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Energieagentur warnt: Laufzeitverlängerung behindert Investitionen in neue Anlagen: Atomkraft lähmt den Strommarkt

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FRANKFURT A. M. Die Deutsche Energieagentur (Dena) sieht derzeit eine "massive Verunsicherung im Elektrizitätsmarkt". Die Ankündigung der Bundesregierung, die Laufzeit für Atomkraftwerke zu verlängern führe dazu, dass die Investoren ihre Pläne für neue, effiziente Kohle- und Gaskraftwerke weiter aufschieben würden, sagte Dena-Geschäftsführer Stephan Kohler. Er forderte, die Situation sehr schnell zu klären, da sonst mittelfristig eine "Stromlücke" und höhere Strompreise drohten. Kohler warnte davor, dass eine AKW-Laufzeitverlängerung den Zugang für neue Stromproduzenten im Markt erschwere oder für die nächste Zeit sogar verhindere. Daher plädiere die Dena für die Beibehaltung des unter Rot-Grün vereinbarten Atomausstiegs, "der für alle Teilnehmer sichere Rahmenbedingungen für Betrieb und Investitionen schafft". Widerspruch vom Bundesamt Der Dena-Chef kritisierte allerdings auch die aktuellen massiven Proteste gegen den Bau neuer Kohlekraftwerke: "Sollten sie weiter erfolgreich sein, steigt der Druck, die AKW-Laufzeiten zu verlängern - auch unter Klimagesichtspunkten." Die Agentur gehört zur einen Hälfte dem Bund, zur anderen der KfW-Bank, der Allianz, der Deutschen Bank und der DZ Bank. Die Dena aktualisiert derzeit ihre Kraftwerksstudie, mit der sie im Frühjahr 2008 für Furore gesorgt hatte. Damals hatte die Agentur erstmals vor der "Stromlücke" gewarnt. Die neuen Zahlen zeigen Kohler zufolge, dass im Jahr 2020 Stromerzeugungskapazitäten zwischen 10 500 und 14 000 Megawatt (MW) fehlen werden, wenn die alten Kohlekraftwerke nach Ende ihrer normalen technischen Lebensdauer abgeschaltet werden. Das entspricht zehn bis zwölf konventionellen Großkraftwerken. In der Dena-Liste der "gesicherten" Kraftwerks-Neubauten finden sich heute 2 000 MW weniger als in der 2008er-Studie. Grund: Bereits weit gediehene Projekte wurden von den Betreibern gestoppt. In den vergangene Monaten sind bereits mehrere Projekte ganz gekippt oder auf Eis gelegt worden (siehe Kasten). Entspannung in der Bilanz für 2020 bringt hingegen, dass die Dena den Atomstrom-Anteil trotz des in der Berechnung weiter zugrunde gelegten AKW-Ausstiegs höher ansetzt als früher. Der Grund: Wegen der Stillstände und niedrigen Auslastung der AKW in den vergangenen Monaten stehen noch höhere Reststrom-Mengen zur Vergfügung. Im Jahr 2020 wären deshalb zwei Atommeiler noch am Netz, die nach der alten Kalkulation abgeschaltet werden sollten. Dena-Chef Kohler räumte ein, dass die "Stromlücke" bei Laufzeitverlängerungen für alle oder einen Großteil der AKW verschwinden würde. Die 17 am Netz befindlichen Meiler haben eine Kapazität von 17 000 MW - mehr als die laut Dena 2020 drohende Lücke. "Das ist aber wegen der weiter bestehenden AKW-Sicherheitsproblematik und der ungelösten Endlagerung keine Alternative, die man verfolgen sollte", sagte er. Auf heftige Kritik trifft die Dena mit ihrer Stromlücken-Warnung beim Umweltbundesamt (UBA). "Die Versorgungssicherheit ist gewährleistet", sagte UBA-Abteilungsleiter Klaus Müschen. Eigene Berechnungen hätten ergeben, dass "genügend Alternativen zum Bau von Kohlekraftwerken" existierten. Die Behörde, die dem Bundesumweltministerium untersteht, plädiert dafür, am Atomausstieg festzuhalten, den Ausbau der erneuerbaren Energien wie geplant fortzusetzen, die sparsame Stromnutzung voranzutreiben und flexible Gaskraftwerke mit gleichzeitiger Abwärmenutzung (Kraft-Wärme-Kopplung) zu bauen. "Je mehr wir hier investieren, desto mehr Puffer haben wir", sagte Müschen. Das Fazit der eigenen Untersuchung zu den Kraftwerkskapazitäten: Die Stromlücke sei ein "Phantom". Die UBA-Experten plädieren dafür, die vorhandenen älteren Kohlekraftwerke technisch für längeren Betrieb nachzurüsten, statt sie durch Neubauten zu ersetzen. Neue Kohlemeiler seien durch höhere Wirkungsgrade zwar in der Tat klimafreundlicher als die alten Blöcke. Auf lange Sicht erschwerten sie jedoch die nötige drastische Reduktion des CO2-Ausstoßes. Der Grund dafür: Kohlekraftwerke, die jetzt ans Netz gehen, werden mehrere Jahrzehnte lang in Betrieb sein und einen hohen CO2-Sockel bringen. Das Bundesamt will, dass sich der Strommix am Ausbau der erneuerbaren Energien orientiert. Für die Übergangzeit bis zum Erreichen von 100 Prozent Ökostrom sei ein flexibler fossiler Kraftwerkspark nötig, "der die meist fluktuierende Einspeisung der erneuerbaren Energien begleitet." Es bestehe also "vor allem ein Bedarf an Spitzen- und Reservekraftwerken und kein Bedarf an zusätzlichen Grundlastkraftwerken". Grundlastkraftwerke - AKW und große Kohleblöcke - sind schwerfällig in der Regelung. Unerwarteter Öko-Strom-Boom Noch härter attackiert der Umweltverband BUND die "Stromlücken"-Berechnung. Wesentliche Grundannahmen der Berechnung seien falsch. Der Verband wirft der Dena vor, sie habe sich vor den Karren der Stromkonzerne spannen lassen. Würden die politischen Rahmenbedingungen für die Alternativen zu Kohle und Atom richtig gesetzt, sei weiter ausreichend Strom vorhanden. Der BUND begrüßte das Aus für die Kohle-Projekte. "Das bestätigt den Trend: Diese Anlagen rechnen sich einfach nicht mehr", sagte Expertin Tina Löffelsend. Das liege aber nicht nur an der möglichen AKW-Laufzeitverlängerung, sondern auch am unerwarteten Boom der erneuerbaren Energien. ------------------------------ Kohlemeiler auf der Kippe Datteln: Eon baut in Nordrhein-Westfalen ein 1 050-Megawatt-Kohlekraftwerk. Derzeit ruhen die Arbeiten am 1,2-Milliarden-Projekt. Ein Gericht stellte Planungsmängel fest und entzog weitere Genehmigungen. Ein Scheitern des Projekts ist möglich. Emden: Der dänische Energieriese Dong Energy kündigte 2008 an, im niedersächsischen Emden ein Steinkohle-Kraftwerk mit 850 MW bauen zu wollen. Im Oktober kippte der Staatskonzern das Projekt. Rhein-Main: Die Kraftwerke Mainz-Wiesbaden AG will bis 2014 ein 820 Megawatt großes Steinkohlekraftwerk auf einer Rhein-Halbinsel bauen. Das eine Milliarde Euro teure Projekt liegt seit Oktober aber auf Eis. Die Behörde zog die Genehmigung zurück, weil die Finanzierung nicht gesichert sei. Ensdorf: Im Saarland wollte RWE das 430-Megawatt-Kohlekraftwerk auf über 2 000 MW erweitern. Ein Bürgerbegehren im November 2007 stoppte den Plan. 70 Prozent der Bewohner waren dagegen. ------------------------------ Foto: Baustelle des Riesenkraftwerks Datteln in Nordrhein-Westfalen: Der Kohlemeiler wird vielleicht nie fertiggestellt.

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