Theodor-Fontane-Freundeskreis M/V – Kloster Dobbertin
Mitglied in der Theodor Fontane Gesellschaft e.V.
       


 


Alexander Bandilla:
Englische und schottische Balladen aus der Feder Theodor Fontanes

Wer da geglaubt hätte, die englischen und schottischen Balladen Theodor Fontanes seien „schwerer Stoff“ und erschlössen sich im übrigen nur dem, der sich sehr gut in der Geschichte der Insel auskennt, sah sich an diesem Nachmittag aufs angenehmste überrascht.

In seiner kurzen Einführung beschrieb Alexander Bandilla die Begeisterung, mit der der junge Fontane die historischen Romane Sir Walter Scotts las, und er zitierte aus einem Brief Theodor Fontanes an Hans Hertz aus dem Jahr 1891, in dem Fontane über seine frühe Faszination um die schottische Geschichte berichtet, er sei „mit Maria Stuart zu Bett gegangen und mit Archibald Douglas aufgestanden“. 

Mit seiner enorm modulationsfähigen Stimme spannte Alexander Bandilla nun einen weiten Bogen:

Folgerichtig nahm er seine Zuhörer zunächst mit zu Sir Walter Scott – zu Fontanes Sicht auf dessen Umzug nach Abbotsford House – und trug danach vor, wie Sir Walter bei seinem Eintreffen in der Westminster Abtei dem Prinzregenten bei dessen Krönung „die Show stiehlt“. - Gut vorstellbar, dass wirklich die 23 von Theodor Fontane ironisierend beschriebenen Umzugswagen nötig waren, um Scotts historisches Sammelsurium von Edinburgh nach Abbotsford zu transportieren. Doch „Walter Scott in Westminster Abtei“ spricht deutlich davon, wie sehr Fontane den schottischen Dichter - den „Shakespeare der Erzählung“ - bewunderte, auch wenn er es bei dieser Begebenheit mit der historischen Wahrheit nicht so ganz genau nimmt.

Die Begebenheit um „Archibald Douglas“ jedoch ist historisch verbürgt – zumindest fast. Fontane erfuhr davon bei Walter Scott (“Ministrelsy of the Scottish border”), der sie wohl seinerseits von dem schottischen Historiker David Hume (1558–1629) hatte. Jedoch handelt es sich beim historischen Vorbild des Balladenhelden wohl nicht um Archibald Douglas, den 6. Earl von Angus (1490–1557), wie vielfach genannt; sondern um Archibald Douglas of Kilspindie (1475–1536), dessen Onkel.

Der Earl von Angus war zeitweise der Vormund des bereits mit 17 Monaten gekrönten James V. und hatte den jungen König gefangen gesetzt, um seine eigene Macht zu sichern. Zur Aufsicht und Betreuung des Jungen hatte der Earl seinen Onkel bestimmt, eben diesen Archibald Douglas. Wiewohl der junge König diesen mochte, so verbannte der 16Jährige nach seiner Flucht im Jahr 1528 doch ausnahmslos alle mit Namen Douglas aus dem Land. Der Earl ging nach England, sein Onkel jedoch nach Frankreich. Von dort aus unternahm er Jahre später den Versuch, den Fontane in seiner Ballade beschreibt – doch er fand keine Gnade.

Lassen wir an dieser Stelle Fontane selbst zu Wort kommen. Im Jahr 1893 schreibt er an Richard Maria Werner:

„Ein englischer König, wenn ich nicht irre Heinrich VIII., mißbilligte dies und sprach den Reimspruch: 'A King’s face / Shall give grace.' … Diese kleine Douglas-Geschichte machte einen großen Eindruck auf mich, und da ich ganz der Ansicht von Heinrich dem Achten war, so modelte ich den Stoff in dem entsprechenden Sinne … Die Ansprache des Douglas und die Antwort des Königs darauf, schrieb ich noch an demselben Abend, und zwar auf dem kalten, weißgetünchten Vorflur des K[öniglichen] Schauspielhauses. Ich holte meine Frau ab und seh mich noch stehn, wie ich ein kleines Blatt nach dem andern an den Wandpfeiler legte, um mit dem Bleistift, der keine rechte Spitze mehr hatte, besser schreiben oder doch das Nötigste festhalten zu können. Es ist jetzt gerade 40 Jahre her.“

Der „andere“, der machtbesessene Archibald Douglas hat historische Spuren hinterlassen; sein Enkel war Lord Darnley, zweiter Ehemann von Maria Stuart, und sein Urenkel wurde als James I. auch König von England. - Was Archibald Douglas von Kilspindie betrifft: es sei Fontane gegönnt, der Gnade nachträglich zum Sieg verholfen zu haben – und „seinem“ Douglas sei das literarische Denkmal gegönnt, zu dem ihm Fontane verholfen hat. 

Weiter ging es an diesem Nachmittag mit Fontanes Romanzenzyklus über Maria Stuart. Ob Verführerin, ob bußfertige Sünderin, Fontane stellt beide Marias überaus überzeugend dar. (Und Alexander Bandilla leiht beiden eine so überzeugende Stimme, dass die Verfasserin es fast nicht wagt zu opponieren - und dennoch meint sie, dass es der historischen Maria wohl nicht gerecht wird, sie auf diese beiden Klischee-Rollen zu reduzieren…)

Es folgten „Sir Walter Raleighs letzte Nacht“, „Die Hamiltons Oder Die Locke von Maria Stuart“ - und schließlich die Ballade „Die Brück’ am Tay“, in der Fontane einmal mehr viele Ebenen kunstvoll verwoben zu einem Meisterwerk gestaltet – das historische Geschehen einerseits, aber auch persönliche Schicksale und literarische Parallelen (hier die Hexen aus „Macbeth“).

Nun - nach so viel Romantik, Gewalt, Tod und Schicksalsschwere musste es einfach einen „Bruch“ geben. Mit gutem Gespür stellte Alexander Bandilla deshalb eine Ballade von William Cowper (1731-1800) ans Ende seines Vortrags, dessen gelungene Übertragung ins Deutsche wir Theodor Fontane verdanken. „John Gilpin“ (1782) erwies sich schnell als „Kabinettstückchen“ – nicht nur Fontanes, sondern auch Alexander Bandillas, mit dem beide die Lacher über den armen Gilpin auf ihrer Seite hatten. Nach den lebendigen Bildern, die der Sprecher in den Köpfen seiner Zuhörer hervorrief, wunderte es mich nicht zu erfahren, dass es die Geschichte dieses Pechvogels auch als frühen Comic gibt…

Doch neben der gelungenen Auswahl der Balladen Fontanes für diesen Nachmittag ist es Alexander Bandilla vor allem zu danken, den dramatischen Geschichten in Versform in besonderer Weise seine Stimme geliehen zu haben. Die Fontane’sche sanfte Ironie, das schiere Entsetzen des braven Ehemanns John Gilpin, das gespenstische Wispern der Hexen im Wind am Tay, die donnernde Bestimmtheit des befehlsgewohnten schottischen Militärs, das verzweifelte Flehen eines Archibald Douglas – all diese Facetten stehen Alexander Bandilla zu Gebote, und er setzte sie zum großen Vergnügen seiner Zuhörer ein.

Gabriele Liebenow