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Die unendliche Geschichte
Oper von Siegfried Matthus
Libretto von Anton Perrey nach dem gleichnamigen Roman
von Michael Ende

Gemeinsame Uraufführung in Trier und Weimar
am 10.04.2004, besuchte Aufführung am 16.04,2004

Premiere in Hagen am 08.05.2004

Aufführungsdauer: ca. 2h 15' (eine Pause)


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Der unendliche Matthus

Von Ralf Jochen Ehresmann / Fotos von Stefan Kühle


Dass Komponisten schon zu Lebzeiten große Ehrungen widerfuhren, war nicht immer so, und so darf sich Siegfried Matthus sicher freuen, dass zu seinem 70.Geburtstag eine doppelte Uraufführung seiner "Unendlichen Geschichte" nach Michael Ende in Trier und Weimar angesetzt wurde. Dennoch garantiert auch dies noch immer nicht die Langlebigkeit des solcherart geehrten Werkes. Denn wenn die meisten der in den letzten 20 Jahren uraufgeführten Werke gleich danach wieder in der Versenkung verschwinden, so liegt der entscheidende Sprung ins Leben, der einem neuen Bühnenwerk Repertoirebeständigkeit jenseits ausgewiesener und dem gewöhnlichen Betrieb ausgelagerter Festivals verschafft, in der Hürde der ersten Nachaufführungen.
Das Theater Hagen wartet damit nach ganzen vier Wochen Abstand auf und trägt auf diese Weise erheblich dazu bei, dass die "unendliche Geschichte" von Siegfried Matthus einen guten Start erlebt hat. Ob man sich ihrer noch in einigen Jahren erinnern und sie vielleicht auf den Programmplänen einer größeren Zahl von Häusern finden wird, dürfte maßgeblich davon abhängen, die Nachvollziehbarkeit der Handlung durch Straffung der Figuren und Reduzierung ihrer Vielzahl zu steigern.

Der Arbeit zu dieser Oper waren bereits längere Vorstudien vorausgegangen, deren Frucht Matthus unter der Bezeichnung: "Das Land Phantásien" 2001 separatim mit dem Brucknerorchester Linz aufgenommen und als CD herausgegeben hatte.

Vergrößerung in neuem Fenster Traumio (Peter Schöne) und Menschen am Hof der
Kindlichen Kaiserin (Chormitglieder des Theater Hagen).

Ein Buch von 428 Seiten zu veropern ist keine kleine Aufgabe, so dass die Beschränkung auf dessen ersten Teil und kleinere Hälfte zu begrüßen ist, während der ausgesparte Teil dramaturgisch nahezu verlustfrei in der öffentlich verkündeten Wiederholung des Auryn-Mottos: "Tu was du willst" zusammengefasst wird, und was darin an Handlungssträngen durcheinander geht, findet bei Matthus sein Verbindendes in einer bezeichnenden Einheitlichkeit der Aura, deren Wirkmächtigkeit klar das entscheidende Charakteristikum zur Durchdringung des Stoffes und seiner musikalischen Überformung abgibt. Die Parallelität zweier Handlungsstränge - im Buch durch rote vs. grüne Farbgebung der Buchstaben im Druckbild klar geschieden, konstituieren auf der Bühne die Ebene des lesenden Bastian und die Welt Phantásiens, und auf keine andere Weise ließe sich deren Wechselwirkung besser veranschaulichen als in der Gleichzeitigkeit von deren Bühnenpräsenz. In Hagen greift sogar das Programmheft diese Technik auf und unterteilt seine Inhaltsangabe ebenfalls in rot und grün.

Der Junge Bastian nimmt lesend eine Geschichte auf, die parallel in der Welt Phantásiens gezeigt wird. Dort hat Atréju als sein alter ego zur Rettung des in Auflösung begriffenen Landes Phantásien ständig neu Gefahren zu bestehen und Aufgaben zu lösen, weil die "weißen Wolken des Nichts" dessen Existenz bedrohen, was sich in der Erkrankung der "Kindlichen Kaiserin" ausdrückt. Diese braucht letztlich einen neuen Namen, zu dessen Findung Atréju Bastians Hilfe bedarf.

Wesentlicher Problempunkt der Makrostruktur - zumindest für den Teil des Publikums, der Michael Endes Buch selbst nicht kennt - ist die stete und keineswegs zwingende Zufuhr immer neuer Fabelwesen und daraus resultierender Aufgabenstellungen für den sprechenden Protagonisten Atréju, die zwar eine gewisse Engführung, aber keine eigentliche Zuspitzung der dramatischen Entwicklung erkennen lassen. Denn zur Rettung des vom anrückenden Nichts gefährdeten Land Phantásien müssen allerhand kleinere und größere Schwierigkeiten überwunden werden, von denen Bastian als Leser des geheimnisvollen Buches immer mehr in die gelesenen Vorgänge hineingezogen wird.
Sein endlicher Entschluss, seine Beobachterstellung außerhalb des phatásischen Geschehens aufzugeben und der kindlichen Kaiserin einen Namen zu erfinden, beendet zugleich die weitere Verfolgung der Buchvorlage, wo die Erlösung Phantásiens aus den Fängen des Nichts dazu führt, dass alles neu erschaffen werden muss, die beschworene Phantasie real werde. Matthus reichert die Poesie mit etwas Materialismus an: Bei ihm muss nun das wirkliche Leben gemeistert werden, und mit entsprechendem Kehraus wird das Publikum in die Realität außerhalb der Theatermauern zurückgeschickt.

Vergrößerung in neuem Fenster

Atreju (Tanja Schun) spricht mit der Uralten Morla
(im Hintergrund gesungen von Carola Günther).

Die Komposition liefert typische Matthus-Musik im besten Sinne: Mit seiner Komposition knüpft Matthus quasi bei sich selber und dem ihm eigenen Klangidiom an, das keinem festen Kompositionsschema folgt und stattdessen für seine Gestalten und deren Konstellationen eine begeisternde Vielfalt musikalischer Räume erschließt. Ausdrucksstark und charaktervoll erfindet er den verschiedenen Szenen ein jeweils eigenes Klangfeld, deren wiederkehrende Elemente zwar auch thematische Brücken bauen, im wesentlichen aber der besonderen Situation eine je eigene akustische Identität verschaffen.

Klangbeispiel Klangbeispiel: Motiv des Drachen Fuchur.
(MP3-Datei)


Vom Melos reich und rhythmisch eher mäßig interessant, zielt seine musikalische Sprache vor allem auf Verständlichkeit ohne anbiedernden Niveauverzicht, was angesichts des Märchenrahmens auf einen klaren Primat der Harmonik hinausläuft, die sich oft in traumflugfähigen Klangteppichen verdichtet. Ob Michael Ende mit dieser Straffung inhaltlich ebenso zufrieden gewesen wäre, muss unbeantwortet bleiben. Das Programmheft zitiert ihn nur mit einem einzigen Ausspruch anlässlich der (womöglich gar einzigen?) Begegnung zwischen Roman-Autor und Komponist: "Nun weiß ich, wie meine unendliche Geschichte klingen wird."

Klangbeispiel Klangbeispiel: Atréju begegnet der Spinne Ygramúl.
(MP3-Datei)


Matthus scheut weder klare diatonische Bewegungen durch tonale Felder für die eine Szene und lässt es anderorts auch schon mal heftig krachen, wenngleich sich der Gesamteindruck vor allem einer differenzierten Aura verdankt, die der Szenenfolge insgesamt einen verbindenden und Einheit stiftenden Rahmen verleiht. Er selbst beschreibt dies so: "Eine große Orchesterbesetzung benutze ich wie ein Maler seine Farbpalette. Für die musikalischen Porträts der phantastischen Gestalten mixe ich mir jeweils eine besondere Instrumentalbesetzung und erfinde melodische und rhythmische Strukturen für die treffende Charakterisierung der Personen und Situationen."

Vergrößerung in neuem Fenster Atreju (Tanja Schun) und der Drache Fuchur
(im Hintergrund gesungen von Bernd Valentin).

Klangbeispiel Klangbeispiel: Fuchur dankt Atréju für seine Rettung.
(MP3-Datei)


So unterschiedlich er seine Figuren zu zeichnen versteht, sind sie doch alle Angehörige eines gemeinsamen musikalischen Raumes, dem gegenüber einzig Bastians Sprechrolle (Sabine Klose/Antje Mönning) eine gewisse Distanz wahrt. Um so ergreifender dann deren "Mondenkindgesang" mit unstudierter Naturstimme, wo also anlässlich der Namensfindung für die kindliche Kaiserin Phantásiens Bastian vom bloßen Zuschauer zum Träger der Handlung sich aufrafft.

Dieser besondere Effekt geriet in beiden Aufführungen gleichermaßen wirkmächtig, wie überhaupt beide Inszenierungen eine bemerkenswerte Nähe einhalten, was sicherlich wesentlich am Stoff und seiner Neuheit liegt. Die Psychologie der Wechselbeziehung Atréju-Bastian ist praktisch identisch, die fremde Außerweltlichkeit seiner Begegnungen sucht sich ähnliche Bilder: Der freundliche Drache Fuchur, die gefräßige Spinne Ygramúl mit ihren 4 singenden Beinen, die düstere Umgebung des Gmork als letzter und stärkster Gegner im Wettstreit um Phantásiens Überleben, all dies stellt sich auf beinahe austauschbare Weise dar. Insoweit wagen diese ersten Inszenierungen naturgemäß noch keine kritisch distanzierende Regiearbeit eigenen Ranges und zielen einzig auf Umsetzung der Vorgaben des Originals, was für eine Ur- oder Erstaufführung auch die genau richtige Vorgehensweise ist.
Sowohl Kuhlmann wie Lukas-Kindermann setzen beide darauf, das irreale Element und dessen Einstürmung auf Bastian durch große Bilder phantastischer Gestalten in wilden Farben hervorzuheben, zumal die Ratio - freilich pubertär eingeschränkt - durch Bastians Beobachterposition vertreten bleibt. Gerade die Chorszenen und dort besonders die Auftritte der Schreckensboten erlangen hier außerordentliche Prägnanz.
So darf man sicher für die Hagener Inszenierung besondere Einfälle hervorheben wie z.B. den, die 4 Winde durch 4 bunte Fahnenträger zu veranschaulichen, darf aber auch fragen, ob der Drache Fuchur (Bernd Valentin) in seiner Gestalt als überdimensionales Kuscheltier nicht allzu soft dargestellt ist.

Beide Orchester zeigten sich den Anforderungen der Partitur gewachsen und konnten das klangliche Äquivalent zur bildlichen Stimmung auf der Bühne beisteuern. Die Sorgfalt in der Wiedergabe des Notenmaterials führte denn auch bei Arn Goerke wie bei Andreas Henning zu identischer Spieldauer.

Wenn auch unserer Welt als ganzer der Tod aus Ideenlosigkeit drohen mag, so ist Matthus' musikalische Reise in das Reich der Phantasie ein gutes Gegengift wider solche Gefahr, und in eben diesem Sinne ist die Geschichte in der Tat unendlich, als dass jeder Mensch ständig neu herausfinden muss, wo die Gefahren des langweiligen Trottes drohen, genau den Teil des Lebens zu zerstören, wo es anfinge spannend zu werden...

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Die Kindliche Kaiserin (Tanja Schun) dankt Bastian (Sabine Klose)
für die Rettung Phantásiens.

Dem sind die Mitwirkenden der deutschen Moseloper sowie des Hagener Theaters auch bestens gerecht geworden. Stern des Abends gleichermaßen waren Evelyn Czesla in Trier bzw. Jee-Young Lucie Kim in Hagen als wundertätiges Medaillon Auryn, das selten Text und häufiger ausgedehnte Vokalisen singt. Von bestechender Klarheit glaubte man ihnen beiden gerne jede phantastische Wundertätigkeit! Auch Atréju selbst, als Hauptfigur zweifellos den größten Teil der Zeit präsent in fast allen Szenen, ist mit Eva-Maria Günschmann bzw. Tanja Schum souverän, engagiert und doch zugleich unaufdringlich besetzt. Für Annette Johansson in Trier hätte man wünschen mögen, dass ihr Klang für Uyulála im Orakel nicht durch Verstärker verzerrt worden wäre, deren Einsatz nicht als zwingend zu erkennen war und sie mit ihren stimmlichen Möglichkeiten gewiss auch anders zur nötigen Unheimlichkeit hätte kommen können. In Hagen hatte man dafür auch eine andere Lösung gefunden, indem die Stimme der Catherine Veillerobe aus dem Dunkel ertönt. Hervorzuheben wäre auch Cynthia Nay, die ihrem Trierer Blubb einen köstlichen Glanz zu verleihen verstand - passend zum silbernen Kostüm.

Dem Chor sind als Volk Phantásiens erhebliche musikalische Strecken anvertraut, und die geschichteten Stimmverschränkungen hinterließen außer einem reizvollen Klangeindruck zudem eine Ahnung von der sängerischen Leistung des Haus- und Extrachores am Theater Trier. Den Hagener Chor kennt man eh als verlässliche Größe, der sich auch dieser neuen Aufgabe gewachsen zeigte und dadurch beitragen konnte zur Stiftung jener Aura, die keinen Zweifel daran aufkommen ließ, dass man es hier mit einem Märchen der besonderen Art zu tun habe.


FAZIT

Es darf als Komponist sich glücklich schätzen, wem für seine Uraufführungen solche Sorgfalt widerfährt. Als klassische Märchenoper für Kinder empfiehlt sie sich allerdings erst den etwas älteren Jahrgängen, die eine kompliziertere Handlung verfolgen können und bei der Vielzahl immer neuer Fabelwesen nicht gleich den Überblick verlieren.



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Produktionsteam

Theater Trier

Musikalische Leitung
Andreas Henning

Inszenierung
Heinz Lukas-Kindermann

Ausstattung
Daniel DvoYák

Kostümassistenz
Petra Hábová

Chöre
Eckhard Wagner

Choreographie
Sergej B. Volobuyev
und Alexander Sinelnikov

Ballett, Statisterie,
Chor und Extrachor
des Theater Trier
Städtisches Orchester Trier


Solisten

Bastian Balthasar Bux
Antje Mönning

Kindliche Kaiserin
(Eva-Maria Günschmann)

Atréju
Eva-Maria Günschmann

Auryn
Evelyn Czesla

Fuchur / Caíron
Andreas Scheel

Die uralte Morla
Angelika Schmid

Gmork
Nico Wouterse

Ygramúl
Vera Wenkert

Ihre vier Spinnenarme
Marie Grabenbauer
Vera Käuper
Katrin Lechler
Verena Michael

Engywuck / alter Winzling
Peter Koppelmann

Urgl
Vera Ilieva

Uyulála
Annette Johansson

Traumio / Mayestril
László Lukács

Pjörnzarck / Lirr
Horst Lorig

Baureo
Juri Zinovenko

Schick
Gor Arsenian

Blubb
Cynthia Nay

Zwei singende Türpfosten
Juri Zinovenko
Gor Arsenian

Theater Hagen

Musikalische Leitung
Arn Goerke

Regie
Saskia Kuhlmann

Ausstattung
Karel Spanhak

Dramaturgie
Stefan Klawitter

Choreinstudierung
Uwe Münch

Opernchor, Extrachor,
Kinderchor und Statisterie
des Theater Hagen

Das Philharmonische
Orchester Hagen


Solisten

Bastian Balthasar Bux
Sabine Klose

Kindliche Kaiserin
(Tanja Schun)

Atréju
Tanja Schun

Auryn
Jee-Young Lucie Kim

Fuchur
Bernd Valentin

Die uralte Morla
Carola Günther

Gmork
Panajotis Iconmou

Ygramúl
Anneli Pfeffer

Ihre vier Spinnenarme
Marie Grabenbauer
Vera Käuper
Katrin Lechler
Verena Michael

Engywuck
Richard van Gemert

Urgl
Edeltraud Kwiatkowski

Uyulála
Catherine Veillerobe

Die vier Winde:
Andrey Valiguras
Klaus Nowaczyk
Tobias Schäfer
Peter Schöne

Lirr
Andrey Valiguras

Baureo
Klaus Nowaczyk

Schick
Tobias Schäfer

Mayestril
Peter Schöne

Cairon
Bernd Valentin

Blubb
Carola Günther

Ein sehr alter Winzling
Richard van Gemert

Traumio
Peter Schöne

Pjörnzarck
Andrey Valigura

Zwei singende Türpfosten
Dominik Wortig
N.N., (Toneinspielung)

Zwei Minister
Panajotis Iconomou
Tobias Schäfer


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