ADHS: Eine Psycho-Diagnose als Wort-Bild-Marke

Gemeinsam ADHS begegnen

Der Neurobiologe Gerald Hüther, einer der bekanntesten Hirnforscher Deutschlands, der sich insbesondere mit der Entwicklung von Kindern befasst, wurde zum Enfant terrible der Pharma-Marketing Branche. 2013 sagte er zur besten Sendezeit im ZDF Heutejournal, dass ADHS – im Volksmund auch „Zappelphilipp-Syndrom“ genannt – garkeine Gehirnstörung sei. Auf die Frage, warum immer mehr Kinder – vor allem Jungen – diese Diagnose zu haben scheinen, antwortete er

Das ist bequem für alle Beteiligten. Die Eltern sind froh, dass es ein genetisches – angeblich genetisches – Defizit ist, was die Kinder haben. Die Ärzte sind froh, dass sie mit so einer einfachen Pille alles heilen können. Die Lehrer sind froh, dass endlich sie nicht dafür verantwortlich sind. Und am Ende: Die Pharmaindustrie ist auch froh, dass sie damit so viel Geld verdient.

Kritiker werfen der Pharmaindustrie Krankheitserfindung – im angelsächsischen Sprachraum auch als Disease-Mongering bekannt – vor. Die FAZ zitierte im Jahre 2012 die Direktorin der Kinderklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie an der Berliner Charité Ulrike Lehmkuhl, die behauptet, 90 Prozent aller ADHS-Diagnosen seien falsch. Der Direktor des Nordic Cochrane Centers Professor Peter Gøtzsche wirft in seinem Buch Tödliche Medizin und organisierte Kriminalität der Pharmaindustrie aggressive Verkaufsstrategien vor. Hoffmann-La Roche sei der größte Drogenhändler. Spätestens, als der amerikanische Psychiater Leon Eisenberg und Erfinder des Krankheitsbilds ADHS kurz vor seinem Tod dem deutschen Medizinjournalisten Jörg Blech gestand, dass ADHS ein Paradebeispiel für eine fabrizierte Erkrankung sei, wurden viele skeptisch.

Das Pharma-Marketing Fachblatt Pharma Relations hält in Ausgabe 8/2015 dagegen:

Eine erfundene Krankheit, erziehungsunfähige Eltern, dazu die Pharmaindustrie, die Kinder mit Tabletten ruhig stellt – das hat wohl jeder schon gelesen, auch in so genannten Qualitätsmedien. ADHS ist ein Thema, bei dem oft viel Meinung mit wenig Wissen eine ungute Allianz eingeht. Manche Mythen sind scheinbar nicht aus der Welt zu schaffen, während es an konkreter Unterstützung für die Betroffenen mangelt.

Unabhängig davon, ob AHDS in Form einer realen Stoffwechselstörung im Gehirn existiert oder nicht, floriert der Markt für Medikamente mit dem Wirkstoff Methylphenidat. Unter den Handelsnamen Ritalin oder Medikinet wird diese Substanz vor allem Kindern verschrieben. Einem Arztreport der Barmer GEK aus dem Jahre 2013 zur Folge stieg die Zahl diagnostizierter Fälle zwischen 2006 und 2011 um 42 Prozent. In der Altersgruppe der unter 19-jährigen erhielten demnach 2011 in Deutschland 472.000 Jungen und 149.000 Mädchen die Diagnose ADHS.

Doch längst haben auch Erwachsene das Amphetamin-Derivat für sich entdeckt. Vor allem im Darknet – dem Tummelplatz für Cyberkriminelle – hat sich ein veritabler Schwarzmarkt dafür etabliert. Dort bieten einschlägig bekannte Händler wie z.B. OxyWhite verschreibungspflichtige Medikamente in selbsternannten „Lifestyle-Apotheken“ zum illegalen Kauf an. Über seine Kundschaft berichtet er im Interview mit der Online-Plattform Motherboard:

Es gibt große Unterschiede zwischen meinen Kunden: Möchte ich Medikamente, um an Wochenenden „high“ zu werden oder brauche ich diese, um meine Schmerzen aufgrund einer Erkrankung/Unfall zu lindern? Letzteres kann ich ehrlich gesagt nicht verstehen. Natürlich freue ich mich eigentlich, wenn ich etwas verkaufen kann. Allerdings würde ich persönlich niemals zu einem Online-Händler gehen um an Medikamente zu gelangen was ich ohnehin bei meinem Arzt aufgrund meiner Erkrankung verschrieben bekommen kann.

Auf diesen Trend hat auch die Pharmaindustrie reagiert. Zielgruppenerweiterung heißt das Zauberwort. So bietet das deutsch Familienunternehmen Medice unter dem Handelsnamen Medikinet adult ein speziell auf Erwachsene zugeschnittenes Methylphenidat-Präperat an. Wenn eine Subsanz in Form eines verschreibungspflichtigen Medikaments legal über die Ladentheke einer Apotheke gehen soll, bedarf es dazu eines ärztlichen Rezepts. Und der Arzt wiederum benötigt – damit er es mit der Krankenkasse abrechnen kann – einen Diagnoseschlüssel. Im Falle von ADHS einen Schlüssel aus dem Kapitel F des Diagnosehandbuchs ICD – dem Kapitel für psychische Störungen.

Mit Hilfe der Frankfurter Werbeagentur Wefra wurde eine Kampagne zur Vermarktung von ADHS bei Erwachsenen gestartet. Ziel dieser Kampagne soll es sein, ADHS bei Erwachsenen als Wort-Bild-Marke zu etablieren. Im Ausgabe 5/2014 des Pharma-Marketing Fachblatts Pharma Relations heißt es dazu:

Komplexe Aufgaben, spezielle Marktsituationen und außergewöhnliche Zielgruppen erfordern Fachkommunikation mit Feingefühl. Nur mit Gespür für die vielfältigen Zusammenhänge lassen sich auch unter schwierigen Bedingungen Ziele sicher erreichen und Marken wertsteigernd positionieren und weiterentwickeln.

Unter Verwendung von Patientenratgebern mit Beispielen auf DVD, klassischen Image-Broschüren und Filmen bis hin zu Psychoedukationsprogrammen soll so die neue Marke „Gemeinsam ADHS begegnen“ geschaffen werden.

Mehr Informationen zum Thema:

Beichte auf dem Sterbebett: ADHS gibt es garnicht!

Ende des ADHS-Hypes in Sicht?

Prof. Dr. Gerald Hüther – ADHS ist keine Störung

Peter Gøtzsche: Tödliche Medizin und organisierte Kriminalität – Die Verbrechen der Pharmaindustrie

Etwas ist faul im Staate Dänemark

Motherboard: Die graueste Zone des Darknets – Medikamentenhandel in der „Lifestyle-Apotheke“

Deutsche Apotheker Zeitung: Methylphenidat gegen ADHS – Ein „Goldesel“ für die Pharmaindustrie

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