als originell. Da gibt es die obligaten Schmerz- und Schluchzlieder ( "Meine Seele", "Goldener Käfig"), zwanghaft gereimte Euphorieausbrüche ("Illusion") und vermeintlich freche Pubertätsprosa ("Popp Song").

Nun braucht es wahrlich keine Dichtkunst, um schmissigen Mainstream-Pop zu schaffen, man denke etwa an Avril Lavignes völlig debil getexteten "Sk8ter Boi" zurück. Aber wenn wie hier eine erschreckend einfallslose Produktion derart bräsig jeden Song ins akustische Niemandsland befördert, dann brauchen die Nordamerikaner wirklich keine Angst vor Konkurrenz zu haben.

Das ist schade angesichts einer grundsympathischen Band, die mehr oder minder offensichtlich als weibliches Pendant zu Tokio Hotel vermarktet werden soll. Schlecht beraten waren die jungen Frauen auch bei ihrer Version von "Schneestürme" – wenn schon aus Credibility-Gründen einen deutschen Punksong covern, dann doch bitte nicht von "Normahl", die selbst in ihrer Hochzeit zu den eher drittrangigen Gestalten der Szene gehörten.

The Kids Are Allright

Bei aller Enttäuschung darf man nicht vergessen, die kritisierten Pop-Erscheinungen von den realen Individuen zu trennen: 16-jährige, die sich für große Plattenfirmen ins Zeug legen, sind allzu einfache Ziele; sie verdienen daher Verständnis und keinen Hohn.

Denn es gilt immer noch, was die Kulturkritikerin Julie Burchill 1986 in ihrem Essay "Im Method-Rhythmus" über Teenpop-Phänomene schrieb. In der "weißen Nachkriegswelt, der Wunderkinderwelt" könne man als Teenager "einflussreiche Medienleute treffen, die einem helfen werden, seinen Lebensunterhalt damit zu verdienen, durch seine Tobsuchtsanfälle ein größeres, glanzvolleres Leben zu führen, als es den Eltern ihre Anpassungsfähigkeit je ermöglichen würde – vielleicht nur für einen Sommer, vielleicht bis in respektable Großjährigkeit."

In diesem Sinne viel Glück an LaFee und Debbie rockt! beim Erwachsenwerden. Bis dahin bleibt Avril Lavigne "the best damn thing" in Sachen gefälliger Girlpop.

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