GIESSEN - (fod). Mehr Bürgerbeteiligung in Gießen zu ermöglichen, ist eines der vorrangigen Ziele der rot-grünen Stadtregierung. Bereits im März hatte die Stadtverordnetenversammlung eine entsprechende Satzung beschlossen. Auch der dazugehörige Arbeitskreis traf sich schon mehrfach, um über eingegangene Bürgeranträge zu beraten. Überdies gab es eine Bürgerversammlung, in der Probleme in der Buslinie 1 erörtert wurden. Doch nun ist das Ausmaß der Bürgerbeteiligung in Gießen auf einmal wieder infrage gestellt. Das Regierungspräsidium (RP) als kommunale Aufsichtsbehörde hat mehrere Paragrafen in der Satzung beanstandet und der Stadt auferlegt, diese innerhalb von zehn Wochen aufzuheben.
Wie die Pressestelle des RP auf Anfrage deutlich machte, seien aber nur einzelne Regelungen betroffen, nämlich diejenigen zu Bürgerantrag, Bürgerversammlung und Bürgerfragestunde. Alle drei würden „nicht im Einklang mit dem Rahmen stehen, den die Hessische Gemeindeordnung (HGO) vorsieht“, womit auch der Satzungsbeschluss durch das Parlament rechtswidrig sei, heißt es weiter.
Die Stadt möchte nun beim Verwaltungsgericht Klage gegen die Beanstandungsverfügung, wie es im Amtsdeutsch lautet, einreichen, teilte Magistratssprecherin Claudia Boje dem Anzeiger mit. Dazu benötige man jedoch zuvor das Mandat des Stadtparlaments, dem wiederum der Haupt- und Finanzausschuss, der sich am 28. September mit dem Antrag beschäftigt, vorgeschaltet ist. Der Magistrat habe jedoch noch nicht über den genauen Inhalt der Klageschrift entschieden, weshalb Boje hierzu noch nichts sagen konnte. Sie ließ allerdings durchblicken, dass „wir anderer Auffassung als der RP sind“. Da es sich aber um ein „juristisch sehr komplexes“ Thema handele, sei aus Sicht der Stadt der Weg über das Gericht „der einzige, um zu klären, wer hier recht hat“.
Im Einzelnen moniert der RP, dass zum einen die Bürgerfragestunde „rechtlich unzulässig“ sei. Denn die Einräumung des Bürgerfragerechts (Paragraf 8) während einer städtischen Ausschusssitzung, wie es in der Beteiligungssatzung steht, wäre in der HGO „weder vorgesehen noch erkennbar ermöglicht worden“.
„Rechtlich unzulässig“
Auch die Bürgerversammlung (Paragraf 9) verlasse insbesondere mit Blick auf die durch die HGO vorgeschriebene Unterrichtungspflicht des Magistrats den vorgegebenen rechtlichen Rahmen der Bürgerbeteiligung. Dasselbe gelte für den Bürgerantrag (Paragraf 10), auch hier gebe die HGO einen anderen Rechtsrahmen vor. RP-Pressesprecherin Gabriele Fischer ist es jedoch wichtig klarzustellen, dass es „seitens des Regierungspräsidiums ausdrücklich begrüßt wird, die Bürger im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten in Entscheidungsprozesse ihrer Stadt einzubinden“. Doch gelte auch hier der Grundsatz, „dass der Gestaltungsrahmen der Politik dort aufhört, wo das Recht bereits eindeutige Regelungen vorgibt“.
Beim Magistrat geht man jedoch davon aus, diesbezüglich „einen Spielraum zu haben, und den wollen wir nutzen“, äußerte sich Boje, ohne konkret auf die einzelnen vom RP monierten Paragrafen und deren Inhalte einzugehen. Zudem erhofft man sich, durch den Gang über das Gericht „mehr Verlässlichkeit und Verstetigung von Bürgerrechten“ zu erreichen. Abgesehen davon erwartet die Magistratssprecherin, dass ein Verfahren und daraus folgende „spannende Auseinandersetzungen“, die so bislang noch nicht öffentlich geführt worden seien, „hessenweit für Aufsehen sorgen werden“.
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