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Der unendliche MatthusVon Ralf Jochen Ehresmann / Fotos von Stefan Kühle
Dass Komponisten schon zu Lebzeiten große Ehrungen widerfuhren, war nicht immer so, und so darf sich Siegfried Matthus sicher freuen, dass zu seinem 70.Geburtstag eine doppelte Uraufführung seiner "Unendlichen Geschichte" nach Michael Ende in Trier und Weimar angesetzt wurde. Dennoch garantiert auch dies noch immer nicht die Langlebigkeit des solcherart geehrten Werkes. Denn wenn die meisten der in den letzten 20 Jahren uraufgeführten Werke gleich danach wieder in der Versenkung verschwinden, so liegt der entscheidende Sprung ins Leben, der einem neuen Bühnenwerk Repertoirebeständigkeit jenseits ausgewiesener und dem gewöhnlichen Betrieb ausgelagerter Festivals verschafft, in der Hürde der ersten Nachaufführungen. Der Arbeit zu dieser Oper waren bereits längere Vorstudien vorausgegangen, deren Frucht Matthus unter der Bezeichnung: "Das Land Phantásien" 2001 separatim mit dem Brucknerorchester Linz aufgenommen und als CD herausgegeben hatte. Traumio (Peter Schöne) und Menschen am Hof derKindlichen Kaiserin (Chormitglieder des Theater Hagen).
Ein Buch von 428 Seiten zu veropern ist keine kleine Aufgabe, so dass die Beschränkung auf dessen ersten Teil und kleinere Hälfte zu begrüßen ist, während der ausgesparte Teil dramaturgisch nahezu verlustfrei in der öffentlich verkündeten Wiederholung des Auryn-Mottos: "Tu was du willst" zusammengefasst wird, und was darin an Handlungssträngen durcheinander geht, findet bei Matthus sein Verbindendes in einer bezeichnenden Einheitlichkeit der Aura, deren Wirkmächtigkeit klar das entscheidende Charakteristikum zur Durchdringung des Stoffes und seiner musikalischen Überformung abgibt. Die Parallelität zweier Handlungsstränge - im Buch durch rote vs. grüne Farbgebung der Buchstaben im Druckbild klar geschieden, konstituieren auf der Bühne die Ebene des lesenden Bastian und die Welt Phantásiens, und auf keine andere Weise ließe sich deren Wechselwirkung besser veranschaulichen als in der Gleichzeitigkeit von deren Bühnenpräsenz. In Hagen greift sogar das Programmheft diese Technik auf und unterteilt seine Inhaltsangabe ebenfalls in rot und grün. Der Junge Bastian nimmt lesend eine Geschichte auf, die parallel in der Welt Phantásiens gezeigt wird. Dort hat Atréju als sein alter ego zur Rettung des in Auflösung begriffenen Landes Phantásien ständig neu Gefahren zu bestehen und Aufgaben zu lösen, weil die "weißen Wolken des Nichts" dessen Existenz bedrohen, was sich in der Erkrankung der "Kindlichen Kaiserin" ausdrückt. Diese braucht letztlich einen neuen Namen, zu dessen Findung Atréju Bastians Hilfe bedarf.
Wesentlicher Problempunkt der Makrostruktur - zumindest für den Teil des Publikums, der Michael Endes Buch selbst nicht kennt - ist die stete und keineswegs zwingende Zufuhr immer neuer Fabelwesen und daraus resultierender Aufgabenstellungen für den sprechenden Protagonisten Atréju, die zwar eine gewisse Engführung, aber keine eigentliche Zuspitzung der dramatischen Entwicklung erkennen lassen. Denn zur Rettung des vom anrückenden Nichts gefährdeten Land Phantásien müssen allerhand kleinere und größere Schwierigkeiten überwunden werden, von denen Bastian als Leser des geheimnisvollen Buches immer mehr in die gelesenen Vorgänge hineingezogen wird.
Atreju (Tanja Schun) spricht mit der Uralten Morla Die Komposition liefert typische Matthus-Musik im besten Sinne: Mit seiner Komposition knüpft Matthus quasi bei sich selber und dem ihm eigenen Klangidiom an, das keinem festen Kompositionsschema folgt und stattdessen für seine Gestalten und deren Konstellationen eine begeisternde Vielfalt musikalischer Räume erschließt. Ausdrucksstark und charaktervoll erfindet er den verschiedenen Szenen ein jeweils eigenes Klangfeld, deren wiederkehrende Elemente zwar auch thematische Brücken bauen, im wesentlichen aber der besonderen Situation eine je eigene akustische Identität verschaffen. Klangbeispiel: Motiv des Drachen Fuchur.(MP3-Datei)
Vom Melos reich und rhythmisch eher mäßig interessant, zielt seine musikalische Sprache vor allem auf Verständlichkeit ohne anbiedernden Niveauverzicht, was angesichts des Märchenrahmens auf einen klaren Primat der Harmonik hinausläuft, die sich oft in traumflugfähigen Klangteppichen verdichtet. Ob Michael Ende mit dieser Straffung inhaltlich ebenso zufrieden gewesen wäre, muss unbeantwortet bleiben. Das Programmheft zitiert ihn nur mit einem einzigen Ausspruch anlässlich der (womöglich gar einzigen?) Begegnung zwischen Roman-Autor und Komponist: "Nun weiß ich, wie meine unendliche Geschichte klingen wird." Klangbeispiel: Atréju begegnet der Spinne Ygramúl.(MP3-Datei)
Matthus scheut weder klare diatonische Bewegungen durch tonale Felder für die eine Szene und lässt es anderorts auch schon mal heftig krachen, wenngleich sich der Gesamteindruck vor allem einer differenzierten Aura verdankt, die der Szenenfolge insgesamt einen verbindenden und Einheit stiftenden Rahmen verleiht. Er selbst beschreibt dies so: "Eine große Orchesterbesetzung benutze ich wie ein Maler seine Farbpalette. Für die musikalischen Porträts der phantastischen Gestalten mixe ich mir jeweils eine besondere Instrumentalbesetzung und erfinde melodische und rhythmische Strukturen für die treffende Charakterisierung der Personen und Situationen." Atreju (Tanja Schun) und der Drache Fuchur(im Hintergrund gesungen von Bernd Valentin).
Klangbeispiel:
Fuchur dankt Atréju für seine Rettung.
So unterschiedlich er seine Figuren zu zeichnen versteht, sind sie doch alle Angehörige eines gemeinsamen musikalischen Raumes, dem gegenüber einzig Bastians Sprechrolle (Sabine Klose/Antje Mönning) eine gewisse Distanz wahrt. Um so ergreifender dann deren "Mondenkindgesang" mit unstudierter Naturstimme, wo also anlässlich der Namensfindung für die kindliche Kaiserin Phantásiens Bastian vom bloßen Zuschauer zum Träger der Handlung sich aufrafft.
Dieser besondere Effekt geriet in beiden Aufführungen gleichermaßen wirkmächtig, wie überhaupt beide Inszenierungen eine bemerkenswerte Nähe einhalten, was sicherlich wesentlich am Stoff und seiner Neuheit liegt. Die Psychologie der Wechselbeziehung Atréju-Bastian ist praktisch identisch, die fremde Außerweltlichkeit seiner Begegnungen sucht sich ähnliche Bilder: Der freundliche Drache Fuchur, die gefräßige Spinne Ygramúl mit ihren 4 singenden Beinen, die düstere Umgebung des Gmork als letzter und stärkster Gegner im Wettstreit um Phantásiens Überleben, all dies stellt sich auf beinahe austauschbare Weise dar. Insoweit wagen diese ersten Inszenierungen naturgemäß noch keine kritisch distanzierende Regiearbeit eigenen Ranges und zielen einzig auf Umsetzung der Vorgaben des Originals, was für eine Ur- oder Erstaufführung auch die genau richtige Vorgehensweise ist. Beide Orchester zeigten sich den Anforderungen der Partitur gewachsen und konnten das klangliche Äquivalent zur bildlichen Stimmung auf der Bühne beisteuern. Die Sorgfalt in der Wiedergabe des Notenmaterials führte denn auch bei Arn Goerke wie bei Andreas Henning zu identischer Spieldauer. Wenn auch unserer Welt als ganzer der Tod aus Ideenlosigkeit drohen mag, so ist Matthus' musikalische Reise in das Reich der Phantasie ein gutes Gegengift wider solche Gefahr, und in eben diesem Sinne ist die Geschichte in der Tat unendlich, als dass jeder Mensch ständig neu herausfinden muss, wo die Gefahren des langweiligen Trottes drohen, genau den Teil des Lebens zu zerstören, wo es anfinge spannend zu werden...
Die Kindliche Kaiserin (Tanja Schun) dankt Bastian (Sabine Klose) Dem sind die Mitwirkenden der deutschen Moseloper sowie des Hagener Theaters auch bestens gerecht geworden. Stern des Abends gleichermaßen waren Evelyn Czesla in Trier bzw. Jee-Young Lucie Kim in Hagen als wundertätiges Medaillon Auryn, das selten Text und häufiger ausgedehnte Vokalisen singt. Von bestechender Klarheit glaubte man ihnen beiden gerne jede phantastische Wundertätigkeit! Auch Atréju selbst, als Hauptfigur zweifellos den größten Teil der Zeit präsent in fast allen Szenen, ist mit Eva-Maria Günschmann bzw. Tanja Schum souverän, engagiert und doch zugleich unaufdringlich besetzt. Für Annette Johansson in Trier hätte man wünschen mögen, dass ihr Klang für Uyulála im Orakel nicht durch Verstärker verzerrt worden wäre, deren Einsatz nicht als zwingend zu erkennen war und sie mit ihren stimmlichen Möglichkeiten gewiss auch anders zur nötigen Unheimlichkeit hätte kommen können. In Hagen hatte man dafür auch eine andere Lösung gefunden, indem die Stimme der Catherine Veillerobe aus dem Dunkel ertönt. Hervorzuheben wäre auch Cynthia Nay, die ihrem Trierer Blubb einen köstlichen Glanz zu verleihen verstand - passend zum silbernen Kostüm. Dem Chor sind als Volk Phantásiens erhebliche musikalische Strecken anvertraut, und die geschichteten Stimmverschränkungen hinterließen außer einem reizvollen Klangeindruck zudem eine Ahnung von der sängerischen Leistung des Haus- und Extrachores am Theater Trier. Den Hagener Chor kennt man eh als verlässliche Größe, der sich auch dieser neuen Aufgabe gewachsen zeigte und dadurch beitragen konnte zur Stiftung jener Aura, die keinen Zweifel daran aufkommen ließ, dass man es hier mit einem Märchen der besonderen Art zu tun habe.
Es darf als Komponist sich glücklich schätzen, wem für seine Uraufführungen solche Sorgfalt widerfährt. Als klassische Märchenoper für Kinder empfiehlt sie sich allerdings erst den etwas älteren Jahrgängen, die eine kompliziertere Handlung verfolgen können und bei der Vielzahl immer neuer Fabelwesen nicht gleich den Überblick verlieren.
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ProduktionsteamTheater Trier
Musikalische Leitung
Inszenierung
Ausstattung
Kostümassistenz
Chöre
Choreographie SolistenBastian Balthasar BuxAntje Mönning
Kindliche Kaiserin
Atréju
Auryn
Fuchur / Caíron
Die uralte Morla
Gmork
Ygramúl
Ihre vier Spinnenarme
Engywuck / alter Winzling
Urgl
Uyulála
Traumio / Mayestril
Pjörnzarck / Lirr
Baureo
Schick
Blubb
Zwei singende Türpfosten
Theater Hagen
Musikalische Leitung
Regie
Ausstattung
Dramaturgie
Choreinstudierung SolistenBastian Balthasar BuxSabine Klose
Kindliche Kaiserin
Atréju
Auryn
Fuchur
Die uralte Morla
Gmork
Ygramúl
Ihre vier Spinnenarme
Engywuck
Urgl
Uyulála
Die vier Winde:
Lirr
Baureo
Schick
Mayestril
Cairon
Blubb
Ein sehr alter Winzling
Traumio
Pjörnzarck
Zwei singende Türpfosten
Zwei Minister
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