Belgrad-Wien, 30.08.10 (KAP) Das Ringen um eine innere Neuausrichtung der serbisch-orthodoxen Kirche kommt langsam in seine "heiße Phase": Die Absetzung des umstrittenen Kosovo-Bischofs Artemije (Radosavljevic) im Mai dieses Jahres war dabei nur ein erstes äußeres Zeichen für jenen Umbruchsprozess, in dem sich die serbisch-orthodoxe Kirche seit dem Tod des letzten Patriarchen Pavle I. und der Wahl des neuen Patriarchen Irinej (Gavrilovic) im Jänner dieses Jahres befindet. Streitpunkte sind neben der Haltung der Kirche zur Kosovo-Frage auch die Frage einer Öffnung zur Ökumene, eine etwaige Neustrukturierung der Diözese Mitteleuropa und die damit verbundene Frage nach einem eigenen Bischof für die rund 400.000 Serben in Österreich.
Zu den wohl stärksten Widerparten im serbisch-orthodoxen Episkopat gehören dabei auf Seiten der konservativen Fraktion, die sich um den noch immer einflussreichen Artemije versammelt, der im deutschen Hildesheim residierende Bischof für Mitteleuropa, Konstantin (Djokic). Ihnen ist es an einer Bewahrung des innerkirchlichen Status quo gelegen, auch stehen sie einem etwaigen Besuch Papst Benedikts XVI. zum 1.700-Jahr-Jubiläum des Edikts von Mailand im Jahr 2013, für den sich Patriarch Irinje wiederholt stark gemacht hat, ablehnend gegenüber. Bisher hatte man einen möglichen Besuch mit dem Argument abgewehrt, die katholische Kirche habe im Zweiten Weltkrieg die Massenmorde an Serben durch die kroatischen Faschisten unterstützt.
Auf der anderen Seite plädieren der Bischof von Novi Sad, Irinej (Bulovic), sowie der Abt des Reformklosters Kovilj in Nordserbien, Weihbischof Porfirije, stark für eine Öffnung der Kirche zur Ökumene und zum interreligiösen Dialog. Auch sieht diese Fraktion Reformbedarf im Blick auf die Vertretung der Kirche in Österreich. Zuletzt hatte sich bei einer Begegnung mit österreichischen Journalisten in Belgrad Patriarch Irinej selbst positiv zu dieser Idee eines eigenen, in Österreich residierenden Bischofs geäußert.
Zahlreiche innerkirchliche Baustellen
Bereits im Dezember 2008 hatte ein der Presse zugespielter Brief des jüngsten serbisch-orthodoxen Bischofs von Zahum und Hercegovina, Bischof Grigorije (Duric), einen vielsagenden Blick in dieses innere Ringen der Kirche ermöglicht, hatte Grigorije doch offen auch den Religionsunterricht, die Priesterausbildung und die prinzipielle Haltung der Kirche gegenüber der modernen - säkularen - Welt als Baustellen gekennzeichnet, die seit Jahren innerkirchlich brach liegen würden.
Dass die Diözese Mitteleuropa ebenfalls zu diesen Baustellen gehört, zeigt u.a. die Tatsache, dass Bischof Konstantin immer wieder mit der deutschen Staatsanwaltschaft aneckte. So geriet er beispielsweise bereits vor fünf Jahren ins Visier der deutschen Staatsanwaltschaft. Der Vorwurf: Er soll gemeinsam mit seinem Sekretär unter falschen Angaben Einreise-Genehmigungen für zahlreiche angebliche Priester und Diakone, die sich schließlich als illegal eingereiste Arbeiter entpuppten, erlangt haben. Ermittelt wurde außerdem wegen Steuerhinterziehung; in der Schweiz besteht für Bischof Konstantin darüber hinaus ein Einreiseverbot.
Wie das Schweizer Institut G2W ("Glaube in der zweiten Welt") bereits in seiner Februar-Ausgabe zur Wahl des neuen Patriarchen konstatierte, werde dieser eine Kirche im Umbruch übernehmen, deren wichtigste Herausforderung neben den innerkirchlichen Machtkämpfen auch die Frage einer neuen Kommunikation mit den außerkirchlichen, zivilgesellschaftlichen Organisationen und Intellektuellen in Serbien und am gesamten Balkan sein werde. Angefragt werde die Kirche nicht zuletzt wegen ihrer regressiven Haltung gegenüber den Aufklärungsbemühungen zu den jugoslawischen Zerfallskriegen und den verübten Kriegsverbrechen, aber auch auf den Vorwurf einer "Klerikalisierung" Serbiens bleibe die Kirche bislang eine eindeutige Antwort schuldig, so G2W.
EU-Integration und Kosovofrage
Auch im Blick auf die Bestrebungen Serbiens um eine EU-Mitgliedschaft - so hat Serbien am 22. Dezember 2009 den Antrag auf Mitgliedschaft gestellt - zeigt sich der serbisch-orthodoxe Episkopat gespalten: Erklärte etwa der mittlerweile abgesetzte Artemije gegenüber der Zeitung "Danas", die europäische Integration drohe, die "Werte des Evangeliums durch 'europäische Werte' zu ersetzen, die im Großen und Ganzen gegen das Evangelium und heidnisch sind", so schlägt Patriarch Irinej sanftere Töne an: Es gebe keinen Grund, sich vor der Europäischen Union zu fürchten, falls Europa die serbische Identität, Kultur und Religion achte: "Wir wollen ganz gewiss zu dieser Familie der europäischen Völker gehören."
Zumindest nach außen hin unstrittig verhält sich die serbische Orthodoxie in der Kosovo-Frage. Die Kirche müsse dem serbischen Staat helfen, die abgespaltene frühere Provinz wieder zurückzubekommen, lautet das Credo von ganz rechts bis zu den Reformkräften. "Wenn Serbien die Kirche der serbischen Orthodoxie ist, so ist Kosovo ihr Altarraum" - so das "Glaubensbekenntnis".
Doch auch hinter dieser Einigkeit bröckelt es bei genauerem Hinsehen: So drängte Patriarch Irinej unlängst im Gespräch mit österreichischen Journalisten auf eine rasche Lösung der Kosovofrage, die gerecht, d.h. weder zu ungunsten der Serben noch der Albaner ausfallen dürfe. Und hinter vorgehaltener Hand geben Insider zu: Hinter die politische Statusfrage kommt auch die Kirche nicht mehr zurück. Nun gelte es, Modelle zu entwickeln, wie die Ethnien praktisch und in Frieden miteinander leben können.
Zwei Termine dürften daher im Blick auf das innerkirchliche Kräftemessen von besonderer Bedeutung sein: Zum einen wird Patriarch Irinej vom 10. bis 14. September Österreich besuchen - ein Besuch, der von Beobachtern als starkes Signal des Patriarchen in Richtung einer Neuordnung der Diözese von Mitteleuropa gewertet wird. Dass der Besuch mehr als ein bloßer Pastoralbesuch sein wird, zeigte sich bereits im Vorfeld durch die vom zuständigen Bischof Konstantin kurzfristig neubesetzte Vorbereitungsgruppe. Dem bis dato zuständigen Mirko Kolundzic, Sohn des serbisch-orthodoxen Reform-Theologen und Bischofsvikars Dusan Kolundzic, wurden laut einem "Kathpress" vorliegenden Schreiben Konstantins sämtliche Befugnisse entzogen.
Der entscheidende Stichtag dürfte indes der 3. Oktober werden: An diesem Tag erfolgt die offizielle "Inthronisation" des Patriarchen im Kloster Pec im Kosovo, dem ursprünglichen Sitz des Patriarchats. Unmittelbar danach findet eine Vollversammlung des serbisch-orthodoxen Episkopats unter der Leitung des neuen Patriarchen statt.
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