01.04.2003

KRIEGSRECHT UND MORAL Eine kochende Wolke

Von Frohn, Axel Spörl, Gerhard

US-General Paul Tibbets über den Abwurf der Atombomben auf Hiroschima und Nagasaki 1945

SPIEGEL: Herr General, Sie haben im August 1945 die erste Atombombe in der Menschheitsgeschichte auf Hiroschima abgeworfen. Wie sind Sie zu diesem Auftrag gekommen?

Tibbets: Mitte September 1944 habe ich die Anweisung bekommen. Ich sollte eine Einheit zusammenstellen und den Abwurf von Atomwaffen trainieren. Die Ziele sollten zur gleichen Zeit Europa und Japan sein. Unsere Führung wollte ein Überraschungsmoment nutzen.

SPIEGEL: Europa hieß Deutschland. Wissen Sie, welche Städte in Deutschland in Betracht kamen?

Tibbets: Im Mai 1945 sollten die Ziele festgelegt werden. Da war der Krieg mit Deutschland aber schon vorbei. Also haben wir über Deutschland gar nicht weiter nachgedacht. Es gab da einen Norweger, eine Koryphäe für die Bestimmung der Luftmassen. Er gab uns Anfang Juli 1945 einen Überblick über die Verhältnisse dort oben über den japanischen Städten. Dabei lernten wir, dass im August die besten Sichtverhältnisse herrschen würden, um die Bombe fallen zu lassen. So schälten sich der 6. und der 9. August als günstige Termine heraus.

SPIEGEL: Was konnten Sie so gut, dass Sie für diese Mission auserkoren wurden?

Tibbets: Ich hatte ziemlich viel Flugerfahrung mit der B-17, und die Air Force hatte ziemlich viele Schwierigkeiten mit der B-29, mit der die Bomben dann geflogen wurden. Ich habe die B-29 in Wichita Tag und Nacht als Testpilot geflogen, es war ein Graus, sie machte jede Menge Schwierigkeiten mit dem Motor, dem Radar. Aber ich wusste gleich nach dem ersten Flug: Das wird eine tolle Maschine.

SPIEGEL: Wussten Sie von Anfang an, was Sie fliegen sollten?

Tibbets: Nein. Wir gehörten zum "Manhattan Project", das so geheim war, wie nur irgendetwas geheim sein kann. Wissenschaftler und andere Fachkräfte wurden in Los Alamos zusammengezogen, um die Bombe zu bauen. Sie brauchten zusätzlich ein Flugzeug und jemanden, der es fliegen konnte.

SPIEGEL: Und Sie mussten Flugzeuge und Mannschaften bereitstellen?

Tibbets: Wir haben vor allem an den ballistischen Voraussetzungen gearbeitet, damit wir die Bombe zum Ziel fliegen konnten. Ich habe bei Übungsflügen 15 Attrappen dieser verdammten Dinger abgeworfen, meine Leute noch einmal 40.

SPIEGEL: Die Bomben, die Hiroschima und Nagasaki trafen, nannten Sie "Little Boy" und "Fat Man". Nach welchen lebenden Vorbildern?

Tibbets: Leslie Groves, der Leiter des gesamten "Manhattan Project" war beleibt, er war "Fat Man". Robert Oppenheimer, der Chef des Atombombenbaus, war ein jungenhafter, schlanker Mann - "Little Boy".

SPIEGEL: Ihre B-29 tauften Sie "Enola Gay" ...

Tibbets: ... nach meiner Mutter, die mit Mädchennamen Enola Gay Haggard hieß. Mein Vater war entschieden dagegen gewesen, als ich 1937 Pilot werden wollte. Meine Mutter dagegen unterstützte mich.

SPIEGEL: Wie lange dauerten die Vorbereitungen der Flüge?

Tibbets: Wir haben 15 Monate das Fliegen geübt und die Detonationen getestet. Die Bombe sollte rund 500 Meter über dem Erdboden explodieren, denn das war der Durchmesser des Feuerballs, und der Feuerball richtete mehr Schaden an als die Wucht der Explosion. Die Erde fing an zu brennen, der Feuerball verschlang die Luft im ganzen Umkreis. Die unglaublich schnell nachströmende Luft verursachte einen Feuersturm.

SPIEGEL: Sie haben die Leute für Ihre Mission ausgesucht und ausgebildet. Was wussten sie von der Mission?

Tibbets: Sie erfuhren nichts, aber sie hatten ja Augen und konnten sich ihren Reim auf die Dinge machen. Ich habe ihnen gesagt: Wir machen da etwas ganz Wichtiges, was den Krieg beendet, wenn wir Erfolg haben. Redet nicht drüber, und wir kriegen das hin. Das Wort "Atom" haben wir nie benutzt.

SPIEGEL: Wurden Ihre Leute damals schon Sicherheitsüberprüfungen unterzogen?

Tibbets: Natürlich hat das Militär zu Hause beim Polizeichef nachgefragt, ob was vorliegt. Major Unna, der für die Sicherheit zuständig war, sagte mir: Zu deinen Leuten gehören zwei verurteilte Mörder und drei wegen Totschlags verurteilte Verbrecher. Was willst du mit ihnen anstellen? Ich habe mir die Namen geben lassen - es waren gute Männer, sie konnten Sachen, die sonst keiner konnte. Mit jedem Einzelnen von ihnen habe ich gesprochen. Ich habe ihnen gesagt: Wenn der Krieg vorbei ist, und ihr habt einen guten Job verrichtet, bekommt ihr eure Papiere und könnt sie verbrennen.

SPIEGEL: Wie viele Crews gab es eigentlich?

Tibbets: 15 Crews für 15 Flugzeuge. Ich wusste nicht einmal genau, wie viele Bomben in den 15 Monaten gebaut worden waren. Sie haben es mir nicht gesagt. Als der August-Termin nahe rückte, wollten die Wissenschaftler ein paar Informationen von mir. Schön, habe ich gesagt, ich will auch etwas von euch. Seid so gut, und sorgt für Flugzeuge über allen drei Städten, die als Ziel genannt werden - Hiroschima, Nagasaki, Niigata -, und gebt mir einen ganz genauen Wetterbericht für 30 000 Fuß Höhe.

SPIEGEL: Hätten Sie denn das Ziel eigenmächtig ändern können, je nach Wetterlage?

Tibbets: Die Überlegung war ja nicht nötig. Hiroschima klarte exakt in der Minute auf, die der Wetterbericht vorhergesagt hatte. Unser Funker bekam die Nachricht: Hiroschima hat gute Sicht.

SPIEGEL: Nach Hiroschima sind Sie von Tinian gestartet. Wie sah Ihre B-29 aus?

Tibbets: Ich hatte alle Geschütze ausbauen lassen. Alles, was schwer war, musste raus. Ich hatte lediglich das Maschinengewehr im Heck belassen. Vor den Japanern hatte ich keine Angst. Anders als die Deutschen besaßen sie ja kein präzises Artilleriefeuer. Wir flogen auf 35 000 Fuß, die japanischen Granaten explodierten oft weit unter uns oder gingen vorbei.

SPIEGEL: Wie lange dauerte der Flug?

Tibbets: Von Tinian nach Hiroschima und zurück 12 Stunden und 3 Minuten.

SPIEGEL: Wie war die Bombe befestigt?

Tibbets: Sie war im vorderen Bombenschacht an einer Spezialvorrichtung aufgehängt. Das Ding wog knapp 10 000 Pfund.

SPIEGEL: Was haben Sie von der Explosion unten in Hiroschima mitbekommen?

Tibbets: In Japan wurden in diesen Tagen die Häuser anders gebaut als in Deutschland oder Europa. Sie hatten keine Stahlträger, sie hatten keine Schutzvorrichtungen. Die Fabrikarbeiter wohnten gleich bei den Fabriken. Wir haben aber nicht gesehen, was die Bombe anrichtete. Wir sahen eine schwarze kochende Wolke tief dort unten. Mehr kann ich nicht sagen.

SPIEGEL: Wie machte sich die Explosion in Ihrem Flugzeug bemerkbar?

Tibbets: Als die Bombe explodierte, waren wir zehneinhalb Meilen weg. An Bord waren Beschleunigungsmesser, die Kräfte maßen, die der zweieinhalbfachen Erdbeschleunigung entsprachen. Ein ziemlich gewaltiger Schlag.

SPIEGEL: Haben Sie sich nach Hiroschima moralische Fragen gestellt?

Tibbets: Als ich in Europa Bombeneinsätze flog, überkamen mich so lange Zweifel, bis ich mir sagte: Wenn ich mir solche Probleme zu Eigen mache, werde ich ganz schön zu tun haben, sie zu kurieren. Ich habe sie dann nicht mehr zugelassen. Ich habe Aufträge erfüllt, die man mir gestellt hat. Nicht ich habe den Krieg angefangen.

SPIEGEL: Besaßen die Amerikaner noch Atombomben nach Hiroschima und Nagasaki?

Tibbets: Wir hatten noch eine "Fat Man". Ich weiß das, weil mich General Curtis LeMay anrief, als die Japaner mit der Kapitulation zögerten. Er sagte: Sie und Ihre Crew müssen die dritte Bombe auch noch fliegen. Wir holten sie nach Kalifornien, aber dann war der Krieg in Fernost vorbei. Wir haben sie danach nach Wendover zurückgebracht.

SPIEGEL: Sind Sie nach 1945 je nach Hiroschima gereist?

Tibbets: Nein, ich hatte kein Verlangen. Nagasaki war ohnedies aus unserer Sicht wichtiger. General Groves wollte, dass unsere Leute so schnell wie möglich dorthin gehen sollten, um Studien über die Wirkung der "Fat Man" zu treiben. Das war die Bombe der Zukunft. So habe ich zwei C-54 Skymaster voll geladen, und ab ging es nach Nagasaki.

SPIEGEL: Wie sehen Sie die Dinge im Nachhinein - waren die Bomben auf Japan gerechtfertigt?

Tibbets: Es stellte sich doch nur eine Frage: Handelt es sich eindeutig um militärische Ziele? Unsere Leute sagten Ja.

SPIEGEL: Und wenn Sie heute mit Ihren 88 Jahren zurückblicken auf die vielen Kriege in Ihrer Lebenszeit und natürlich vor allem auf den Zweiten Weltkrieg: Worüber machen Sie sich dann Gedanken?

Tibbets: Ich denke an den General William Tecumseh Sherman, der für den Norden im amerikanischen Bürgerkrieg focht. Er sagte, Krieg ist die Hölle. Krieg ist Wahnsinn, und ich sähe es gern, wenn er abgeschafft würde, aber er wird es nicht. Es liegt in der selbstsüchtigen Natur des Menschen, dass er Kriege führen will. So denke ich jetzt darüber.

INTERVIEW: AXEL FROHN, GERHARD SPÖRL


SPIEGEL SPECIAL 1/2003
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