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Comic

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Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Besser klauen

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Diesen Comic über eine Ladendiebin hätte ich fast gestohlen. Nein, nicht ernsthaft, aber als ich ihn zu Jahresanfang während eines Privatbesuchs in Brooklyn als englisches Original in einem Comicladen liegen sah und darin  blätterte, kam bei mir der Gedanke auf, ob Lektüre einen Einfluss auf das eigene Handeln insoweit haben kann, dass es Elemente der Handlung nachvollzieht. „Shoplifter“ spielt in New York (oder zumindest einer sehr ähnlichen Metropole; der Name der Stadt fällt nie) und sieht als Comic so unverschämt gut aus – zumindest für Liebhaber des Stils von Adrian Tomine oder Daniel Clowes, wie ich es bin –, dass man ihn unbedingt besitzen möchte. Aber egal, ob gekauft oder gestohlen, es hätte Gewicht im Fluggepäck ergeben, und im selben Laden lag auch der hinreißende Sammelband mit den „New Yorker“-Zeichnungen von Tomine. Unentbehrlich natürlich und wohl kaum je als deutsche Übersetzung zu erwarten, während „Shoplifter“ vielleicht doch … Und ja, kaum ein halbes Jahr später liegt die deutsche Fassung vor mir. Ehrlich bleiben zahlt sich aus. Den Tomine-Band hatte ich gekauft.

„Shoplifter“ stammt von Michael Cho, einem mir zuvor unbekannten kanadischen Zeichner aus Toronto, dessen Website (http://chodrawings.blogspot.de/) einen Besuch lohnt. Das er ursprünglich aus Südkorea stammt, verbindet ihn mit dem in San Francisco lebenden Tomine, der wiederum japanischer Abstammung ist. Als These mag es gewagt klingen, aber die Verbindung einer so bildorientierten Kultur wie der ostasiatischen mit den amerikanischen realistischen Erzähltraditionen scheint Comicbegabung zu begünstigen. Mit seiner Debüterzählung (nach etlichen Illustration und dem schönen Zeichnungsband „Back Alleys and Urban Landscapes“ über Toronto) landete Cho gleich bei Pantheon, dem renommiertesten Verlag in den Vereinigten Staaten für Graphic Novels.

Auf Deutsch hat sich immerhin Egmont der Sache angenommen und den amerikanischen Titel beibehalten, wobei „Ladendiebin“ nicht schlechter gewesen wäre, zumal man sich dann den sehr dummen Untertitel „Mein fast perfektes Leben“ hätte sparen können. Denn das Leben der Protagonistin Corrina Park ist keinesfalls nahe an der Perfektion. Im Beruf als junge Werbetexterin fühlt sie sich nicht wohl, ein Gruppentyp ist sie auch nicht, allein lebt sie sowieso – wobei es zu Hause immerhin den Kater Anäis gibt. Und das leichten Prickeln, den ihr die Gelegenheitsdiebstähle verschaffen, billiges Zeug, eine Zeitschrift etwa, in nächsten Supermarkt. Nicht, dass sie es nötig hätte, aber es ist das einzige Ungewöhnliche in ihrem Alltag.

Es geht also bei Cho nicht um einen Krimi, sondern um eine psychologische Studie des gut bezahlten Angestellten- und Singledaseins in einer modernen Großstadt. Und hätte Cho seine Geschichte konsequent erzählt, dann wäre daraus mehr geworden als das letztlich harmonistische Geschehen, in das sich „Shoplifter“ verwandelt. Es ist – und das hätte es weiß Gott nicht sein müssen, auch nicht sein dürfen – ein Feelgood-Comic und also doch eine Apologie ebendieses Lebens, das Corrina Park führt. Und das ist angesichts dessen, wie Cho es anlegt, ein verlogenes Projekt.

Allerdings ein sehr gut anzusehendes. Als einzige Zusatzfarbe in den bewusst ohne Rahmenlinien gehaltenen Panels wird ein Rosarot verwendet, das weniger auf ein Happy Ending verweist als auf die Intensität der Existenz in der Stadt (Leseprobe: http://www.egmont-graphic-novel.de/graphic-novel/shoplifter/). Es brechen plötzlich stumme doppelseitige Stadtansichten ins Geschehen ein, und Cho ist generell ein Meister der Perspektivverschiebungen – mag sein, dass ihm bei seinem optishen Einfallsreichtum der Rat des Graphikers und Buchgestalters Chip Kidd, dem er eigens dankt, eine gewisse Hilfe gewesen ist. Wenn er zu diesen ästhetischen Fertigkeiten auch noch eine erzählerische Ader entwickelt, dann dürfte aus Michael Cho einer der interessantesten nordamerikanischen Comickünstler werden. Einer, der den jetzt Etablierten die Schau und sich in unser Gedächtnis stiehlt. Letzteres ist den Bildern von „Shoplifter“ schon gelungen.

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