24.11.2004

Unterhaltung

Die Suche nach der Mutter

Kinder von Zwangsarbeiterinnen der NS-Zeit wissen wenig über ihr Woher

Schloss Etzelsdorf im Jahr 1944 (links) und heute mit Besucher Jerzy Walaszek (rechts).




Jerzy Walaszeks Geburt ist in den Aufzeichnungen der Geburtenstation, Durchgangslager 39 am Bindermichl in Linz, gut dokumentiert. Sonst liegt viel im Ungewissen.

Jerzy Walaszek hieß damals Anton Rzepka. Er kam am 3. April 1943 zur Welt, wog 3500 Gramm und war 49,5 cm groß. Seine Mutter Maria Rzepka war Zwangsarbeiterin in einer Gärtnerei in Pettenbach. Das Geburtsprotokoll vermerkt die Personenangaben: Landwirtschaftliche Arbeiterin, orthodox, Polin. Doch so genau sind die Daten nicht. Andere Dokumente weisen die Mutter als Katholikin aus. Geburtsbericht, Geburtsurkunde und Meldekarte nennen je ein anderes Geburtsdatum der Mutter. Unser ehemaliger Kirchenzeitungskollege und Diplomtheologe Martin Kranzl-Greinecker*) machte sich auf Spurensuche. Denn Anton oder Jerzys Lebensweg führte am Beginn ganz in die Nähe seines Ortes: nach Pichl, ins Schloss Etzelsdorf. – Vor knapp drei Jahren erfuhr Kranzl-Greinecker, dass es im Schloss Etzelsdorf ein Heim für Kinder von Zwangsarbeiterinnen gab, „fremdvölkisches Kinderheim“ genannt. Er holte Manches aus der Vergessenheit. Er sprach mit mehr als hundert Zeitzeugen, forschte in Archiven.
Als er am Freitag, 19. November in den Pichler Pfarrsaal einlud, um die bisherigen Ergebnisse der Spurensuche zu präsentieren, kamen etwa 70 Personen aus Pfarre und Gemeinde.

Zwei Überlebende

Ein Gast kam von weit her: der Pole Jerzy Walaszek. Er war als Kleinkind in Etzelsdorf, kam am 18. Jänner 1945 von einem Heim in Spital/Pyhrn dorthin. Im ersten Jahr des Pichler Heimes, 1944, starben mindestens 13 der 38 Kinder. Besser wurde es, als 1945 eine neue Leiterin kam. Noch eine zweite Teilnehmerin des Abends war ein überlebendes Kind dieser dunklen Zeit des Schlosses – Katharina B. aus Wels. Das Schicksal der Kinder und ihrer Mütter war immer ähnlich hart: Gleich nach der Geburt wurden die Kinder der Mutter weggenommen. Die Kinder kamen in ein Heim. Spuren zueinander verloren sich oft bald. Im Heim erkrankten und starben auch viele an den Folgen schlechter Ernährung. Das Schicksal der überlebenden Kinder gleicht sich auch: Sie tragen einen Rucksack der Ungewissenheit mit sich: Wer war meine Mutter, mein Vater? Lebt die Mutter noch? Wo lebt sie?Eines der überlebenden Kinder von Etzelsdorf erfuhr vor kurzem das Ergebnis eines DNA-Testes: Negativ! Es lebte bis dato im Irrtum, nach dem Krieg zu seiner Mutter gekommen zu sein. Zur Mutter, die heute noch lebt ...

Der Gast aus Polen, Jerzy Walaszek, wurde 1946 repatriiert und wuchs in Polen bei einer Adoptivfamilie auf. Als er 18 Jahre alt war, erfuhr er, dass er ein Adoptivkind ist. Ein Traum vor etwa 25 Jahren, Walaszek nennt ihn eine Vision, habe ihm die Gewissheit gegeben, dass seine Mutter noch lebe. Vielleicht in der Ukraine? Er ist auf der Suche, aber wo und wie soll er suchen? Diese Suche nach der Mutter, nach den Wurzeln ist Unruhequell des eigenen Lebens! – Martin Kranzl-Greinecker geht einer neuen Spur nach, auf die alte Sozialversicherungsdaten führten. Vielleicht ging Walaszeks Mutter nach Australien ...

*) Martin Kranzl-Greinecker ist mittlerweile Redakteur der Caritas-Fachzeitschrift „Unsere Kinder“.

Autor/in:  Ernst Gansinger

Keywords: 2004/48, Kranzl-Greinecker, Polen, Mutter, Walaszek, NS, Suche, Linz, Bindermichl

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