Neid

Privatroman

Fünftes Kapitel, b

 


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ich weiß schon, das ist schlecht gebauter Stillstand, auch in der Prosa, absolut Stillstand, akuter Schreibstillstand, es wird eh schon von vielen bemerkt und angemerkt, nur ich muß es nicht mehr bemerken und hören und lesen. Das hab ich gestoppt. Ich bin draußen. Ich bin raus. Es sind inzwischen schon Monate vergangen, und ich mußte noch nicht hören, daß ich endlich aufhören soll. Gut. Und es wurde früher von vielen angemerkt, daß ich aufhören sollte, aber was soll ich machen, wenn ich so müde bin und keine Zeit habe, das alles ordentlich auszuführen und Ihnen dann auszumalen, ich habe ja nicht einmal mehr einen Hund! Armer Onkel A.! Du hast ja auch nichts mehr davon! Sonst hätte ich mich doch mehr angestrengt. Das kommt davon, doch du bist nicht davongekommen. Zuerst ja, dann wieder nein. Du mußt dich schon entscheiden: rein oder raus, ich halte derweil die Tür offen. Gut, du hast dich entschieden, falsch zwar, aber bitte, es war deine Entscheidung, wenn dir, als du in diese Stadt zurückkehrtest, der Erfolg gelächelt hätte, hättest du vielleicht zurückgelächelt und die Finger vom Gashahn gelassen, wer weiß. Ich verstehe natürlich, wenn Ihnen jetzt graust, daß ich mir den armen Leichnam, den zinnoberrot angelaufenen Gasleichnam vom Onkel A., da umhänge, als wäre ich selbst der Tote, was Ihnen wahrscheinlich besser gefiele, denn mich kennen Sie ja, meinen Onkel haben Sie nicht gekannt (ich übrigens auch nicht), über meinen Tod würden Sie sich freuen und sagen: Endlich! Endlich können wir sie anerkennen!, endlich müssen wir nicht mehr dieses grauenvolle Zeugs lesen, daher können wir es anerkennen! (Sie müssen ja gar nicht, Sie brauchen kein Buch zu kaufen, das Sie gar nicht brauchen und für das Sie eigens zahlen müssen und das Ihnen dann wie ein Ziegelstein in der Wohnung herumliegt, immer genau


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dort, wo die neueste CD oder DVD liegen sollte, die läge viel lieber dort im Lager, und über dieses Stadium sind wir hinaus, über jedes Stadium, hier ist nichts Weiterführendes mehr vorhanden), ich nehme an, über meinen Tod würden Sie sich freuen, ich sagte es auch schon, aber nicht über den Tod vom Onkel A., über den freuen Sie sich nicht unbedingt, doch der stört sie auch nicht weiter, der Tod von Onkel A., den Sie nicht gekannt haben können, es sei denn, Sie wären 120 Jahre alt oder selber tot, der Heesters schafft das vielleicht noch, daß er meinen Onkel hätte gekannt haben können, und vielleicht hat er ihn ja kennengelernt, in Dachau, der lustige Witwer vor den Wachmannschaften dort, nein, natürlich nicht vor den Häftlingen, da gibt es kein Foto, und die Häftlinge haben ja keine Unterhaltung gebraucht, die konnten sich miteinander unterhalten, und Juppi unterhielt derweil die Wachmannschaft, genau im selben KZ, jawohl, dort war auch mein Onkel, der hat den berühmten Juppi Heesters vielleicht sogar persönlich kennengelernt (ich fürchte: eher nicht, zumindest gibt es eben leider kein Foto davon), wie ich ihn beneide!, berühmte Leute kennenlernen ist sicher toll, der wird doch so viel bewundert, der Juppi, der Joopie, der Lustige Witwer, was er gar nicht ist, er hat eine fesche junge Frau, nur mein Onkel, der bleibt immer übrig, aber im Kreise von Millionen anderen, da fühlt er sich nicht so allein, aber den Onkel, den bewundert natürlich wieder keiner, kein Schwein schaut zu, wie er ins Gas geht, ganz allein, bei sich daheim, ist vielleicht angenehmer, im Tod allein zu sein, nur wenigen ist sowas vergönnt, aber Sie haben meinen Onkel ja gar nicht gekannt, der war auch ziemlich gut in seinem Bereich, wie er sonst war, weiß ich nicht, na ja, ich hab ihn schließlich auch nicht persönlich kennengelernt, armer Onkel


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A., auch der nette Herr E. J. (bloß kein Mißverständnis jetzt, nicht ich bin gemeint, ich bin kein Herr, ich bin ja nicht einmal ein Mann!, der sogar von zwei Stück Kanzlern besucht wurde zu seinem Hunderter, einer französisch, einer deutsch, nicht wahr, das hat er sich verdient, dieses Idol der Wehrmacht, das unantastbar war, ein Genie, Genies sind unantastbar, das ist ja vollkommen klar, sogar mir, und ich kapiere nie was), oh je, da ist eine Klammer zuviel, sehe ich gerade, keine Ahnung, wo die hingehört, nein, stimmt schon, alles am rechten Fleck wie das Wienerherz; lieber Onkel A., was heißt lieber?, ich habe ihn doch, wie bereits öfter angemerkt, gar nicht gekannt und pudle mich hier die ganze Zeit auf, als wüßte ich auch nur ansatzweise, wer er war! Na, das weiß ich, aber nicht wirklich, niemand kann ja etwas über einen Menschen wissen, also muß man sich nicht um ihn bemühen, auch wenn dieser Mensch ein erstaunliches Können erworben haben sollte, was jeder sollte, und nachdem Millionen verschwunden sind, was ist da einer wert? Nichts!, einer, den ich mir jetzt wie eine Trophäe umgehängt habe, obwohl ich nicht schuldig und nicht unschuldig bin und lieber einen, natürlich toten (also auf natürlich Weise ist der sicher nicht gestorben!) Fuchs an seiner Stelle hätte, ich bin gar nichts, aber ich kann mir ungefähr vorstellen, was du mit ansehen mußtest, als du dieses Land und das nicht zufällig, wiedertrafst, mit seinem ganzen Ekelglauben an die Güte Gottes, in dem der Katholenkatalysator das Morden ja sogar noch beschleunigt hat, weil es das Morden ja schnell verziehen und die Mörder auf Urlaub geschickt hat, auf Schullandwoche, auf Schullandjahre, bis nach Südamerika, Argentinien, von der Mutter Kirche dorthin verschickt auf Schullandverschickung, das ist auch richtig so, denn nur Gott lenkt die


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Geschicke der Geschickten, hatschi! Helfgott! Grüß Gott, Herr Papst, am Freitag kommen Sie also, wir freuen uns schon auf Sie, aber dort, wo die Geschickten hingeschickt wurden, ist es sicher auch wahnsinnig schön, bitte, ich habe es noch nie selber gesehen, aber ich habe Bilder gesehen, ich habe Filme gesehen, ich habe Bücher gelesen, nur Argentinien habe ich noch nie gesehen, hier in meinem lieben Vaterland, welches kurzfristig von den erzwungenen, aber deshalb nicht schlechteren chemischen Erfindungen meines Vaters gezehrt hat, wie man mir sagte, ich weiß aber nicht, ob es stimmt, aber was weiß ich schon?, wer es weiß, bitte melden!, meine Mama sagte spontan, als sie einmal die Seitenblicke sah, die eine Sendung uns zugeworfen hat, wir konnten aber nicht fangen, Mama sagte also: Hier das Schloß, in dem die Erfindungen deines Papas der SS präsentiert wurden, ich hörte ein Streichquartett und sah gut gewandelte, ich meine gut gewandete Menschen flanieren, ein internationaler Konzern hat in dem Schloß ein Gastmahl bereitet, sicher ein wunderfeines (muß dran denken, wie Papi erzählte, daß sie heimlich ein blutjunges polnisches nein, nicht Blitzmädel, Blitze nur in meinen Augen als Sehstörungen vorhanden, falls Sie welche brauchen, ein Zwangsarbeitsmädel bei Semperit – von dort höre ich überhaupt nie was, ich glaube, dort war noch nie eine historische Kommission –, das  heimlich von den Forschern dort verköstigt wurde, aber durch Wanzen- und Läusebefall unliebsam auf sich aufmerksam machte und leider, leider in ein KZ verbracht werden mußte, so hat man es mir erzählt, aber da mir schon so oft erklärt wurde, ich solle nicht über etwas schreiben, das ich nicht persönlich erlebt habe und daher nicht stimmen kann, schreibe ich nicht darüber, denn es kann nicht wahr sein, es kann nur ein Irrtum sein, und alles andere ist auch


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nicht wahr, bitte glauben Sie mir das andere nicht und auch sonst nichts! Sie täten mir damit einen Riesengefallen!), ein Gastmahl für feine und fein gewandete, nein, das hab ich schon gesagt, allgemein feine halt, so Menschen halt, die haben dort was gefeiert und aus, was wollte ich sagen? Ich wollte nichts sagen und habe gegen meinen Willen, den ich eigens ausgeschaltet habe, bevor ich zu schreiben anfing, doch etwas gesagt, das aber, wie die Geschehnisse selbst, sofort wieder vergessen werden kann. Und wo waren wir, bevor ich vergessen hatte, was ich sagen wollte?, wir waren in Argentinien, glaube ich, aber ich weiß es nicht mehr, und wenn ich nicht mehr weiter weiß, gründe ich nicht einen Arbeitskreis, sondern prügle auf das Christentum ein, das ist immer gut, durch die Christenheit, heute vertreten durch Bischof Hudal, morgen vertreten durch den Papst, wenn er herkommt, nein, er kommt erst übermorden, äh, übermorgen, durch das Christentum also wurde das Morden sogar noch stärker beschleunigt als anderswo, das Idol dieser Religion ist der Tod, möglichst gewaltsam, möglichst Folter inklusive, das wird einem eigens angerechnet im Jenseits, im Diesseits nicht, da wird man abgeschoben, auch wenn man gefoltert worden ist, nie kann man sich von dieser Religion emanzipieren, und die nüchternen Evangelikalen, falls sie nüchtern waren, nicht oft, waren sogar noch schlimmer, die waren Freunde großer Verbrecher, die Katholen Freunde großer Vergeber, Sie sagen es, Herr Bischof Hudal, Sie Katholikenarsch, der Sie die gekränkten und beleidigten Nazis auf ewigen Urlaub an die schönsten südlichen Strände geschickt haben, einer nach dem anderen, an den fremden Strand, die Gitarre und das Meer sprachen laut in ihrer ganz eigenen Sprache, die damals nur ein gewisser Freddy Quinn beherrschte, aber keine Machtworte, denn sie


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mußten ihre Stimmen ja nicht dämpfen, sie hatten nur die schreckliche Macht der blonden Schönheit, und nicht einmal die hatten alle, die jeder gern hätte, nur ich fahre nicht, weil ich dort nicht hinfahren kann, und den Onkel A. haben sie leider auch nicht auf Urlaub geschickt, vielleicht weil er nicht katholisch war?, und außerdem: Urlaub war das keiner, auch wenn er in Südfrankreich stattgefunden hat, wo die Menschen schön sind wie Sonnen und essen, bis sie milde und warm werden, das Essen aber kalt ist, aber nein, ich fahre nirgendwohin, nein, ich kann nicht, leider, was keines Menschen Schuld und Erbteil ist, nur meiner, mein Erbteil einer verfahrenen Familie, die jedoch nicht einmal ein Auto zum Fahren hatte, nie, ich selbst nur für eine kurze Frist, die mir auf irdischen Straßen gegeben war, ach, wie hätte ich mir ein Auto gewünscht, schon bevor ich eins hatte!, wenn auch nur kurz, gewünscht hab ich es mir lange, gehabt hab ich es nur sehr kurz. Als ich endlich eins hatte, war das aber nur ein eher kurzes Intermezzo, es fehlte mir an Fleiß beim Fahren und an Achtsamkeit beim Fahren und irgendwann einmal an dem fahrbaren Untersatz selbst, mit dem ich hätte fahren können, marsch, an den Strand, ins Kinderland, nein, nicht Junge Garde, das sind die Kommunisten, ins Kinderland Religion, Abteilung leidende Heilige und junge Märtyrer, die grade noch davongekommen sind, verschickt, wo die lustige, kameradschaftliche Jungschar, die Lustigkeit und Kameradschaftlichkeit erst lernen mußte, jetzt aber beherrscht, denn sie werden die Welt beherrschen, die Schüler der Privatschulen und nicht die  Privatschuldner, die in Privatkonkurs gehen müssen, nein, die nicht, aber die Jungscharführer, nein, die auch nicht, noch nicht (na, das sind doch auch Führer, man braucht die Führer, jeder braucht einen, vor allem hier, wo ich


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wohne, wenn auch nicht unbedingt einen für sich allein, so viele Führer kann es doch gar nicht geben, es ist ein Zimmer, das man für sich allein braucht, kein eigener Führer, außer am Berg, das ist erwiesen, und so führt einer den andren an, bis zum Absturz, und wenn man nicht richtig gesichert ist und zu dicht hintereinander geht, stürzt die ganze Seilschaft in die Gletscherspalte), doch die Christen sind hier die Führernaturen, welche den nie verwesenden Leichnam am Kreuz schon zum Frühstück vorgesetzt kriegen, dann kommt ihnen der Rest des Tages ziemlich einfach vor, einen Leichnam zum Frühstück!, kotz, würg, das ist eine Speise, die geht einem nie aus, die Jesusspeise, das ist der Sinn der Katholenheit, daß sie ihren Gott auffressen darf, wann immer sie will, und diese Speise geht nicht aus, die ist ja sehr klein, eine Oblate, schmeckt nach gar nichts, enthält aber Jesus, jede einzelne von ihnen, sie kann gar nicht ausgehen, die Christenheit darf zwar ausgehen, aber sie geht uns nie aus, sie kann gar nicht, weil ihr Herr und Gott in einer Oblate eingesperrt ist, wo sie vielleicht machmal raus will, die Christelheit, aber ihr Gottogott bleibt drinnen im knusprigen, geschmacklosen Teigblättchen (reicht nicht mal für einen Apfelstrudel, reicht nichtmal für eine Oblatentorte, da braucht man nämlich mehrere Schichten, und das Christentum stellt hier die Oberschicht dar, aber die Unterschicht muß beten, wer zuviel Kohlehydrate essen muß und seinen Körper dadurch verliert, der kriegt Christi Fleisch, eingebacken in ein weiteres, allerdings sehr dünnes, Kohlehydrat, oral zugeführt, den Rest der Zeit bitte beten Sie! Ein ordentlicher Schweinsbraten, ein Bier, und vorher haben Sie gebetet, dann ins Gasthaus, alles Blödsinn) crunchy munch, nur durch die Münder der Menschen kommt sie raus und gleich wieder rein, die


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Jesustorte, in einer einzigen Schicht der ganze Gott, kaum daß Jesus dazwischen frische Luft geatmet hat, ich könnte mir zumindest vorstellen, daß das ungefähr so abläuft, Jesus kann eben nicht weglaufen, er würde aber gern, kann ich mir vorstellen, denn ich will ja auch mal raus, aber es geht nicht, o Gott, für so klein hätte ich dich auch wieder nicht gehalten!, so spricht der Mann schon in der Früh aus dem Radio, er spricht die Christenspeise heilig, damit aus gesundem Obst, äh, aus einer neutralen Oblate Gott werde, die man ja jeden Tag aufs neue wieder schlucken muß, schluck, wirklich jeden Tag? Nein!, aber eine pro Tag genügt, mehr müssens auch nicht sein, nehmen Sie keine Überdosis Gott zu sich, sonst müssen wir Sie aufpumpen und dann aufs Rad flechten, ich meine setzen, was Sie selber eh besser können, ich meine, sonst müssen wir Ihnen den Magen auspumpen, aber es wird zu spät sein, es spricht jetzt Gott, immer Gott, wenn man bloß friedlich die Nachrichten hören will, dann bringt Gott den Krieg, na ja, nicht direkt hören muß man die Nachrichten, aber sehen sollte man sie schon, wozu haben wir seit Urzeiten schon den Fernseher?, wozu haben wir den gekauft, in der dritten Generation schon oder noch öfter, aber so genau trifft der Finger nie den Einschaltknopf, und schon ist Gott da, schluck!, nicht schon wieder!, bereits vor dem Frühstück in der Sendung der Christenheit, und das ist nun wirklich sehr früh, nein, heute kommen da auch noch andere Religionen zu Wort, Islam, Judentum, Animismus, Animalismus, Metabolismus, Multiethnizismus, vielen Dank an die Sendeleitung, die auf sich selbst steht, auf der Leitung, macht nichts, die ist sehr lang, da gehen noch mindestens zwanzig Leute drauf, die durchs Christentum nicht mehr draufgehen werden können, die halten das schon aus, was ihr Gott aushalten mußte, das


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halten die schon lang aus, ja, die stehn nämlich unheimlich auf sich selbst und loben sich dafür ununterbrochen, gut so, also diese Religion, doch ich schweife ab, macht nichts, ich mach das dauernd, dies ist nicht die einzige Abschweifung, weitere sollen in loser Folge folgen, ich habe es längst aufgegeben, eine Handlung zu erfinden, vielleicht im nächsten Kapitel, das aber überhaupt nicht geplant ist, und wäre es geplant, könnte ich es nicht durchführen, dort könnte ich jedoch meine kränkende Unfähigkeit wieder wettmachen, indem ich flott weiter erzähle, obwohl ich es hier schon nicht konnte, indem ich also weitererzähle, was mit Brigitte K. in der Erzstadt passiert ist, aber jetzt kann ich es nicht, warum?, weil ich es halt nicht kann, bitte, ich kann auch anders, aber ich kann nicht anders, das Lineare liegt mir nicht so, die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten, die ungefähr zehn Zentimeter auseinanderliegen, bin ich selbst, ja, genau!, so klein bin ich inzwischen geworden!, Sie haben mich zurechtgestutzt!, und wahrlich, ich sage euch, diese Religion hat das Wunder der Gleichheit (wie mein Lieblingsdichter R. W. – hier muß auch der Anfangsbuchstabe des Vornamens hin, sonst glauben Sie noch, ich meine den gräßlichen Zeitgenossen ähnlichen Namens, Amen, wann gibt der endlich eine Ruh? – meint, jetzt hab ich schon wieder glatt vergessen, wen ich meine, wie so oft!) nicht durchzuführen vermocht, obwohl sie ein Verfahren dafür vor zweitausend Jahren bereits eingeleitet und seither weiterentwickelt hat, aber es ist eben kein Wunder, es ist ein Prozeß, die Kirche will schließlich was dran verdienen, ihre Anwälte sind zahllos, ihre Priester wenige und sehr alt, nein, ich gehöre garantiert nicht dazu, weder zu den einen noch zu den andren (das ginge eh nicht, denn ich bin weiblich und daher allen im Weg),


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Liebe und Güte, ha, ha, ha!, Nächstenliebe – lol!, ich hau mich ab und wende mich einer Geistesrichtung zu, die an gar nichts glaubt, ohne daß aus mir deshalb schon ein besserer Mensch würde, leider, aber Ihnen ist es ja schon zuviel, daß ich ein Gutmensch bin, ohne gut zu sein, doch ein besserer muß ich nun wirklich nicht werden, für mich reichts, und übrigens – was spielt sich dort hinter diesen schmutzigen Scheiben ab, den Augen dieses Hauses gegenüber? Wird das jetzt endlich die Erzählung? Es läßt sich so an, aber ach, ich muß sie lassen, kaum daß sie begann. Kann sein, daß sie noch wird, kann auch nicht sein. Lächelt mir jetzt der Erfolg des Erzählens? Nein, dazu müßte das Erzählen ja erst einmal erfolgt und erfolgreich sein, nicht wahr? Ich glaube, gelebtes Christentum ist es nicht, und vertriebenes Judentum ist es auch nicht, was sich hier abspielt. Für beides wäre hier der rechte Ort, doch, sorry, das spielts nicht, hier spielt ein ganz großes Erlebnis im Bereich der Liebe, für den ich derzeit noch einen Bereichsleiter (oder eine Bereichsleiterin, um niemanden zu diskriminieren) suche, den Witz habe ich schon mehrmals gemacht, aber ich habe ja schon das meiste mehrfach gemacht, eigentlich zu oft, in meinem Alter ergibt sich das ganz zwanglos, daß man sich dauernd wiederholt, bzw. es zwingt mich keiner, meine eigenen Blödheiten dauernd rauszuposaunen, bloß: Warum mach ich es dann? Ohne daß dieser Bereichsleiter, der Schriftleiter dieser oder jener berühmten Zeitung in meinem Fall, mir die Hand unter meine Fersen schiebt, damit ich aufs hohe Roß komme, kann ich das nicht machen, das Erzählen, doch ich glaube an gar nichts mehr, der Bereichsleiter kommt auch nie, und so schiebe ich halt selber meine Nummer mühsam vor mir her, da weiß ich wenigstens, was ich an mir habe. Doch ich bin die einzige, die das weiß. Ich


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bin ein weiblicher ungläubiger Thomas. Daher glaube ich halt gar nichts, bevor ich lang überlege. Mich frißt der Neid, denn in Gestalt einer faulen Ausrede fürs Schuleschwänzen betritt gerade eine wahnsinnig attraktive junge Frau das Gebäude, na, Gebäude ist etwas hoch gegriffen, es ist ein Einfamilienhaus, ein halbes Kind noch, nein, nicht das Gebäude, die junge Frau, die andre Hälfte von ihr ist aus einer Teenager-Zeitschrift abgepaust worden, paßt aber gut dazu, paßt genau, das Ergebnis ist vollkommen symmetrisch, weil eben der Haarschnitt und das Augen-Make-up individuell abgewandelt und dann angepaßt wurden, und diese junge Frau betritt das wacklige, das Haus vis-à-vis, es wird nicht niedergerissen werden, steht nicht auf dem Plan, es ist Privateigentum wie die Straße des Slowenen, die für privat erklärt wurde und nur für 400.000.- dem Staate Österreich überantwortet oder unverzüglich plattgemacht werden wird, also die Straße ist ja schon ziemlich platt, aber jetzt kommt der Betonsockel drauf auch noch weg, der ein schreckliches Hindernis auf dieser berühmten Weinstraße ist, weg mit dem blöden Sockel, bevor er auch noch gröblichst mit Blumenkästen geschmückt werden kann, das muß es sich der Staat schon kosten lassen, und das ist noch billig, obwohl es schon so schwankt und bebt, das Häuschen, das Einfamilienhaus, von dem spreche ich jetzt, es ist doch noch was wert, nicht viel, aber von Herzen, wenn auch nur der Besitzerin, einer Bankangestellten mit erwachsenem Sohn, wahrscheinlich kommt das von den Sprengungen im Berg, daß das Haus so wacklig ist, gezielte und geplante Explosionen, denen schrille Töne vorangehen, damit die Leute aufpassen, Eruptionen, um das Eisen bloßzustellen, die Sie sicher bereits in dieser Müllhalde vergessen haben, welche ich aufgetürmt habe, damit Sie den Wald vor


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lauter Bäumen nicht mehr sehen, ja, ja, glauben Sie mir, wir sind immer noch in der Eisenstadt, kommen Sie sofort her, wenn Sie diese Stadt entmutigt verlassen haben, weil dort nie was passiert, schon der Tourismus will, daß Sie kommen, denn es ist gesund, Gebiete aufzusuchen, in denen nie etwas passiert, umso mehr wird in Ihrem Inneren passieren, Ihre Verdauung wird sich vielleicht verbessern, Ihre Durchblutung wird gefördert werden, nein, wird sie nicht, das ist das einzige, was der Tourismus zu entgegnen hat, der selber gefördert werden will, wenn ich es sage, ich will nicht kommen, ich bin und bleibe woanders, aber wir sind doch noch gar nicht hier, wir anderen, die wir in dieser Region von der Hand in den Mund leben müssen (der Kannibale im Haus von Mami und Oma, gehört hat es ihnen nicht, andre Häuser haben ihnen gehört, aber dieses nicht, der hat aber nicht die Hand seines Opfers in den Mund gesteckt, sondern Hirn und Zunge, es hat jeder eben seine Vorlieben und Nachteile), vom Tourismus vollständig übersehen, aber der hat ja keinen Überblick, wir sind hier, obwohl wir woanders sind, behaupte ich jetzt mal, glaube jedoch selbst nicht daran, der Tourismus sieht das ja auch ganz anders, doch gestern mußte auch ich leider dran glauben, denn da hab ich einen Speedway-Bewerb, nein, das heißt anders, wird aber auf Motorrädern ausgetragen, er nennt sich „Rodeo!“, der Bewerb, im TV gesehen, den sie exakt auf den gigantischen Eisenstufen samt Geröll, den eigenen Abfällen des Berges, abgehalten haben, also diese Haarnadelkurven sind echt lebensgefährlich, wenn auch besonders eindrucksvoll, vielleicht gerade deswegen, und von 100 Gestarteten kamen am Ende 24 Stück durch, ja, 24 kamen durch, das ist mehr als Einer, aber viel mehr nicht, sehen Sie, und das ist nun mein Einsatz, mein Einstieg in den Berg, denn wenn dort


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Geländemaschinen, die einen grauenhaften Lärm machen und unglaubliche Körper- und Maschinenbeherrschung von den Fahrern verlangen (die Formel 1 ist nichts dagegen, wo die Fahrer jetzt in Radiokarbongefäßen auf ihren vier Buchstaben sitzen und warten, daß sie einer mit Schampus füllt, bis sie ertrinken), herumfahren dürfen, wenn auch immer weniger, denn eine nach der anderen fallen sie aus, dann darf ich über diesen Berg wenigstens reden, ist doch wahr, also, U-Turn, no, it’s my turn: Wir befinden uns noch in der langsam dahinsiechenden Bergwerksstadt, die immer weniger wird, wie der Berg, der beinahe vollständig abgebaut ist, wie ich, und weiterer Raubbau rentiert sich nicht mehr, auch bei mir nicht. Was nichts wert ist, wird auch nicht geraubt werden, und es bleibt der Besitzerin des Hauses gegenüber überlassen, einer geschiedenen Bankbeamtin plus Sohn (es ist ein Eigenheim, wie das Brigittes, es gehört nicht zu den leeren Arbeitersiedlungen dahinter, welche bereits von Gott und den Bewohnern verlassen wurden), es bleibt allein ihr, der Bankangestellten unterm Giebelkreuz, auf das sie wenigstens nicht genagelt werden wird, überlassen, was sie jetzt macht, es ist folgenlos, denn ein Einfamilienhaus kann man nicht wegreißen und nicht enteignen, weil es nämlich der Inbegriff von Eigentum ist, das von fast allen Menschen Österreichs ersehnte Häuschen im Grünen, hier im Roten, im roten Bereich des Berges und der Sozis, die hier die Zügel fest in der Hand halten, noch viel mehr ist ein Häuschen Eigentum als eine ganze Eigentumswohnung, die ja nur Teil eines Hauses ist. Was wir mit dieser Frau machen?, was sie mit uns machen wird?, ein ganzes eigenes Romankapitel!, aber nein, das geht sich leider nicht mehr aus, das eigene Kapitel, was nicht dasselbe ist wie etwas, das ganz eigen ist, aber wer weiß, vielleicht wirds ja


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noch, und was ich mit ihr machen soll, mit dieser Frau, ich werde es hoffentlich rechtzeitig erfahren, bevor ich es hier hineintippe und Ihnen noch was Falsches sage. Ich schreibe nicht über etwas, das mich nicht interessiert, ich schreibe, weil ich wissen möchte, wie es weitergeht. Ob Sie das auch wissen wollen, ist unerheblich. Es haben schon zuviele aus Überheblichkeit ausgerechnet mich zu kritisieren versucht, wo ich gar nichts dafürkann und gar nichts dagegen habe, doch jetzt erhebe ich mich kreischend, kreisend und nach ihnen, meiner Beute, spähend, über sie wie der Pleitegeier. Zum Glück sind sie Aas, meine Gegner, im Aus, die haben inzwischen längst aufgegeben oder sind verstorben, und das letzte Stückerl von mir, das sie noch im Mund hatten, Hirn und Zunge?, ist ihnen rausgefallen, halb verwest sind sie bereits selber, und daher werde meinerseits wiederum ich sie mit meiner überhöhten Magensäure recht gut verdauen können, danke, ganz meinerseits, aber weder Hirn noch Zunge will ich von diesen Leuten haben. Sie werden es noch bereuen, daß sie mir beides anvertraut haben, wenn auch nur für kurze Zeit. Sie sagen, ich sei unverdaulich? Na, was sind dann Sie, frage ich mich? Ich werde es nie erfahren, denn ich werde Sie nie zu fassen kriegen. Ich weiß schon, Sie gewinnen immer, und das, was Sie vorhin gefressen haben, war ein Wiener Schnitzel, für das Sie Ihren ganzen Mut zusammengenommen haben, weil es von vorgestern war? Stimmt. Da ist ja Hirn noch bekömmlicher, obwohl man davon Kuru kriegen kann, also noch viel verrückter werden als der, dessen Hirn man zu sich genommen hat, bevor man noch gemerkt hat, daß man viel mehr fremdes Hirn brauchen könnte, weil das eigene nicht reicht, bloß: woher nehmen und nicht stehlen? Na, dann nicht. Was auch immer. Fressen Sie von mir aus halt Dreck! Hier haben Sie ein wenig


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davon, aus Ihrem Kästchen (nicht mit dem Hirnkastel zu verwechseln!) schaut er heraus, aber hallo! Aus Neid auf die Lebenden muß ich schreiben, wenigstens schreiben, da mir nichts anderes zu tun übrigbleibt, da Sie mir kein einziges Brotbrösel von Ihrem überfetteten Tisch übriggelassen haben, so fette ich halt meine Prosa mit Ihrem Körperfett auf, Frau R., extra für Sie, ich muß sagen, der Name paßt zu Ihnen, diese Prosa wird immer feister, weil ich es so will, weil ich es mir wert bin, ich lagere Schicht auf Schicht, nur zum Grund komme ich nicht; aus Überzeugung, aus Überzeugung erzeuge ich etwas, das habe ich Ihnen voraus, das ist aber leider schon das einzige. So. Was wollte ich sagen? Das, was alle sagen, das kreiden Sie mir ja ständig an, also: Hier, in dieser Gegend, ist der Arbeiter jetzt verschwunden, denn er ist nicht im Besitz des Geldes und ist es nie gewesen. Er zählt nicht, er wurde so lang verleugnet, bis es ihn nicht mehr gab, das tut nicht weh, Christus ist das sogar mindestens dreimal passiert, beim Schrei des Hahns, als rotes Wasser herausschoß, und da ist Judas noch gar nicht mitgezählt. Sagen wir ihm schön auf Wiedersehn dem Kind, das sein Spielzeug nicht behalten durfte, denn nicht einmal unsere Geringschätzung hat er sich verdient, der Arbeiter, er hat überhaupt nicht viel verdient, nicht soviel jedenfalls, wie er sich verdient hätte, nicht mehr als unsere Geringschätzung hat er verdient, ich spreche österreichweit, das ist nicht sehr weit, aber man versteht dort das Katholische, welches zur Kultur gehört, und da er verschwunden ist, jetzt spreche ich wieder vom Arbeiter, verschwunden, wie all die Bewohner, die uns nicht fehlen, auch der Stadt nicht fehlen, wenden jetzt Menschen ihre Geringschätzung gegen mich, und zwar nicht nur, weil sie schlechte Menschen sind, sondern weil sie es selber nötig


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haben, um Anerkennung zu ringen, und nie eine bekommen. Woanders die Wende, hier die Kehre. Ich sage pfui. Wenn sie wenigstens eine Stelle bei der Rettung oder der Feuerwehr hätten, dann würde ich nicht pfui sagen, denn ich würde Ihr Hobby respektieren. Sie haben sich aber verschätzt, denn ich habe beschlossen, aus Neid auf die Lebenden gar nicht mehr da zu sein, für Sie nicht und für mich auch nicht. Na, was machen Sie jetzt? Was haben Sie vor? Und was nützt es mir? Mehr als ich mir selber nützen kann gewiß! Ich bin ihnen abhanden gekommen, den Weltenbummlern, der ganzen Welt, und von meinem Standort in meinem Einfamilienhaus, welches ich ohne eine Familie bewohne, und dann und wann bekomme ich Besuch, doch im Prinzip bin ich allein, endlich, von dort spotte ich sie alle aus, meine Verächter, die mich aber nicht hören können (vielleicht WEIL sie mich nicht hören können?) und die ich insgeheim beneide, denn sie haben ein Leben in der Kleinstadt H. oder der Kleinstadt C., sie haben Kinder und gutaussehende Männer, mein Gott, die meisten Menschen sind so toll, daß sie meinen Haß gar nicht bemerken. Der ist ein Kinderspiel für sie. Ich beneide sie darum, daß sie meinen Haß nicht verspüren müssen, während er mich doch innerlich auffrißt. Das war so nicht gedacht und ganz gewiß anders gemeint, glaube ich mich zu erinnern. Aber das Problem, das Sie ganz richtig erkannt haben, besteht ja darin, daß ich nicht einmal sagen kann, was ich meine, im Gegenteil, ich versage es mir. Und das sollte man schon können, der Arbeitslose sollte ebensogut eine Beziehung zu einem Computer aufbauen können wie jeder andre auch, das wäre die Mindestanforderung, damit man ihn anfordern kann, den neuen Job. Aber was ist das mindeste, das ich leisten müßte, um nicht verachtet zu werden und dafür neiden und hassen zu müssen? Still koche ich vor


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mich hin, ich bin das Gericht, jawohl, aber mir stellt sich keiner, auf daß er gerichtet und niemals gerettet werde, es brennt nur an, und das auf meiner sehr kleinen Flamme, auf der eigentlich nichts anbrennen können sollte. Ich brenne in meinem eigenen Haß an, ich bin eine Einbrenn aus Haß und Neid, und aus einer netten freundlichen Flüssigkeit wird übelriechender Belag auf dem Boden, entstanden dadurch, daß ich zu schnell Gas gegeben habe und meine Reifen selber  ausradiert habe, um keine Spur zu hinterlassen. Das war vielleicht dumm, aber mein Verwandter, Onkel Adalbert, den ich hervorziehe und mir umwickle wie eine scharlachfarbene Toga (vorhin sagte ich noch Pelz, glaube ich, ich biete eben für jeden etwas, in modischen Dingen bin ich bewandert, wenn ich herumwandere, dann nur modisch gekleidet!), Sie haben keinen solchen Onkel, leider bin ich nicht er, was für eine ekelhafte Heuchelei: Zum Glück bin ich nicht er!, sonst wäre ich tot und könnte Ihnen hier nicht ins Gesicht spucken, was mir große Freude machen würde. Sie werden es gar nicht merken. Leider sind Sie dafür nicht zu haben und auch sonst nicht anwesend. Ich sage: Sie alle sind schuld (sagen kann man ja alles, das ist so fein!), daß der einarmige nein, nicht Bandit, Onkel, sich selbst das Gas geben mußte, ins gemütliche Familiengas gehen mußte, das fürs Essen bestimmt gewesen wäre, also für einen besseren Zweck, für einen sinnvolleren, aber es hat gewirkt, ich gehe nirgendwohin, ich habe kein Gas, um irgendetwas damit zu machen, nur vergiften geht nicht mehr, ich schicke Ihnen stattdessen meine Seele, ich breite sie vor Ihnen aus, solang sie keine Flügel hat und wegfliegt, andre sind tot, während ich voll durchstarten kann, wenn auch unter Verlust des Gummis, der mich beschützt hätte, macht nichts, schwanger kann ich eh schon lang


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nicht mehr werden. Sie können sich ans Gelächter wenden oder meinetwegen an das Gelichter, das uns regiert, und verschiedene Leute haben das auch getan, angewidert davon, daß ich mir sogar meine toten Verwandten noch, und das sind viele, die keines natürlichen Todes sterben durften, aber das Natürliche hat mich ja nie sonderlich interessiert, als Plus anrechne, ekelhaft, als würde ich mich aufblähen wie ein Ballon und noch ein Netz drübertun, damit ich vor Stolz auf meine Verwandten, die ihr Leben riskierten oder gar ganz opferten – ganz schön viele sind da zusammengekommen, kann ich Ihnen durch die Luft, die Blume der Luft, flüstern – ,nicht vollkommen abheben, aber auch nicht zerplatzen kann, und wenn doch, dann würden meine Trümmer, meine Gummifetzen, die meine Existenz nicht verhindern konnten, wenigstens in diesem Netz weich landen können. Widerlich, wie ich mich in die Haut meiner unschuldigen Toten hülle, die nicht mein Verdienst sind, zum Glück, das finde sogar ich selber, welchen Verdienst würde mir das einbringen? Keinen, überhaupt keinen, ich sagte auch das schon, wie ich alles mehrmals sage, damit ich selbst es mir merken kann, viel zu oft, ermüdend oft, kein Verdienst, es bringt mir gar nichts ein, denn dies hier ist vollkommen gratis (eine Notlösung, es wäre eh nichts wert), das ist meine einzige Entschuldigung, daß ich hiermit nichts verdiene, nein, auch nicht das, was ich dafür verdienen würde, eine Tracht Prügel vermutlich, das denken Sie doch, geben Sies zu, wenden Sie sich ans Gelächter über mich, stimmen Sie ein, es lachen schon ein paar tausend Menschen über mich, wenn auch nicht zur gleichen Zeit, das wäre ja furchtbar, es würde mich glatt wegblasen, wenden Sie sich also z. B. ans Gelächter, das im Salzamt ausbricht, wenn jemand ausnahmsweise wirklich ein Packel Salz kaufen möchte,


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aber die Salzverwaltung, die Salinenverwaltung, welche dem Ex-Minister gehört (unglaublich, was solchen ursprünglich sozialistischen Leuten, die sich an ihren Ursprung gar nicht mehr erinnern können, alles gehören kann, gehört sich das? Ja, das gehört sich so, bei den Sozialisten gehört einer in den andren und dem anderen, und wenn sich einmal ein Größerer vordrängt, wird er gleich zurechtgestutzt, damit es wieder paßt), ist dafür zuständig und nicht das Salzamt, das für gar nichts zuständig ist und daher genau für mich, für mich allein. Genau! Damit sie keinen Genuß daraus ziehen können, die verachtenden Menschen, welche einst selber verachtet wurden, sonst wüßten sie ja nicht, wie das ist, man kann echt süchtig danach werden, weiß man einmal, wie das ist, verachtet zu werden, schreibe ich nur über Dinge, die grundsätzlich niemanden interessieren. Das ist meine süße Rache. Nur keinen Neid! Es ist eh keiner mehr da, ich habe allen Neid für mich allein verbraucht. Und jetzt liest das alles wieder kein Schwein, auch Sie nicht, Frau R.! Ich verbiete es Ihnen nämlich. So, und was machen Sie jetzt? Nichts. Und ferner ist es, als Fleißaufgabe, meine Rache an Häuselbauern, an meinen Eltern, die ein Haus erbauten, dafür jedoch mich abreißen mußten, zumindest meine Mama hat mich gleich mit abgerissen, mein Papa hätte mich stehen gelassen, wenn er gekonnt hätte, aber er konnte nicht, er hatte nicht die Wahl, er und Mama haben mich vor vielen Jahren schon abgerissen, wie eine entwertete Eintrittskarte, mußten mich abreißen, ausreißen aus der Muttererde, in der ich trotzdem immer noch stecke wie ein Rettich, ein Radi, bin ich Radi, bin ich König (das versteht jetzt wirklich niemand mehr unter 70! Ein exklusiver Verein, echt!),  doch sie taten, was sie konnten, sonst wäre ich doch genau an der Stelle gestanden, an der


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jetzt mein stolzes, allerdings recht kleines, nicht sehr gemütliches (Gemütlichkeit wäre für Mama ein Zeichen von Schwäche gewesen), Häuschen steht, aus dessen rostfreien, von jedem Leben, sogar dem anorganischen, befreiten Fensterchen ich ins Nichts blicken kann, sie haben mich vom Kartenblock heruntergefetzt, der ein Richtblock war, meine lieben Eltern, und wieder Ankleben der fliegenden Blätter ging nicht mehr, das geht jetzt vielleicht noch mit Laser und meiner Netzhaut, aber mit mir nicht!, nein, lieb waren sie nicht, zurück an den Anfang, von dem dicken vielversprechenden Block mit den Eintrittskarten in Popkonzerte und andre öffentliche Ereignungen abgerissen, auf denen ich dann aber nie war, niemals, ich war nirgends, obwohl ich doch quasi selber meine eigene Eintrittskarte gewesen und wie von selber hineingekommen wäre, an jedem Türhüter vorbei, aber diese Karte berechtigte mich nur zur Entnahme des Lebens, welches ich selbst gestalten sollte (so wäre das nämlich gedacht gewesen), aber nicht konnte, unmöglich, alles, was Sie in mir sehen, ist vollkommen ungeplant, jedem Plan gehe ich sofort aus dem Weg, mir gebührt kein planvolles Handeln, nein, Handlungen sind hier nicht erhältlich, aber Sie zahlen ja auch nichts, und ich produziere auch nicht, was Sie wollen, sondern was ich will, jedem das Seine, gewiß, aber ich habe das Meine nicht gesucht und daher auch immer noch nicht gefunden, äh, ich habe es schon gesucht, aber trotzdem nicht gefunden, brach die Suche irgendwann, vielleicht übereilt, wieder ab, aus Faulheit wahrscheinlich, Lebensfaulheit, „Trägheit“ hätte dies Werk eigentlich heißen sollen, aber mein Neid auf die Lebenden ist noch viel stärker als meine Trägheit, daher entschied ich mich für jenen, und darum sitze ich also hier wie bestellt und nicht


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abgeholt, doch wer würde mich bestellen?, nach der neuesten Umfrage: keiner, aber meine Kartenbrüder und -schwestern sind längst weg, die haben sich abgesetzt, weil sie so schlecht bei der Bevölkerung abschneiden, also ab mit ihnen in die Karibik, auf die Bahamas, die griechischen Inseln oder was weiß ich, ich weiß ja nicht einmal, wie man so ein Ticket, daß man fliegt, bestellt, aber ich ahne, was es alles gibt, wunderbare Orte, die ich nicht einmal auf einer Landkarte finden würde, genau dort sind sie aber, na, ich bins nicht. Abgerissen von meinen Eltern ist mein Schein, mein Entwertungsschein, von diesen zwei Leuten, wilden Tieren in einer Höhle mit echt original elektrischem Licht, immerhin ein Fortschritt, sogar einen ca. 100 kg schweren Bronzeluster haben sie sich hingehängt, das ging aber nicht, dieser Raum befand sich schließlich nicht in einem Schloß, das muß man sich mal vorstellen, eine Raubtierhöhle, hoch, aber recht klein, mit einem Bronzeluster!, groß wie fast das ganze Zimmer, das Zimmer war von diesem Luster beinahe vollkommen ausgefüllt und wurde von ihm dominiert, das heißt, es wäre dominiert worden, wenn nicht Mama dafür bereits gesorgt hätte, daß sie die Domina ist und bleibt (der Luster hätte mich am Schlußter noch fast erschlagen, weil der Haken so schwach war, jahrzehntelang hat er gehalten, und als ich den Luster mit Hilfe dreier ausgewachsener Männer abnehmen wollte, da bog sich das Häkchen auf, das sich so lang gekrümmt hatte! Genau wie ich! Früh krümmt sich das Häkchen, das einmal so gern gerade sein möchte, ja, ja), und das hatte, das Monopol wie das Gehalt der Domina, meine Mama, die natürlich immer noch vor dem Luster kam; schon lang abgerissen also mein Coupon,  mein Schein, der mich zu irgendwas berechtigt hätte, keine Ahnung wozu, was ich mir so unter Leben vorstelle, ist ganz


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gewiß was andres, alles andre als Leben ist es, doch ich hätte es trotzdem gern, Himmel!, ich finde nicht einmal mehr den Kontrollabschnitt, den hat vorhin ein Kellner mitgenommen, damit er in der Küche beweisen kann, daß ich existiere, aber die glauben ihm dort nicht, diese zwei Leute, Mama und Papa, versichern ihnen ja eifrig das Gegenteil: Es gibt mich gar nicht oder nur in Bezug auf Mama, die jetzt aber weg ist, schon lang, doch nur in ihrem Bezug darf es mich geben, also für diesen Bezug hätte ich lieber ein andres Muster gehabt, ein irgendwie dezenteres, aber ich hatte nicht die Wahl, Mama hat ihn ausgesucht, mit der ich lange ein Bett geteilt habe, nein, das denn doch nicht, oder doch?, also viel hätte nicht gefehlt, und einen Tisch habe ich ganz gewiß mit ihr geteilt, daran erinnere ich mich genau, wie ich dran gesägt habe, und so ersparen Sie sich ein Gericht, nämlich meins, meins wird immer eingespart, denn sparsam waren sie, die Eltern, und sie haben alle angesteckt damit, diese zwei Schreckensleute, diese Schauerarbeiter ohne Schiff, das sie oder mich, besser mich allein!,  hinweggebracht hätte, beide inzwischen zum Glück längst verstorben, einer immer länger als der andre, sonst hätten sie noch mehr gefälschte Eintrittsbillets ins Leben vorgewiesen, um mir damit vorzugaukeln, ich käme dort jemals rein, mit denen ich aber natürlich nie reingekommen wäre, ich wäre jedesmal zurückgewiesen worden, und ich würde heute noch zurückgewiesen, wagte ich es, Ihnen diesen Schmierzettel hier in Form eines Büchleins, also ungefähr wie ein Ziegelstein, so groß und häßlich und schwer, aber wenigstens schlicht in der Form und im Format, vorzuweisen, der mich als Dichterin ausweist, alles gedichtet, glauben Sie mir nur ja nicht!, bitte glauben Sie mir, es geht um mein Leben, aber das ist Ihnen ganz egal, im Gegenteil, Sie wollen


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mein Leben doch gar nicht. Wenn Sie die Wahl hätten, wollten Sie mein Leben nicht, jedes andre, aber das nicht!, nun, niemand kann Sie da besser verstehen als ich, doch Sie haben nicht die Wahl, nur ich habe diese Wahl, zumindest hatte ich sie mal, jetzt ist der Abreisetermin verstrichen, zu dem ich hätte weg können, wenigstens etwas, ich hatte eine Chance, aber ich habe sie nicht genutzt, tja, was wollte ich sagen?, die zwei, diese lustige Zweiheit, Papa und Mama, sowas wie die haben Sie noch nicht gesehen, ich leider schon, diese zwei Leutln, von denen ich nicht loskomme, wie es sonst nur bei großen Lieben der Fall ist, die nur allein in mich Eintritt finden wollten und naturgemäß auch nur mir Eintritt (oder sollte ich sagen mir nur Eintritt zu ihnen?) zu ihnen gewährten. Dabei wär ich so gern ganz woanders gewesen, als die große Liebe kam, nicht die einzige übrigens, die Lieben kommen immer zu mehreren, allerdings hintereinander, und hätte dort wenigstens schwimmen gelernt (ein bescheidener Wunsch, oder?), wo ich mich doch sogar vor Wasser zutode fürchte, und auch das Gewähren eines Zutritts wie eines Abtritts ist seltsam, denn da müßte ich doch eigentlich Gewährleistung haben, oder?, da müßte ich doch mein vertanes Leben noch einmal anfangen dürfen, da schadhaft, mangelhaft, zurück an die Erzeuger (komisch, ich hatte doch jederzeit Zutritt zu denen, da hätte ich es ihnen tausendmal zurückgeben können, hat nicht funktioniert, nicht einmal die hätten mein Leben zurückgenommen, nicht einmal die Erzeuger, na ja, aber zu niemandem sonst hatte ich Zutritt, das ist es ja! Den Tritt hab ich immer gekriegt, und zu war auch immer jede Tür, durch die ich gern gegangen wäre. Sie brauchten niemanden, jene ErzeugerInnen, äh ..., egal, und so durfte ich auch niemand brauchen, so einfach ist das, ich hatte ja


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sie, und so werde ich jetzt also allgemein verlacht und verspottet und verachtet, lesen Sie diese Zeitungsumfrage, dann haben Sie den Beweis, falls Sie mir nicht glauben, ich bin an genau der 21. Stelle der Verachtung von 50 Stück, denn die Leute spüren das doch, sie riechen es, daß ich ein Weh bin, wie man hier in Austria-Email, also unverwüstlich!, sagt, dem Land, in dem immerhin die Fußball-Euro 08 stattfinden wird, die lange Schatten vorauswirft bzw. geworfen haben wird, denn dies hier ist für die Ewigkeit, aus der man auch zurückschauen wird dürfen, jawohl, sie wird stattgefunden haben, die EM, obwohl hier überhaupt niemand Fußball spielen kann, aber ich, ich bin nicht einmal ein Schatten, und ich bin nicht ich, ich wüßte ja gar nicht, wer das sein sollte, ich, daß ich nicht lache!, und ich verdiene mit diesem Schreiben an Sie, wie bereits öfter erwähnt nichts, gar nichts, weil ich gar nicht schreiben kann, was Sie mir jederzeit dankbar abnehmen, diese Aussage, das Schreiben leider nicht, aber mir nehmen Sie das übel, daß ich das nicht kann, was ich tue, den Fußballern aber nicht! Das ist gemein und außerdem ungerecht!), da war ich also abgerissen, meine Gültigkeit als Einsame validiert, validitiert, nicht entwertet, sondern aufgewertet, wenn auch nur durch mich selbst, denn eine Einsame hat schließlich keine Vergleichsmöglichkeiten, sie setzt dann irrtümlich ihren Wert recht hoch an und muß erst wieder mühsam von der Decke heruntergeholt werden, ihr Leben in ihrem Lebensraum, in ihrem Biotop, das sie nicht verlassen kann, wurde geschlossen, bevor noch die Tür hineingebrochen werden konnte, und die Einsame kann sich daher selber aufwerten, soviel sie will, sie kann Luft und wirbelnde Natur in Form von Stürmen auf sich häufen, sie kann sich Stücke der blitzenden Bänder von Flüssen


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abschneiden und bleibt doch immer nur mittelmäßig, sogar in der Natur: mittelmäßig, sie zieht die Natur runter, die mag das echt nicht, sie ist eine flüchtige Begegnung mit Nichts, nicht die Natur, der einsame Mensch in ihr, was haben Sie bestellt?, was Sie kriegen, sind ein paar Wolken, die rasch verschwinden, eine Geringfügigkeit, die sich nicht fügen will, obwohl sie, ein Nichts, überall hineinpassen würde, sie ist ja austauschbar, diese Molto-Füllmasse, man kann sie überall reinstopfen und sie verschmilzt mit dem Hintergrund, ich wäre gewiß eine ideale Spachtelmasse, ich ginge überall rein, wenn ich mich nur trauen würde, aber ich komm nirgends rein, so kann man mich auch nicht wieder rausschmeißen, während alle übrigen Menschen, in dieser Reihenfolge, Mensch auf Mensch, mich in Ruhe abwerten können (ich kann ja nichts als abwarten, daß das endlich passiert), als wäre ich der Dollar, der nicht sehr hoch im Kurs steht, die Leute können es gar nicht aushalten, bis sie jemand abwerten dürfen, außer sie haben eine Dollaranleihe gezeichnet, dann hoffen sie, daß es endlich wieder bergauf geht, und da (immerdar) biete ich mich geradezu an, das ist doch klar. Ich bin da. Wenn Sie jemand abwerten wollen – nur keine Sorge, ich bin ja da! So wie der Arbeiter in seiner Arbeit ein notwendiges Übel erblickt (R. W.), so erblicke ich in meiner Existenz ein notwendiges Übel, das muß doch einst anders gedacht gewesen sein, denke ich mir, aber die zwei einander pausenlos anheulenden Wölfe, die mich aufzogen, der eine ist vorzeitig abgetreten, recht hatte er aufzugeben, haben das vielleicht genauso gemeint, wie es dann als Ergebnis erzielt worden ist, eine Niete des Existierens, die nicht einmal ein Gegenstück findet, um etwas zu verschließen, na, verschlossen bin ich schon längst, vielleicht von Natur aus, bitte, ich glaubs ja


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nicht, daß ich ursprünglich so gedacht war, aber ich kann es nicht wissen, so, dies hier schmeiße ich Ihnen vor die Füße, wischen Sie meine Kotze gefälligst selber weg, wenn Sie sich vom Gestank belästigt fühlen, aber bedenken Sie: Das ist meine insgesamte Existenz, die Sie da wegputzen, sie ist immer im Abseits gewesen, schon bevor Sie sie zur Kenntnis genommen haben, auch wenn sie das ursprünglich nicht wollte, meine liebe Existenz, also mir ist sie trotz allem lieb, und die nichts vom Fußball versteht, bitte glauben Sie mir: Dies hier war nicht so geplant. Ich hatte keine Macht über meinen Plan. Es sollte eine Novelle werden, bloß eine kleine Geschichte, so zum drüber Hinweglesen, zum rasch unter die Hufe Nehmen, und was ist das jetzt? Ein Scheißdreck. Ein Garnichts. Sie bleibt allein, meine Ex, nein, nicht mein Ex, nicht einmal den habe ich, na ja, doch, schon, da würden sich schon etliche melden, wenn man gezielt nach ihnen forschte, alles recht forsche Typen, auch ziemlich begabte darunter, man glaubt es kaum, daß ich solche begabten Menschen einst erlangen und eine Zeit lang sogar bei mir behalten konnte, bevor sie mich wieder ausgespien haben, na, die meisten jedenfalls durfte ich behalten, wenn auch nicht lang, deswegen haben sie absolut nicht zu mir gepaßt, das haben sie rechtzeitig erkannt, und sie haben auch mir rechtzeitig beigebracht, daß etwas Besseres auf sie gewartet hat, das sie besser warten konnte als ich, denn darauf kommts an. Ich kann warten, aber ich kann niemanden warten, schon der Ölwechsel mißlingt mir, weil ich den Ansaugstutzen nicht finde oder wo man das halt hineinfüllen muß. Niemand bleibt halt gern lang mit einer Toten zusammen. Wer nicht zu den Lebenden gehört, wie soll der dann leben?, in einer Toten ist niemand in seinem Element, mit der kann man ja nicht mal auf Urlaub


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fahren, denn Tote auf Urlaub gibt es zwar auf Raten, aber wenns hart auf hart kommt, will sie keiner, obwohl jeder es sich leisten könnte, so niedrig sind diese Raten. Besichtigungen alter Städte neben Toten, obwohl es grade dort so viele Tote gibt, das kommt nicht in Frage. Wir geben Antworten, aber Fragen in Menschengestalt, die wollen wir nicht gestellt kriegen, das Leben stellt uns bessere Geräte zur Verfügung. Alles, was das Leben ausmacht, wird von der Vereinsleitung gratis gestellt. Und ich bekomm nichts. Der Tote kann das Leben im Schreiben oder sonstwie imitieren, aber der Ausdruck, der dabei herauskommt, läßt doch sehr zu wünschen übrig, und die Leute ahnen ja instinktiv, daß sie ihre Wünsche bei mir nicht erfüllt bekommen. Ich suche ja eh schon die meiste Zeit nach weiteren Ausdrücken, was mein Beruf ist, finde aber keine, was mir naturgemäß vorgeworfen wird. Zu Recht. Was mir vorgeworfen wird, muß ich zu Recht fressen, denn was andres kriege ich nicht vorgesetzt. Dafür kriegt sie ein nettes Eigenheim, die Autorin, ich, ich kriege meine Existenz, das heißt, ich würde sie kriegen, gäbe sie mir jemand endlich zurück, danke, sie hat es schon, die Autorin hat schon ein Heim, also nicht einmal das Heim kriegt sie, weil sie es schon hat, in dem die Erbauer in aller Ruhe wahnsinnig werden konnten, ein jeder auf seine eigene persönliche Art, ihr Irrsinn trug eine persönliche Handschrift, jeder die seine, Mama die Ihre, nein, die ihre, ja. Einer dement, eine schwerst paranoid, sehr entgegengesetzte Verhaltensformen bei meinen werten Herstellern, ich muß schon sagen, in diesem Fall hätte man die Hersteller zurück in die Fabrik schicken sollen, nicht das Produkt, jeder in seinem Wahnsinn auf seine Art möglicherweise interessant, ich kann das nicht beurteilen, aber jeder von ihnen schrecklich, furchtbar, wenn man sich


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in ihrer Nähe aufhalten mußte und das auch noch dauernd. Ohne Pause. Doch was mein ist, ist nicht dein, bleiben Sie mir fern, stellen Sie sich nicht meinem Entschluß entgegen, mich endlich über die Einfamilienhäuser zu hauen, was keine Kunst mehr ist, denn meine Haftung bzw. die Haftung meiner Produzenten, ist längst erloschen, ich bekomme keine Frist mehr, mich über die Häuser zu hauen, also, wie man hier in Österreich sagt, abzuhauen, stellen Sie sich diesem, meinem Wunsch nicht entgegen, denn es würde Ihnen nichts nützen. Oder will ich doch nicht weg? Wieso klammere ich mich an etwas, das es gar nicht gibt? Wieso bin ich noch hier? Ich fürchte, Sie müssen mich schon entfernen, wenn Sie mich weghaben wollen, eigentlich müßte ich von der Gemeinde entfernt werden, denn mein Eigentum hier ist nicht Diebstahl, auch wenn Sie ixmal behaupten, sowas schon woanders und besser gelesen zu haben, ich habe es nicht gestohlen, das schwöre ich, und was Enteignung wäre, will ich mir gar nicht erst vorstellen, und eine Eigentumswohnung kostet Sie so lange so und soviel, bis man auch Sie einmal in die sogenannte Versorgung schickt (seien Sie froh, daß Sie mich kennen, ich kann Ihnen sagen, wie das ist, wenn man dauernd, unversorgt, aber aufs äußerste besorgt, weggeschickt wird!) und die Wohnung dann Sie versorgen muß, die Arme, denn der Staat verlangt, um das Inland-Endlager (ja, der Mario R., der hat das gesagt, und der ist von der Brücke über den Wienfluß gesprungen, ins Wientalbett, da hat er sich gleich dazulegen können, ich meine hineinlegen) zu bezahlen, den vollen Kaufpreis für jede liebe eigene Wohnung von uns, für jeden Besitz, den wir mühselig zusammengerafft haben. Alles müssen wir hergeben. Wer keine eigene Wohnung hat, der kann auch nicht zahlen, er wird aber trotzdem versorgt, keine Sorge. Er wird dann von den anderen


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mitversorgt, Hauptsache, die Leute machen sich Sorgen um ihre Zukunft. Die meisten machen sich keine, weil sie wissen, sie haben keine, sie kommen aber trotzdem dran, wenn es ans Zahlen geht. Keiner behält seine Gestalt, und keiner behält seinen Besitz, keiner behält irgendetwas, ich kann ja auch nichts behalten, zumindest nichts wesentliches. Man kann sich nichts mitnehmen. Aber ich werde mich darum kümmern, wo das passieren wird, daß man die Alten auf den Mist schmeißt. Bald bin ich selber alt, ich bin es ja jetzt schon, und werde es wissen und Ihnen dann mitteilen, wenn ich es noch kann. Einmal etwas Gutes, das ich über den Staat zu sagen weiß, der dafür aufkommt, wenn man selbst nichts mehr hat, vorher nicht, mehr fällt mir nicht ein, wie gut, daß ich wenigstens einmal etwas weiß, was ich aber, wie alles übrige, auch nur gelesen habe, eingefallen ist es mir nicht, woher soll ich denn was wissen, wenn ich nicht einmal das Leben als solches oder als ein anderes kenne? Ich kenne gar nichts, und ich will auch nichts davon wissen, egal wovon. Die Popdichter schreien natürlich wieder mal vor Wut, aber die schreien immer, sogar jetzt noch, da es sie gar nicht mehr gibt, ihr Gesang der Jünglinge im heißen Ofen tönt bis zu mir her, sie hätten vielleicht nicht in die Küche gehen sollen, wenn sie die Hitze nicht vertragen, aber sie haben gewiß keinen Grund gehabt zu verschwinden, sie kennen ja das Leben, im Gegensatz zu mir, sie haben es lange genug gesucht. Sie sollen sich freuen und es auch alle gleich merken lassen, was sie da überhaupt kennen. Vielleicht ist das ja gar nicht das Leben? Bitte, sie kennen tolle Popkonzerte und gute Drogen. Das ist ihre Aufgabe in der Literatur, kurz zusammengefaßt. Ich kenne es nicht, ich bin ein alter Mensch, aber mein Häuschen, das habe ich noch, nicht mehr lange, aber oho!, es zählt


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nicht, aber ich habe es, denn sollte ich dereinst, wie jeder alte kranke Mensch, aushäusig versorgt werden müssen, dann darf ich endlich raus, ich darf aus dem Kokon, den meine Raubtiere, die mich in Heimarbeit erzeugt haben, um mich gesponnen haben (gesponnen haben die ordentlich, ich sags Ihnen!), dann endlich raus, muß nur rasch noch mein liebes Haus aufgeben, das ich dann aber sowieso nicht mehr benötigen werde, dann bin ich bereit. Sowas geht in einer Minute. Raus und aus. Andre werden im eigenen Ich und in meinem gewesenen Haus zu ihrem eigenen Ich finden, das ich liegengelassen haben werde, weil ich damit nichts anfangen konnte, als noch Zeit war. Klingt logisch. Ich werde mein Ich nur mehr von außen sehen können und das nicht oft, denn ich werde nicht mehr bei mir sein, nicht mehr bei Verstand, eine Tradition, noch von meinem Papi her, der jetzt endlich zur Geltung kommen wird, nach langem Warten, und zwar in meiner Gestalt, welche die seine erneuern wird. Ich werde mein Hirn und mein Häuschen klein also auch verlieren, wenn ich zuvor nicht ordentlich was zusammenspare. Auch wenn der Alte und Kranke, der nicht mehr einer von uns ist, mißfällig und wenig lustig um sich blickt, er muß schon seine eigene Wohnung hergeben, ein andrer wird ihm seine nicht freiwillig überlassen (denn keiner will was übriglassen von dem, was er bestellt hat, und wenn er nur ein ein Quadratmeter großes Gärtchen bestellt hätte, an dem würde er sich festkrallen, bis man ihm gewaltsam die Finger bricht), bloß damit er, der nutzlose alte Furz, mehr schlecht als recht versorgt und ein- sowie wieder entwindelt wird, unter viel Gestrampel und Gewehre, das aber nichts mehr trifft, und noch mehr Geplärre, bis man das Leben seiner schwach zusammengeballten Faust endlich entwinden kann, loslassen!, wirds bald, Herr, Frau Sowieso, ab und endlich sterben, was glauben


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Sie, was Sie Ihre Kinder kosten, jeder Tag kostet extra!, er will es nicht hergeben, der Todesproband, aber er muß, das sagte Mama schon vor vielen Jahren, aber das sagt jeder, der bei Verstand ist, und die andren sagen es ebenfalls, auch wenn sie es sich nicht eingestehen mögen. Sonst würden doch Wohnungen im ganzen Land immer weitergegeben, von einem zu anderen, von einem Vorgänger zum andren Nachkommen, so wird das gemacht, sonst entstünde noch ein Loch in der Daisy Chain, was ja auch manchmal passiert (das Weitergeben, wenn auch nicht das Fortkommen, dies klappt leider nicht immer so gut), eine solche Ordnung ist prinzipiell praktisch wie jede Ordnung, und sie kostet nichts, denn die Erbschaftsteuer fiel bereits, und die Schenkungssteuer wird auch bald fallen, so, jetzt ist sie schon hingefallen, da gehört ein langer Nagel rein, weil das fällt sonst alles zusammen, und der Mensch könnte dann nicht mehr aufrecht stehen und sich mit einem anderen verbinden und hätte gar keine Kinder mehr, wie stellen Sie sich das vor? Als erstes hält das Budget des Staates schon mal nicht, wahrscheinlich weil keine Menschen mehr fallen können, außer im Bad, da fallen sie bekanntlich am häufigsten und brechen sich die Oberschenkel, es fehlt ihnen ein Krieg, nein, der fehlt ihnen nicht, sie hatten schon einen, danke, aber bald ist nicht einmal das mehr wahr, auch gut, was schreibe ich überhaupt noch, was schreibe ich da?, wo eh alles bereits gut und in meinem Sinne, der ganz genau den Sinnen der Allgemeinheit entspricht, erledigt ist?, na, fällt halt alles andre, es gibt keine Kriege mehr, die sind derzeit verreist, auf Dauer verreist, dorthin, wo man sie eben braucht, damit man ein Raketenschild dagegen errichten und Europa mit Radar-Anhimmelungen, die eigentlich mir und außer mir nur noch ganz wenigen zustünden, versauen kann, wie die Arbeiters,


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die auch immer dorthin fahren müssen, wo man sie braucht und wo man sie dann, gleich daneben, verstauen kann, weil man sie plötzlich nicht mehr braucht, recht spät ist man da draufgekommen, und ihre Arbeit auch nicht mehr, und die Früchte ihrer Arbeit sind schon gegessen, bevor sie erzeugt sind. Was wir brauchen, sind Facharbeiter, der Herr ist mein Hirte, aber an Facharbeitern wird es mir mangeln, aber nur in wenigen Branchen, die wir nicht selber erzeugen können, diese Arbeiter müssen wir importieren. Von den einen haben wir zuviel, von den anderen zuwenig, es ist ein Kreuz, an dem immer die Beschäftigungslosen hängen, die andren hätten ja keine Zeit dafür. Die müssen schaffen bzw. erschaffen, was sich Jesus mit seinem Vater arbeitsgeteilt hat, ist eh alles eins. So ist es auch in dieser Erzstadt, die wir längst vergessen haben, meine Schuld, ich weiß, auch ich habe meine Arbeit hier vernachlässigt, ich hätte mich beschränken sollen, für Menschen, die keine Angst kennen, doch ich kenne nur Angst, sonst nichts, ich kenne nur eine einzige Welt, in der die Menschen all ihre Möglichkeiten brav genutzt haben, bis sie keine mehr hatten. Na, da braucht man doch neue, oder? Neue Menschen braucht die Zeit, jede Zeit die ihren, die ich dieser Zeit hiermit widmen möchte, denn ich persönlich brauche sie nicht. Der Bauer macht Ihnen welche, wenn Sie sie benötigen, ich meine Früchte seiner Arbeit, ja, natürlich! So ein liebes, recht natürlich für ja natürlich agierendes Schweinchen sagt das jeden Tag in der Werbung, wir kennen es schon, so natürlich ist es, das wird ein gutes, ebenfalls recht natürliches, mageres Fleisch ergeben, denn das Schwein muß für die Werbung arbeiten und nimmt deshalb nicht so zu, Fleisch von meinem Fleische, äh, nein, von einem Schwein, das so natürlich geblieben ist, weil es schließlich auf natürlich


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erzogene Weise gezogene Lebensmittel verkaufen soll, und das macht es sehr gut, das Schweinchen, das alles macht, obwohl es inzwischen ziemlich prominent geworden ist, und so dürfen wir gleich wieder weiteressen, ohne Pause, und wenn Pause, dann  nur mit gesunder, biologisch abbaubarer Ernährung, auch wenn wir davor gar nicht gearbeitet haben. Und das Schweinchen essen wir dann auch auf. Wir haben ja gesehen, wie gesund es aufgewachsen ist. Dieses Schwein haben wir gehabt, das haben wir gerade gebraucht. Wen wir noch brauchen, sind Facharbeiter. Hier benötigt man sie nicht mehr, die Arbeiters, falls sie kein eigenes Fach haben, in dem sie Spitze sind, dann müssen wir sie uns holen, während die übrigen immer weniger wert sind, alle wollen arm sein, die Folge ist, daß niemand arm ist, sagt mein Lieblingsdichter, ich weiß nicht, was er meint, das Paradies meint er vermutlich, das er Phantasie nennt, denn er sagt, daß irgendwo alles allem dient, und der Sinn der Welt deutlich dahingehe, nein, nicht im Sinn, daß er dahinscheidet und fort wäre, sondern daß der Sinn dahin gehe, den Schmerz zu beseitigen, das phantasiert er aber eben nur, die Wirklichkeit schaut anders aus, in ihr daher weitergehend das unbeschreibliche Schlamassel, das natürlich auch ich nicht beschreiben kann, was kann ich schon?, nein, natürlich nicht, dieses dornige zottelige Gegenwartsschlamassel, wo sich die Dinge verknoten, aber die dramatischen Knoten nicht und nicht schürzen mögen, nicht ums Verrecken, und ich kann nicht einmal kochen, obwohl das jetzt doch so modern ist, und ich bringe auch keine andre Handlung zustande, ich kann nichts Frisches einkaufen, ich kann mir die Frische selbst auch nicht kaufen, obwohl draußen soviel davon vorrätig wäre und ich sie so dringend nötig hätte, ja, auch in Form von Bewegung, zwischen mir und der Natur soll nichts


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Trennendes sein, zwischen uns paßt kein Blatt Papier, keine Bewegung!, also dieses Papier jedenfalls ganz sicher nicht, mit dem können Sie sich den Hintern abwischen, und die Natur ist Bewegung, die mich durchaus anregen könnte, aber ich bewege mich trotzdem nicht. Ja, die einen müssen gehen, die andren müssen kommen, falls sie diplomierte Schweißer oder Dreher oder sonstwas sind, ich muß jetzt leider gehen, obwohl ich schon lang nicht mehr gekommen bin, meine Hosen sind schon bis zum halben Unterschenkel gerafft, und dazu hab ich invalidensichere, rutschfeste Socken mit so Noppen an jedem von ihren eigenen Fußböden, dort sind sie nämlich angebracht, die hab ich angezogen und die Reißleine für die farbauffrischende Spülung gezogen, die ich diesmal meinem Haar, und zwar heute, heute ist der Tag!, angedeihen lassen möchte, wer möchte nicht frisch sein?, mein Haar will es ganz sicher. Das ist mein Extra. Ich rutsche also nicht aus, ich kann es gar nicht, denn die Spezialsocken sind wirklich klasse, mit denen komme ich aber auch nicht weiter, sie kommen, glaub ich, auch bei andren nicht so gut an, diese Stoppelsocken, diese Stop-Socken, fürs Alter gestrickt, für die Fußkrankheit gestrickt, also ich komme und komme nicht weiter, weil mich diese Socken mit ihren Saugnäpfen am Boden irgendwie festhalten (ich weiß genau, wie sie das machen, ich habe sie dabei beobachtet!), ja, genau, die Socken müssen es sein, an den Socken liegts, weshalb ich nicht wegkomme und hier nicht weiterkomme, die haben sich festgesaugt, festgenapft wie Schnecken, ach, ich ziehe sie aus, gute Idee, dann bleiben sie sicher von alleine dort stehen, und ich finde sie gleich, wenn ich sie wieder mal brauche. Ich bleibe aber leider auch stecken, dabei muß ich gar keine Beethoven-Sonate vorspielen. Das könnte ich schon längst nicht mehr, nicht einmal eine


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frühe. Nur keine Sorge, ich bleibe auch auf ewig stehen. Die Socken lassen mich eh nicht weg. Ich könnte mir ohne diese Socken schließlich leicht den Hals brechen, aber das, was leicht geht, verschmähe ich grundsätzlich. Ich bleibe also ganzheitlich. Und so bleibe ich hier angesaugt stehen, bis der Abfluß frei wird und ich endlich verschwinden kann. Vorher kommt aber noch so manche Widerwärtigkeit zum Vorschein, ich meine, bevor der Abfluß befreit worden sein wird. Dafür werde ich mich im Alter dann selber auflösen und meinen Besitzstand gleich mit auflösen müssen. Da mag jede einzelne Familie das für freche Ungerechtigkeit halten, daß sie dafür zahlen muß, daß Opa, Oma, Onkel, Tante, Papa, Mama endlich aus der XXX-Lutz-Familie verschwinden, das verstehen Sie doch auch im Ausland, die sind dort auch jetzt tätig, die Oma ist zuerst dran, abgeschafft zu werden, die kann nicht einmal mehr von alleine stehen; sie muß also ihr Erbe hergeben, die Familie, die ganze Familie, und zwar jede, nicht nur die große Werbefamilie, alles, was sie hat, was sie sich erspart hat, leider, es muß sein!, Grau raus, Weiß rein, hat man früher gesagt, Sie erinnern sich gewiß nicht mehr, das Leben ist ungerecht, immer nur ich muß mich an solche Sachen erinnern, das ist quälend; und es ist ihr nicht viel erspart geblieben, dieser Familie und ihrer Waschmaschine, so, also jetzt bleibt ihr das auch noch nicht erspart. Dabei müßten ihre Nachfahren das Auto gar nicht hergeben, das sie zum Nachfahren, aber eher zum Vorfahren und Überholen brauchen, denn ein Auto und ein Fernseher sind Grundnahrungsmittel, und sie müssen, wie gesagt, auch keine Erbschafts- oder Schenkungs- oder Ungerechtigkeitssteuer mehr zahlen, es genügt, daß die paar Arbeiters, die es noch gibt, die ganzen Steuern ganz alleine zahlen, solang sie noch


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leben, womöglich in Schönbrunn, inmitten von Tieren, wo sie als Aussterbende oder als mittellos Sterbende, na ja, so schlimm ists nicht, noch nicht, angestarrt und bestaunt werden wie das herzige neue Pandababy, das es mit dem heutigen Tage immer noch nur als Film gibt, ich meine, es ist schon real, aber man sieht es in der Natur noch nicht, aber zu Weihnachten, wenn das Kind in die Krippe muß, ist es so weit, alle dürfen nun auch das liebe Pandababy bestaunen, aber sie, sie muß dafür, nein, nicht dafür, alles hergeben, was sie je besessen hat, die liebe Familie des senilen, invaliden, konvaleszenten in den Altershain zu Deportierenden, außer es wird ihr schon zu Lebzeiten nichts geschenkt, ich meine alles geschenkt, der lieben Familie, ohne jeden steuerlichen Abzug, dann ist nichts mehr da, wenn man es braucht. Und die Deportation kann vonstatten gehen und wird dem Staat zustatten kommen, nichts an diesem Satz stimmt, aber daran haben Sie sich bei mir hoffentlich längst gewöhnt. Und das Enkerl hat sich auch dran gewöhnt, jeden Ersten das Pflegegeld in bar an einem ungemachten Krankenbett zu kassieren, und daß das Bett nicht gemacht ist, stört das Enkerl gar nicht, das sich dann ins gemachte Bett legen will. Warte nur, balde, so, dafür ziehe auch ich jetzt ab, ich ziehe an diesem Griff, der eine Kette um den Hals geschlungen hat, an Stelle meiner Arme, mal schauen, wie es aussieht, nicht schlecht, recht gut sogar ist es wieder geworden, mein Haar, Haselnußschnitten, Haselnuß-Gold, nicht haselmausgrau, Sie werden sehen, das kommt noch, nachdem die Erbschaftssteuer fiel, das kostet ja keine Häuser, so ein Haus zu erben, und nun: ganz geschenkt! Ganz Österreich: geschenkt! Dieses Haus kostenlos geschenkt, ist das nicht fein?, da steht, ich traue meinen Augen nicht, aber ich traue ja niemandem, eine fesche junge Frau in


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hautengen Jeans, wie komm ich jetzt bloß auf die?, keine Ahnung, sie traut sich jedenfalls, sie traut sich alles, auch einen Köpfler vom 10-m-Brett im Schwimmbad (soeben habe ich bemerkt, daß sie offenbar ihr Badezeug in einer Plastiktasche trägt, was unzweifelhaft auf Sport hindeutet, vielleicht spielt sie auch Basketball?, Beach- Volleyball sicher nicht, wir sind ja nicht in Kärnten, wo das Leben im GTI dahinbraust, bis es einen einmal überfährt, danach kann man leider nicht mehr mitmischen), so, da steht sie, klingelt kurz, die Zuckerpuppe, und dann holt sie unter der Matte einen Schlüssel hervor und geht geradewegs in dieses Haus gegenüber hinein, das ich schon vergessen hatte über all dem Gelabere, und da treffe ich jetzt auf dieses Dirndl, wie man hier sagt, in den hautengen Jeans, ja, in das Haus von der geschiedenen Bankangestellten, die diesen Sohn hat, welcher die letzte Klasse Gymnasium besucht, merken Sie, wie ungeschickt ich gleich werde, wenn ich die einfachsten Dinge beschreiben soll?, ich merke es leider selber, so, dort geht sie jetzt hinein, als wären ihre langen Beine an ihr angewachsen, na selbstverständlich sind sie das, eine süße Maus, wie ein Größerer als ich sagen würde (na, eigentlich ist er recht klein, wenn ich ihn so im Teigmantel seines Sagens betrachte, aber recht hübsch, was sicher irgendwann mal Eingang in seine Dichtkunst finden wird, nur jetzt leider noch nicht, hab aber schon lang nichts mehr von ihm gelesen. Ich könnte es aber jederzeit, aber ich hebe mir diesen Genuß noch etwas auf, die Vorfreude ist bekanntlich die schönste Freude), die da ins Haus geht, ein Hase von einem andren Stern, nicht einmal dieser Ausspruch ist von mir, ich sollte mich schämen, er stammt von einem berühmten Gesellschaftskolumnisten, der so lang in jede Spalte gekrochen


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ist, die er finden konnte, bis er sich endlich selber gefunden hat und das auch schreibt, den würde ich gerne einladen, aber er käme nicht, das Mädel dort drüben aber, ja, das Mädel an der Haustür, die können Sie doch noch nicht vergessen haben!, ist eine, die wir nicht geschenkt kriegen würden, nicht einmal für viel Geld würden wir die geschenkt kriegen, die kostet was, das sieht man ihr an, für die müßten wir was springen lassen, denn die jungen Frauen gehen aus solchen Regionen bekanntlich als erste weg, und wenn sie bleiben sollen, müssen wir ihnen etwas mehr bieten, als wir je haben könnten. Merken Sie, wie ich sinnlose Zartheitsgebärden im Erzählen versuche und wie es mir immer wieder mißrät? Sobald ich erzähle, mißrät es mir, es mißrät mir schon, bevor ich überhaupt beginnen kann. Ich weiß nicht, warum. Vielleicht ist nichts mehr zu erzählen? Nein, leider, nur ich kann es nicht, ich muß dem ins Auge blicken. Früher konnte ich es, jetzt gerinnt es mir unter den Fingern wie Milch, die sauer geworden ist, das kommt wahrscheinlich von meinem permanenten Sauersein, das infiziert meine süße Sprache, die ich doch so gern hab, sogar das Schlagobers kippt mir um, alles kippt, was ich mit schwerer, müder Erzählhand berühre. Es wird kein schwerer Erzählband wie bei den Russen oder Franzosen oder Amerikanern oder Franzosen, die in Wirklichkeit Amerikaner sind bzw. umgekehrt. Aber sie kehren sich nicht um, damit man sie nicht von innen sieht. Es wird nichts. Das wird hier nichts. Und auch die Männer bleiben im Wirtshaus ganz alleine zurück, was sie nicht stört, sie wollen eh unter sich bleiben, sie wollen nicht sprechen, sie wollen trinken, nur wenn sie eine liebende Belegtheit suchen (zur Belegschaft einer Firma gehören sie bereits), stört es sie vielleicht schon, aber nur kurz, sonst würden sie ihre Frauen nicht dermaßen


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verdreschen, wenn sie besoffen nach Hause kommen. Oft erlebt – kein Vergleich mit meinem Leben, das ganz ohne Schmerzen auskommt, nur ich selbst komm da nicht heraus. Die Hosen runterlassen, Autorin!, jetzt ist es an Ihnen. Vergleichen Sie sich mit diesem Mädel, und dann verschwinden Sie freiwillig! Wer braucht Sie? Wir haben jetzt was Besseres. Die junge Frau, die schon seit vierzig Seiten in dieses blöde Haus hätte hineingehen sollen, wir haben sie getrieben, wir haben sie geschubst, wir haben ihr faktisch einen Tritt gegeben, wir haben ihr mit Erzählungsentzug gedroht, aber es ging nicht, sie ging nicht, so, nun geht sie doch, und jetzt ist sie endlich drin, wollen wir das nicht feiern? Vergleichen wir die Uhrzeit? Es geht nicht. Die Uhrzeit ist unvergleichlich, man kann sie nur mit der Uhrzeit in England oder andren Inkontinenten, aus denen jetzt viel durchsickert, weil die Leute soviel herumfliegen, vergleichen. Diese Novelle hat jetzt einen Riesenschritt nach vorn gemacht, obwohl sie gar keine ist, na, so groß war er auch wieder nicht, weder für die Menschheit, noch für diese Dichtung hier. Das hätten Sie früher und billiger haben können! Aber Sie mußten ja über sich herumsülzen, herumlamentieren, ekelhaft, Autorin, überflüssig wie die Windel leider bald nicht mehr!, die werden Sie dann nämlich brauchen!, zuerst behaupten Sie Blödigkeiten von Ihrer Zurückgezogenheit, und dann reden Sie nur über sich und machen keine Anstalten, sich zurückzuziehen, wenn eine Jüngere, Schönere, Frischere in ein Haus gehen will, worauf sie lange gewartet hat, dabei hätten wir hübsche Anstalten für Sie, Autorin, dort gehören Sie hinein, eine davon wird Ihnen schon passen! Wir raten Ihnen dringend dazu! Wir haben dort Zwei- und Vierbettzimmer, Zweibett ist teurer. Mal wieder typisch. Wie haben Sie gelebt, Verfasserin? Was?


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Überhaupt nicht? Nicht ein bißchen? Also Ihre Verfassung kennen wir jetzt zur Genüge, aber was Sie über die Handlung hier sagen, das genügt uns nicht. Sie haben uns gar nichts zu sagen, und Sie sind zudem sehr unbeliebt, diese Umfrage beweist es, aber diesen Beweis haben Sie gar nicht gebraucht, wir hätten Ihnen das auch so sagen können, ohne daß wir es erst hätten untersuchen müssen! Die anderen, besseren (sie sind immer besser, und sie werden immer besser!) LiteratInnen spüren das doch, die spüren alles immer zuerst, dazu sind sie da, dazu sind sie schließlich andere, die schließen ihre Handlung nicht vor Ende der Erzählung ab, aber dann spüren alle andren das auch, was Sie alleine zu spüren glauben, wie?,was? Na, dann seien Sie doch endlich eine andere, wenn Sie sich das so lang schon wünschen! Es sei Ihnen gegönnt! Wir können auf Sie verzichten, auf eine andere aber vielleicht nicht, die Sie nicht sind und nie werden! Sie spüren es, was auch immer, leider stets zu spät, Sie sind immer zu spät dran, das ist notorisch bei Ihnen, vielleicht weil Sie sich nichts notieren. Sie wissen ja selber nicht, wie es weitergehen soll. Also diese junge Frau ist in dieses Einfamilienhaus hineingegangen, na, klingelt es jetzt endlich bei Ihnen, wieso? Sie hat ja in einem ganz andren Haus geklingelt! Wieso soll es denn da bei mir klingeln? Fällt der Groschen? Der Cent fällt nicht. Ich, ja, mein Ich, diese gottgeschaffene Erscheinung, nein, Erscheinung ist falsch, die bin ich nicht, denn ich erscheine hier ja ganz real: immer zu früh, schon eine halbe Stunde vor der Abfahrt jeden Zuges (Papi hätte mich jetzt gefragt: Wie heißt es? Des Bauern oder des Bauers, nein, ich erinnere mich auch hier vollkommen falsch, ich erinnere mich gar nicht) bin ich schon da, damit er nicht ohne mich fährt. Wo ich doch gar nicht fahren will. Schauen Sie: Auch wenn


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Sie hundertmal angesagt würden, angesagt wären, was Sie nicht sind, Autorin, Sie kämen ja doch nicht! Oder Sie kämen so früh, sodaß Sie gar nicht mehr da wären, falls jemand nach Ihnen fragte. Sie sind fortlaufend numeriert, was aber nicht nötig wäre, denn sie laufen ja immer nur weg. Wer wegläuft, das sind immer Sie, da brauchen Sie keine Nummer, es sind ja immer Sie, nur die Autos, die immer andre sind, brauchen die Nummerntafeln. Äh, jetzt weiß ich auch nicht weiter, schon lang nicht mehr, und weiter schon überhaupt nicht, lassen wir das also einstweilen so stehen, wie es hier steht, wir wissen eh, besser können Sies nicht. Auch die Mächtigen sind ja machtlos, nur wissen sie es noch nicht, das ist der Unterschied. Ich weiß es nämlich. Das kommt hier sehr unmotiviert, das gebe ich zu. Keine Erzählung – keine Motivation, kein Fortlaufen, kein Wesen, das man beschreiben könnte. Keine Gerechtigkeit, nur Verachtung. Nur Verachtung der Kostverächter, die gar keine sind. Sie genügen noch lange nicht, meinem Stolz und meiner Hoffart eine neue Art von Nahrung zu verleihen. Das Mädchen, das diese Lehrerin im Fach Geige, wo sie keiner herausholt, schon verachtete, als es ihrer zum ersten Mal gewahr wurde, und nun beachtet es sie gar nicht mehr, das Mädchen die Frau Lehrerin, was hat die hier überhaupt noch verloren? Wer würde freiwillig schon Geige spielen? Weiß die überhaupt, ob sie hier was verloren hat? Warum sucht sie hier, hier ist sie doch nicht, es ist uns egal, wo sie ist. So, jetzt weiß ich nicht mehr, wer wer ist. Die junge Frau jedoch, die interessiert uns in jeder Form, da merken wir auf, da werden wir aufmerksam, bis sie in der Kabine aus ihrem Bikini hinaussteigt, und wenn sie wieder draußen ist, wird sie eine Laufbahn einschlagen, das sieht man ihr an, sie wird laufen gehen und eine Laufbahn dafür


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bekommen, sie wird ihre Gedanken vermessen, und keiner wird zu groß für sie sein. Jede andre Frau dauert mich, deren Leben einfach schon zu lang dauert, doch nur keine Sorge, nichts dauert ewig, wenn man den Stempel einstiger Schönheit nicht trägt und nicht den Stempel vom Eintritt in die Disco, da sind wir schon zwei, die nichts tragen müssen. So. Alles wesentliche erfahren Sie bei mir in Kürze oder in Klammern, es ist alles in Schwebe, weil ich eben nichts begreife, und begreife ich es, erwische ich es nicht. Und weiter gehts! Es geht weiter, aber ich weiß nicht wohin. Nein. Es geht überhaupt nicht. Friedliche und normale Leute interessieren mich nicht, aber sagen muß ich Ihnen schon, was die so treiben, nicht wahr? Nein, das ist nicht wahr. Ich muß nicht. Ich kann jederzeit aufhören und mich von Musik umtönen lassen anstatt welche hervorzubringen, was übrigens auch für die Geigenlehrerin gilt. Nichts ist wahr, aber das macht nichts, erzählen könnte man es doch trotzdem, was? Wieso kann ich das nicht so erzählen, wieso kann ich nicht einfach sagen, was Sache ist, ein Besuch beim Freund, den werde ich doch noch beschreiben können, und wenn es das letzte wäre, was ich tue, das hab ich doch schon in der fünften Schulstufe gekonnt, da meine Aufsätze öffentlich vorgelesen und ich beim Wettbewerb Wien im Blumenschmuck (wenn ichs recht bedenke: auch ein ziemlich statisches Thema, oder? Ein zeitloses Thema. Kein Wunder, daß ich nie erzählen gelernt habe, die Pflanzen können ja nicht wegrennen) einen riesigen Farn gewonnen habe, den meine Mama dann entschlossen ertränkt hat, denn ich sollte niemandem als ihr etwas verdanken, ihr und meiner eigenen Leistung, welche auch die ihre war, na, was solls, jetzt kann ich es halt nicht mehr, das Alter ist schuld, ich kann mich in junge Menschen nicht mehr hineinversetzen, und sie versetzen mich


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auch ständig, denn ich bin bei ihnen nicht beliebt, diese Umfrage beweist es, an der aber auch Ältere teilnehmen durften, glaub ich zumindest. Die Jungen erleben heute schon mit sechs Jahren mehr als ich im ganzen Leben, die können schwimmen, schifahren, radeln und noch tausend andre Sachen, skaten, boarden, außenboarden, innen überborden, was weiß ich. Ich bin doch keine Konkurrenz mehr, wieso bin ich dann so unbeliebt?, aber ich werde doch wenigstens noch so vorsichtig und behutsam schreiben können, daß ich dabei am Leben bleiben kann? Dürfte ich das bitte, wenn ich Sie nicht störe? Warum wollen Sie mir nicht einmal das gönnen? Warum soll ich denn verschwinden, weshalb sagen Sie sowas? Und wieso kann ich nicht sagen, was ich sagen will, wo Sie es mir doch eh schon vorsagen? Es hindert mich ja niemand, Sie am allerwenigsten. Also muß es die reine Unfähigkeit sein. Keine Ausrede möglich. Kommt her, Leute, die Popliteraten zuerst, die mag ich am liebsten, was, die gibt es jetzt nicht mehr? Ooooch, grade die hab ich doch so gerngehabt! Und die soll es nicht mehr geben, die waren doch so nett und geschmackvoll angezogen, das weiße Hemd ein Stück über die Jeans herausragend wie ein Blatt Papier, bei dem man eine Ecke einkneift, damit man etwas nicht vergißt, aber man weiß nicht mehr was, die waren überhaupt überragend und überhaupt? Scheiße! Die waren einfach gut, sogar Aristos dabei, die haben grundsätzlich schon so einen guten Stil, sowas kommt nicht wieder! Ich habe so fest mit ihnen gerechnet, na, dann ihr andren, ihr Menschenbrüter, tut was, erzählt ihr endlich was! Erzählt wenigstens ihr! Und jetzt alle zusammen! Sogar der Herr Präsident der Wirtschaftskammer, nein, der von der Industriellenvereinigung war es, befiehlt uns, kommt Leute, tut was und verlangt weniger Prozente, die man auf euch draufschlagen kann, auf euren Gehalt! Erzählen


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heute, erzählen gestern, erzählen morgen, wieso kann ich das nicht? Es wäre schließlich mein Beruf, wieso kann ich es also nicht? Ich habe mir diesen Beruf schließlich total freiwillig ausgewählt und zahle gründlich Versicherungen, damit mir nichts passiert, naja, freiwillig ist gut, ich kann ja nichts anderes, außer Orgelspielen und ein paar andre Instrumente behämmern, bestreichen, beblasen, und auch dies kann ich nicht mehr, was hatte ich für eine Wahl, da ich kein Hirn fürs Studieren habe, als eine der ganz wenigen in der Familie, jawohl, auch ich gehöre einer Minderheit an, der Minderheit der Nicht-Akademiker, genau zwei Stück Idioten ihrer Familie, das sind wir, ich und noch eine. Können Sie mir sagen, warum ich nicht wenigstens erzählen kann, wenn ich schon sonst nichts kann? Es macht mich nämlich echt fertig. Wenigstens begreifen würde ich es gerne, aber da könnte man in etwas Ekliges greifen, in Scheiße womöglich, in Tierkadaver, in Chemieabfälle. Mein Dank an diesen obersten Chef der Popliteraten, den es ganz sicher noch gibt, ich habe zumindest nichts Gegenteiliges gehört, der hat es mir als erster gesagt. Andre folgten seinem Beispiel und sagten ebenfalls, daß ich ihnen total unsympathisch sei. Gestern sagten es diese Vorreiter und heute sagt es die ganze Welt, die auch auf ihrem hohen Roß sitzt, sie alle sagen es mir: Es ist so und so, kurz gesagt. Eine Umfrage bestätigt es ja, es ist die neueste Umfrage, wir haben ja immer das Neueste im Angebot. Ich bin dieser Umfrage sehr dankbar, weil sie mir nur bestätigt, was ich schon weiß. Das ist absolut wahr. Jetzt weiß ich es zum zweiten Mal, ein drittes Mal muß es mir nun wirklich niemand mehr sagen. Eine Zeitung lügt nicht und diese schon gar nicht. Ich kann mich selbst ja so lang schon nicht leiden und fühle mich durch diese Umfrage


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endlich darin bestätigt. Gestern konnte ich es nicht, das Erzählen, heute kann ich es ebenfalls nicht, und was morgen sein wird, kann ich ja nicht einmal sagen, geschweige denn erzählen, denn erzählen kann ich eben grundsätzlich nicht, und wenn ich es könnte, hätten Sie mich trotzdem nicht lieb, was ich auch mache, Sie würden mich nicht mögen. Ich habe keine Erzählhaltung, und wenn, dann nicht die richtige, aufrechte, doch aufgerichtet und aufgebracht über meinen Gegenstand taumle ich über meiner kleinen Beute herum wie ein Habicht im Jagdflug, flatter, flatter im Wald, den ich vor lauter Bäumen nicht sehe, doch den Gegenstand, den hab ich nicht, den hab ich völlig aus den Augen verloren. Ich habe nichts. Muß jetzt die Flatter machen. Diese Handlung und die dort drüben auch, die könnte man doch sofort erzählen, die sind faktisch bratfertig, müssen nur noch in meine Kernspinn-Röhre, ja, von mir aus auch in den Positronen-Emissionsbeschleuniger, der schneller in Sie hineinschauen kann als Sie in die Meinl-European-Land-Aktie, davon werden sie aber auch nicht schneller, die heiligen Handlungen zum Zwecke des Erwerbs von Reichtümern, man sieht sie nur heiß werden, die Handlungen, welche auch immer, man sieht sie ja nicht, weil sie so schnell geworden sind, daß man gar nicht mehr erzählen könnte, es geht ja alles so schnell, sie müßten in diese Röhre, damit sie geschwindigkeitsmäßig erhöht werden, was aber auch nichts nützt, diese Handlungsstränge sind mir doch die ganze Zeit völlig klar!, im Querschnitt, im Längsschnitt, eingefärbt oder in natura, nur nicht im ganzen, das leider nicht, da seh ich sie noch nicht recht, warum bekämpfe ich sie dann, die Handlung und ihre Teilchenbereiche, als wäre sie ein wildes Tier? Sie ist doch keine Tierhandlung, diese Handlung! Warum kann ich mich ihr nicht nähern, hochmütig wie die


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Popperliteraten, die in ihren zu großen Spuren, die sie selber gelebt haben, aber jetzt nicht ausfüllen können, schwanken wie Eisenbahnzüge, die auch unten, ich meine mit den Füßen, die eigenen Gleise nicht erreichen, und nicht, wie es sich gehören würde, demütig, servil wie z. B. ich vor jedem Wasserstandsableser, der zu mir ins Haus kommt, ohnmächtig aufgibt, ich z. B. fange schon zu zittern an, wenn jemand ins Haus kommt, bevor ich noch weiß, wer da überhaupt kommt, diese Erfahrung könnte ich vielleicht für die junge Frau, die ins Haus gegenüber geht, verwenden, das wäre mal ein Gefühl, das ich kenne, aber diese junge Frau hat, im Gegensatz zu mir, vor überhaupt nichts Angst, die ich mich vor jedem Kellner, vor jeder Verkäuferin doch so fürchte, und ich geniere mich, weil der Wasserstand einfach nicht abzulesen ist, denn der Ableseautomat, der Ablesemesser ist unter Tonnen von Bauschutt und Farbtiegeln und Mauerfarbkübeln begraben, so wie ich selber hier begraben bin, aus Gesundheitsrücksicht auf mich selbst, sonst ist ja keiner da, warum komm ich nicht an sie heran, an eine, diese Handlung, wie von so vielen erwartet und erwünscht, erwartet von vielen, erwünscht nur von wenigen? Na, wirds bald? Wieder nichts? Das haben wir uns schon gedacht. Ja, sehen Sie mich denn immer noch nicht? Ich rede und rede, aber ich kann nicht sagen, was ich sagen will! Es geht nicht vorwärts, es geht nicht einmal rückwärts, es geht überhaupt nicht. Nach all den Jahren kann ich immer noch nicht sagen, was ich sagen will, und ich kann nicht sagen, was ich will, und ich habe keine Ahnung, wie ich es dann sagen sollte, wüßte ich es. Ich würde zu Tode erschrecken. Ist das nicht furchtbar für mich? Für Sie nicht, Ihnen kann das wurst sein, Sie zahlen ja nichts, aber ich zahle mit meinem Leben, sehen Sie das denn nicht? Mein Leben vergeht


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die ganze Zeit über, während ich unauffällig für mich sorge, aber für mein Schreiben langt es nicht mehr. Das Medikament, das ich nehme, reicht grade nur für mein Überleben und manchmal auch noch fürs Überschreiben, welches ich dreißigmal und mehr tätige. Nein. Sie sagen nichts, und wenn, dann das Falsche, das mir leider nicht gefällt. Nicht einmal Bedauern ernte ich von Ihrem stoppeligen Feld, Frau S.! Sie schimpfen mich andauernd aus, ohne mich zu bedauern. Sie sind hartherzig. Ich bin neidisch, weil Sie Anerkennung finden vor der devoten Öffentlichkeit, die wissen will, welche Bücher sie lesen soll. Betrachten Sie es einmal von meiner Warte her, die nicht hoch ist, längst nicht so hoch wie Ihre jedenfalls, eine Warte, die einen nicht einmal zu einer Persönlichkeit macht, wie Sie eine sind, und schon Sie sind nicht sehr groß. O je, Aussicht hat man auch keine. Das ist nicht christlich gedacht und nicht christlich gemacht, aber sicher sind Sie auch keine Christin, gewiß sind Sie evangelisch, wo Sie doch aus Norddeutschland stammen, das ist keine kleine Provinz, das ist alles Großstadt, so weit das Auge reicht, Sie Glückliche. Sie können mir doch nicht etwas vorwerfen, das ich nicht kann! Sie können doch einem Gelähmten im Rollstuhl nicht vorwerfen, daß er nicht gehen kann! Sie können mir doch mein Fressen nicht einfach auf den Boden werfen, wie soll ich das denn runterschlucken, wenn mir das Kreuz eh schon vom dauernden Bücken wehtut? Liegt es daran, daß ich nichts erlebe und total sprachlos bin, außer ich schreibe es auf, damit ich es mir merke? Sie sagen mit Recht, daß sich im Geschriebenen von jemand, der gar nicht schreiben kann, kein Schwein auskennen wird, er soll diesen Beruf also sofort aufgeben, bevor es zu spät ist, und seine Zeit mit Handarbeiten verbringen. Sie wollen nicht, daß ich irgendwas


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aufschreibe? Da haben Sie recht, nichts, was ich erlebe, ist es wert, aufgeschrieben zu werden, ob ich nun nachdenklich oder unterhaltend sein möchte – ich bin es nicht. Ich bin es schon, aber unterhaltsam bin ich nicht. Ich soll mich schleichen, ich soll mich verputzen, mich und mein Haus auch neu verputzen, die Farbe hab ich ja schon gekauft, dabei kennen Sie nicht einmal das Wort verputzen für sich schleichen, Sie frisch getünchte norddeutsche Frau im milden Mondlicht, das Sie über Ihre Kleinstadt decken, damit Ihr edelgeformter Kopf mich nicht zu kosen braucht, Sie Frau Sie, die Sie über Ihre Kleinstadt nachdenken, in die nie einer kommt, doch sie hat Kindergärten und Schulen, was praktisch für Sie ist. Ich glaube, Sie sind überhaupt mehr fürs Praktische, oder? Es ist ganz richtig, daß es praktisch wäre, hörte ich endlich auf, mit allem. Ihretwegen mach ich das aber noch lange nicht, da können Sie in Ihren Gummistiefeln ins Wasser patschen, soviel Sie wollen, aber später vielleicht, wenn ich es will, dann werde ich mir nichts mehr ausmalen, was wieder nicht stimmig sein wird, denn es wird auf einen Ton eingestimmt sein, den niemand mehr hören wird. Nein, ein Farbton wird es nicht sein, das hat mein Haus nicht nötig, das ist außerdem bereits bis auf die letzte Ritze verschmiert von meinen idiotischen Schmiererereien, man sieht die Tür gar nicht mehr. Aber mein Haus braucht eh nichts mehr. Und überhaupt: Meine ganze, sehr kleine Vergangenheit, die buchstäblich aus und auf Nichts gebaut ist, denn ich habe ja nichts erlebt, besteht aus abwaschbarer Wasserfarbe, sie zerrinnt, bevor ich sie noch in eine gültige Form, geschweige denn eine endgültige, die wäre dann Schweigen, bringen kann. Bitte um Entschuldigung, wenn Sie widersprechen, aber Sie können reisen, zu den Kanaris, auf die Maulschelleninseln, über das Sepsismeer mit den


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schnappenden Staphylokokken oder wie die heißen, oder die lieben Colies, nein, nicht Collies, egal, mein Bearded Collie ist jetzt tot, und was Sie sind, interessiert mich nicht, denn den Hund, den habe ich liebgehabt, Sie aber nicht. Sie mag ich nicht, im Gegensatz zu meinem toten Hund, den ich sogar tot noch viel lieber habe als Sie. Sie stellen sich in Ihrer Freizeitkleidung, die Sie vorsorglich angelegt haben, da in der Freizeit ein anderes Maß an Sie angelegt werden wird, doch dem allgemeinen figürlichen Maß würde Sie auch spielend gerecht werden, ich weiß, ich weiß, nur zu mir sind Sie nicht gerecht, Sie legen also dieses große Maß an Ihren Körper, der, wahrscheinlich um zu üben, in Freizeitkleidung bereits die Städte, zumindest die kleinen, wo Sie Ihre ebenso wie Sie selbstgewiß-brutale Brut (Sie haben doch eine, oder? Also gebrütet werden Sie doch zumindest einmal haben, vielleicht sogar öfter, obwohl man dem, was Sie sagen, kein besonders langes Brüten anmerkt, denn es kommt gleich so heraus, roh gewissermaßen. Es wird doch keine simple Erkältung sein, die Sie da ausbrüten? Und Sie verwechseln sie mit Ihren Gedanken? Das wäre aber wirklich fatal!) jeden Tag auf den Abenteuerspielplatz führen, damit auch sie, Ihre Brut, sich an außergewöhnliche Erlebnisse gewöhnen kann, und ihren Geist, der erst noch geformt werden muß, bevor er ein seliger Geist über den Wassern sein wird, in den höchsten Regionen des Regals einlagern kann, während Sie Ihre Füße in B., wo grad wieder mal Hochwasser geherrscht hat, natürlich in diesen uneleganten, aber schützerischen Allewetterstiefeln spazierenführen, damit wenigstens die Füße Ruhe geben und Sie sich nicht naß machen und auch sonst niemanden. Die Kleinstädte, aus denen gewaschene und ausgeschlafene Leute wie Sie kommen, ja immer kommen, deswegen plustern Sie sich ja so auf, damit


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nicht nur sie, sondern auch ihre Umgebung größer aussieht, diese Kleinstädte Deutschlands sind von solchen wie Ihnen bevölkert, als wären sie Strände, und obwohl das noch gar nicht Ihre Freizeit ist, tragen Sie sie, Sie tragen also Gummistiefel und Öljacken, so eine, wie sogar die Queen sie trägt, man sieht ja keine andre als diese königliche Freizeitbekleidung mehr, Entschuldigung, grade was Kleidung betrifft, bin ich sehr präzise, und da sehe ich doch jede Menge Imitationen in ordinärem Kunststoff (nein, an Ihnen natürlich nicht, Sie sehe ich gar nicht und auch nicht Ihr stützendes Darunter), und daran bin ich nicht schuld, daß Sie dort sind und ich hier bin, ich kann nur nicht reisen, ich kann es nicht, und zu Ihnen käme ich freiwillig sowieso nicht, Sie können es, reisen, ich kann es nicht, schon das müßte genügend Triumph für Sie und noch mindestens vier andre Ihresgleichen sein, die glauben, sie  wären auf Sylt, wenn sie nur über einen Acker stapfen, aber Freizeitkleidung, die kann auch ich tragen, die hat kein Gewicht im Vergleich zu meinem Schicksal, das noch schwereloser ist, weil es eben nicht existiert, ich habe keins, mein Schicksal gibt es nicht, jeder andre hat eins, sogar Sie, die nordische Elbchausseekönigin (äh, nein, das wären Sie gern, sind Sie aber nicht, das wären auch andre gern, sind sie aber nicht), nur ich hab keins, ich kann nicht leben, ich kanns nicht, vorhin hab ichs probiert, ich kanns nicht, wie gemein und hinterhältig, daß man in einen solchen Hinterhalt gerät, aus dem man nie mehr herauskommt, bevor man noch richtig reingekommen ist und zu leben begonnen hat, und wenn doch ein Schicksal (woher nehmen und nicht stehlen?), dann würde ich es gar nicht spüren, das, was mir leicht wäre, würde nicht mein Schicksal sein, das wird schon die Erde sein!, und ich will nicht, ich muß aber, das hat Mama


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immer gesagt: Ich will nicht sterben, muß aber. Und dann hat sie wie ein Tornado in Texas gewütet, damit sie vor ihrem Tod noch was von ihrem Leben hat, immer auf meine Kosten, bitte, aber ich, ich will es nicht mehr, ich meine: Sterben will ich schon, aber ich will vorher kein Schicksal gehabt haben, und teilen will ich es auch nicht, hätte ich eins, und hätte ich eins, dann jedenfalls nicht dieses, ich will schon, aber ein andres, und nichts dafür tun müssen, ähnlich Kleists Tante, die jeden Wechsel scheute, aber über den Wechsel bin ich schon drüber, Kleists Tante scheute ihn noch, und wäre es der von einem Zimmer ins andre, wie der Dichter abfällig über sie äußerte. Denn über alte Frauen darf sich jeder, sogar Kleist, abfällig äußern, das gehört dazu, dieser Meinung wird man vielleicht noch sein dürfen, die ist das Mindeste!, aber wir haben auch noch andre Meinungen, denen wir Ausdruck verleihen können, falls wir es können. Wir blicken dabei sauer in die Welt, in die wir nicht hineinkommen. Aber sehen Sie, ich verstehe diese Frau, diese Tante – denn alle alten Frauen sind irgendjemands Tante in ihrem Niemandsland – ich versteh sie so gut! Noch heute verstehe ich sie gut, da sie längst tot ist. Sie zauderte sich selbst gegenüber, und ich zaudere auch, tue es nicht, was auch immer, und lasse den Neid über meine besseren Gefühle siegen. Mein Neid ist die Folge der zahllosen Gemeinheiten gegen mich, die ich mir aber nur einbilde, deshalb ist mein Schicksal ja so kläglich, weil es aus Eingebildetem, Eingewecktem (Aufgewecktes wäre besser, vielleicht sogar Ausgeschlafenes?) und die zum Teil im Unsichtbaren bestehen, ich stelle das mal so in den Raum, Sie können es eh nicht sehen, und es kann auch niemand kontrollieren. Denn man sieht sie nicht, die in ihren Zimmern bleiben, nur ich muß die beneidenswerten Reisenden, die jetzt ihre


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Häuser verlassen wie Schatten ohne Besitzer, umgekehrte Schlemihle, jeden Tag aufs neue sehen, während sie aufs Taxi zum Flughaften warten, blank poliert von meinem Haß und meinem Neid auf die Lebenden und sogar auf die Toten, die sind so blank, daß sie nicht einmal auf metallische Gegenstände und gefährliche Flüssigkeiten untersucht werden. Sie können es nicht glauben, Frau X., jetzt weiß ich nicht mehr, welchen Anfangsbuchstaben ich für Sie erfunden habe, damit niemand weiß, daß Sie rumpolterndes, zerreißerisches Rumpelstilzchen heißen (W. wie Waffelstilzchen). Ich habe die geringste Lust, ihn als meinen Herrn anzuerkennen, diesen Neid. Aber er ist nun mal das vorherrschende Gefühl in mir gegenüber andren Menschen. Der Neid gehört zum Häufigsten, was es gibt. Keiner kontolliert, wieviel ich mir von ihm nehme, und noch einen Schlag dazu, damit er besser runtergeht, eine Portion Schlag, nein, über Schläge sage ich jetzt nichts, das habe ich zu oft getan. Weshalb schreibe ich dann über ihn, diesen Neid? Ich sollte über etwas Seltenes schreiben, was niemand kennt. Niemand könnte es überprüfen. Niemand könnte es nachkontrollieren. Auch die Liebe könnte man nicht nachprüfen, es bliebe bei der bloßen Behauptung. Sehen Sie. Ich bleibe hier. Warum soll ich weitergehen? Wieso soll ich fortfahren? Ich kann es nicht. Es ist doch niemand mehr da. Also, erzählen! Na schön, ich werde es auch diesmal nicht zusammenbringen. Ich erzähle Ihnen hier, daß ich weder Reise- noch Lebensplan habe, aber Kleidung für beide, vorsorglich eingepackt für nirgends, fürs Nirgendwo, fürs Nichts. Kein Wunder, daß meine Leser sich mir zuwenden und nun mich bekämpfen, wie ich die Handlung, statt daß sie sich von mir abwenden, die Leser, und mich nicht mehr bekämpfen, na, das tut die andre Hälfte von ihnen, die ich nicht in mein Werk und


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seine nicht stattfindenden Begebenheiten hineinzwängen kann, wir sind nämlich komplett, nehmen Sie den Nächsten bitte, nicht hier einsteigen! Ich verstehe ja, daß Sie ausgerechnet hier einsteigen wollen, das wäre die einzige Möglichkeit, eine Handlung zu eröffnen, aber wenn Sie eingestiegen sind, lasse ich Sie nicht mehr raus, was nicht absichtlich geschieht, ich kann es nämlich gar nicht herauslassen, und so kann ich auch Sie aus dieser Geschichte, die keine ist, nicht rauslassen. Ich kann Sie nicht auslassen. Wo hat man Sie denn ausgelassen, da Sie nun einmal da sind? Na schön, hier auf den Bildschirm kriege ich sie immerhin, ich könnte nacherzählen, was ich jeden Tag dort sehe, und es als meine Geschichte ausgeben, sie will jedoch nicht beschirmt sein, diese Geschichte (wäre es meine, sie würde es wollen, daß sich jemand liebevoll um sie kümmert, damit sie nicht allzu naß wird von meinem Geifer), sie will alleine gehen und ihr Herz schlagen lassen, zum Zeichen, daß sie echt und lebendig ist, sie geht also wie eine Uhr, und das heißt leider stets: weg von mir! Ich kann sie nicht fassen, die Handlung, und ich sehe nicht, was von ihr zu erwarten, in ihr zu haben wäre. Ich kann zwar sagen: Hier geht eine junge Frau in ein Haus hinein, ich sehe es nun ganz deutlich, bin von so vielen Händen vorwärts gestoßen worden, damit ich es endlich sehe und das auch ordnungsgemäß weitergebe, Brigitte K. muß es auch gesehen haben, sie hat nämlich ein anständiges, leistungsstarkes Opernglas am Fensterbrett liegen, wenn auch nicht für die Oper, nur selten für die Oper, und diese junge Frau dort drüben kommt nicht mehr heraus, wo sie doch grade erst rein ist, wohl zu ihrem Freund, wohl zu ihrem Wohl (das muß er sein, wieso ginge sie sonst dort hinein, dort geht, außer der Bankangestellten, niemand hinein, nur der Sohn noch, aber


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der ist ja schon drinnen, oder?), der dort wohnt und die Sonnenstrahlen auf den verschmierten Scheiben abrutschen läßt, woher sonst kommt diese Bewegung im spiegelnden Fenster?, eine Bewegung, tief, wahr, endgültig und einschneidend, aber Glas kann sie nicht schneiden. Doch da greife ich mir selber schon vor, und im Vorgreifen habe ich jetzt drei Gläser und einen Teller vom Tisch gefegt, weil meine Bewegung zu hastig und zu tief war. Ich werde jetzt eine seichtere Bewegung versuchen, da ist sie schon, sehen Sie, das geht jetzt besser. Warum komme ich über den Handlungssatz, den Ansatz einer Handlung, daß eine junge Frau ihren gleichaltrigen Schulfreund außerhalb der Schulzeit, am Nachmittag, in einem Einfamilienhaus besucht, warum komme ich darüber nicht hinaus? Wieso kann ich schon das nicht fassen, das doch so wenig ist, weniger als ein Pochen, kürzer als ein Klingelton? Weil mich das Einfamilienhaus so sehr blockiert, in dem ich selber, rasend vor Zorn (über den Zorn könnte ich auch schreiben, aber bitte, nicht schon jetzt, wo ich mit dem Neid noch nicht einmal richtig angefangen habe!), wohne? Vor dem immer dieselben Leute vorbeigehen oder vorbeifahren? Vor allem diese irre Alkoholikerin, einst Verkäuferin, aber ich kann mir nicht vorstellen, was die verkaufen konnte, die Frau ist so bewußtlos, daß sie Achtung Abfahrt ruft, wenn jemand zehn Deka Schinken kaufen möchte, ja, die nehm ich zuerst dran, vielleicht ist sie schon tot, liegt herum und ihr Sohn kassiert ihre Pension, aber sogar die hat, als dieser noch schwächer war als sie, diesen Sohn halb deppert geprügelt, und jetzt, selber hilflos, wird sie von ihm geprügelt, das ist normal, äh, was wollte ich gleich sagen? Na, gleich nicht, das kennen Sie schon, Sie werden warten müssen, bis ich es sagen kann. Diese Frau ist


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jetzt die Hilflose, damit wir uns recht verstehen, nicht einmal das kann ich richtig erklären, sie ist die Hilflose, sie ist nicht, ich wiederhole: nicht! identisch mit mir, obwohl ich fast genauso hilflos bin, allerdings keinen Sohn habe. Dafür nehme ich mir als Ersatz jetzt diese zweite Person, einen Alzheimerkranken (ein Sohn, der lang vor mir geboren wurde? Kind Gottes!), einen Dementen, der das nicht mehr dementieren kann, und in dessen Zimmer ich jetzt schlafe, in dessen Schuhe ich aber nicht steigen würde, sie wären mir ein paar Nummern zu groß, gelt, Papi, ich erkenne die Symptome des Schwindens und Verschwindens immer, an jedem Menschen, schon ganz zu Beginn erkenne ich Demenz und Senilität, ich rieche sie, ich schmecke sie, ich fühle sie, als hätte ich dafür einen Sensor eingebaut, da haben wir meinen liebsten Alzheimer ja schon wieder, meinen Papi, der kommt immer wieder zu mir zurück, ich nenne ihn jetzt so, aber er war es auch, nein, der mußte von niemandem spazierengeführt werden, der konnte ganz alleine gehen, bis er fortgebracht wurde, und dorthin, wohin er gebracht wurde, hätte er zu Fuß nicht gehen können, vielleicht mit dem Viehwaggon fahren, wie viele seiner Gefährten früher, vielleicht mit dem Rad fahren, wie früher und später auch noch, übern Semmering, aber nicht gehen, der immer noch recht fesche Mann, Papi, mein leiser Unmut, mein lautes Mißfallen, mein lauterer Haß begleiten dich auf all deinen Wegen,  auf denen ich dich Gassi geführt habe, obwohl das nicht nötig gewesen wäre, denn fortgekommen bist du immer, fortgekommen wärst du sowieso, aber nicht zurück, nicht mehr zurück, zurück mußtest du mehr als einmal gebracht werden, nicht von der Polizei, ich verstehe es nicht, denn deine Adresse konntest du doch nicht sagen, niemandem, es war für dich wahrscheinlich besser, daß du deine Adresse nicht


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mehr gewußt hast, doch auch ohne diese bist du immer wieder zu uns, Mama und mir, zurückgekommen, einmal, ein letztes Mal, hättest du nicht zu kommen brauchen, ich meine, gebraucht hättest du nicht gekommen zu sein brauchen, gebraucht gekommen zu sein, das ist bei uns nicht Brauch, als ein zu oft Gebrauchter hättest du nicht in unser noch relativ wenig gebrauchtes Haus zurückzukommen brauchen, denn wir waren längst bereit, da wir dich ja nicht mehr brauchten, dich wieder fortzuschaffen, damit wir dir untreu wären und mit dir nichts mehr zu schaffen hätten, denn wenn du deine Adresse bei uns Lieben nicht mehr weißt, wissen wir auch nicht mehr, wer du bist, endlich! Wir führen dich an einer langen Leine, Papi, und, da diese unzerreißbar ist, zerschneiden wir sie eben, wenn das Ende der Leine, mit dir um den Hals, äh, umgekehrt, mit deinem Hals in ihrer Schlinge, in Purkersdorf angekommen sein wird, oder nein, in Neulengbach, egal, irgendwas in dieser Richtung, und die Leine ist so straff gespannt, wer hätte gedacht, daß sie so weit reichen würde, aber jetzt zerbeißen wir sie wie unerbittliches Blockmalz, Mama und ich, das schmeckt süß, süßer als jede Rache, nein, wir zerschneiden sie lieber, die Leine, die du und ich überhaupt nicht mehr sehen können, so gespannt ist sie, ein fast durchsichtiger Strich in der Landschaft, wie und ob es überhaupt weitergeht, nein, weiter als bis Neulengbach wird sie nicht gehen, die Leine, wird sie nicht reichen, wird sie uns nicht reichen, und sie ist, wie gesagt, unsichtbar geworden, weil sie so straff gespannt wurde, die Leine um deinen Hals, Papi, an deren andren Ende wir beide hängen, deine hochverehrte Familie, die du lange emporgehoben und hochgehalten hast, mit vor Anstrengung zitternden Armen, aber jetzt müssen wir zur Abwechslung dich in die Höhe stemmen, mit


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ebenso zitternden Armen, weil du doch ziemlich schwer bist, sogar für zwei Stück Frauen, eine allein könnte dich nicht halten, ich hätte dich nicht alleine halten können, Papa, aber deine Frau zieht doch schon längst nicht mehr an dir, sie schiebt jetzt, was bildest du dir ein, das Ziehen an etwas anderem als einer Spülkette sollte den Menschen überhaupt abgewöhnt werden, durch ruckartiges Ziehen, das sie fast zu Fall bringt, nein, leider immer nur dich, die andren Menschen dürfen bleiben, wo sie sind, sollte es Mama längst abgewöhnt worden sein, das Ziehen an der Leine, ist es aber nicht, so trottest du also immer nur hinter deiner Frau her, Papi, und merkst gar nicht, daß sie verschwunden ist, weg ist, du siehst sie nicht mehr, aber die Leine läßt sie nicht los, eine unsichtbare Leine an einer unsichtbaren Frau, die froh ist, wenn sie auch dich nicht sieht, so, die Grundkonstellation hätten wir gestellt, jetzt machen Sie was draus! Sonst muß ich es tun, also schön, wie Sie wollen und wie gesagt, nein, noch nicht gesagt, wieso säße ich sonst hier?, du, lieber Papi, du armer Alzi du, bist vor kurzem noch engstens Arm in Arm gegangen mit deiner Frau, den Weg hinauf, den Weg hinab, jetzt geht aber nur noch eine von euch, nein, zwei von uns, wir sind die eine Front, an der es kracht und raucht, wenn du an uns anstreifst, du bist die andre Seite, im Nebel kaum zu sehen, du Ehemann mit deiner Ehefrau und deiner Tochter, das sind Menschen, schlimmer als Abfall, denn Abfall verrottet, wir aber nicht, halt, Mami ist ja auch schon verrottet, hätte ich fast vergessen, auf mich kommt das noch zu, ich bin im Geist recht zart, aber mein Körper ist hart, der wird gut seine sechs Jahre brauchen, denn der Boden ist auch hart zu mir, er wird hart zu mir sein, Löß, Lehm, verrotten Sie mal im Lehm, wenn Sie die Wahl hätten, würden Sie lieber in einem


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Spitalsbett verrotten, was aber nicht gestattet ist oder nur bis zu einem gewissen Grad, und das Schlimmste, was mir in den letzten Jahren passiert ist, da mir gar nichts mehr passiert ist, Gott sei Dank, war überhaupt nichts im Vergleich zu dem, was mir mit meinem Papi passiert ist, der zu mir gesagt hat: Bitte nicht schlagen, dabei war doch ich die Geschlagene, weil ich dieses Häferl mit Tee, welches ich bekommen hatte, da ich krank darniederlag, ausgeschüttet habe, über das Nachtkastel, das Stil hatte, den Stiel des Häferls nicht erwischt und dafür wurde ich natürlich verdroschen, von dir, Papi, komisch, daß man sowas nie vergißt (also bitte, nein, wirklich, was wird Frau W. sagen, wenn sie dieses Wortspiel, das seit Jahrhunderten keins mehr ist, lesen muß? Sie wird sich übergeben, aber nicht mir, immerhin, ein Glück, sie wird sich jemand andrem übergeben müssen, nicht einmal meinen Papi haben wir jemand andrem übergeben, nein, ich lüge, das haben wir schon getan, eben schon, das ist es ja!). Wie lange erträgst du es, im Heim für Versehrte, für geistig Hingefallene, für geistige Nackerpatzerln spazierenzugehen, mit andren an der Hand, die zufällig zur Hand sind, weit fort von Mama und mir? Wie erträgst du dieses fremde Heim, in das die Betten hineingepfercht wurden, sodaß man nicht mehr aufstehen kann, wenn man mal drinnenliegt, denn da kommt schon der Nächste und will in das schöne heiße Wetter seines eigenen Bettchens klettern? Wie hast du das ausgehalten, Papa, dazu muß ich dich noch extra vernehmen, inventarisieren und mir vornehmen, bis ich dich endlich hinter mir habe, dich hinter mich gebracht habe, keine Ahnung, was du dann dort tun sollst. Aber sprechen kannst du noch ganz ordentlich, es ergibt bloß keinen Sinn, was du sagst, aber dafür wiederholst du es oft genug, wie ich, daß jeder es sich merkt,


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aber keiner es versteht. Jetzt hast du es schon wieder gesagt, gesagt und gefragt, um dann auf einem schönen Spaziergang aufzubrechen, deinen sinnlosen Inhalt um dich herum zu verstreuen und dem Herrn Polizisten nicht mehr sagen zu können, wohin du gehörst, nämlich zu uns, zu Mama und mir, aber nicht mehr lang. Du unterliegst dem Bann des Vergessens, Papi, du Glücklicher, ich aber unterliegen keinem, ich gewinne, ich bin nicht gewinnend, das hat man mir oft genug gesagt, sogar geschrieben, aber unterliegen tu ich auch nicht. Da siehst du mich also zufällig auf dem Weg, auf dem wir voranschreiten, ich voran, du eher zurück, du siehst mich, mein liebes Gesicht, aber erkennst mich nicht, erinnerst du dich noch?, wie könntest du dich erinnern, da du dich damals ja nicht einmal an deine Adresse erinnern konntest und an mich schon gar nicht, aber erinnerst du dich denn nicht, wie du auf mich eingeredet hast, jedes Wort deutlich zu verstehen und doch ohne jeden tieferen, seichteren oder durchsichtigen Sinn?, und ich habe mich nicht losmachen können von dir, habe geschrieben, nein, diesmal muß ich wohl geschrien haben: Ich bin es doch, Elfi! Ich, Frau Elfi J., deine liebe Tochter, was zerrst du denn so an mir, wahrscheinlich weil du weg willst, du hast ja diesen Wanderzwang, diesen inneren Trieb, denn im Alter wachsen die Triebe nach innen, aber ich hab ihn nicht, diesen Antrieb, Papi, Angst vor Geschwindigkeit wahrscheinlich, wie vor allem andren auch, ich bleibe lieber zu Hause und sehe ins Ferne, von dort ins Ferne, ich sehe lieber fern, aber ich bin ja und bleibe ja dein Kind, Papa, mein Haus ist mir allein zu schwer, Mama ist es nicht zu schwer, mir aber schon, doch gemeinsam packen wir das, Mama und ich, nur dich packen wir nicht mehr, du mußt hier weg, dich kann ich nicht rausreißen und woanders wieder eintopfen, Papa,


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denn einen alten Baum verpflanzt man nicht, auch wenn der gar nicht mehr weiß, daß er überhaupt ein Baum ist, ich bleibe dir erhalten, aber woanders, nicht in deiner Nähe, keine Sorge, aber das ist deine geringste Sorge, denn du, obwohl du es besser hättest wissen müssen, willst trotzdem noch in unserer Nähe bleiben, ausgerechnet in unserer!, ist das zu fassen? Du willst zwar über die Berg gehen, spazierengehn, aber dann willst du wieder zurück zu uns kommen, aber nicht bei uns sein, wie soll das gehen, wenn du deine Adresse schon nicht kennst und uns ja auch nicht mehr, du weißt zwar, wir sind mit dir irgendwie verwandt, zumindest eine von uns, aber du kennst den Verwandtschaftsgrad grad nicht, da mußt du mich deswegen nicht so zerren und schubsen, denn ich und mein Häuschen, wir bleiben dir, Papa, ja, nur keine Angst, Mama ist jetzt auch schon weg, aber du bleibst nicht, das Haus bleibt schon, das Haus kann eh nicht weg, das war Mama ganz recht so, das war sogar ihre Grundbedingung, daß das Haus auf seinem Grund stehenblieb, und deswegen, nur weil das blöde Haus hierbleibt, muß ich auch hierbleiben, kann hier nicht weg, mach dir nur keine Sorgen, Papa, denn du kannst ja weg, du willst ja weg und auch wieder nicht, du willst zwar weg, aber wieder zurück dürfen, und das darfst du nicht, haben Mama und ich gemeinsam beschlossen, endlich eine Gemeinsamkeit zwischen uns, das heißt, Mama hat es beschlossen, und das ist, als hätte ich es ebenfalls beschlossen, nur eine Zehntelsekunde später, aber immerhin, und wenn du morgen, wie neulich, in Unterwäsche, Leiberl und Unterhose, an die Haustür kommst und versuchst, einen alten Fahrschein an unserem Briefkastenschlitz, der für dich bereits ein ehemaliger Schlitz ist, eine veraltete Briefkastenspalte einer altgewordenen Briefkastentante, zu entwerten, dann fällst du selbst drauf rein, du


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selbst fällst durch den Schlitz, durch den Rost, nein, nicht durch den rostigen Schlitz, und woher hast du den überhaupt, den Fahrschein?, du bist doch seit Jahren nicht mehr Straßenbahn oder Bus gefahren, du bist schon immer lieber zu Fuß gegangen, um das Fahrgeld zu sparen, was wieder nicht nötig gewesen wäre, sparen ist ja schön und gut, aber so zu sparen hättest du auch nicht brauchen, wenn du also kommst, um deinen Fahrschein zu entwerten, wirst du reich belohnt werden, weil du keinen neuen Fahrschein wirst lösen müssen, und gesondert belohnt, indem du mich nicht mehr sehen mußt, Mama auch nicht, obwohl du die ganz gern wiedergesehen hättest, um alter Zeiten willen, könnte ja sein, obwohl ich das nicht verstehen würde und diese alten Zeiten nicht erlebt habe, sie müssen entsetzlich gewesen sein, aber wenn du einmal kommst, aber wenn du einmal kommen wirst, wenn nichts mehr von dir übrig sein wird, werde ich auch noch  hier sein, immer noch, und durch die Jalousie spechteln, ich nenne das ehrenhalber so, weil sich der arme Specht neulich an genau diesem Fenster das Genick gebrochen hat, ich bleibe hier, Papi, nur keine Angst, du hast ja immer Angst gehabt, ich auch, da sind wir schon zwei in unserer Familie, drei werdens nicht mehr, denn Mama hat sich vor nichts und niemandem gefürchtet, nur vor der Erde, und genau dort ist sie jetzt drin, dort wurde sie hineingestopft und merkt: kein Grund zur Furcht, die Erde ist mir ja leicht, nein, versuchen wir es anders, ich meine: Ich weiß ja, daß du Angst hast, Papi, aber vor mir brauchst du keine zu haben, ich schlag dich schon nicht, aber bevor ich mich schlagen lasse, von dir, schlage ich dich vielleicht doch einmal, Moment, nein, dazu ist es nie gekommen, nur ein einziges Lilithmal, und einmal ist keinmal, das zählt nicht, ich habe selber noch viel mehr Angst und noch vor viel


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weniger als du, Papi, das ist meine Strafe, ich muß leider hierbleiben, denn es gehört mir, mein kleines Haus, und ich gehöre ihm, ja, du gehörst zu mir! Denn du gehörst nur mir, altes Haus! Usw., usf. , nein nicht fort. Ich habe es geerbt, das Häuschen, das meiner Mama alles war und meinem Papa nichts, Papa war nichts dagegen, nichts, und genau das hat er dafür bekommen, nichts, obwohl er soviel hineingesteckt hat, hineinstecken mußte, einstecken mußte, na ja, andre haben weniger, aber ich habe auch nicht viel, also ich bleibe ja, weil das Haus auch bleibt, ist doch logisch, aber für Logik kannst du dich wohl nicht mehr erwärmen, obwohl du es früher konntest, Papa, du konntest dich ja früher nicht mal für deine Tochter erwärmen, bitte, als du sie das erste Mal sahst vielleicht schon, aber später dann sukzessive immer weniger, ich schließe das daraus, wie du mich und wir dich – wie du mir, so ich dir – ein Leben lang behandelt hast, nämlich gar nicht, du hast schließlich Chemie und nicht Medizin studiert, aber mit dir mitgehen wollte ich nicht, bitte, was sollte ich in Neulengbach?, ich bin selber von meiner Mama so oder so ähnlich behandelt worden. Du glaubst es nicht! Ha! Weil du dich nicht erinnern kannst oder willst, an nichts, aber das wird dir heimgezahlt, Papa, glaub mir, ich habe lange gewartet, aber jetzt ist Zahltag in Neulengbach, wo man Menschen in Ställe pfercht und manchmal, wenn sie Glück haben, hinaus in den Pferch treibt, für eine gewisse Zeit, dann müssen sie wieder ins Haus zurück. Dieses Klammern der winzigen unglaublich starken, trotz Alters starken Hände, Papi, deiner starken Beine, die das Radfahren und Gehen gewöhnt waren wie nichts andres, diese vielen Wege, die du begangen und befahren hast, aber nicht mit einem Auto, welches ich mir doch so sehr gewünscht hätte, aber wir hatten keins!, kein


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einziges Auto!, so etwas Entsetzliches kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, kein Auto zu haben, und ich habe inzwischen schon wieder keins mehr, es ist kaum zu glauben. Diese Hand da fällt, es ist in allen, zumindest ein Gedicht ist in allen, und es ist auch in dir, daß du dich an jemand anklammern mußt, weil du nicht einmal mehr weißt, wie du heißt, Papi, nein, diese Dame hier weiß es auch nicht, aber du bist nicht besser als sie, du weißt es genausowenig, und obwohl du nicht weißt, wer ich bin, hast du mich jetzt kalt erwischt, nach mir hast du gegrapscht, diese seltsame Persönlichkeit zumindest, die aus dir mittels Abbau nicht von Braunkohle, sondern von Gehirnmasse, geworden war, da konnte ich nur staunen, tiefe Täler taten sich auf in deinem einst so agilen Hirn, Papi, die Täler hat vielleicht die Chemie in dich hineingefressen, diese Fjorde, auf dem Bild schaut es nicht so schlecht aus, aber es muß sich ziemlich schlimm anfühlen, schrecklich, du hast mich nicht mehr verstanden, Papa, möchte wissen, wie lang du noch brauchen wirst, mich nicht zu verstehen bzw. ich dich, aber lang kann es nicht mehr dauernd, und dann bist du in Neulengbach, das weder neu noch lang ist und auch nicht gelenkt werden kann, dieser Ort bleibt, dieser Ort dort bleibt vor Ort. Wie hast du das gelernt, nichts mehr zu verstehen, Papi? Schau, diese Dame hier spricht, wie mir soeben hinterbracht wird, denn verstehen würde ich sie nicht, eine absolut unverständliche Kunstsprache, die klingt wenigstens nach was, nicht uninteressant, man müßte das aufnehmen und eine Computeranimation damit animieren, damit fortzufahren, die kann nämlich fortfahren, diese liebe frei erfundene Sprache dieser Dame hier, aber auch deine Sprache, Papi, war recht interessant, voll verständlich, aber ohne jeden Sinn, keine Sorge, du kommst hier nicht zu kurz, ich


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nehme zehn Deka von der Sprache dieser Dame hier, ebenfalls vor meinem Haus, vor und in meinem Haus würden sich die Irren ja versammeln, ließe ich sie, ließe ich das zu, klingt nicht schlecht, diese vollkommen künstliche selbsterfundene Sprache, wir können es gar nicht abwarten, sie wieder zu hören und noch einmal und immer wieder, ja, wir warten schon auf das Sequel, jeder Tag ein Sequel, obwohl er vollkommen gleich abläuft wie der vorangegangene, aber wer hat schon so ein Gerät an sich angebracht, eins für Aufnahmen der täglichen, absolut folgenlosen Folge, alle haben sie nur die Fotohandys, aber vielleicht können die auch was andres aufnehmen als unsere öden Bilder, die wir für was besonderes halten, bloß weil es unsre sind, als wäre jeder Mensch was besondres, aber keiner ist das, es wäre ganz unangebracht, sowas an sich angebracht zu haben, was sollte man da schon sehen?, ach was, jeder hat heute so ein Gerät zum Sprechen, Fotografieren, Filmen, Mailen, Meilenzählen, Fernsehen und was weiß ich noch alles an sich angebracht, es ist nicht mehr angebracht, kein solches Gerät zu haben, es ist angebracht, immer mit einem Gerät zu gehen, obwohl jeder es tut und vor sich hin spricht oder zumindest einen Roulator vor sich herrollt, in einem unaufhörlichen Strom hält eins das andre, hält einer den anderen nicht aus, nicht fest, da dieser andere sinnlos Worte stammelt, einen Strom von Worten, den er in einen Sprechteil hineinleitet, aus dem es schon herausschäumt, als hätte man zuviel Weißwaschmittel genommen, während über den Kopfteil die Infos in ihn hineinträufeln wie aus einem Infusionsapparat, nur nicht so lebenserhaltend, eher lebensgefährlich, falls man das entgegenkommende (nein, entgegenkommend ist es nun wirklich nicht, es spart einen nicht aus!), ausscherende Auto vor lauter Plappern nicht rechtzeitig sieht und im


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Spital geschoren wird, am Köpfchen geschoren, aber voll, nein, leer, man wird nicht ungeschoren davongekommen sein, ja, ja, ich weiß, Frau Rumpelstilz, will sagen Rumpelstil, was, sowas gefällt Ihnen nicht?, zu holprig?, zu unverständlich?, was ich Ihnen hier darbiete?, weil Sie es schon kennen?, tja, jeder kennt es, und doch hat es viel Arbeit gemacht, das aufzuschreiben, auch wenn es immer dasselbe ist, wenn auch an verschiedenen Orten, die Leute verscheiden nämlich überall, wo sie müssen, mein Papi ist gar nicht so verschieden von ihnen, nur daß er am Steinhof verschieden ist, wie hieß dieser schöne Ort früher, wo sie diese ganzen, nein, nicht die ganzen, all diese Kinder, die irgendjemandem vielleicht alles waren, umgebracht haben, mit Spei- und Todesmittelchen, am Bullauge, nein, am Speigatt vom Spiegelgrund, in dem jeder sich anschauen konnte, der sich sehen wollte, und danach auch das anschauen konnte, was er gar nicht sehen wollte, ein Witz, den ich nicht machen sollte, aber schon 365-mal gemacht habe, ich meine den mit verscheiden und verschieden, für jeden Tag einmal, der Rest ist kein Witz, aber ich scheiße auf Sie, Frau Zerreißprobe in Ihrem Kleiderkästchen, wir hängen nicht an Ihnen, also ich zumindest hänge nicht, wir hängen an was ganz andrem, wir hängen an diesen Lifelines, wir haben schließlich alle ein Gerät, das einen immer begleitet, mein Handy nehm ich ja nie mit, Sie Ihres aber schon, Frau W. , Frau Wurst, sage ich mal, obwohl Sie es nicht sind, ich bin so frei, das zu sagen, Sie haben schließlich Kinder, da möchte man doch immer wissen, wo die sind, aber wo ich bin, das werden Sie nie erfahren, so. Sie werden es nie erfahren, obwohl jeder es weiß und ich es ja dauernd selbst sage und mich von dort nie fortbewege, doch ich werde trotzdem ohne Schuld sein, daß Sie nicht wissen, wo ich


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wohne, weil Sie es gar nicht wissen wollen, wie sorgfältig auch immer ich mit meiner Zunge über mich hinfahre wie die Kuh über das Kalb, weil ich nirgendwo sonst hinfahren kann. Daß ich stillstehe, haben Sie schon gesagt, aber Sie wissen nicht, wo. Was wollte ich sagen? Das habe ich vorhin doch schon gefragt? Muß es wirklich weitergehen? Sie sagen nein, Sie wollen Handlung, ich sage ja, und das gilt, aber nur solange ich es hier sage. Diese Sprache hier wird laut gesprochen, und jeder hat Zugriff auf sie, auch diejenigen, bei denen wir keinen Kredit haben, weil wir, als Tote auf Raten, die Raten für was andres nicht mehr zahlen können, so, wo kann ich mich unterstellen, wer will mich?, er muß mich aber mitsamt meiner Sprache nehmen! Hier geh ich schon mal hinein, zu einem, der mich auch sofort nehmen wird, einstellen wird, bei sich einstellen wird wie ein Fahrrad, wenn ich nicht endlich mein armes Leben durch soziale Tätigkeit, Rätselraten, Sprachenlernen oder was weiß ich geistig bereichert haben werde, solange ich es noch leben können werde und metallhart reden werde können, in Buchstaben, die ich aneinanderreihen werde wie ein noch recht rüstiges, aber bereits besiegtes Kriegsheer, das es aber nicht mehr gibt, weil das alles jetzt die Technik erledigt. Ich bin eine transportable Tochter, aber ich transportiere nicht selbst, ich bin schließlich kein Sohn, der seit Jahren schon ohne Führerschein herumfährt und sich das auch traut, ich bin eine Tochter, die den Führerschein hat, sich aber nichts traut, nicht mehr herumfährt, zum Glück habe ich keinen solchen Bewegungsdrang, nicht einmal, wenn ich von der Bank heimkehre, wo mein Konto sich verbessert hat, wenn auch nicht sehr, schwache Leistung, äh, ich habe einen solchen Führerschein zwar einmal erworben, zweimal war nicht nötig, doch nutzt er mir was?, nein, dann werde auch ich


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Tochter einst ein hübsches Haus bekommen, oder? Ja, ich hab es schon. Das Haus, das Mama alles war, ist jetzt mein Haus, ich gratuliere mir dazu. Ich habe außerdem meine Fahrberechtigung immer eingesteckt, damit ich weg kann, aber nicht muß, aber ich nütze sie nicht, sie ist in Wirklichkeit eine Nichtfahrberechtigung, damit fahren jedoch andre frohgemut, also froh und mutig, herum, egal mit welchem Fahrmittel. Ich fahre nicht. Ich wäre dazu berechtigt, aber ich fahre nicht. Also ich hätte für Papis Transport schon eigenhändig sorgen können, damals konnte ich mich ja noch echauffieren, doch er mußte das schon selber tun, mithilfe unseres örtlichen Greißlers, der seine Berechtigung mit absolut berechtigtem Stolz auch auf jeden anderen anwendete, dem er was verkaufen wollte, und das war faktisch jeder; Papa mußte es nicht selber erledigen, ich durfte ihn selber erledigen, aber nicht mit meinem Auto. Bei einer Kontrolle wäre ich nicht erledigt gewesen, aber ich fuhr ja legal, vollkommen legal, wenn auch nicht richtig, das heißt gar nicht, das heißt aber noch nicht, alles, was ich tue, wäre legal, aber ich tue es ohnedies nicht. Ich tue grundsätzlich nichts, dann kann nichts Illegales drunter sein. In meiner eigenen Nähe stand und stehe ich unbeweglich und traue mich nicht in eine andre Nähe, das ist die Folge, doch immerhin, er kann es, das Fortfahren mit meinem Papi, der Greißler mit seinem geräumigen VW-Bus, in dem außer für Mama und mich noch für mindestens 8 andre Personen, nein, eher weniger, mehr als 6 eher nicht, Platz gewesen wäre, bis er sich wieder ins Dunkle hinaus öffnete, in ein andres Haus, in Neulengbach, der Greißler konnte es, ich konnte es nicht und kann es heute noch nicht, und für das, was ich nicht kann, bekomme ich nichts, außer Preise, hohe Preise, niedrige Preise, mittlere


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Preise, also wirklich!, ich kann dennoch nichts, leider. Ich kann diese Novelle nicht, vielleicht kann sie ein andrer? An einem anderen Morgen, da ich schon lange nicht mehr schlafen konnte, stand ich sehr früh auf und fuhr, als noch der Tau lag, durch den Wald und den Bach runter und immer dem Bache nach, und meinen Papi nahm ich mit, es konnte doch gut sein, daß ich unterwegs einen solchen Hunger kriegen würde wie Adalbert Stifter. Es ging bald die Sonne auf. Das Wasser rollte kühl über die Steine und an den Gräsern dahin. Es ging bald die Sonne auf, nein, das war schon, und brachte einen recht schönen, lieblichen (nein, nicht löblichen!) Vormittag. Dieser trocknete die Nässe von den Nadeln und von allen den vielen Kräutern, die nichts anderes zu tun hatten, als recht eilends in dieser Wärme zu wachsen, so, jetzt sind die Pferde aus dem Stall, und mir ist es zu blöd. Schon nach einem einzigen Satz zu blöd. Ich möchte in die gute Stube dieser Novelle gelangen, ich gehe und gehe, neben mir Papi, und was sehe ich? Es ist gar nicht meine liebe gute Stube, es ist ein entsetzliches Haus, in das ich gelangt bin, in das ich mitsamt Mami und Papi gelangt bin. Normalerweise würde ich so ein Haus nicht einmal im Traum, nicht einmal mit einer Beißzange, wie meine Mutter eine war, berühren wollen, aber wie ist es möglich, in ein Einfamilienhaus mehr als fünfzig Personen (grob geschätzt) hineinzupferchen, es werden schließlich jeden Tag welche irre, oder? Bitte, sie werden einmal am Tag durch den Garten und an grünen Büschen dahingeleitet, einer geleitet dabei den anderen, der Blinde den Lahmen, der Demente die Damen, denen er auf diese Weise bequem dauernd nachstellen kann, was er nicht mehr selber darstellen kann, mein Papi angeblich immer feste mittendrin, der ist ja bei jedem Blödsinn dabei, also auch bei den Damen, aber erst, als er seinen


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Verstand fast vollkommen verloren hatte, was sich eins aus dem andren erschließt, ich meine, wenn man sich Frauen freiwillig nähert, muß man doch komplett deppert oder wahnsinnig sein, er nimmt also die eine Frau aus der Hand, mein Papa, oh, mein Papa, und legt sie sich ins Bett und die andre gibt er aus der Hand und läßt die Vorhänge herab, daß Totenblässe um ihn herumfließt. Und die Frau, die er niedergelegt hat, zieht er sofort wieder empor, weil er nicht weiß, was er mit ihr machen soll, die andre auch, denn er weiß nicht, was er jetzt mit der zweiten machen soll. Er ahnt, zwei, das sind eine zuviel, und zwei andre, Mama und ich, das sind vielleicht sogar alle beide zuviel. Vor zwei, drei Jahren hätte er es noch gewußt, da hätte er auch seine grauen Haaren noch reinlich zurückgekämmt gehabt, als er noch ins Labor ging, er hätte schon geredet, kaum daß er die eine Frau hierhin und die andre dorthin gelegt hätte, um die beiden nicht miteinander zu verwechseln, aber nun diese Novelle, nein, schön ist sie nicht, sie ist nicht, sie ist keine geworden. Und was macht ihre Erbauerin? Sie erbaut nicht, ich meine, sie ist alles andre als erbaulich. Sag ich doch. Was nicht erbaulich ist, das kann man auch nicht erbauen, und das kann einen auch nicht erbauen. Kein Wunder, daß auch Sie nicht von mir erbaut sind, ich würde, könnte ich etwas bauen, gewiß nicht Sie, sondern mindestens eine Kathedrale erbauen. Aber Sie hören ja gar nicht zu! Wie soll ich da Novellen verfertigen und sie verfestigen? Ich Tochter, auf die man ein großes Haus bauen wollte, aber es kam nur ein kleines dabei heraus, ging nur so grinsend (ich mache absichtlich kein Komma, keinen Beistrich!) zu meinem an mich gekrallten Vater heran, der gerettet werden wollte, ausgerechnet von mir!, nein, mähen die schon Heu dort drüben? So früh? Der


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Vater kam herbei, von seinem schönen grünen Platze, der auch bald hinweggemäht sein würde, und den er allerdings mit über 50 anderen teilen mußte, er kam also herbei, die andren hinterdrein, die zwei Frauen abgelegt, eine am Bett, die andre anderswo, und Papi begann also bergan zu steigen, wo Bäume standen und ich ihn schlug und Mama ihn schlug und die Nachtigallen ebenfalls schlugen, Ende der Novelle, nein, leider noch nicht, ich, die Tochter, kam einher und ging grußlos und hämisch grinsend seitlich haarscharf an meinem in so unangenehmer Lage befindlichen Papi vorbei, wir hatten uns gemeinsam vorgenommen, an ihm vorbei bergan zu steigen, Chromstahlfenster fürs Haus, silberner Servierwagen fürs Oberstübchen unterm Dach, was immer Sie nur wollen, und eine von uns, ich glaube ich, rief die Worte der neuesten Novelle: Es ist nun für alle Ewigkeit, daß du nie mehr nach Hause zurückkommen darfst, Papa (meine Mami dabei an mir festgekrallt, wie üblich, normalerweile spricht nur sie, aber meine Schreie sind laut bis in den Wald hinein erschallt, der Wald rief genauso zurück, jener Wald rief zurück in eine glänzende Landschaft und eine dunkle Zukunft hinein, aber immerhin, es kam ein Echo, und aus der Ebene blickten Türme uns an und Häuserlasten einer großen Stadt, das alles hatte Papi nun endgültig hinter sich, den schönen grünen Platz, den Wald, die Stämme der Bäume, durch die das lustige Rufen meines Hundes zurückkam und dann nichts mehr, nichts mehr zurückkam, nein, auch Papi nicht, der den Hund so fleißig arbeiten ließ, wie einen Knecht, wieder ein Kilo Äpfel beim Teufel, angenagt, die Klavierbeine auch, die Dachterrassentreppe auch, jeder einzelne von ihnen auch, was auch immer, wer auch immer, und Mama und ich, die wir jetzt am Drücker waren, gingen auch bereits mit abgetretenen Schuhen auf schiefer Fläche, nur merkten wir es


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nicht, da also der Wald, der in Novellen stets gern genommen wird, ich erinnere mich nur nicht wofür, der grüne Wald, in dem ich immer mit meinen Hunden spazierengegangen bin, die hab ich auch nicht mehr, die drei Hundis, welche ich hintereinander besaß, nicht gleichzeitig, na, das wär was gewesen!, ich habe jetzt nichts mehr, da, wie gesagt, der Wald, dort wir, die anderen, die nicht Wald sind, und das ist die Mehrheit, das kann doch nicht wahr sein! Jetzt steht die ganze Novelle, die ich mühsam abgeschrieben habe, auch noch in Klammer! Also mir ist wirklich nicht zu helfen), nein, nach Hause darfst du nicht, Papi, nicht heute, nicht morgen, nicht nächste Woche und jetzt schon gar nicht, jetzt, an dir entlangspähend, vorbei, eine Tochter ging soeben vorbei, grußlos, ihr Vater hätte sie eh nicht mehr erkannt, und ich, die Tochter, die hier spricht, habe nicht eingegriffen, nicht gegrüßt, nicht gedankt, Papa auch nicht, ich habe meine Mutter nicht, notfalls mithilfe von ein paar saftigen Ohrfeigen, zurechtgewiesen, die eigentlich meinem Papa zugedacht waren dafür, daß er den Verstand dermaßen vollständig (läßt sich das überhaupt noch steigern?) verloren hatte, dafür gebührt einem mindestens ein Paar Ohrfeigen, bei denen man die Wangen, die Augen, den Mund auch noch erwischt, wie zufällig, wie inmitten von ringsum grünenden Zweigen und einer vor Wut funkelnden pausbäckigen Sonne (aber Mama kann das besser, aus ihren Augen leuchtet die Zuversicht in die Welt, alles besser zu können als alle anderen Menschen, und mit gutem Grund, sie kannte nämlich beinahe nur zwei Stück andere Menschen, nein, eineinhalb, ihren Mann und diese halbe Portion, mich, und es ist kein großes Kunststück, besser als diese beiden zu sein, besser als Papa und ich, dachte sie wohl, denn diese Frau war besser als wir beide zusammengenommen, aber


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wer würde jemanden wie uns schon zusammen nehmen?!), das alles ist immer noch Novelle, auch außerhalb der Klammer, aber neu ist es nicht, nein, doch nicht, sieh an, was wollte ich sagen?, vielleicht wird mir wenigstens einmal ein vollständiger Satz mit Prädikat gelingen, aber noch steht es auf des Messers Kippe, und unter einem Prädikatssatz versteht der Hauer was andres, der haut, meistens Mama, ich meine nicht den Weinhauer oder wie das heißt, nein, auch nicht den Weinheber, also los, bitte, vorwärts, Novelle!, raus aus der Klammer und hinein ins Leben!, den schluchzenden Papa hat dessen Gemahlin von mir, der Tochter, weggezerrt, wie sie es uns ein Leben lang vorgemacht hat, denn was zusammen ist, muß auf jeden Fall auseinander, das zwei gemütlich zusammen sind, das erträgt meine Mama grundsätzlich nicht, und der Wald, der auf fast ebenem Boden dahingeht, er muß natürlich auch auseinander, die Häuser und Gebäude, die in der Stadt nett beisammenstehen, müssen auseinander, wetten, daß es die Gebäude sind und nicht wir, die auseinandermüssen?, die Schatten und die Bäume müssen auseinander, Vater und Kind?, müssen auseinander, nachmachen wird er das wohl noch können, der Papa, das endgültige Auseinandergehen, es kann ja auch die Mutter das Handerheben gegen einen anderen, gegen jeden anderen genaugenommen, aber sie macht es diesmal zu Fleiß nicht, das Wegohrfeigen, nein, nicht den Weg ohrfeigen, was soll denn das und überhaupt, war das nicht schon mal? Sicher, ich wiederhole mich andauernd, das Ohrfeigen, ja, da waren wir, obwohl die Mama schon viel Schlimmeres mit ihrem Mann gemacht hat, und ich kann sagen, ich war dabei und habe fleißig mitgemacht, so hat der Vater zwei spielerisch dahinschießende Bäche empfangen und natürlich sofort weitergeschickt, denn uns kann man genausowenig halten wie Bäche, wenn wir einmal


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loslegen, meine Mama und ich, das heißt, loslegen tut sie, mich hält sie fest, meine Leine läßt sie nicht aus der Hand, und der in unseren längst durchschnittenen Liebeskabeln Torkelnde, Brabbelnde hing  da also an uns und würde daher gleich ins Bodenlose fallen – Sie merken, ich erzähle jetzt wirklich, wenn auch nur kurz, und nichts, was Sie hören wollten – immer noch an mir, hing mir nach, hing vielleicht Mama noch mehr nach als mir, während die Wasser lustig über die geglätteten Kiesel, die wir sind, rieselt, das Wasser und Papa, von mir quasi mitgeschleift, grauenhaft, eine Situation, als wäre man nächtens irgendwo eingeworfen worden, meinetwegen auch in einen Briefkasten, in einen andren, nicht in unseren, wo dieser Irre seinen längst entwerteten, alten Fahrschein einwerfen, reinhalten, nein, nicht reinhalten, hineinhalten wollte, was er ja durfte, es war schließlich auch sein Briefkasten, sein Name stand dran, vielleicht hat er geglaubt, da sitzt ein Tier drinnen und schnappt danach, dabei war das Tier doch längst im Haus und fraß alle Äpfel auf, und die Stadt so still, die klare Nachmittagsluft so friedlich, daß man das Brüllen meiner Mutter weithin hören konnte oder den einzelnen Glockenschlag vernehmen oder die einsame Ohrfeige von vorhin vernehmen oder in bestem Einvernehmen voneinander scheiden, nein, der Glockenschlag fiel soeben von einem Turm oder einer Kirche, Entschuldigung, ich meine vom Turm der Kirche, ich habe mich verschaut (wenn er wenigstens neu gewesen wäre, der Fahrschein, dann hätte man ihn noch brauchen können, aber sogar der Tarif hat sich inzwischen längst und nicht gerade zu unserem Besten geändert), wo dieser Irre also in meinen Schlitz einen Schein einwerfen wollte, damit er durchkäme, einmal wenigstens durchkäme, nein, das ist noch nicht das Prädikat, das ist ein Relativsatz,


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der von weiter oben, und dort, eingeworfen, hingeworfen, liegt mein Papa jetzt, nein, nicht Papa, der längst entwertete Fahrschein liegt dort, ich erinnere mich nicht, daß Papa gefahren bzw. gefallen wäre, er ist nur noch zu Fuß gegangen, weit, weit,

3.3.2008,


 

Bilder: Hieronymus Bosch (1450-1516), Pieter Bruegel d.Ä. (1525-1569), (Ausschnitte)

 

 

 

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