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Keoma
- Melodie des Sterbens
Ein
Meisterwerk des späten Italowesterns
Das
Halbblut Keoma kehrt nach dem Bürgerkrieg in seine Heimat zurück.
Dort muss er feststellen, dass das Land von einer Pockenseuche heimgesucht wird:
Überall türmen sich Leichenberge, viele Menschen haben sich angesteckt,
die Gegend liegt brach. Außerdem hat der Gangster Caldwell in seinem Dorf
das Kommando übernommen und terrorisiert mit einer Bande von Ex-Soldaten,
darunter ausgerechnet Keomas Stiefbrüder, die Einwohner. Caldwell pfercht
alle Erkrankten in eine verlassene Mienensiedlung, wo sie, abgeschlossen von
jeglicher medizinischer Versorgung, dem Tod überlassen sind. Flüchtlinge
werden hinterrücks erschossen. Mit Hilfe des ehemaligen Sklaven George
will Keoma der Terrorherrschaft ein Ende setzen und die Menschen seiner Heimat
befreien und setzt damit ein Blutbad in Gang.
Mit
Keoma
- Melodie des Sterbens
veröffentlicht Kinowelt nicht nur ein wahres Schmankerl des späten
Italowesterns, sondern auch ein leider bislang nur unter ausgesprochenen Genrebuffs
bekanntes Meisterwerk der Filmgeschichte. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Umstand
mit der Veröffentlichung auf DVD, die erfreulicherweise auch eine De-Indizierung
des Films mit sich bringt, aus der Welt geschafft wird. Gedreht im Jahr 1976,
als der Western in der italienischen Filmproduktion selbst schon zu den in den
reißerischen Titeln oft beschworenen Leichen gehörte, entpuppt sich
der Film vor allem als ein ambitioniertes Werk geboren aus tiefer Leidenschaft
seiner Macher: Ähnlich wie Leones Spiel
mir das Lied vom Tod
(Italien
1968) ist Keoma
- Melodie des Sterbens
ein einziges Sammelsurium an Zitaten, mythischen Allegorien und wehmütigen
Motiverinnerungen, vor allem aber auf der Bildebene eine Liebeserklärung
an die Kinematografie (wenngleich, dies sei angemerkt, der Film mit ungleich
geringfügigerem Budget als Leones Film produziert wurde, was man, wenn
man ehrlich ist, dem Film auch ansieht). Da fliegen bedauernswerte Opfer eines
Schusswechsels wie bei Peckinpah in dramatischer Zeitlupe durch die Luft, der
Raum wird, wie bei Leone, Verfügungsmasse für dynamische Scopebilder
und pointierte Bildkompositionen, wie etwa in jener berühmten Szene, in
der vier aufgerichtete Finger einer Hand, gefilmt aus der Subjektiven, mit jedem
einzelnen Anwinkeln je ein zukünftiges Opfer Keomas entblößen.
Diese
fast schon diktatorische Unterordnung des Geschehens unter die Bildkomposition
macht - natürlich neben Franco Neros großartiger Performance des
zotteligen Keoma - den eigentlichen Reiz dieser Passionsgeschichte aus: Die
permanente Dehnung von Raum und Zeit nicht nur mittels großzügigen
Zeitlupeneinsatzes, sondern auch durch einen hochassoziativen Schnitt, der in
einem steten Vexierspiel Vergangenheit und Gegenwart miteinander in Bezug nimmt,
ergibt im Gesamten einen Spätwestern mit teilweise psychedelischen Qualitäten.
Dieses Spiel der Assoziationen geht gar soweit, dass auf den Schnitt zum Teil
vollkommen verzichtet wird und der alte Keoma - ähnlich wie das auch Jahre
später Cronenberg in Spider
(Kanada 2002) machen wird - in personam durch seine Erinnerungen schreitet.
Die Figur des Keoma, die wie kaum ein zweiter Antiheld des Italowesterns aus
reiner Gegenwärtigkeit der Beschädigungen vergangener Tage zu bestehen
scheint, wird somit zum Sinnbild des Genres und dessen permanenten Krise selbst:
Angesichts der allgegenwärtigen Vergangenheit, die wie ein Kreuz mit sich
getragen wird, bleibt nur die emotionale Sackgasse wortkarger Verknöcherung,
konterkariert durch die äußerliche Verwahrlosung. Ein wahrer Glücksfall
ist es, diese Low-Budget-Produktion heutzutage wieder- oder sogar neu entdecken
zu können: Gegen die oft surrealen Qualitäten von Keoma
- Melodie des Sterbens
wirkt Eastwoods Genreabgesang Unforgiven
(USA 1992) beinahe schon anachronistisch.
Die
qualitativ ausgesprochen hochwertige DVD von Kinowelt macht die erneute Entdeckung
dieses Films noch zusätzlich zur Freude: Der Film liegt dank des hervorragenden
Ausgangsmaterials und eines sorgfältigen Transfers nicht nur in einer,
an Alter und Produktionshintergrund gemessen, exzellenten Bild- und Tonqualität
vor, sondern erfreulicherweise auch noch ungeschnitten. Die ehemals vorenthaltenen
Szenen - darunter auch einige, paradoxerweise, gänzlich gewaltfreien und
zwar nicht handlungs- wohl aber stimmungstragenden Sequenzen - hat man nicht
hastig nachsynchronisiert, wie das auf vergleichbaren Veröffentlichungen
leider oft der Fall ist, sondern wurden dem Film im O-Ton und nicht zwangsuntertitelt
wieder eingefügt. Wer auf eine Übersetzung dennoch nicht verzichten
möchte, kann auf eine optionale Untertitelung zurückgreifen, die nur
in besagten Szenen zum Einsatz kommt. Lästiges Hin- und Herschalten mit
der Fernbedienung ist somit also nicht nötig - hier wurde mitgedacht! Mit
der Featurette "Keoma - Legends never die" hat man dem Film des weiteren
ein zwar kurzes, aber sehr schönes Interview mit Franco Nero zur Seite
gestellt, der wehmütig (und offenbar auch von Grund auf ehrlich) an die
und an die einzelnen Beteiligten zurückdenkt: Die Liebe und Leidenschaft,
die in diesem ambitioniertem Film steckt, spürt man hier in jedem Satz
des einstigen B-Movie-Stars. Auch ein Audiokommentar findet sich auf der DVD:
Regisseur Enzo G. Castellari und Filmjournalist Waylon Wahl plaudern hier -
ersterer mit dem so leidenschaftlichen wie akzentreichen Englisch eines italienischen
Filmemachers - eifrig aus dem Nähkästchen, so dass es nach der ersten
Sichtung Freude macht, den Film gleich noch einmal, diesmal aus den Augen seines
Machers, zu sehen. Mit den üblichen Filmografien und dem farbenfrohen Trailer,
der die surrealen Qualitäten des Films nochmals unterstreicht, beschließt
man schließlich die Extraecke einer rundum hervorragenden Edition einer
wahren Filmperle. So machen Entdeckungsreisen in die Schatzkammer des italienischen
Genrekinos und in die unterschlagene Filmgeschichte rundum Spaß, bitte
mehr davon.
Thomas
Groh
Diese
Kritik ist zuerst erschienen bei: http://www.jump-cut.de
Keoma
- Das Lied des Todes
KEOMA
Keoma
- Melodie des Sterbens
Italien
- 1976 - 90 min. - Scope
FSK:
ab 16; feiertagsfrei
Verleih:
Adria, VPS (Video), Kinowelt (DVD)
Erstaufführung:
27.1.1977
Fd-Nummer:
20151
Produktionsfirma:
Uranos
Regie:
Enzo G. Castellari
Buch:
Luigi Montefiori
Kamera:
Aiace Parolin
Musik:
Maurizio de Angelis, Guido
de Angelis
Darsteller:
Franco
Nero (Keoma)
William
Berger
Olga
Karlatos
Woody
Strode
Technische
Angaben zur DVD:
Bildformat:
2,35:1 anamorph
Sprachen:
Deutsch, Englisch (Dolby Digital Mono)
Untertitel:
Deutsch, Deutsch (nur zuvor geschnittene Szenen)
Regionalcode:
2
Zusatzmaterial:
Audiokommentar,
Featurette "Keoma - Legends never die", Filmografien, Trailer
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