16.11.2006

Handwerksmeister mit Qualitätsanspruch

Macher ohne Besitz

Wiederauferstehung nach der Pleite: Jochen Gaues hat finstere Zeiten hinter sich - nicht nur als Handwerker.

Mit seinen Back-Kreationen im Bauch hat sich die Nationalmannschaft von Spiel zu Spiel gesiegt. Und dann ist Jochen Gaues auch noch im Deutschland-Trikot durch die Backstube im hannoverschen Stadtteil Ledeburg getobt. Während der Weltmeisterschaft war das ein gefundenes Fressen für Deutschlands Fernsehsender. Jetzt steht er in seinem Wohnzimmer und sieht sich ein Video mit einem Beitrag an, der im WM-Sommer auf RTL gelaufen ist. „Nein, wie habe ich denn da ausgesehen? Das muss am Tag nach dem Viertelfinale gewesen sein“, lacht der 40-Jährige.

Was RTL & Co. nicht gezeigt haben: Gaues hatte lange Zeit nichts zu lachen. Nach 15 Jahren Selbstständigkeit lag sein Leben plötzlich in Scherben. Privat und beruflich. Sein Debakel als Unternehmer habe mit dem Debakel seiner Ehe begonnen, sagt er. Wann war das? „Vor drei oder vier Jahren, vor einer halben Ewigkeit.“ Bevor er weiter spricht, dreht er den Kopf zur Seite und sieht aus dem Fenster. „Du kommst nach Hause, das Haus ist leer, auf den Konten ist kein Geld – da zweifelt man an allem.“ Ausnahmsweise lacht er mal nicht.

„Viel Geld verdienen darf ich sowieso nicht“

Bis zu dieser Zäsur hat Gaues extrem gelebt. Als junger Bäckermeister übernimmt er einen alteingesessenen Betrieb, erweitert das Angebot, ist kreativ, steigert die Produktivität. Der Erfolg stellt sich ein, die Verkaufszahlen explodieren, neue Filialen entstehen. In Spitzenzeiten beschäftigt er 100 Mitarbeiter. Bei aller Arbeit vergisst er den Faktor Spaß keine Sekunde, er feiert das Leben. Geraucht und gespielt habe er nie, kann aber „Champagnersorten am Geschmack erkennen“. Und dann der Ferrari. „Der kam bei vielen Leuten gar nicht gut an. Da war eine Menge Neid im Spiel. Aber wann soll man so ein Auto fahren? Wenn man 60 ist?“

Und heute? „Heute bin ich der Macher, nicht der Besitzer.“ Das neue Unternehmen gehört seiner Lebensgefährtin und ehemaligen Backstubenleiterin, Betty Krenz. Auch wenn der Betrieb untrennbar mit seinem Namen, seinen Rezepten und seinen Fähigkeiten verknüpft ist: Im Jahre 2006 ist Gaues ein Angestellter. „Viel Geld verdienen darf ich sowieso nicht“, sagt er und zeigt eine neue Nuance seiner Mimik. Ein schiefes Lächeln. „Ohne Betty und ohne meine körperliche Unversehrtheit wäre ich ein Sozialfall. In 15 Jahren als Unternehmer habe ich etliche Millionen an Steuern bezahlt. Das darf doch nicht wahr sein, oder?“

„Ich kenne die großen Nummern“

Seine alten Geschäftsbeziehungen erweisen sich als unbezahlbares Kapital. Und überhaupt: Die Namen, die schon auf Gaues' Kundenliste standen, lesen sich wie das Inhaltsverzeichnis von Zeitschriften wie Gala oder Bunte. Ob im Hotel Adlon oder im Schlosshotel Grunewald, ob Juan Carlos, Joschka Fischer oder Jürgen Klinsmann – die Produkte aus der 60 Quadratmeter-Backstube in Hannover finden den Weg in die verwöhnten Münder der Welt. „Am Freitag vor dem Endspiel haben wir die französische Botschaft mit 80 Ochsenbroten beliefert. Das war natürlich vom Feinsten.“ Gut und gerne neun Kilogramm wiegt so ein Ochsenbrot.

Wie kommen solche Kontakte zustande? „Ich kenne die Küchenchefs, die großen Nummern. Ich bin zwar nie in Urlaub gefahren, aber immer richtig gut essen gegangen. Und ich gehe auf die Leute zu. Dann setzt die Mund-zu-Mund-Propaganda ein, der eigene Name wird bekannt – so einfach ist das.“ Auch das verdeutlicht das Gespräch mit Jochen Gaues: Bescheidenheit ist seine Sache nicht. Warum auch? Der Bäckermeister ist nach einem echten Tiefschlag wieder aufgestanden. Und Transporter mit Ciabatta und Kohl-Speck-Brot, mit Produkten nach seinen Rezepten, fahren viermal die Woche nach Berlin, zwei mal nach Hamburg, zweimal nach Frankfurt.

Eine Handvoll „echter Freunde“

Wenn er über den extremen Qualitätsanspruch spricht, den er nur mit „richtig guten Leuten“ erfüllen kann, hat Gaues den Ausdruck eines Leidenden. „Es ist furchtbar“, sagt er, „wir finden kaum Mitarbeiter, die tatsächlich handwerklich arbeiten können.“ Seine Stellenanzeigen formuliere er schon absichtlich provokativ: „Handwerkliche Bäcker gesucht.“ Natürlich müsse nicht jedes handwerkliche Produkt ein Unikat sein. Aber dürfe sich wirklich jemand als Bäcker bezeichnen, der an einer Maschine steht und einen roten und einen grünen Knopf bedienen kann?

Gaues hat die Ausstrahlung eines Menschen, der eine schwere Krankheit überwunden hat und das Leben intensiver empfindet als zuvor. Und er spricht auch wie ein Rekonvaleszent, wenn er die Hilflosigkeit eines Unternehmers in einem Insolvenzverfahren beschreibt. „In solchen Situationen zeigt sich, wer die echten Freunde sind.“ Eine Handvoll zählt er auf.