Stadt Lübbecke

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Streit um die Lübbecker Bürgerjagd

Im Jahre 1581 bestätigte der Mindener Bischof Hermann von Schaumburg den Lübbecker Bürgern ihr persönliches Jagdrecht in der Feldmark. Ein immer selbstbewußter auftretender Ministerialadel, der es verstanden hatte, sich aus alten Bindungen und Verpflichtungen zu lösen, versuchte dieses Recht zu seinen Gunsten zu verändern. Die kurfürstliche Regierung Minden versuchte wiederholt über die "Jagdbediensteten" der Amtsverwaltung Reineberg, die bürgerliche Jagd in der Feldmark zu unterbinden. Eine Klage der Lübbecker Bürger bewirkte, daß die kurfürstlich-brandenburgische Regierung am 22. Oktober 1695 zu ihren Gunsten entschied. Die Strafen des Reineberger Brüchtengerichtes mußten zurückgenommen werden. Damit war jedoch der Konflikt zwischen Adel und Bürgertum nicht aus der Welt geschafft.

Taubenflug Magistrat und Bürgerschaft der Stadt Lübbecke protestierten 1739 gegen einen Beschluß des Mindener Landtages, der das Taubenschießen in der Feldmark untersagte und nach Ansicht der Bürger in ihr angestammtes Jagdrecht eingriff. Der Beschluß war auf Betreiben des Barons Wilhelm Christian v.d. Recke auf Stockhausen gefaßt worden, und zwar im Einvernehmen mit anderen Gutsbesitzern, denen die Lübbecker Bürgerjagd ebenfalls ein Dorn im Auge war. Nach Angaben des Barons war der Taubenbestand auf Stockhausen erheblich dezimiert worden. Aus der Sicht der Bürger stellte sich der Schaden jedoch anders dar. Der Schadensnachweis war anhand einer geschossenen Taube geführt worden. In ihrem Kropf waren 72 Bohnen gezählt worden. Die Bürger fragten bei der königlichen Regierung an, ob sie den Schaden, der sich durch die Scharen von Tauben tausendfach vergrößere, als "lasttragende" Untertanen hinnehmen müßten.

Offensichtlich auf Betreiben des Barons auf Stockhausen, der auch das Amt eines Landrates im Fürstentum Minden ausübte, stellte die Regierung Minden der Stadtverwaltung Lübbecke anheim, die städtische Jagd in der Feldmark durch einen Jäger ausüben zu lassen. Die Bürger argwöhnten zu Recht, daß ihnen ihr persönliches Jagdrecht, das jedem Vollbürger zustand, genommen werden sollte. Von seiten der Regierung Minden wurde auf die neue Forstordnung von 1738 verwiesen, die in einem solchen Falle einen gemeinschaftlichen Jäger vorsah. Die Regierung Minden erhielt jedoch aus Berlin eine Rechtsweisung, die besagte, daß der entsprechende Paragraph "auff gegenwärtigen casum gar nicht applicaple" sei.

Damit war der Streit nicht aus der Welt geschafft. Am 17. August 1741 forderte die Regierung Minden den Lübbecker Magistrat auf, den Bürgern das "Jagen und Schiessen" in der Feldmark zu untersagen. Die Bürgerschaft wurde vom Magistrat nicht in Kenntnis gesetzt. Da der Baron auch das Amt des adeligen Bürgermeisters in Lübbecke ausübte, ist anzunehmen, daß das Mandat der Regierung den Bürgern wissentlich verschwiegen wurde. Die Lübbecker Bürger, geführt von den Schützenmeistern Mencke und Knollmann, wandten sich wegen Jagdbehinderung an die Regierung in Berlin. Sie teilten mit, daß der "regierende Bürgermeister v.d. Reck auf seinem nahe bey Lübbecke liegenden Guthe Stockhausen eine so starcke Tauben-Flucht, wozu Er einen eigenen Thurm bauen laßen, halte, als kaum auf allen Königlichen Vorwercken dieses Fürstentums anzutreffen, in dem Er wenigstens 1000 Paar oder 2000 stück hält." Außerdem wurde in dem Schreiben der Schützenmeister an die Berliner Regierung nachdrücklich darauf verwiesen, daß der Baron das Jagen der Lübbecker Bürger "mit scheelen Augen" ansehe. Unbekümmert über mögliche Folgen ließen die Briefschreiber die Regierung wissen, daß der Magistrat nach der Pfeife des Barons tanzen müsse.

Im Verlauf des erneuten Rechtsstreites lehnten die Bürger das Ansinnen der Regierung Minden ab, einen gemeinschaftlichen Jäger für die Bürgerjagd anzustellen, und zwar mit der Begründung, daß 300 jagdberechtigte Bürger davon keinen Nutzen hätten, wenn ein jeder nur alle 20 Jahre einen Hasen auf dem Tisch zu sehen bekäme. Außerdem stünden die zu zahlenden Jagdgelder für den Unterhalt des Jägers in keinem Verhältnis zum Nutzen.

Taubenturm des Gutes StockhausenDie von den Lübbeckern angegebene Zahl der Tauben auf Stockhausen war sicherlich übertrieben. Die von seiten v.d. Reckes angegebene Zahl von 200 Tauben dürfte den Tatsachen eher entsprechen. Hochmütig gab der Baron den Bürgern zu verstehen, daß der Adel so viele Tauben halten könne wie er wolle. Für den Baron blieb es ein ständiges Ärgernis, daß den Bürgern die Taubenjagd per königliche Order zugestanden worden war trotz der gegenteiligen Entscheidung der Regierung in Minden.

Trotzdem gaben "Prälaten und Ritterschaft des Fürstentums Minden" nicht nach und versuchten wiederholt, die königliche Regierung u. a. mit dem denunzierenden Hinweis umzustimmen, daß fast alle Bürger Handwerksleute seien, die von der Jagd keine Ahnung hätten. Schließlich wurde Lübbecke als kleine unbedeutende Stadt  hingestellt und auf das größere, aber sich vorbildlich verhaltende Minden verwiesen, daß sich stets den regierungsamtlichen Erlassen gefügt habe. Hinter den Einwendungen und Vorbehalten wird adeliger Standesdünkel sichtbar. Überkommenes Recht sollte zugunsten des Adels gebeugt werden.

Die Lübbecker Bürgerschaft verlangte, nachdem am 2. Oktober 1742 in ihrem Sinne entschieden worden war, von der Berliner Behörde eine Anweisung an die Mindener Regierung, dieser künftig alle Rechtsmittel gegen die Lübbecker Bürgerjagd zu untersagen. Dazu ist es offenbar nicht gekommen. Die Regierung Berlin wird die Forderung für überzogen gehalten haben. Jedoch alle Auslagen der Lübbecker wie Porto, Reisekosten und Verzehr wurden der Mindener Regierung in Rechnung gestellt – und bezahlt. Die Rechtssicherheit war wieder hergestellt, der Konflikt jedoch nicht aus der Welt geschafft.

Toreinfahrt des Gutes Stockhausen (1967)Die Bürgerjagd wurde weiterhin argwöhnisch beobachtet. Der Vorwurf, die Bürgerschaft wäre zu einer ordentlichen Jagd nicht fähig, war in vielen Fällen nicht von der Hand zu weisen und dauerndes Argument des Adels, gegen die Bürgerjagd zu polemisieren. In der königlichen Anordnung zum Jagdwesen vom 5. April 1780 war die Feststellung zu lesen: "Es ist ohnstreitig, daß die Ausübung der Jagdten den gemeinen Bürgern, Professionisten und Handwerkern in den Städten nur zum Müßiggang verleitet, so von dem nötigen Fleiß zur Warnemung ihres Gewerbes abhält, wodurch sie leicht unnüzze Mitglieder des Staats werden." Der Satz legt die ganze Behördenarroganz eines absolutistischen Staatswesens bloß.

Andererseits war es nicht zu bestreiten, daß die Bürgerjagd um die Mitte des 18. Jahrhunderts verwahrlost war. Diese Verwahrlosung war in den innerstädtischen Strukturen zu suchen. Die überkommene bürgerliche Standesgesellschaft begann unmerklich zu zerbrechen. Waren ursprünglich nur Vollbürger jagdberechtigt, so verlangten jetzt auch Bürger minderen Rechts, die sogenannten Schutzbürger, das gleiche Recht, soweit es die Jagd betraf. Die Lübbecker Schützenmeister Roescher und Reinhard sahen sich 1792 nicht mehr in der Lage, eine ordnungsmäßige Bürgerjagd zu gewährleisten und verlangten vom Magistrat eine öffentliche Bekanntgabe zur Handhabung des bürgerlichen Jagdrechts. Wie seit Jahrhunderten üblich, wurde die Anordnung während des sonntäglichen Gottesdienstes bekannt gegeben.

Am 4. November verlas Stadtprediger Roescher die Anordnung des Magistrats, in der es hieß, daß nur die im Rathaus eingeschriebenen Bürger das Jagdrecht ausüben dürften, denn, so hieß es in der Anordnung, war es seit einiger Zeit üblich, "daß jeder junge Mensch, Gesellen, Lehrburschen, Heuerleute, die blos Schuz geniessen, und sogar Schul Kinder auf die Jagd gehen." Diese Unsitte sollte auf jeden Fall unterbunden werden "zum Besten der Bürgerschaft". Die Schützenmeister wurden angewiesen streng durchzugreifen, falls sie Unberechtigte bei der Jagd ertappten. Dazu hieß es in der Bekanntgabe, "daß diejenigen welche keine [Voll] Bürger sind, und dennoch auf der Jagd betroffen werden, entweder mit Gelde oder Leibes Strafen beleget, ihnen das Gewehr genommen, und dergleichen Gewehre zum Besten der Armen verkaufet werden sollen". Obwohl die Schützenmeister bemüht waren, die Anordnung durchzusetzen, blieb der Mißbrauch des Jagdrechtes ein ständiges Ärgernis.

 

Vollständige Darstellung in: 80. Jahresbericht des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg, Jahrgang 1992/93.

Lübbecke, 10. Dezember 2007

Autor: Stadtarchivar Helmut Hüffmann, Illustration vom Verfasser 

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