Geschichte

Ostfront 1943

21.06.13

Als Kursk zur größten Festung aller Zeiten wurde

Der deutsche Aufmarsch vor Kursk blieb der sowjetischen Führung nicht verborgen. Ein riesiges Stellungssystem entstand. Je länger Hitler zögerte, desto mehr vergab er seinen wichtigsten Trumpf.

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Von Leitender Redakteur Kulturgeschichte

Hitler und Stalin waren die Drahtzieher dafür gewesen, dass es 1942 zur Schlacht um Stalingrad gekommen war. Zu deren erstaunlichen Folgen gehörte, dass ausgerechnet ihr Ausgang den Einfluss der professionellen Militärs stärkte – auf beiden Seiten. Hitler legte ungewohnte Zurückhaltung an den Tag, weil ihm der Schock der Niederlage zusetzte. Stalin wiederum dämmerte, dass seine Generäle mehr vom Krieg verstanden als er selbst.

Während die deutsche Heeresgruppe Süd des Generalfeldmarschalls Erich von Manstein die Freiräume nutzte und Hitler Ende Februar 1943 beim Kampf um Charkow noch einmal einen glänzenden Sieg bescherte, drangen Stalins militärische Berater darauf, den Frontbogen bei Kursk zu befestigen. Obwohl der Diktator nach wie vor "Störangriffe" gegen die von ihm erwartete Großoffensive der Wehrmacht auf Moskau forderte, akzeptierte er schließlich den Vorschlag seiner Generäle.

Bereits am 8. April erklärte Georgi Schukow seinem Chef: "Ich halte es für sinnlos, dem Feind in der nahen Zukunft mit einer Offensive unserer Truppen zuvorzukommen. Besser wäre es, den Feind an unseren Verteidigungsstellungen aufzureiben, seine Panzerkräfte zu vernichten und dann unter Einsatz frischer Reserven zu einer allgemeinen Offensive überzugehen und seine Hauptkräfte ein für alle Mal zu pulverisieren."

Obwohl dieser Vorschlag erst Anfang Juni von der Stawka, dem sowjetischen Hauptquartier, offiziell angenommen wurde, folgten ihm doch schon die sowjetischen Vorbereitungen der vorangegangenen Monate. Alle Meldungen der Aufklärung – Luftaufnahmen, Partisanenmeldungen, Geheimdienstinformationen – ließen den Schluss zu, dass die Deutschen eine Großoffensive nördlich und südlich von Kursk vorbereiteten. Umgehend wurde damit begonnen, den 200 Kilometer langen und 100 Kilometer tiefen Frontvorsprung zur größten Feldbefestigung des Weltkrieges auszubauen.

Acht Grabensysteme mit 17.000 Bunkern

Die Mittel dazu stellten die in und hinter den Ural verlegten Industrieanlagen bereit, die mittlerweile ihre volle Leistungsfähigkeit erreicht hatten. Innerhalb von drei Monaten rollten 500.000 Eisenbahnwaggons mit Kriegsmaterial an die Front. Hinzu kamen allein 183.000 moderne Lkws, die auf der Grundlage des Leih-und-Pacht-Vertrages von den USA geliefert worden waren und einen schnelle Verlegung von Truppen ermöglichten.

Rund 30.000 Geschütze, Panzerabwehrkanonen und Raketenwerfer wurden bereitgestellt. Darunter waren die neuen Kanonen mit Kalibern von 15,2- und 20,3-Zentimetern. Bis zum Juli sollten 14.000 weitere Werfer zugeführt werden. 300.000 Zivilisten, die in der Region lebten, wurden vor ihrer Evakuierung zum Bau von Schützen- und Panzergräben eingesetzt, am Ende waren es acht an der Zahl, auf einer Tiefe von 300 Kilometern. Ihre Länge erreichte allein im Nordteil der Front 4240 Kilometer, verstärkt mit 17.000 Erdbunkern und 84.000 Schützen- und Maschinengewehrstellungen.

Außerdem verlegten Pioniere Minengürtel, bis zu 1500 Panzer- und 1700 Schützenminen pro Kilometer. Noch nach 60 Kilometern Vormarsch sollten die deutschen Truppen später auf Minenfelder stoßen. Diese riesige Befestigungsanlage wurde mit fast zwei Millionen Soldaten mit 5000 Panzern besetzt. Hinzu kamen mehrere Tausend Kampfwagen als strategische Reserve. Zu ihrer Unterstützung standen fast 6000 Flugzeuge bereit. An den Stellen, an denen der Angriff der Wehrmacht erwartet wurde, waren pro Kilometer 125 Geschütze aufgefahren, alle acht Meter ein Rohr.

Der britische Militärhistoriker John Keegan resümiert: "Nichts dergleichen hatte man je auf einem Schlachtfeld gesehen, noch nicht einmal auf dem Höhepunkt des Stellungskrieges an der Westfront (des Ersten Weltkrieges; d. Red.)."

"Der Russe erwartet unseren Angriff"

Geradezu bescheiden nahmen sich die Mittel aus, die die Wehrmacht dagegenstellen konnte. Das Reihenwerk "Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg" des Militärgeschichtlichen Forschungsamts der Bundeswehr kommt in seinem 8. Band (2007) aufgrund umfassender Revision der Akten zu folgenden Zahlen: Die 9. Armee, die von Norden angreifen sollte, verfügte über eine Personalstärke von 335.000 Mann, was einer Einsatzstärke von 223.000 Soldaten entsprach.

Die 4. Panzerarmee und die Armeegruppe des Generals Werner Kempf im Süden bestand aus 323.907 (216.000) Soldaten. Zusammen verfügten sie über 2465 Panzern und Sturmgeschütze und 7417 Kanonen. Hinzu kam die 2. Panzerarmee, die die Front nach Westen mit 160.000 (107.000) Mann halten sollte. Das entsprach einem Kräfteverhältnis von eins zu drei beim Personal, eins zu zwei bei den Panzern und eins zu vier bei den Geschützen.

Hatte das Erfolgsgeheimnis der Wehrmacht gegen zahlenmäßig überlegene Gegner bislang darin bestanden, ihre Angriffe überraschend und geradezu blitzartig vorzutragen, lief ihr vor Kursk die Zeit davon. Immer wieder verschob Hitler den Angriffstermin, vom April auf den Mai, vom Mai auf den Juni und schließlich auf den Juli. Immer fanden Generäle gute Gründe für ihre Intervention bei Hitler, denen dieser auch stattgab. So nahm das Herauslösen der Truppen aus anderen Frontabschnitten viel Zeit in Anspruch, ganze Divisionen wurden zur "Bandenbekämpfung" in der Etappe eingesetzt, und dann mussten die Pläne korrigiert werden.

Hoffen auf die neuen Panzer

Der deutschen Aufklärung blieb es nicht verborgen, dass die sowjetische Seite die Zeit für umfangreiche Abwehrmaßnahmen nutzte. So meldete die Nachrichtenabteilung Fremde Heere Ost des späteren BND-Präsidenten Reinhard Gehlen: "Der Russe erwartet unseren Angriff in den infrage kommenden Abschnitten seit Wochen und hat mit der ihm eigenen Energie sowohl durch Ausbau mehrerer Stellungen hintereinander als auch durch entsprechenden Kräfteeinsatz alles getan, um unseren Stoß frühzeitig einzufangen. Es ist also wenig wahrscheinlich, dass der deutsche Angriff durchschlägt … Deutscherseits werden die im Hinblick auf die Gesamtlage später bitter notwendigen Reserven … festgelegt und verbraucht. Ich halte die beabsichtigte Operation für einen ganz entscheidenden Fehler, der sich schwer rächen wird."

Dagegen argumentierte Generalfeldmarschall Günther von Kluge, dessen Heeresgruppe Mitte die 9. Armee unterstand: Der Angriff sei "immer noch die beste" aller denkbaren Lösungen. "Sie zwingt den Feind in unseren Zangenangriff hinein … er muss bei seinem Gelingen den größten Erfolg bringen." Dabei spielte nicht zuletzt das Kalkül eine Rolle, dass die Massen an sowjetischem Material bei Kursk ein attraktives Ziel darstellten.

Hitler war hin- und hergerissen. Wenn er am 18. Juni schließlich doch den Befehl zum "Unternehmen Zitadelle" gegen Kursk gab, dann aus einem weiteren Grund. Sein Panzerspezialist Heinz Guderian, den er wegen des Scheiterns vor Moskau im Dezember 1941 in der "Führerreserve" kaltgestellt hatte und der seit 1943 als Inspekteur der Panzertruppe reaktiviert worden war, hatte die Lieferung neuer Panzermodelle in Aussicht gestellt. Sowohl qualitativ als auch quantitativ, versicherten Guderian und Rüstungsminister Albert Speer, würde die Wehrmacht mit den neuen Tiger- und Panther-Panzern ihren sowjetischen Gegnern erstmals überlegen sein.

Hitler ordnete an, die für den Angriff bereitgestellten Panzerdivisionen mit den neuen Wunderwaffen auszustatten. Dafür gab er Speer und Guderian bis Anfang Juli Zeit.


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