Interview mit Dirk Franke über „Grenzen der Bezahlung“ in der Wikipedia

Die Entlassung von Sarah Stierch durch die Wikimedia Foundation, weil sie neben ihrer offiziellen Tätigkeit gegen Bezahlung in der Wikipedia geschrieben hatte (vgl. „Neue Probleme mit bezahlten Artikeln in der Wikipedia„), sorgt immer noch für Diskussionen. So widmet sich auch die aktuelle Ausgabe der Wikipedia-Onlinezeitung „Signpost“ fast ausschließlich der Angelegenheit.

Die Kontroverse bietet aber auch einen guten Anlass, noch einmal etwas grundsätzlicher über die Frage des Für und Wider von bezahltem Schreiben in der Wikipedia zu diskutieren. In Deutschland bietet sich in diesem Zusammenhang besonders der langjährige Wikipedia-Autor und seit 1. Januar 2014 Wikimedia-Deutschland-Mitarbeiter Dirk „Southpark“ Franke an. Denn Dirk Franke hat bis vor kurzem zu „Grenzen der Bezahlung“ in der Wikipedia gearbeitet und wird sich auch weiterhin in seiner Freizeit mit dem Thema beschäftigen. Das folgende Interview hat deshalb auch nichts mit seiner Tätigkeit für Wikimedia Deutschland zu tun und seine Aussagen sind rein persönlicher Natur.

Dirk Franke (Foto: Tobias Schumann, CC-BY-SA-3.0)

Dirk Franke (Foto: Tobias Schumann, CC-BY-SA-3.0)

Du hast Dich für die Wikimedia Foundation in einem Projekt mit den „Grenzen der Bezahlung“ auseinandergesetzt. Was war da die Fragestellung?

Dirk Franke: Das stimmt so nicht so ganz. Gefördert wurde das Projekt vom Verein Wikimedia Deutschland, der rechtlich unabhängig von der Stiftung ist. Ich habe es auch nicht für den Verein gemacht, sondern im Rahmen eines Förderprogramms in dem Mitglieder der Community verschiedene Projekte vorschlagen können – ich habe das immer so verstanden, dass ich das Projekt für die Wikipedia-Community mache, und nicht so sehr für den Verein. Die Fragestellung war auch eher eine praktische: bezahltes Schreiben ist einfach absehbar ein kommendes Problem und eine kommende Entwicklung: Wie schaffe ich es, die Community dazu zu animieren, sich Gedanken zum Thema zu machen, noch bevor das Problem in der Tür steht, und es eigentlich zu spät ist?

Was waren die wichtigsten Erkenntisse aus Deinem Projekt?

Dirk Franke: Ganz grundsätzlich muss die Community eine Entscheidung treffen, welcher Grundwert der Wikipedia ihr wichtiger ist: Offenheit oder totale Nicht-Kommerzialität. Entweder ist Wikipedia offen für alle, und es ist möglich, Wikipedia anonym zu bearbeiten – dann ist es quasi unmöglich, ein Paid-Editing-Verbot konsequent durchzusetzen. In dem Fall stellt sich allerdings weniger eine Verbotsfrage, sondern eine Regulierungsfrage: Wie kann man bezahltes Schreiben sinnvoll lenken, und möglichst nur auf seine nicht-schädlichen Aspekte eingrenzen.

Oder es ist der Community wichtig, bezahltes Schreiben wirklich konsequent zu verbieten? Dann allerdings lässt sich die Anonymität im Projekt nicht mehr aufrecht erhalten, und die Wikipedia würde sich inhaltlich und sozial deutlich verändern: das Projekt wäre nicht mehr dasselbe wie vorher.

Wie sieht es mit der Akzeptanz von bezahltem Schreiben in der Community aus?

Dirk Franke: Für die mehr oder weniger weitreichende Akzeptanz von bezahltem Schreiben in der Community gibt es mehrere Faktoren, die bei den bezahlten Schreibern selbst liegen. So findet es eher Akzeptanz, wenn es um nichtkommerzielle Zwecke geht, und der Autor nicht auch noch ehrenamtlich in der Wikipedia aktiv ist, oder gar eine Funktion innerhalb der Wikipedia hat. Der Idealfall aus Sicht der Community wäre es wohl, wenn eine nichtkommerzielle Organisation aus ihren eigenen Mitteln transparent Menschen mit Expertenwissen bezahlt, die bisher nicht Wikipedia editiert haben, um unparteiisch Artikel über allgemeine Themen des Wissens zu bearbeiten.

Schon heute ist es ja so, dass für einige Tätigkeiten im Bereich der Wikipedia, z.B. der Weiterentwicklung der Software, bezahlt wird. Warum darf nicht auch für das Verfassen von Artikeln bezahlt werden?

Dirk Franke: So ganz stimmt das auch heute schon nicht: Bezahltes Schreiben trifft zwar nur selten auf Freude oder Zustimmung im gesamten Wikiversum – explizit verboten ist es jedoch auch so gut wie nie. Fast alle Formen des bezahlten Schreibens bewegen sich in einer Grauzone aus informellen Gebräuchen, „man-soll-nicht“-Regeln, und einer oft ablehnenden Praxis. Dabei gibt es Formen, die mehr und weniger akzeptiert werden. Es gibt zum Beispiel einige wenige Fälle im englischsprachigen Raum, in denen Menschen von Kulturinstitutionen bezahlt werden, um Inhalte über Kunst oder Kultur zu schreiben. Schwierig wird es, wenn es auch um Artikel über die Institution an sich geht, oder die Artikel dazu dienen, einen bestimmten Themenkomplex zu bewerben.

Im Bereich Open Source Software gibt es ein nebeneinander von bezahlten und unbezahlten Beitragenden (vgl. z.B. eine aktuelle Studie „Paid versus Volunteer Work in Open Source“ von Dirk Riehle und anderen) – warum ist das im Bereich der Wikipedia schwieriger?

Dirk Franke: Soweit ich weiß, ist es auch im Bereich Open Source Software nicht immer ganz einfach mit dem Nebeneinander. Bei Wikipedia fehlt allerdings bisher jede Erfahrung damit, wie so ein Nebeneinander überhaupt aussehen könnte. Viele Wikipedia-Autoren verstehen sich darüber hinaus als Nicht-Kommerziell und gegen Kommerz im Wissen ausgerichtet. Diese haben oft sehr klare und ausgesprochene Meinungen zum Thema.

Zudem unterscheidet sich Software und Wikipedia-Text auch erheblich: der Code eines Programms unterscheidet sich vermutlich nicht großartig, egal wer dafür bezahlt hat. Bei Wikipedia steht immer die Befürchtung im Raum, dass derjenige der bezahlt, auch die Ausrichtung und die Neutralität des Textes beeinflussen will.

Die Frage der Bezahlung ist auch im Kontext mangelnder Vielfalt ein Thema. In ihrem Vortrag „Diversity initiatives that worked in other open communities“ (PDF der Slides) bei der Wikipedia Diversity Conference meinte beispielsweise Valerie Aurora, dass Bezahlung es unterrepräsentierten Gruppen wie z.B. Frauen leichter macht, Beiträge zu leisten. Wie siehst Du das?

Dirk Franke: Kurzfristig wäre dem vermutlich so. Wobei man sich vor Augen führen muss, wieviele Menschen in der Wikipedia aktiv sind. Die deutsche Wikipedia hat beispielsweise einen harten Kern von etwa 1000 Menschen, die fast täglich editieren und etwa 7000 Menschen, die regelmäßig mehrfach im Monat vorbeischauen. Wenn man da durch Bezahlung wirklich einen nennenswerten Unterschied in der Zusammensetzung der Community machen wollte, müsste man eine größere Personenzahl mit dementsprechenden Kosten bezahlen.

Welche Probleme wären abgesehen von den hohen Kosten noch zu erwarten?

Dirk Franke: Es stellen sich vor allem zwei Probleme: würden diese bezahlten Autorinnen jemals Akzeptanz unter den Ehrenamtlichen finden, oder würde das nicht eher das Problem verschärfen und zu einer Spaltung führen? Und: Wie würden sich beispielsweise die durchaus vorhandenen Wikipedianerinnen fühlen, die seit Jahren in Wikipedia aktiv sind, wenn ihnen plötzlich bezahlte Kolleginnen vor die Nase gesetzt werden? Bei solchen Projekten besteht immer eine immense Gefahr, dass man die seit Jahren aktiven Freiwilligen demotiviert, während jeglicher Effekt möglicher Bezahl-Programme sofort verpufft, sobald die Mittel erschöpft sind.

Wo lag im konkreten Fall von Sarah Stierch eigentlich genau das Problem? Sie hat schließlich aus ihrer Tätigkeit des bezahlten Schreibens kein Geheimnis gemacht, sondern sogar die Preise auf ihrem Blog transparent gemacht?

Dirk Franke: Zu dem Fall habe ich bisher deutlich zu wenig Detailwissen, um wirklich sinnvoll Auskunft geben zu könnnen. Alles was mir zur Zeit klar zu sein scheint, ist, dass Sarah Stierch etwas getan hat, von dem ihre Vorgesetzten in der Wikimedia Foundation nichts wussten. Anscheinend war dieses Handeln dann auch gravierend genug, um zu den gezogenen Konsequenzen zu führen.

Auf der Mailingliste der Wikimedia Foundation wird Sarah Stierch mit dem Argument verteidigt, dass das Problem nicht bezahltes Schreiben an sich, sondern bezahltes Lobby-Schreiben ist. Lässt sich zwischen „guter“ und „schlechter“ Bezahlung unterscheiden?

Dirk Franke: Wie weiter oben geschrieben; es gibt diverse Faktoren (Offenheit, Inhalt, Geldquelle etc.), die die Akzeptanz von Bezahlung erhöhen oder vermindern. Das Spektrum reicht da von hellgrau bis tiefschwarz. Für wirklich gutes Nicht-Lobby-Schreiben müsste ja eine Geldquelle gefunden werden, die mit der Bezahlung keinerlei eigene Interessen verfolgt. Das stelle ich mir in der Praxis recht schwierig vor.

Erik Möller, Vize-Direktor der Wikimedia Foundation, hat die Idee einer eigenen Organisation aufgeworfen, die Geld für das bezahlte Erstellen von Wikipedia-Artikeln einsammelt, gleichzeitig aber sicherstellt, dass mit dem Geld keine Inhalte gekauft werden können. Wäre das ein Ausweg?

Dirk Franke: Zumindest ist es ein Gedankenansatz, der meines Wissens bisher von der Stiftung her neu ist. Der geht das weiter oben angesprochene inhaltliche Problem an, löst aber noch nicht das soziale Problem, dass die Existenz von spendengeförderten Autoren möglicherweise ehrenamtliche Wikipedianer demotiviert und aus dem Projekt vertreibt.

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