Die Rheinreise von William England
im Sommer 1867


von Hartmut Wettmann, Berlin

Als William England im Sommer 1867 das Rheinland bereiste, war die Rheinromantik, jene schwärmerische, poetische Begeisterung für das Rheinland, in ihrer vollen Blüte. Begonnen hatte es mit Friedrich von Schlegel, Achim von Arnim, Clemens Brentano und Heinrich Heine, die den Rhein Anfang des 19. Jahrhunderts mit Liedern, Gedichten und Sagen bekannt machten. 1816 bereiste Lord Byron den Rhein und löste in England mit seinem 'Childe Harold', in dem er die Landschaft und Geschichte des Rheins besingt, eine Begeisterungswelle für den Rhein aus. Ein Jahr darauf, 1817 malte William Turner seine romantischen Rheinbilder und 1853 erschien die Fotoserie 'Les bords du Rhin' von Blanquart-Evrard (Lille). Freiligrath rief nach dem Einsturz des Rolandsbogens 1839 mit feuriger Dichtung zu dessen Wiederaufbau auf und der Kronprinz und spätere König Friedrich Wilhelm IV von Preußen ließ Schloss Stolzenfels nach Plänen von Schinkel in den 1830er und 1840er Jahren wieder aufbauen. Die Rheinromantik löste in Europa nicht nur eine Reisewelle aus, auch der Bedarf an Bildserien vom Rhein war enorm. Die noch junge 'Köln-Düsseldorfer', die 1853 aus dem Zusammenschluss der Kölner und der Düsseldorfer Gesellschaft entstanden war, beförderte jährlich etwa eine Million Fahrgäste. Die Hälfte aller Passagiere war Engländer.

William England, 1830 in London geboren, arbeitete bereits in jungen Jahren (1840 bis 1845) in einem Studio für Daguerrotypien in London. 1854 trat er der London Stereoscopic Co. bei und wurde schließlich deren Chefphotograph. Er machte zahlreiche Reisen: 1859 USA, 1861 Paris, 1863-1865 Schweiz, Tirol und Italien, von denen er hervorragende Bildserien mitbrachte, die sehr gelobt wurden.
In den 'Photographischen Mittheilungen', der Zeitschrift des Deutschen Photographen-Vereins ist 1867 nachzulesen: 'Mr. England ist ein Künstler, der sich durch seine Schweizbilder eine Berühmtheit errungen hat. Nachdem Braun in Dornach die Schweiz, so zu sagen, photographisch erschöpft hatte, (....) glaubten viele Photographen daß es mit Schweizlandschaften geschäftlich vorbei sei (....). Da kommt Mr. England übers Meer, um das Gegentheil zu beweisen und hat den viel größeren Blättern von Braun eine Concurrenz bereitet, die Niemand vorher gewagt hatte. (....) Woher rührt die Sympathie, welche diese Blätter gefunden? Nicht im Format (....) es ist hier einzig und allein ihr Kunstwert. Dieser bildet ihren Vorzug vor allen anderen Schweizbildern. Mit richtigstem Gefühl ist hier der beste Standpunkt für diese prachtvollen Naturscenerien gewählt , die wirkungsvollste Beleuchtung abgewartet und sicher noch durch sorgfältige Bearbeitung des Negativs dem Ganzen jene treffliche Haltung und Stimmung verliehen, die fast alle diese Bilder auszeichnet. Dieser künstlerische Werth ist es, den man in allen anderen Schweizbildern nur zu oft vermißt. Dieser sichert England den Vorzug.'

Das Reisen im Rheinland war im Jahre 1867 schon recht komfortabel. Die traditionelle Postkutsche war schwer und unbequem, die Straßen oft in schlechtem Zustand. Der Reisende zog daher die weitaus bequemeren, schnelleren, pünktlichen und billigeren Schiffe und Bahnen vor. Die Dampfschiffe auf dem Rhein waren bereits sehr bequem. Es gab durchgehende Verbindungen von London nach Mainz. Auch die Bewirtung war meist besser als an Land. Seit 1863 gab es einen durchgehenden Schienenstrang von Konstanz nach Rotterdam am Rhein entlang, auf weiten Strecken konnte der Reisende zwischen Linien auf dem linken und dem rechten Rheinufer wählen. Auch die großen Seitentäler des Rheins waren für den Bahnverkehr gut erschlossen. So war die Lahnbahn 1862 fertiggestellt worden. Die Nahebahn war ab 1860 durchgehend befahrbar. Eine Eisenbahnstrecke an der Mosel gab es zwar noch nicht, seit 1841 verkehrten aber regelmäßig Dampfschiffe.

Der Fotograf hatte damals eine umfangreiche Ausrüstung zu transportieren. Neben der schweren hölzernen Kamera, die etwa 10 kg wog waren Stativ, ein Dunkelkammerzelt, eine Kiste, die zugleich als Tisch diente mit einem Dutzend Flaschen mit Chemikalien, einem Vorrat an Glasplatten, Wannen, Gläsern, destilliertem Wasser, Tauchhaken und Ständern mitzunehmen.
William England bemerkt 1862 über 'die augenblickliche Photographie: ' Hier ist viel Geduld nöthig; das Misslingen ist sehr häufig - schlechtes Licht, Abwesenheit der Sonne während des Moments, dass die Platte am empfindlichsten ist, die Schwierigkeiten, die durch die Veränderungen im Silberbad entstehen. Zuweilen erhalten wir schöne klare Platten, die aber ausser den höchsten Lichtern nichts enthalten. Dies alles ist sehr unangenehm, wird aber so bleiben, bis wir ein gutes empfindliches Trockenverfahren besitzen. Wo die Belichtungszeit nicht von Belang ist, fallen diese Beschwerden natürlich weg. England stellte zugleich der &=uml;ffentlichkeit seine Weiterentwicklung des Russel'schen Tanninverfahrens vor, das 'bessere Resultate, als die anderen Trockenverfahren' ergab. 1867 erschien im 'Photographischen Archiv' sein Artikel 'Modification des Collodion-Albuminverfahrens', in dem er eine Vereinfachung des genannten Verfahrens beschrieb, 'die sehr sichere Resultate liefert'. Auch hier plädiert er ausdrücklich für Trockenverfahren: ' Wohl kein Gegenstand ist für den Photographen von grösserem Interesse, als die Präparation trockener Platten, die ihn der unangenehmen Nothwendigkeit überheben, alle die zu feuchten Platten erforderlichen Geräthschaften mit sich zu führen. Ich erinnere mich, in Chamonix von den colossalen Vorbereitungen Bisson's für seine Ersteigung des Montblancs sprechen gehört zu haben; ein Schock Träger und Führer, jeder beladen wie ein Kameel, und von den Nächten, die sie in den Schneeregionen zubringen mussten. Hätte Bisson verlässliche Trockenplatten gehabt, so würde ihm viel Sorge und nebenbei gesagt, viel Geld erspart worden sein.' In demselben Artikel kündigt er an, 'in Kürze den Continent zu besuchen; sollte sich das Verfahren hier practisch bewähren - woran ich nicht zweifele - so werde ich später eingehendere Mittheilungen darüber machen.'

Sicherlich benutzte er auch eine Kamera mit dem von ihm selbst 1862 konstruierten Schlitzverschluss. Er schreibt dazu 1862: 'Ich bediene mich zu Strassenscenen und Gebäuden eines achromatischen Doppelobjektivs mit möglichst grosser Blendenöffnung. Den Verschluss habe ich zuweilen von den Objektiven angebracht, zuweilen dahinter, jetzt wende ich ihn ganz nahe vor der Platte an und finde,dass mir diese Stellung die besten Resultate gibt.

Im Mai 1868 lag dem Deutschen Photographen-Verein 'eine Collection Rheinansichten von Mr. England' vor, die im Jahr zuvor veröffentlicht worden war: 'Der Vorsitzende legt eine Collection Rheinansichten von Mr. England, die Hr. Moser sen. dem Verein gütigst zur Disposition gestellt hat, zur Ansicht aus. Dieselben sind wohl die erste größere Serie Trockenplatten-Aufnahmen, welche im Handel erschienen. In der Qualität geben sie nassen Platten nur sehr wenig nach. Die Bilder zeigen allerdings Unschärfen am Rande, woraus zu vermuthen, daß Mr. England wegen der geringeren Empfindlichkeit der Platten mit großen Blenden gearbeitet hat.(....) Redner ist der Ansicht, daß, obgleich die vorgelegten Bilder alle Anerkennung verdienten, hierdurch noch keineswegs der Vorzug der Trockenplatte gegenüber der nassen für Landschaftsphotographie entschieden sei. (....)Auffällig sei, daß in der Rheinbildcollection von Mr. England verschiedene beliebte Parten, wie z.B. das Siebengebirge mit Umgebungen, fehlen. Es sei constatirt, daß Mr. England diese Punkte besucht habe, und scheine es, als hätten die Trockenplatten an den betreffenden Orten ihren Dienst versagt.'
Mit Sicherheit ist bei derselben Reise die Serie 'Stereoskopenbilder' mit dem Titel 'The Rhine and it's Vicinity' entstanden. Die Serie umfasst achtzig Stereofotos vom Rhein von Köln bis Mainz, von der Lahn und der Nahe. Die Schwerpunkte liegen bei den großen Städten: Köln mit elf Aufnahmen, Koblenz und Umgebung ebenfalls mit elf, Wiesbaden, damals als 'Kaiserbad' berühmt mit sieben Aufnahmen. Vor allem aber ist die Lahn mit sechzehn Aufnahmen sehr gut vertreten. Aufnahmen von der Mosel fehlen völlig. Mainz ist nur mit zwei Aufnahmen vertreten, von der unteren Nahe gibt es vier Aufnahmen. Auch diese Serie enthält einige unübersehbare Lücken. Ob das aber auf die mangelnde Zuverlässigkeit der Trockenplatten, auf fehlende Verkehrsmittel oder andere Ursachen zurück zuführen ist, ist nicht mehr feststellbar. Das Fehlen von Aufnahmen von der Mosel könnte jedenfalls damit zusammenhängen, dass es dort noch keine Eisenbahn gab. Charakteristisch ist, dass auf vielen der Aufnahmen Personen zu sehen ist, wegen der damals noch immer recht langen Belichtungszeiten keine Selbstverständlichkeit. Es scheint sich dabei um immer dieselben Personen zu handeln, vielleicht den Fotografen selbst und seine Frau.
Die Serie dürfte seinerzeit ein großer Erfolg gewesen sein. Schon bald tauchten Raubkopien auf. Und auch heute, in einer Zeit, in der wir förmlich von Bildern überflutet werden, besitzt sie einen ganz besonderen Reiz. Der 'dreidimensionale Blick' in das Rheinland vor den beiden Weltkriegen ist ein faszinierendes Erlebnis.

Das Bemühen um zuverlässige Trockenplatten beschäftigt William England übrigens auch weiterhin. 1871 beschreibt er ein 'Morphin-Trockenverfahren': 'Wer trockene Platten von sehr grosser Empfindlichkeit zu präpariren wünscht, möge sich des essigsauren Morphins bedienen.' Auch diese Platten hat er im Rheinland benutzen wollen: 'Ich habe das Verfahren im letzten Sommer öfters angewendet, und keine Abänderung für nöthig befunden. Ich beabsichtigte, es am Rhein in Gemeinschaft mit dem feuchten Verfahren zu verwenden, habe auch dort einige sehr gute Platten erhalten. Leider hat mich der Krieg daran gehindert, meine Tour zu vollenden. Doch habe ich vollständiges Vertrauen in dies Verfahren, vorausgesetzt, dass die Platten nicht sehr lange aufbewahrt werden, un ziehe es allen übrigen mir bekannten Trockenverfahren vor.'

Quellen:
Georg Hölscher: Das Buch vom Rhein, Verlag von Hoursch & Bechstedt in Köln am Rhein, 1926
Horst Johannes Tümmers: Der Rhein, ein europäischer Fluss und seine Geschichte, Verlag C.H. Beck, 1999
Gerd Stein: Die Rhein-Nahe-Bahn im Kreis Birkenfeld. Heimatkalender Landkreis Birkenfeld 1998, Verlag Dr. Gebhard + Hilden, Idar-Oberstein
Michel Frizot: Neue Geschichte der Fotografie, Könemann, Köln, 1998
Beaumont Newhall: Geschichte der Photographie, Schirmer/Mosel 1998
Photographische Mittheilungen, Zeitschrift des Deutschen Photographen-Vereins, Herausgegeben von Dr. Hermann Vogel, Fünfter Jahrgang (1868)
Ian Jeffrey: An American Journey, The Photography of William England, Prestel Verlag, Munich, London, New York, 1999
Arnold Wolff: Dombau in Köln, Müller und Schindler, Stuttgart, 1980
William England: 'Das Taninverfahren - Transparentbilder- Augenblickliche Photographie' in 'Photographisches Archiv - Monatliche Berichte über den Fortgang der Photographie' (Liesegang) Dritter Band, Jahrgang 1862
William England: 'Modification des Collodion-Albuminverfahrens' in 'Photographisches Archiv - Monatliche Berichte über den Fortgang der Photographie' (Liesegang) Siebenter Band, Jahrgang 1867
William England: 'Morphin-Trockenverfahren' in 'Photographisches Archiv - Monatliche Berichte über den Fortgang der Photographie' (Liesegang) Zwölfter Band, Jahrgang 1871



Weiter Informationen zu William England und seinen Fotos:
- Bildband: Rheinreise William England
- die Stereofotos der Serie von 1867





Stand: November 2008

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