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Wehrhafte Demokratie

Die Meinungen zur wehrhaften Demokratie gehen weit auseinander, dabei ist sie ein Grundprinzip der Gesellschaft, in der wir leben. Sie ist eine der Lehren aus dem Aufstieg des Nationalsozialismus und soll die Demokratie dazu befähigen, sich gegen Feinde zu wehren.
Deutscher Bundestag

"Wehrhafte Demokratie" - wie bitte? Erklären Sie das doch mal! So wird es Vielen gehen, die nach dem Begriff gefragt werden. Wikipedia bietet einen guten Einstieg in das Thema, erklärt aber nicht alles.

In Eckart Thurichs "pocket politik", das bei der Bundeszentrale für politische Bildung 2011 erschien, liest man, dass das Bundesverfassungsgericht die Bezeichnung für das politische System der Bundesrepublik geprägt hat. Die Richter sprachen von der streitbaren, wehrhaften Demokratie und bezeichneten damit die Entschlossenheit des Staates, sich gegenüber den Feinden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht neutral zu verhalten, sondern sich zur Wehr zu setzen.

Die Idee einer "streitbaren" oder auch "wehrhaften" Demokratie wird in der Politikwissenschaft hingegen schon seit den 1930-iger Jahren diskutiert. Darauf weist der Politologe Hans-Gerd Jaschke hin.

Unter dem Eindruck der geringen und erfolglosen Gegenwehr gegen den Aufstieg des Nationalsozialismus in der Endphase der Weimarer Republik stellte sich die Frage, wie eine Demokratie beschaffen sein müsse, die sich erfolgreich gegen die politischen Extreme von links und rechts zur Wehr setzen könne. Es sollten Vorkehrungen in der Verfassung und in Einzelgesetzen getroffen werden, um den politischen Extremismus bekämpfen und abwehren zu können.*

Das Problem, das bis heute besteht: Wie viel Freiheit verträgt eine Demokratie und wie viel Sicherheit braucht sie? Zu viel Freiheit, so Jaschke, eröffne auch extremistischen und antidemokratischen Kräften politischen Spielraum. Zu viel Sicherheit hingegen, zu viele Verbote etwa, erdrosseln die individuellen Freiheitsrechte und höhlen die Demokratie von innen aus. Über das Verhältnis beider Prinzipien wurde und wird in der Bundesrepublik heftig gestritten, weil in den Prinzipien der "wehrhaften Demokratie" auch die Einschränkung von Grundrechten, etwa das Recht auf freie Meinungsäußerung, angelegt ist.

Der Parlamentarische Rat, der 1948/49 das Grundgesetz der Bundesrepublik erarbeitete, nahm ausdrücklich Bezug auf die Erfahrungen der Weimarer Republik. Nicht noch einmal sollte es Verfassungsgegnern gelingen, das demokratische System derart zu demontieren. Die Idee der "wehrhaften Demokratie" ist daher im Grundgesetz der Bundesrepublik verankert und durch verschiedene Artikel festgeschrieben.

Zu den wichtigsten gehören:

  • Die so genannte Ewigkeitsklausel, worunter die Unabänderlichkeit bestimmter Verfassungsgrundsätze verstanden wird. (Art. 79 Abs. 3 GG)
  • Das Verbot von Parteien und sonstigen Vereinigungen wegen verfassungswidriger Aktivitäten (Art 21 Abs. 2 u. Art. 9 Abs. 2 GG)
  • Die Verwirkung von Grundrechten, wenn diese zum Kampf gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung missbraucht werden (Art. 18 GG)
  • Die Pflicht der Angehörigen des öffentlichen Dienstes zur Verfassungstreue (Art. 5 Abs. 3 u. Art. 33 Abs. 5 GG in Verbindung mit beamtenrechtlichen Vorschriften)
  • Die Verfolgung von Straftaten, die sich gegen den Bestand des Staates oder gegen die Verfassung richten (so genannte Staatsschutzdelikte).

Wie sieht wehrhafte Demokratie in der Praxis aus?

Streitbare Demokratie. Eine interaktive GrafikÖffentliche Debatten um die wehrhafte Demokratie kreisen thematisch meistens um die Frage eines Parteiverbots. Dabei handelt es sich bei einem solchen Verbot um eine drastische Maßnahme, die man von Diktaturen kennt, von  demokratischen Staaten aber nicht erwartet.

In der Geschichte der Bundesrepublik wurde ein Parteiverbot bis heute nur zweimal erfolgreich durchgesetzt: erstmals 1952 gegen die Sozialistische Reichspartei (SRP) und 1956 gegen die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). Die Verfassungsrichter sahen in der SRP die Nachfolgepartei der NSDAP. Das reichte für ein Verbot. Bei der KPD taten sie sich schwerer, stuften sie am Ende dann doch als verfassungsfeindlich ein.* Aktuell macht die wehrhafte Demokratie wieder durch ein Parteiverbotsverfahren auf sich aufmerksam. Die Bundesländer wollen erneut versuchen, die NPD zu verbieten.

Noch seltener als das Parteiverbot ist die sogenannte Verwirkung der Grundrechte. In Erinnerung daran, dass die Nationalsozialisten den Rechtsstaat für ihre Zwecke missbrauchten, regelt Artikel 18 GG die Verwirkung bestimmter Grundrechte für Verfassungsgegner. In der Geschichte der Bundesrepublik wurde die Grundrechtsverwirkung insgesamt viermal beantragt, aber jedes Mal abgewiesen. Artikel 18 GG ist in der Praxis also bislang nicht von Bedeutung.

Weitaus häufiger wird allerdings ein Vereinigungsverbot ausgesprochen. Es dient dazu, verfassungsfeindliche Bestrebungen schon auf Vereinsebene zu bekämpfen, beispielsweise bei den sogenannten rechtsextremistischen Freien Kameradschaften.

Verfassungsschutz und Bundeswehr

Verbote stehen am Ende eines langen Prozesses. Bevor etwas gegen einen vermeintlichen Staatsfeind unternommen werden kann, muss dieser ausfindig gemacht werden. Hier kommt der Verfassungsschutz ins Spiel. Seine Aufgabe ist es, die Verfassung, mit anderen Worten das Grundgesetz und die freiheitlich- demokratische Ordnung zu schützen. Dazu beobachtet er Personen, Gruppierungen und Parteien, die er als verfassungsfeindlich und sicherheitsgefährdend einstuft, sammelt Informationen und wertet diese aus.

Die Rolle des Verfassungsschutzes wird in der breiten Öffentlichkeit - vermittelt über die Medien - mit zunehmenden Zweifeln betrachtet, zuletzt wegen seiner bislang nicht eindeutigen Rolle bei der Aufklärung der NSU-Morde. Bereits beim ersten NPD-Verbotsverfahren von 2001 bis 2003 war der Verfassungsschutz wegen seiner V-Männer innerhalb der NPD in negative Schlagzeilen geraten.

Zum Weiterlesen:
Rudolf J. Schlaffer, Oberstleutnant der Bundeswehr über Staatsbürger in Uniform und die Rolle der Bundeswehr in der "wehrhaften Demokratie"

Auch die Bundeswehr ist fest in die streitbare Demokratie eingebunden – als Lehre aus der unrühmlichen Haltung der Reichswehr bei Hitlers Machtübernahme. Die Bundeswehr sollte anders sein, kein Staat im Staat mit einer elitären Offizierskaste. Es entstand das Konzept der Inneren Führung und das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform. Damit sollten die Soldaten so weit an das demokratische System gebunden werden, dass sie sich im Fall eines Putschversuchs klar zur freiheitlich demokratischen Ordnung bekennen und diese verteidigen würden.

Was passiert im Ernstfall?: Notstandsverfassung

Man stelle sich Folgendes vor: Es kommt zu einem Putschversuch in Deutschland. Der übliche demokratische Entscheidungsprozess wäre im Fall eines Staatsstreiches deutlich zu umständlich. Man stelle sich vor, es würde zuerst eine Parlamentsdebatte abgehalten, während auf den Straßen schon geschossen würde.

Um schnell und angemessen auf eine Bedrohung der inneren Sicherheit reagieren zu können, wurde 1968 nach zehnjähriger Diskussion die Notstandsgesetze verabschiedet. Sie ändert und ergänzt das Grundgesetz – im Verteidigungsfall und bei schweren  inneren Unruhen. Die lange Diskussion zeigt, wie umstritten diese Änderung des Grundgesetzes war. Man wollte nicht leichtfertig mit Demokratie und Verfassung umgehen, deswegen hat man sich viel Zeit genommen das Für und Wider zu debattieren.

Ursprünglich enthielt die Verfassung keinen Verteidigungsplan gegen äußere oder innere Angriffe. Mit der Wehrverfassung, besser bekannt als „Wiederbewaffnung“,  wurde 1955 die Verteidigung gegen Angriffe von außen geregelt.
 


Darf Demokratie wehrhaft sein oder muss sie alles aushalten?

Es kommt immer wieder die Frage auf, ob Demokratie wehrhaft sein darf. Stehen Verfassungsschutz und Parteiverbot nicht im Widerspruch zur freiheitlich demokratischen Ordnung? Muss eine Demokratie Holocaustleugner, Verfassungsfeinde und religiöse Fundamentalisten tolerieren?*  

Die Meinungen darüber sind geteilt. Ja, das muss eine Demokratie aushalten, lautet eine Ansicht. Denn wenn sie extreme Meinungen nicht aushält, was unterscheidet sie dann noch von autoritären Regimen? Außerdem sei gerade das Parteiverbot ein ungeeignetes Mittel, mit Extremismus umzugehen. Das Argument ist nicht von der Hand zu weisen, denn mit einem Verbot hört das Problem in der Regel nicht plötzlich auf. Im Gegenteil, die Erfahrung hat gezeigt, dass die Betroffenen nach anderen Wegen suchen und ihre Aktivitäten im Geheimen fortsetzen. Das macht es für die Öffentlichkeit schwieriger, sie wahrzunehmen.

Andere hingegen halten Toleranz für begrenzt. Sie befürchten, dass sich die Geschichte der Weimarer Republik wiederholt, die sich im Rückblick von ihren Feinden regelrecht auffressen lassen hat. Im Grundgesetz spiegelt sich diese Furcht wider: Grundrechte sind kein Blankoscheck. Gleich im ersten Artikel ("Die Würde des Menschen ist unantastbar“) schränkt es die freie Meinungsäußerung ein, wenn dadurch die Würde Anderer verletzt wird. Im zweiten Artikel wird das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit mit den Worten begrenzt:

Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“

Auf Parteiverbote kann die Demokratie vielleicht verzichten. Aber auf wehrhafte Bürger, die verfassungsfeindliche Meinungen nicht tolerieren, ist sie  notwendigerweise angewiesen.

 

Tanja Zakrzewski, März 2013. Die Autorin studiert Military History an der Universität Potsdam.


Unter Verwendung von: Verbote? „Wehrhafte Demokratie“, Strafgesetzbuch & Indizierungsverfahren. Jan Buschbom, 2007

 

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